Fall 16: Die WG

Die Auszubildende A und der Student B bewohnen gemeinsam eine 2-Zimmer-Wohnung. Sie haben sich kennen gelernt, als B per Anzeige eine Mitbewohnerin für eine WG suchte. Nach einiger Zeit kommt es zu Spannungen. A hat den Eindruck, B durchsuchte in ihrer Abwesenheit ihre Sachen und spioniere ihr nach. Als sie ihn darauf anspricht, wird B ausfällig und aggressiv. Er beschimpft sie und macht Anstalten, sie körperlich zu attackieren. Eine Eskalation wird nur dadurch vermieden, dass B einen Telefonanruf erhält. Am folgenden Tag bedroht und beschimpft er sie erneut. Seitdem vermeidet A eine gemeinsame Anwesenheit in der Wohnung. Für sie ist klar, dass sie dringend eine neue Unterkunft benötigt. Ihre Suche ist schnell erfolgreich. In zwei Wochen kann sie umziehen. Vor dem Umzug hat sich aber noch ihr älterer Bruder C zu einem mehrtägigen Besuch angekündigt. A mag ihm nicht absagen, weil sie C lange nicht gesehen hat. Auch will sie nicht zulassen, dass B ihr Familienleben beeinträchtigt. Sie weiß, dass C sich große Sorgen um sie machen würde, wenn er von ihrer Angst vor B wüsste. Das möchte sie vermeiden. Daher erzählt sie ihm nichts von den Spannungen und von dem aggressiven Verhalten des B. Da sie zum Zeitpunkt der Ankunft des C noch arbeiten muss, vereinbart sie mit ihm, dass er bereits die Wohnung aufsucht, und schickt ihm einen Bund mit den zur Wohnung gehörenden Schlüsseln. Zwar nimmt sie an, dass B zu dieser Zeit in der Wohnung sein wird. Auch hat sie Andeutungen des B entnommen, dass er mit dem Besuch des C überhaupt nicht einverstanden ist. Sie hofft jedoch, dass es bis zu ihrem Eintreffen in der Wohnung zu keiner Auseinandersetzung kommt.

Als C die Wohnung betritt, trifft er in der Küche auf B, der ihn mit der Bemerkung begrüßt, dass er wohl der Bruder der „kleinen Zicke“ sei. C bemüht sich, ruhig zu bleiben und fängt ein Gespräch mit B an. Dieser fährt jedoch fort, sich äußerst abfällig über A zu äußern. Das geschieht so anmaßend und überheblich, dass sich in C maßlose Wut aufstaut auf diesen Menschen, der dermaßen verächtlich über seine kleine Schwester spricht. Schließlich kann er sich nicht länger beherrschen. Mit dem Schlüsselbund, den er noch vom Aufschließen der Wohnungstür in der Hand hält, schlägt er mehrfach dem B ins Gesicht, um ihn zum Schweigen zu bringen und ihm die Beschimpfung seiner Schwester heimzuzahlen. B, der dem C körperlich eindeutig unterlegen ist, bemüht sich vergeblich, den Schlägen auszuweichen. Er versucht dann, zurückzuschlagen, was C jedoch in keiner Weise beeindruckt. Schließlich weiß B sich nicht mehr anders zu helfen: Er ergreift ein Küchenmesser, dass auf dem Tisch liegt, und macht Anstalten, damit auf C loszugehen. Dabei steht er mit dem Rücken zur offenen Küchentür.

Plötzlich taucht hinter seinem Rücken A auf. Sie hatte unerwartet schon früher ihre Arbeitsstelle verlassen können und war in die Wohnung geschlichen, um C zu überraschen. Im Flur hat sie die Auseinandersetzung zwischen B und C mit angehört, ohne sich bemerkbar zu machen. Als diese sich zuspitzte, dachte sie kurz daran, Nachbarn, die sich im Treppenhaus unterhielten, zu Hilfe zu holen. Diesen Gedanken verwarf sie jedoch, weil sie in den wenigen Tagen, in denen sie noch in dem Haus wohnte, nicht noch großes Aufsehen erregen wollte. Als sie dann aber deutlich wahrnimmt, dass ihr Bruder auf B losgeht und kurz darauf zu B sagt: „Lass das Messer fallen, du Schwächling!“, bekommt sie Angst vor einem tödlichen Ausgang. Ihr wird klar, dass sie ihren Bruder ungewollt in Gefahr gebracht hat. Um ihm zu helfen, ergreift sie eine Flasche aus dem Altglasbehälter im Flur und schlägt damit B von hinten wuchtig auf den Kopf. Dabei nimmt sie tödliche Folgen in Kauf. B bricht nach dem Schlag zusammen und erliegt noch in der Wohnung seinen schweren Kopfverletzungen.

