Erika Elster (E) ist im
KaDeWe schon lange als Taschendiebin in Verdacht. Um sie endlich einmal auf frischer
Tat zu erwischen, mischt sich Kaufhausdetektivin Dora (D) ins Käufergewühl:
Oben auf ihrer über den Arm gehängten eleganten Ledertasche liegt verführerisch
ihre dick gefüllt Geldbörse. D möchte, dass E zugreift, um sie dann unten im
Erdgeschoss bei Verlassen des Kaufhauses in flagranti überführen und festnehmen
zu können.
Es läuft fast alles so, wie D die Falle geplant hat: E steckt die Geldbörse im 4. Obergeschoss in ihre Jackentasche und eilt schnellen Fußes in das Erdgeschoss. Im Käufergewühl verliert die D ihr Opfer; als D endlich am Haupteingang des Kaufhauses angekommen ist, ist E bereits durch eine andere Tür verschwunden.
Wie haben sich die Beteiligten strafbar gemacht ?
Lösung:
(Lösung nach Geppert, Jura 2002, 281 f., leicht modifiziert)
A. Strafbarkeit der Erika (E)
I. Strafbarkeit nach § 242 I StGB
Indem E die Geldbörse in ihre Jackentasche steckt und das Kaufhaus verlässt, kann sie sich nach § 242 I StGB strafbar gemacht haben.
1. Objektiver Tatbestand
Die der D gehörende Geldbörse ist für die E
zwar eine fremde bewegliche Sache, E müsste sie aber auch weggenommen haben.
Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendig
tätereigenen Gewahrsams (vgl. Lackner/Kühl, StGB, § 242 Rn.8; Tröndle/Fischer,
StGB, § 242 Rn. 16).
Ein derartiger Gewahrsamsbruch und Begründung
neuen Gewahrsams kann im Selbstbedienungsladen bereits dann bejaht werden, wenn
der Täter die Sache derart am Körper trägt, dass der bisherige
Gewahrsamsinhaber keinen freien, ungehinderten Zugriff mehr auf die Sache hat,
ohne in die Körpersphäre des Täters eindringen zu müssen (BGHSt 16, 271 (273); Tröndle/Fischer,
StGB, § 242 Rn. 18 ff.). Dass der Täter bei der Tat beobachtet wird, ändert
hieran nichts, insoweit der Diebstahl kein heimliches Delikt darstellt (BGHSt
16, 271 (273 f.)). Hiernach könnte eine Wegnahme anzunehmen sein.
Eine Wegnahme setzt jedoch den Bruch fremden
Gewahrsams und damit eine Aufhebung des Gewahrsamsverhältnisses gegen den
Willen des bisherigen Gewahrsamsinhabers voraus (Lackner/Kühl, StGB, §
242 Rn.14). Wenn der bisherige Gewahrsamsinhaber (hier: die D) also mit dem
Gewahrsamswechsel einverstanden ist, was bei Diebesfallen zu bejahen ist,
entfällt ein Gewahrsamsbruch und damit eine vollendete Wegnahme wegen
tatbestandsausschließendem Einverständnis.
2. Ergebnis
E hat sich damit nicht nach § 242 I StGB strafbar gemacht.
Indem E die Brieftasche an sich genommen hat, womit D als Gewahrsamsinhaberin einverstanden war, könnte sich E aber eines versuchten Diebstahls, der nach § 242 II StGB strafbar ist, schuldig gemacht haben.
1. Tatentschluss
Hierzu müsste E zunächst Tatentschluss, also
Vorsatz bezüglich der Elemente des objektiven Tatbestandes gehabt haben. Zwar
hatte E Vorsatz, eine fremde Sache gegen den Willen der Gewahrsamsinhaberin an
sich zu nehmen, also wegzunehmen, zweifelhaft ist aber, ob sie auch die Absicht
hatte, sich die Sache rechtswidrig zuzueignen. Zueignung ist die auf Dauer
gerichtete Enteignung und die zumindest vorübergehende Aneignung der Sache oder
des in der Sache verkörperten Sachwertes (vgl. Sch/Schr/Eser, StGB, §
242 Rn. 47). E wollte die Geldbörse auf Dauer in ihre eigene Herrschaftsmacht
bringen und sie sich damit zueignen. Die Rechtswidrigkeit dieser Zueignung ist
ein objektives Tatbestandsmerkmal (!), das vorliegt, wenn die erstrebte
Zueignung der materiellen Eigentumsordnung widerspricht (Lackner/Kühl,
StGB, § 242 Rn. 27). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass zwar ein
Einverständnis der D vorlag, sich dieses aber nur auf die Gewahrsamsverlagerung bezog, nicht auch auf die in der
Zueignung mitenthaltene auf Dauer gerichtete Enteignung. Der notwendige
Tatentschluss ist damit zu bejahen.
2. Unmittelbares Ansetzen
Mit dem Ansichnehmen der Brieftasche hat E zum Diebstahl unmittelbar angesetzt.
3. Rechtswidrigkeit und Schuld
Mangels Rechtsfertigungs- und Entschuldigungsgründen geschah die Tat rechtswidrig und schuldhaft.
4. Ergebnis
E hat sich damit nach §§ 242 I, II, 22 StGB strafbar gemacht.
Indem E mit der Brieftasche das Kaufhaus verließ, kann sie sich zudem nach § 246 I StGB strafbar gemacht haben. Mit dem Ansichnehmen der Brieftasche und Verlassen des Kaufhauses hat E eine der D gehörende Brieftasche und damit für sie fremde, bewegliche Sache sich rechtswidrig zugeeignet. Dies geschah vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft.
