A fuhr mit seinem Pkw mit 60 km/h durch Berlin. Zur gleichen Zeit überquerte etwa 50 m vor ihm der Rentner R die Straße, ohne nach rechts zu schauen. Obgleich er sofort abbremste, konnte er nicht mehr verhindern, dass er R erfasste und ihn 3 bis 4 m schräg nach vorne auf den Bürgersteig schleuderte. R erlitt erhebliche Verletzungen und wurde in bewusstlosem Zustand auf die Intensivstation eingeliefert. Nach erfolgreicher Operation nahm er wieder Nahrung in Form von Suppen zu sich, „verschluckte“ sich hierbei aber mit der Folge, dass Speiseteilchen in die Lunge gerieten. Trotz sofortiger Lungenspülung trat eine fiebrige Lungenentzündung ein, die zum Tode führte.
Abwandlung (OLG Celle, StV 2002, 366): Als R verletzt ins Krankenhaus eingeliefert wurde, vermuteten die Ärzte, dass sogar die Hauptschlagader verletzt sei und rieten R zur Operation trotz der bei derartigen Eingriffen bestehenden Mortalitätsrate von 5-15 %. R lehnte die Operation ab und drängte darauf, nach hause entlassen zu werden. Sieben Wochen später starb er infolge unfallbedingter Herzinsuffizienz. Strafbarkeit des A ?
Lösung:
A. Ausgangsfall
A kann sich durch das zu schnelle Fahren und dem Anfahren mit R, der im Krankenhaus starb, gemäß § 222 StGB strafbar gemacht haben.
I. Tatbestandsmäßigkeit
1. Mit dem Tod des R ist der tatbestandsmäßige Erfolg des § 222 StGB eingetreten.
2. Das zu schnelle Fahren müsste für den Tod des R kausal gewesen sein. Nach der Äquivalenztheorie ist eine Bedingung kausal, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten gestalt entfiele. Wäre A nicht zu schnell gefahren, wäre es nicht zum Unfall und damit zur Einlieferung des R ins Krankenhaus gekommen, wo er sich an einem Speiseteilchen verschluckte und an einer Lungenentzündung starb. Zweifeln könnte man am Ursachenzusammenhang einzig dadurch, dass er durch die Nahrungsaufnahme des R unterbrochen worden sein könnte. Von der Unterbrechung sind jedoch jene Fälle zu trennen, bei denen eine Kausalreihe eine andere erst ermöglicht und so fortwirkt. Wäre A nicht zu schnell gefahren und hätte R nicht angefahren, wäre R nicht in die Lage versetzt worden, sich im Krankenhaus zu verschlucken, sodass das Verhalten des A für den Tod des R kausal war.
3. Fraglich bleibt, ob A den Tod objektiv fahrlässig herbeigeführt hat.
Fahrlässig handelt, wer bei objektiver Vorhersehbarkeit die im verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Dies ist nach den Anforderungen an einen besonnenen und gewissenhaften Menschen in der konkreten Lage des Täters (ex ante) und seiner sozialen Rolle zu beurteilen. Als Maßstab gelten primär Normen. Mit dem zu schnellen Fahren hat A die aus § 3 I 1, III Nr.1 StVO folgende Pflicht nicht beachtet und handelte daher sorgfaltswidrig. Dass es hierdurch zu einem nicht rechtzeitigen Anhalten und damit zum Unfall mit Personenschaden kommen könnte, war objektiv vorhersehbar. Fraglich ist aber, ob es auch vorhersehbar war, dass R auf die geschehene Weise stirbt.
Hierzu das OLG Celle, StV 2002, 366: „Für die Voraussehbarkeit kommt es entscheidend darauf an, dass der tödliche Erfolg im Rahmen der möglichen Wirkungen einer verkehrswidrigen Handlung liegt (BGHSt 12, 75, 78 f.) und sich innerhalb des durch die pflichtwidrige Erstverletzung geschaffenen Ausgangsrisiko bewegt (OLG Stuttgart, JR 1982, 419, 421). Darin eingeschlossen sind noch durch weitere Umstände und damit verbundene Folgen bedingte Modifizierungen des bereits gesetzten Risikos, so bei der Anwendung eines durch die Verletzung notwendig gewordenen und möglicherweise komplikationsbehafteten Heilverfahren (OLG Stuttgart, aaO; OLG Hamm, NJW 1973, 1422, 1423).“ In Fällen jedoch, in denen hiervon unabhängige - wenngleich kausale - neue Komplikationen auftreten, nicht ausgehen. OLG Stuttgart, JR 1982, 419 (421): „Das hat insbesondere dort zu gelten, wo aufgrund einer heilungstypischen Stabilisierung der Patient schon `außer Lebensgefahr´ zu sein schien (so schon RGSt. 29, 218). Wenn in einem solchen Falle dann doch noch der Tod eintritt, bedarf die Frage, ob sich dieser Erfolg noch im Rahmen des voraussehbaren Ausgangsrisikos hielt, besondere Prüfung und Begründung. Umstände, die den atypischen Verlauf des Verschluckens objektiv vorhersehbar machten, sind nicht ersichtlich.