Strafbarkeit von A und C ? Erforderliche Strafanträge sind gestellt.

 

Lösung:

(Der Fall ist einer Klausur aus dem Examensklausurenkurs an der HU Berlin bei Prof. Marxen entnommen, wenngleich um den strafprozessualen Teil gekürzt. Die Lösung orientiert sich an der Musterlösung für die Korrekturassistenten, wurde jedoch neu geschrieben.)

 

A. Strafbarkeit des C

I. Strafbarkeit nach § 123 I StGB

Indem C die Wohnung von A und B betritt, kann er sich nach § 123 I StGB strafbar gemacht haben.

1. Objektiver Tatbestand

Mit der Wohnung hat C eines der geschützten Bereiche des § 123 Abs.1 StGB betreten. Er müsste aber auch eingedrungen sein. Unter einem Eindringen versteht man das Gelangen in die geschützten Räume gegen den Willen des Berechtigten (Sch/Schr/Lenckner, 26. Aufl., § 123 Rn. 11). Letzteres ist ausweislich des Gesetzestextes („widerrechtlich“) stets genau zu prüfen. Würde eine „Erlaubnis“ ausdrücklicher oder konkludenter Art vorliegen, so würde diese nicht erst als Einwilligung auf der Rechtfertigungsebene wirken, sondern aufgrund des tatbestandlichen Verlangens eines Handelns gegen den Willen ein tatbestandsausschließendes Einverständnis darstellen. Ein derartiges könnte man annehmen, hat A dem C doch ihren Schlüssel gegeben. Fraglich ist aber, wie es sich auswirkt, dass B mit dem Besuch des C nicht einverstanden ist. Es stellt sich damit die Frage, auf wessen Willen abzustellen ist. Berücksichtigt man, dass § 123 StGB das Hausrecht als „ein Stück lokalisierter Freiheitssphäre“ schützen will (Welzel, Strafrecht, S. 332 und Geppert, Jura 1989, 378), so ist auf den Hausrechtsinhaber und damit den unmittelbaren Benutzer abzustellen. Benutzen mehrere die Wohnung, so üben sie grundsätzlich auch gemeinsam das Hausrecht aus, sodass das Einverständnis eines der Mitbewohner ausreichend ist, auch wenn er Dritten nur dann Zutritt gewähren darf, wenn dies für den Mitbewohner zumutbar ist (OLG Hamm, NJW 1955, 761 und Tröndle/Fischer, 52. Aufl., § 123 Rn. 4). Bei jeweiligen Angehörigen ist dies anzunehmen und deren Besuch von Mitbewohnern angesichts der familiären Verbundenheit hinzunehmen, sodass ein wirksames Einverständnis vorlag und bereits der objektive Tatbestand des § 123 I StGB nicht erfüllt ist.

2. Ergebnis

C hat sich damit nicht nach § 123 I StGB strafbar gemacht.

 

II. Strafbarkeit nach §§ 223 I, 224 I Nr.2 StGB

Indem C mehrfach mit dem Schlüsselbund in das Gesicht des B schlägt, kann er sich nach §§ 223 I, 224 I Nr.2 StGB strafbar gemacht haben.

