Fall 1: Die
Wirkweise von Gift
A und B versetzen dem O unabhängig voneinander eine für sich jeweils nicht tödliche Menge Gift, nur durch das Zusammenwirken stirbt O. Strafbarkeit von A ? Mordmerkmale sind nicht zu prüfen !
Abwandlung: Was ändert sich, wenn die jeweils verabreichten Mengen Gift bereits für sich tödlich gewesen wären und sich nicht feststellen ließ, ob eines zuerst wirkte ?
Lösung:
Ausgangsfall: Strafbarkeit des A
A kann sich durch die Verabreichung des Giftes gemäß § 212 I StGB strafbar gemacht haben.
Mit dem Tod des O ist der tatbestandsmäßige Erfolg eingetreten.
Fraglich ist aber, ob dies kausal auf der Verabreichung des Giftes durch A beruhte. Eine Handlung ist kausal, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele. Hätte A dem O nicht das Gift versetzt, hätte er keine insgesamt tödliche Menge Gift zu sich genommen und wäre nicht gestorben, sodass die Verabreichung des Giftes durch A für den Tod des O kausal war (Fall der sog. kumulativen Kausalität).
Mit dem Verabreichen des Giftes hat A auch eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen, die sich im konkreten Erfolg verwirklicht hat, sodass ihm der Erfolg auch objektiv zurechenbar ist.
[Beachte: Teilweise wird das Problem des atypischen Kausalverlaufs als Problem der objektiven Zurechnung gesehen. Im Sinne der Rechtsprechung wurde es hier aber als Vorsatzproblem aufgefasst.]
A hat den objektiven Tatbestand des Totschlags verwirklicht.
Die Verwirklichung müsste auch vorsätzlich geschehen sein. Vorsatz ist das Wissen um die Elemente des objektiven Tatbestandes und der Wille, diesen zu verwirklichen. Den Tod des O wollte A zwar und er wusste auch, dass dieser aufgrund des Giftes eintreten könnte. Der Vorsatz muss sich aber auch auf den konkreten Kausalverlauf beziehen. Er fehlt daher in Fällen des atypischen Kausalverlaufs, wenn der tatsächliche Kausalverlauf wesentlich vom Vorstellungsbild des Täters abweicht. Dies ist gegeben, wenn die Abweichung erheblich war, sich also nicht im Rahmen der allgemeinen Lebensauffassung hielt (BGHSt 1, 279; 38, 34). Dies hängt von den konkreten Umständen des Falles ab. Ohne konkrete Umstände, dass damit zu rechnen war, dass ebenfalls B Gift dem O zusetzte, ist der Vorsatz des A zu verneinen.
A hat sich damit nicht nach § 212 Abs.1 StGB strafbar gemacht.
II. Strafbarkeit nach §§ 212 I, 22 StGB
A kann sich aber nach §§ 212 I, 22 StGB strafbar gemacht haben. Mangels Vorsatzes hat A den Tatbestand des (vollendeten) Totschlags nicht erfüllt, deren Versuch nach §§ 23 I, 12 I StGB strafbar ist. Die Untauglichkeit des Versuchs wegen untauglichen Mittels steht dem wegen eines Umkehrschlusses aus § 23 III StGB nicht entgegen.
A wollte den O mit der Verabreichung von Gift töten und hatte damit Tatentschluss auf die Tötung des A. Zu dieser hat er mit dem Verabreichen auch unmittelbar angesetzt.
Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe sind nicht ersichtlich.
A hat sich damit nach §§ 212 I, 22 StGB strafbar gemacht.
III. Strafbarkeit nach §§ 223 I, 224 I Nr.1, 5 StGB
A kann sich zudem nach §§ 223 I, 224 I Nr.1, 5 StGB strafbar gemacht haben. Mit der Verabreichung des Giftes hat er O übel und unangemessen behandelt und damit körperlich misshandelt. Zudem führte dies zu einer Gesundheitsbeschädigung in Form einer Vergiftung, die als Durchgangsstadium dem Tod vorausging. Dies geschah auch mittels Gift. Zudem könnte in dem Schlag eine lebensgefährdende Behandlung liegen. Unabhängig davon, ob man hierfür eine konkrete Lebensgefahr (Vgl. nur LK/Hirsch, StGB, § 224 Rn.21; Sch/Schr/Stree, StGB, § 224 Rn. 12) oder aus systematischen Gründen eine abstrakte Lebensgefahr ausreichen lässt (RGSt 10, 1; BGHSt 2, 160 (163); BGH, NStZ-RR 1997, 67; Frisch, JuS 1990, 365; Tröndle/Fischer, StGB, § 32 Rn. 12), ist diese wegen der vorliegenden konkreten Lebensgefahr gegeben. Zweifelhaft ist einzig der Vorsatz. So wollte A den O nicht körperlich verletzen, sondern ihn umbringen. Während früher der Tötungs- und der Körperverletzungsvorsatz als zwei verschiedene Arten von Vorsatz angesehen wurden (sog. Alternativlehre), ist entsprechend der objektiven Sichtweise der Körperverletzung als notwendiges Durchgangsstadium nunmehr anerkannt, dass im Tötungsvorsatz zugleich ein Körperverletzungsvorsatz steckt (sog. Einheitstheorie, vgl. BGHSt 16, 122 (123); 44, 196 (199); problematisch nur bei § 226 StGB. Hierzu BGH, 25.06.2002, 5 StR 103/02: Für die Tatbestandserfüllung reicht es aus, dass der Täter alternativ zur beabsichtigten Tötung die schwere Folge als sichere Auswirkung seiner Handlung voraussieht, er also die schwere Folge durch die gewählte Art und Weise der Tötung als notwendiges Durchgangsziel erkennt.). A handelte zudem rechtswidrig und schuldhaft. Er hat sich damit nach §§ 223 I, 224 I Nr.1, 5 StGB strafbar gemacht.
