Fall 28: Die Diebesfalle

Erika Elster (E) ist im KaDeWe schon lange als Taschendiebin in Verdacht. Um sie endlich einmal auf frischer Tat zu erwischen, mischt sich Kaufhausdetektivin Dora (D) ins Käufergewühl: Oben auf ihrer über den Arm gehängten eleganten Ledertasche liegt verführerisch ihre dick gefüllt Geldbörse. D möchte, dass E zugreift, um sie dann unten im Erdgeschoss bei Verlassen des Kaufhauses in flagranti überführen und festnehmen zu können.

Es läuft fast alles so, wie D die Falle geplant hat: E steckt die Geldbörse im 4. Obergeschoss in ihre Jackentasche und eilt schnellen Fußes in das Erdgeschoss. Im Käufergewühl verliert die D ihr Opfer; als D endlich am Haupteingang des Kaufhauses angekommen ist, ist E bereits durch eine andere Tür verschwunden.

Wie haben sich die Beteiligten strafbar gemacht ?

 

Lösung:

(Lösung nach Geppert, Jura 2002, 281 f., leicht modifiziert)

A. Strafbarkeit der Erika (E)

I. Strafbarkeit nach § 242 I StGB

Indem E die Geldbörse in ihre Jackentasche steckt und das Kaufhaus verlässt, kann sie sich nach § 242 I StGB strafbar gemacht haben.

1. Objektiver Tatbestand

Die der D gehörende Geldbörse ist für die E zwar eine „fremde bewegliche Sache“, E müsste sie aber auch weggenommen haben. Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendig tätereigenen Gewahr­sams (vgl. Lackner/Kühl, StGB, § 242 Rn.8; Tröndle/Fischer, StGB, § 242 Rn. 16).

Ein derartiger Gewahrsamsbruch und Begründung neuen Gewahrsams kann im Selbstbedienungsladen bereits dann bejaht werden, wenn der Täter die Sache derart am Körper trägt, dass der bisherige Gewahrsamsinhaber keinen freien, ungehinderten Zugriff mehr auf die Sache hat, ohne in die Körpersphäre des Täters eindringen zu müssen (BGHSt 16, 271 (273); Tröndle/Fischer, StGB, § 242 Rn. 18 ff.). Dass der Täter bei der Tat beobachtet wird, ändert hieran nichts, insoweit der Diebstahl kein heimliches Delikt darstellt (BGHSt 16, 271 (273 f.)). Hiernach könnte eine Wegnahme anzunehmen sein.

Eine Wegnahme setzt jedoch den Bruch fremden Gewahrsams und damit eine Aufhebung des Gewahrsamsverhältnisses gegen den Willen des bisherigen Gewahrsamsinhabers voraus (Lackner/Kühl, StGB, § 242 Rn.14). Wenn der bisherige Gewahrsamsinhaber (hier: die D) also mit dem Gewahrsamswechsel einver­standen ist, was bei Diebesfallen zu bejahen ist, entfällt ein Ge­wahrsamsbruch und damit eine vollendete Wegnahme wegen tatbestandsausschlie­ßendem Einverständnis.

2. Ergebnis

E hat sich damit nicht nach § 242 I StGB strafbar gemacht.

 

II. Strafbarkeit nach §§ 242 I, II, 22 StGB

Indem E die Brieftasche an sich genommen hat, womit D als Gewahrsamsinhaberin einverstanden war, könnte sich E aber eines versuchten Diebstahls, der nach § 242 II StGB strafbar ist, schuldig gemacht haben.