1. Objektiver Tatbestand

a. Mit den Schlägen ins Gesicht hat C den B übel und unangemessen behandelt und damit körperlich misshandelt sowie bei lebensnaher Sachverhaltsauslegung auch blaue Flecken und ähnliche Verletzungen zugefügt, also an der Gesundheit beschädigt.

b. Dies könnte er mittels eines gefährlichen Werkzeugs getan haben. Ein gefährliches Werkzeug  ist jeder bewegliche Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach Art der Benutzung im konkreten Fall geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen (Lackner/Kühl, StGB, § 224 Rn. 4 f.). Die Schlüssel am Schlüsselbund sind aus Metall und haben scharfe Kanten. Werden sie einem Menschen mit Wucht ins Gesicht geschlagen, so können hierdurch erhebliche Körperverletzungen hervorgerufen werden, sodass der Schlüsselbund ein gefährliches Werkzeug darstellt.

2. Subjektiver Tatbestand

A handelte zudem mit Wissen bezüglich der körperverletzenden Umstände sowie mit dem Willen, die Körperverletzung zu begehen, also vorsätzlich. Zudem waren ihm die Umstände bekannt, die die Gefährlichkeit der Verwendung des Schlüsselbundes ausmachen, sodass sich der Vorsatz des C auch hierauf erstreckte.

3. Rechtswidrigkeit

Fraglich ist aber, ob C auch rechtswidrig gehandelt hat.

a. Zu seinen Gunsten könnte eine Nothilfe nach § 32 StGB gegeben sein.

aa. Hierzu ist zunächst eine Nothilfelage, also ein gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff erforderlich. Ein Angriff ist jede Beeinträchtigung rechtlich geschützter Interessen eines Menschen und damit auch der Ehre der A, die durch die Äußerungen wie „kleine Zicke“ und andere ehrkränkende Ausdrücke verletzt wurde. Diese hielten auch an, sodass der Angriff gegenwärtig und mangels eigener Rechtfertigung auch rechtswidrig war.

bb. Fraglich ist aber, ob C auch eine erforderliche Nothilfehandlung vorgenommen hat. Erforderlich ist eine Vereidigungshandlung, wenn sie zur Abwehr des Angriffs geeignet ist und unter den gleich geeigneten Mitteln dasjenige darstellt, das in die Rechtsgüter des Angreifers am geringsten eingreift (vgl. Sch/Schr/Lenckner/Perron, 26. Aufl., § 32 Rn. 34). Zweifel ergeben sich daher insbesondere daraus, dass der Angriff nur mit Worten geführt wurde, während C sofort tätliche Gegenwehr leistete. Zwar erfolgt eine Güterabwägung im Bereich des § 32 StGB nicht, die Gegenwehr mit Schlägen mit einem gefährlichen Werkzeug stellen jedoch Abwehrhandlungen dar, denen mit einer Wortverteidigung oder zumindest mit einer Verwendung nur der Fäuste mildere Mittel zur Verfügung gestanden hätten. Die Erforderlichkeit ist somit zu verneinen.

b. Daran, dass der Angriff und die sich hierin liegende Gefahr auch anders mit milderen Mitteln abwendbar gewesen wäre, scheitert auch eine mögliche Rechtfertigung nach § 34 StGB.

4. Schuld

Zudem müsste C schuldhaft gehandelt haben.

a. Hier könnte man einerseits annehmen, dass C davon ausging, sofort in der erfolgten Weise reagieren zu dürfen, er also über die Grenzen seiner Nothilfehandlung irrte. Hierbei erfolgte die Fehlleistung auf der Ebene rechtlicher Bewertung, sodass es sich um einen Verbotsirrtum nach § 17 StGB handelt, der nur dann dazu führt, dass der Täter ohne Schuld handelte, wenn er unvermeidbar gewesen wäre. An die Vermeidbarkeit werden jedoch hohe Anforderungen gestellt. Insbesondere wird das maximale Anspannen des Gewissens sowie das Einholen rechtlichen Rates in Zweifelsfällen verlangt (vgl. Sch/Schr/Cramer/Sternberg-Lieben, 26. Aufl., § 17 Rn. 14, 18). Bereits bei hinreichender Gewissensanspannung hätte C erkennen können, dass er nicht mit dem Schlüsselbund zuschlagen durfte, sodass der Irrtum vermeidbar war.

b. Zugunsten des C eingreifen könnte jedoch § 33 StGB. So hat C zwar in diesem Sinne die Grenze der erforderlichen Verteidigungshandlung überschritten, dies geschah aber nicht aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken, sodass § 33 StGB ausscheidet.

c. C handelte schuldhaft.