Fraglich ist einzig das Konkurrenzverhältnis der vollendeten Unterschlagung zum lediglich versuchten Diebstahl. Diesbezüglich
erscheinen unterschiedliche Lösungen vertretbar: Im Hinblick auf den gegenüber
§ 246 höheren Strafrahmen des § 242 und die Subsidiaritätsklausel des § 246 I
(wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht
ist) will eine Ansicht den nur versuchten Diebstahl der wenngleich vollendeten
Unterschlagung gesetzeskonkurrierend vorgehen lassen (so Jäger, JuS
2000, 1170 ff.). Auf der anderen Seite könnte man der vollendeten
Unterschlagung (subsidiären) Vorrang vor dem nur versuchten Diebstahl gewähren.
Um klarzustellen, dass neben dem bloß versuchten Diebstahl auch eine vollendete
Tat vorliegt, spricht jedoch mehr dafür, Tateinheit anzunehmen.
E hat sich damit nach §§ 242 I, II, 22; 246 I; 52 I StGB strafbar gemacht.
B. Strafbarkeit der Dora (D)
Eine Strafbarkeit der D nach §§ 242 I, 26 StGB entfällt wegen fehlendem vollendeten Diebstahls als Haupttat.
Indem D die dicke Brieftasche verführerisch hinlegt und E sie entwendet, kann D sich nach §§ 242 I, II, 22, 26 StGB strafbar gemacht haben.
1. Objektiver Tatbestand
Mit dem versuchten Diebstahl durch E liegt
eine tatbestandsmäßig-vorsätzliche und rechtswidrige (nicht notwendig
schuldhafte !) Haupttat vor. Zu dieser müsste D die E aber bestimmt haben, in
ihr also den Tatentschluss geweckt haben. Während einige hierfür das bloße
Schaffen einer tatangereizten Situation für ausreichend erachten (Heghmann,
GA 2000, 473 (487); Lackner/Kühl, StGB, § 26 Rn.2), was jedoch
angesichts der Strafbarkeit gleich einem Täter eine zu geringe Anforderung ist
und andere gar einen Unrechtspakt verlangen (Puppe, GA 1984, 101 (111
ff.)), was jedoch für die Anstiftung quasi eine Mittäterschaft verlangt, sollte
man im Rahmen eines Mittelweges eine kommunikative Beeinflussung verlangen (Roxin,
AT II, § 26 Rn. 74 ff.; Kühl, AT, § 20 Rn. 171 ff.; Jescheck/Weigend,
AT, S. 686; Wessels/Beulke, AT, Rn. 568). An einer derartigen fehlt es
jedoch zwischen D und E.
2. Ergebnis
D hat sich damit nicht nach §§ 242 I, II, 22, 26 StGB strafbar gemacht.
Indem D der E die Brieftasche hinlegt und diese sie entwendet, kann sich D aber nach §§ 242 I, II, 22, 27 I StGB strafbar gemacht haben.
1. Objektiver Tatbestand
Mit dem versuchten Diebstahl liegt eine teilnahmefähige Haupttat vor. Zu dieser hat D einen sogar kausalen Hilfsbeitrag geleistet.
2. Subjektiver Tatbestand
Fraglich ist aber, ob sie dies vorsätzlich tat. Neben dem Vorsatz bezüglich einer Hilfeleistung müsste ein Vorsatz bezüglich der Vollendung (!) der Haupttat vorliegen. Dieses Erfordernis des auf eine notwendigerweise vollendete Haupttat gerichteten Anstiftervorsatzes folgt aus einem Vergleich mit der aus § 22 folgenden Strafbarkeit des Versuchs: Der (untaugliche) Versuch wird bekanntlich nur deshalb bestraft, weil der Wille des Versuchstäters auf die Verletzung des Rechtsgutes gerichtet ist (also: zwar kein verwirklichtes Erfolgsunrecht, wohl aber volles Handlungsunrecht vorliegt!), während es beim sog. agent provocateur, der ja nur eine versuchte und keinesfalls eine vollendete Haupttat will, am Handlungs- und am Erfolgsunrecht fehlt (hierzu Geppert, Jura 1997, 358 (360 ff.)). Weil der Vorsatz der D gerade nicht auf eine vollendete Wegnahme gerichtet ist, fehlt ihr der auf eine vollendete Haupttat gerichtete doppelte Anstiftervorsatz.
3. Ergebnis
D hat sich somit auch nicht nach §§ 242 I, II, 22, 27 I StGB strafbar gemacht.
IV. Strafbarkeit
nach §§ 246 I, 27 I StGB
Indem D der E die Brieftasche griffbereit hingelegt hat, kann D sich aber nach §§ 246 I, 27 I StGB strafbar gemacht haben. Zwar liegt mit der begangenen Unterschlagung eine teilnahmefähige Haupttat vor, zu der D Hilfe geleistet hat. Ihr fehlt jedoch gleichermaßen auch hier der Vorsatz bezüglich einer vollendeten Zueignung. Zudem entfällt ihre Strafbarkeit dadurch, dass es sich bei dem geschützten Rechtsgut um ihr eigenes Eigentum handelt und sie damit nicht dem Strafgrund der Teilnahme folgend einen eigenständigen Rechtsgutsangriff (Theorie des selbständigen akzessorischen Rechtsgutsangriffs (hierzu LK/Roxin, StGB, Vor § 26 Rn. 7 ff.; Geppert, Jura 1997, 299 f.) begeht, ist das Eigentum gegen sie selbst doch strafrechtlich nicht geschützt.
Als bloßer agent provocateur bleibt D (selbstverständlich) straflos.