1. Tatentschluss

Hierzu müsste E zunächst Tatentschluss, also Vorsatz bezüglich der Elemente des objektiven Tatbestandes gehabt haben. Zwar hatte E Vorsatz, eine fremde Sache gegen den Willen der Gewahrsamsinhaberin an sich zu nehmen, also wegzunehmen, zweifelhaft ist aber, ob sie auch die Absicht hatte, sich die Sache rechtswidrig zuzueignen. Zueignung ist die auf Dauer gerichtete Enteignung und die zumindest vorübergehende Aneignung der Sache oder des in der Sache verkörperten Sachwertes (vgl. Sch/Schr/Eser, StGB, § 242 Rn. 47). E wollte die Geldbörse auf Dauer in ihre eigene Herr­schaftsmacht bringen und sie sich damit zueignen. Die Rechtswidrigkeit dieser Zueignung ist ein objektives Tatbestandsmerkmal (!), das vorliegt, wenn die erstrebte Zueignung der materiellen Eigentumsordnung widerspricht (Lackner/Kühl, StGB, § 242 Rn. 27). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass zwar ein Einverständnis der D vorlag, sich dieses aber nur  auf die Gewahrsamsverlagerung bezog, nicht auch auf die in der Zueignung mitenthaltene auf Dauer gerichtete Ent­eignung. Der notwendige Tatentschluss ist damit zu bejahen.

2. Unmittelbares Ansetzen

Mit dem Ansichnehmen der Brieftasche hat E zum Diebstahl unmittelbar angesetzt.

3. Rechtswidrigkeit und Schuld

Mangels Rechtsfertigungs- und Entschuldigungsgründen geschah die Tat rechtswidrig und schuldhaft.

4. Ergebnis

E hat sich damit nach §§ 242 I, II, 22 StGB strafbar gemacht.

 

III. Strafbarkeit nach § 246 I StGB

Indem E mit der Brieftasche das Kaufhaus verließ, kann sie sich zudem nach § 246 I StGB strafbar gemacht haben. Mit dem Ansichnehmen der Brieftasche und Verlassen des Kaufhauses hat E eine der D gehörende Brieftasche und damit für sie fremde, bewegliche Sache sich rechtswidrig zugeeignet. Dies geschah vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft.

Fraglich ist einzig das Konkurrenzverhältnis der voll­endeten Unterschlagung zum lediglich versuchten Diebstahl. Diesbezüglich erscheinen unterschiedliche Lösungen vertretbar: Im Hinblick auf den gegenüber § 246 höheren Strafrahmen des § 242 und die Subsidiaritätsklausel des § 246 I („wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe be­droht ist“) will eine Ansicht den nur versuchten Diebstahl der wenngleich vollendeten Unterschlagung gesetzeskonkurrierend vorgehen lassen (so Jäger, JuS 2000, 1170 ff.). Auf der anderen Seite könnte man der vollendeten Unterschlagung (subsidiären) Vorrang vor dem nur versuchten Diebstahl gewähren. Um klarzustellen, dass neben dem bloß versuchten Diebstahl auch eine vollendete Tat vorliegt, spricht jedoch mehr dafür, Tateinheit anzunehmen.

 

IV. Ergebnis

E hat sich damit nach §§ 242 I, II, 22; 246 I; 52 I StGB strafbar gemacht.

 

B. Strafbarkeit der Dora (D)

I. Strafbarkeit nach §§ 242 I, 26 StGB

Eine Strafbarkeit der D nach §§ 242 I, 26 StGB entfällt wegen fehlendem vollendeten Diebstahls als Haupttat.

 

II. Strafbarkeit nach §§ 242 I, II, 22, 26 StGB

Indem D die dicke Brieftasche verführerisch hinlegt und E sie entwendet, kann D sich nach §§ 242 I, II, 22, 26 StGB strafbar gemacht haben.