5. Ergebnis

C hat sich folglich nach §§ 223 I, 224 I Nr.2 StGB strafbar gemacht.

 

III. Strafbarkeit nach § 227 StGB

C kann sich durch die Schläge in das Gesicht des B, die dazu führten, dass dieser sich wehrte und A den B tödlich schlägt, nach § 227 StGB strafbar gemacht.

1. Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld

C hat den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung tatbestandsmäßig-vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft verwirklicht (s.o.).

2. Schwere Folge

a. Mit dem Tod des B ist zudem die schwere Folge eingetreten.

b. Dies lässt sich von der reinen csqn-Kausalität auch kausal auf die Schläge zurückführen, da B ansonsten nicht zum Gegenangriff übergegangen und von A tödlich verletzt worden wäre, die C helfen wollte. 

c. Selbst wenn man C Fahrlässigkeit hinsichtlich der Todesverursachung unterstellen würde, müsste der Tod aber auch durch die Körperverletzung eingetreten sein. Dies erscheint aufgrund zweier Aspekte fraglich:

aa. Zum einen könnte das Gesetz hiermit verlangen, dass der Tod gerade aus dem Körperverletzungserfolg folgen müsse (sog. Letalitätsthese; vgl. Puppe, JR 2003, 123 (124), Kühl, JZ 2003, 637 (638), Hardtung, NStZ 2003, 261 (262), LK/Hillenkamp, Vor § 22 Rn. 112, Lackner/Kühl, 25. Aufl., § 227 Rn.2, MüKo-StGB/Hardtung, § 227 Rn. 25, Bussmann, GA 1999, 21 (29 f.) und Wolters, JZ 1998, 397 (399)), die vorliegend nicht einschlägig wäre. Für diese Ansicht spricht sowohl der Wortlaut („verletzte“ Person) sowie Strafbarkeitserwägungen (Die Höchststrafe einer versuchten Körperverletzung beträgt 60 Monate, die einer fahrlässigen Tötung auch 60 Monate, also zusammen 120 Monate, jene der versuchten Körperverletzung mit Todesfolge aber unter Berücksichtigung des § 49 I Nr. 3 Var. 2 StGB 135 Monate.

Auf der anderen Seite spricht aber die Systematik mit dem Klammerzusatz „(§§ 223 bis 226)“, aus dem der Gesetzgeber die jeweiligen Versuchstatbestände bewusst nicht herausgenommen hat sowie der Umstand, dass angesichts der Gefährlichkeit eines gegen den menschlichen Körper gerichteten Aktes eine Körperverletzunghandlung ausreichen müsse, um den Tod herbeiführen zu können (BGHSt 14, 110 (112), BGHSt 31, 96 (99), BGH, JZ 2003, 635 (636), Sch/Schr/Stree, 26. Aufl., § 227 Rn. 6; NK-StGB/Paeffgen, § 227 Rn. 9 und Graul, JR 1992, 344 (345)).

bb. Hinzu kommt, dass man aufgrund der erhöhten Strafandrohung dann aber die reine Kausalität nicht ausreichen lassen kann, sondern als weiteres einschränkendes Kriterium fordern muss, dass aus der Handlung unmittelbar der Tod eintritt, mit der Todesfolge sich also eine der körperverletzenden Handlung immanente Gefahr verwirklicht haben muss (BGHSt 31, 96 (99) sowie BGH, NJW 1971, 152 (153)). Die Schläge waren jedoch nicht die unmittelbare Ursache, dies bildete erst das Schlagen durch A.

3. Ergebnis

C hat sich daher nicht nach § 227 StGB strafbar gemacht.

 

IV. Strafbarkeit nach § 222 StGB

Mit den Schlägen kann sich C aber nach § 222 StGB strafbar gemacht haben.