IV. Strafbarkeit nach § 222 StGB
Mangels Vorhersehbarkeit des Erfolges sowie mangels Zurechnungszusammenhangs zwischen der pflichtwidrigen Handlung und dem Erfolg (sog. Pflichtwidrigkeitszusammenhang) scheidet § 222 StGB aus.
V. Konkurrenzen und Ergebnis
§ 224 StGB verdrängt § 223 StGB im Wege der
Gesetzeskonkurrenz (Spezialität). Der versuchte Totschlag und die vollendete
gefährliche Körperverletzung stehen in Tateinheit (BGHSt 44, 196). A hat sich
folglich nach §§ 212 I, 22, 23 I; 224 I Nr.1, 5; 52 I StGB strafbar gemacht.
Abwandlung
A kann sich durch die Verabreichung des Giftes gemäß § 212 I StGB strafbar gemacht haben.
Mit dem Tod des O ist der tatbestandsmäßige Erfolg eingetreten.
Fraglich ist aber, ob dies kausal auf der Verabreichung des Giftes durch A beruhte. Eine Handlung ist kausal, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele. Hätte A dem O das Gift nicht versetzt, wäre dieser an der ebenfalls tödlichen Menge Gift des B gestorben. Da jedoch beide Giftmengen gleichzeitig wirkten, also nicht festgestellt werden konnte, ob das eine Gift vor dem anderen wirkte, ist eine Giftmenge nicht hinwegdenkbar, ohne dass der konkrete Erfolg der Tod durch die gesamte Giftmenge entfiele (Fall der sog. alternativen Kausalität). Die Giftverabreichung durch A war somit kausal für den Tod des O.
[Anm.: Andere sehen den konkreten Erfolg alleine im Gifttod. Sie vertreten dann die Ansicht, dass die Bedingungen zwar alternativ, nicht aber kumulativ hinweggedacht werden könne, weil sonst keine der Bedingungen ursächlich wäre. Die Äquivalenztheorie müsse daher so modifiziert werden, dass jede der Bedingungen ursächlich für den Erfolgseintritt sei (Krey, AT I, Rn. 271; Wessels/Beulke, AT, Rn. 157). Die Rechtsprechung formuliert in diesen Fällen nur: Nach der von der Rechtsprechung ständig angewendeten Bedingungstheorie (BGHSt 1, 332, 333) ist als haftungsbegründende Ursache eines strafrechtlich bedeutsamen Erfolges jede Bedingung anzusehen, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne daß der Erfolg entfiele. Dabei ist gleichgültig, ob neben dieser Bedingung noch andere Umstände zur Herbeiführung des Erfolges mitgewirkt haben (BGHSt 2, 20 (24); BGH GA 1960, 111 (112); RGSt 1, 373 (374); 66, 181 (184); 69, 44 (47)) (BGHSt 39, 195). Sie sieht den Fall der alternativen Kausalität also ebenfalls wie hier als direktes Ergebnis der Bedingungstheorie.]
Da der Erfolg dem A auch objektiv zurechenbar ist, hat er den objektiven Tatbestand des Totschlags verwirklicht.
2. Subjektiver Tatbestand
Dies müsste vorsätzlich geschehen sein. Vorsatz ist das Wissen um die Elemente des objektiven Tatbestandes und der Wille, diesen zu verwirklichen. A wollte den O töten und wusste auch, dass es durch die Verabreichung der tödlichen menge Gift hierzu kommen würde. Zwar muss sich der Vorsatz auch auf den konkreten Kausalverlauf beziehen. Zwar wusste A nicht, dass B gleichzeitig dem O eine tödliche Menge Gift verabreichte, da aber jede Menge Gift für sich alleine ausreichend gewesen wäre und es nicht außerhalb der Lebenswahrscheinlichkeit ist, dass jemand infolge einer tödlichen Giftmenge stirbt, hat A den objektiven Tatbestand auch vorsätzlich verwirklicht.
3. Rechtswidrigkeit und Schuld
Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe sind nicht ersichtlich, sodass A auch rechtswidrig und schuldhaft handelte.
4. Ergebnis
A hat sich nach § 212 I StGB strafbar gemacht.
II. Sonstige Delikte
Die mit der Tötung zugleich mitverwirklichte gefährliche Körperverletzung sowie Nötigung werden von § 212 I StGB gesetzeskonkurrierend verdrängt.