1. Objektiver Tatbestand

Mit dem versuchten Diebstahl durch E liegt eine tatbestandsmäßig-vorsätzliche und rechtswidrige (nicht notwendig schuldhafte !) Haupttat vor. Zu dieser müsste D die E aber bestimmt haben, in ihr also den Tatentschluss geweckt haben. Während einige hierfür das bloße Schaffen einer tatangereizten Situation für ausreichend erachten (Heghmann, GA 2000, 473 (487); Lackner/Kühl, StGB, § 26 Rn.2), was jedoch angesichts der Strafbarkeit gleich einem Täter eine zu geringe Anforderung ist und andere gar einen Unrechtspakt verlangen (Puppe, GA 1984, 101 (111 ff.)), was jedoch für die Anstiftung quasi eine Mittäterschaft verlangt, sollte man im Rahmen eines Mittelweges eine kommunikative Beeinflussung verlangen (Roxin, AT II, § 26 Rn. 74 ff.; Kühl, AT, § 20 Rn. 171 ff.; Jescheck/Weigend, AT, S. 686; Wessels/Beulke, AT, Rn. 568). An einer derartigen fehlt es jedoch zwischen D und E.

2. Ergebnis

D hat sich damit nicht nach §§ 242 I, II, 22, 26 StGB strafbar gemacht.

 

III. Strafbarkeit nach §§ 242 I, II, 22, 27 I StGB

Indem D der E die Brieftasche hinlegt und diese sie entwendet, kann sich D aber nach §§ 242 I, II, 22, 27 I StGB strafbar gemacht haben.

1. Objektiver Tatbestand

Mit dem versuchten Diebstahl liegt eine teilnahmefähige Haupttat vor. Zu dieser hat D einen sogar kausalen Hilfsbeitrag geleistet.

2. Subjektiver Tatbestand

Fraglich ist aber, ob sie dies vorsätzlich tat. Neben dem Vorsatz bezüglich einer Hilfeleistung müsste ein Vorsatz bezüglich der Vollendung (!) der Haupttat vorliegen. Dieses Erfordernis des auf eine notwendi­gerweise vollendete Haupttat gerichteten Anstiftervorsatzes folgt aus einem Vergleich mit der aus § 22 folgenden Strafbarkeit des Versuchs: Der (untaugliche) Versuch wird bekanntlich nur deshalb bestraft, weil der Wille des Ver­suchstäters auf die Verletzung des Rechtsgutes gerichtet ist (also: zwar kein verwirklichtes Erfolgsunrecht, wohl aber volles Hand­lungsunrecht vorliegt!), während es beim sog. „agent provocateur“, der ja nur eine versuchte und keinesfalls eine vollendete Haupttat will, am Handlungs- und am Erfolgsunrecht fehlt (hierzu Geppert, Jura 1997, 358 (360 ff.)). Weil der Vorsatz der D gerade nicht auf eine vollendete Wegnahme gerichtet ist, fehlt ihr der auf eine vollendete Haupttat gerichtete doppelte Anstifter­vorsatz.

3. Ergebnis

D hat sich somit auch nicht nach §§ 242 I, II, 22, 27 I StGB strafbar gemacht.

 

IV. Strafbarkeit nach §§ 246 I, 27 I StGB

Indem D der E die Brieftasche griffbereit hingelegt hat, kann D sich aber nach §§ 246 I, 27 I StGB strafbar gemacht haben. Zwar liegt mit der begangenen Unterschlagung eine teilnahmefähige Haupttat vor, zu der D Hilfe geleistet hat. Ihr fehlt jedoch gleichermaßen auch hier der Vorsatz bezüglich einer vollendeten Zueignung. Zudem entfällt ihre Strafbarkeit dadurch, dass es sich bei dem geschützten Rechtsgut um ihr eigenes Eigentum handelt und sie damit nicht dem Strafgrund der Teilnahme folgend einen eigenständigen Rechtsgutsangriff („Theorie des selbständigen akzessorischen Rechtsgutsangriffs“ (hierzu LK/Roxin, StGB, Vor § 26 Rn. 7 ff.; Geppert, Jura 1997, 299 f.) begeht, ist das Eigentum gegen sie selbst doch strafrechtlich nicht geschützt.

 

V. Ergebnis

Als bloßer „agent provocateur“ bleibt  D (selbst­verständlich) straflos.