4. Auf jeden Fall scheitert die Strafbarkeit des A am Pflichtwidrigkeitszusammenhang. Ein Erfolg muss, damit er dem Täter zugerechnet werden kann, gerade durch die pflichtwidrige Handlung eingetreten sein. Eine Zurechnung scheidet dann aus, wenn sich nur das allgemeine Lebensrisiko verwirklicht hat und nicht das vom Täter hervorgerufene Risiko. Das tödliche Verschlucken ist die Realisierung einer Gefahr, die zwar kausal durch den Unfall hervorgerufen worden ist, aber auch unfallabhängig eintreten kann und so nur eine Realisierung des allgemeinen Lebensrisikos darstellt (so auch Ebert, JR 1982, 421 (423)).
II. Ergebnis
Mangels Pflichtwidrigkeitszusammenhang hat sich A nicht nach § 222 StGB strafbar gemacht.
B. Abwandlung
A kann sich durch das zu schnelle Fahren und dem Anfahren mit R, der im Krankenhaus starb, gemäß § 222 StGB strafbar gemacht haben.
I. Tatbestandsmäßigkeit
1. Mit dem Tod des R ist der tatbestandsmäßige Erfolg des § 222 StGB eingetreten.
2. Das zu schnelle Fahren war für den Tod des R
kausal, s.o.
3. Fraglich bleibt, ob A den Tod objektiv fahrlässig herbeigeführt hat.
Fahrlässig handelt, wer bei objektiver Vorhersehbarkeit die im verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Dies ist nach den Anforderungen an einen besonnenen und gewissenhaften Menschen in der konkreten Lage des Täters (ex ante) und seiner sozialen Rolle zu beurteilen. Als Maßstab gelten primär Normen. Mit dem zu schnellen Fahren hat A die aus § 3 I 1, III Nr.1 StVO folgende Pflicht nicht beachtet und handelte daher sorgfaltswidrig. Da es für die Vorhersehbarkeit genügt, dass der tödlicher Erfolg im Rahmen der möglichen Wirkungen einer verkehrswidrigen Handlung liegt ein komplikationsbehafteten Heilverfahren eingeschlossen, ist der Tod des Unfallopfers durch risikobehaftete Behandlungen und Folgen von der objektiven Vorhersehbarkeit umfasst.
4. Der Erfolg müsste jedoch gerade „durch“ die Fahrlässigkeit und damit durch die Pflichtwidrigkeit eingetreten sein. Angesprochen ist hiermit die objektive Zurechnung bei den Fahrlässigkeitsdelikten. Dem Pflichtwidrigkeitszusammenhang entgegenstehen könnte mit der freiverantwortlichen Entscheidung des R, sich nicht operieren zu lassen, eine bewusste Selbstgefährdung (hierzu BGHSt 32, 262; 39, 322 (325); Geppert, Jura 2001, 490). Dies liegt daran, dass das Opfer so das volle Risiko des Erfolgseintritts übernommen hat und dieser dem Täter nicht mehr zugerechnet werden kann. Von sich aus hat R das Risiko jedoch nicht übernommen, sondern er ist durch den von A pflichtwidrig verursachten Unfall mit den Verletzungsfolgen ohne Mitwirkung und ohne Einverständnis in die komplexe, mit erheblichen gefahren verbundene Lage versetzt worden. Schafft der Täter auf diese Weise ein „einsichtiges Motiv für anschließende gefährliche Maßnahmen des Opfers“ (OLG Celle, aaO), so bleiben ihm deren Folgen zurechenbar. Vergleichbar ist diese Fallkonstellation mit den Retterfällen, in denen der Täter eine Lage schafft, die den sich mit rechtlicher oder sittlich-moralischer Verpflichtung beladenen Retter zur Selbstgefährdung „selbstbestimmt“ bringt. Nicht anders ist es im Fall der Verletzung, die das Opfer zu einer risikohaften Entscheidung über die Operation oder Nichtoperation bringt und ihn so zur Selbstgefährdung fremdbestimmt. Die Grenze dieser dennoch erfolgenden Erfolgszurechnung ist erst dort zu ziehen, wo das Opfer kein „einsichtiges Motiv“ hatte, sondern „unvernünftig“ handelte. Die Ablehnung der Operation bei einer Mortalitätsquote von 5 bis 15 % ist aber „nicht als offenkundig unvernünftig anzusehen“ (OLG Celle, aaO).
Der Tod des R beruhte damit auf der Pflichtwidrigkeit des A.
5. A handelte somit tatbestandsmäßig.
II. Rechtswidrigkeit
Mangels Einschlägigkeit eines Rechtfertigungsgrundes handelte A rechtswidrig.
III. Schuld
A war auch in der Lage, die Pflichtwidrigkeit zu vermeiden und ihre Folgen vorherzusehen. Dass er den konkreten Verlauf zum Tode des R nicht vorhergesehen hat, ist irrelevant, da es genügt, dass er ihn im wesentlichen vorhergesehen hat.
IV. Ergebnis
A hat sich nach § 222 StGB strafbar gemacht. Der ebenfalls verwirklichte § 229 StGB tritt hier hinter subsidiär zurück.