C hat zudem zwar mit der Vornahme der Schläge ins Gesicht eine sorgfaltswidrige Handlung vorgenommen. Unabhängig davon, dass es bereits Zweifel daran gibt, ob der Todeserfolg und damit das Hinzukommen der A und ihr Angriff gegen B objektiv vorhersehbar war, müsste der Todeserfolg auch durch die fahrlässige Handlung eingetreten sein, also ein Pflichtwidrigkeitszusammenhang gegeben sein, an dem es hier fehlt. Eine Strafbarkeit nach § 222 StGB scheidet somit aus.

 

V. Strafbarkeit nach § 231 I StGB

Selbst wenn man eine Schlägerei annehmen könnte unter Einschluss des C, so fehlt es doch am Vorsatz des C dahingehend, dass A erscheinen würde und somit am Vorsatz bezüglich einer Schlägerei im Sinne des Gesetzes, sodass auch eine Strafbarkeit nach § 231 I StGB ausscheidet.

 

VI. Konkurrenzen und Ergebnis

Die gefährliche Körperverletzung verdrängt die einfache im Wege der Gesetzeskonkurrenz (Spezialität). C hat sich folglich nach § 224 I Nr.2 StGB strafbar gemacht.

 

B. Strafbarkeit der A

I. Strafbarkeit nach §§ 212 I, 211 StGB

Indem A dem B mit der Flasche auf den Kopf schlägt  und er seinen schweren Kopfverletzungen erliegt, kann sie sich nach §§ 212 I, 211 StGB strafbar gemacht haben.

1. Objektiver Tatbestand

a. Mit dem Tod des B hat A durch die kausale Handlung des Schlagens den tatbestandsmäßigen Erfolg herbeigeführt.

b. Dies könnte sie heimtückisch getan haben. Heimtücke ist die bewusste Ausnutzung der auf Arglosigkeit beruhenden Wehrlosigkeit des Opfers. Arglos ist, wer sich zum Zeitpunkt der Tat keines Angriffs von Seiten des Täters versieht (vgl. Lackner/Kühl, 25. Aufl., § 211 Rn.7) und wehrlos, wer infolge seiner Arglosigkeit in seiner natürlichen Abwehrbereitschaft und –fähigkeit eingeschränkt ist (Lackner/Kühl, 25. Aufl., § 211 Rn.8). A hat B von hinten auf den Kopf geschlagen, bevor dieser bemerkte, dass sie überhaupt anwesend war. B rechnete daher nicht mit einem Angriff der A und war so in seinen Abwehrmöglichkeiten eingeschränkt. Die Merkmale der Heimtücke wären so an sich bereits gegeben. Aufgrund der Absolutheit der Strafandrohung beim Mord ist jedoch eine restriktive Auslegung der Mordmerkmale verfassungsrechtlich geboten (BVerfGE 45, 187 ff.). Dem wird bei der Heimtücke in der Weise nachgekommen, dass die Rechtsprechung ein Vorgehen in feindlicher Willensrichtung fordert (so BGHSt (GS) 9, 390 (394) und BGHSt (GS) 30, 105 (115 f.)), die zu bejahen wäre, während im Schrifttum ein besonders verwerflicher Vertrauensbruch als zusätzliches Kriterium gefordert wird (vgl. nur Otto, BT, 6. Aufl., § 4 Rn. 25 und Jakobs, JZ 1984, 996 (997)). Gegen letzteres spricht aber, dass hierdurch der typische Fall des Meuchelmörders gerade nicht mehr unter die Heimtücke fallen würde, eine Bevorteilung gegenüber Taten innerhalb der Familie, für die keine Rechtfertigung ersichtlich ist. Gerade diese Taten sind eher strafwürdiger als jene, die mit besonderer Emotionalität geprägt sind, wie auch der vorliegende Fall verdeutlicht. Da A in feindlicher Willensrichtung gehandelt hat, ist eine heimtückische Tötung somit zu bejahen.

2. Subjektiver Tatbestand

A müsste ferner vorsätzlich gehandelt haben. Vorsatz ist das Wissen um die Elemente des objektiven Tatbestandes sowie der Wille, diesen zu verwirklichen. Zwar strebte A den Tod nicht an, sie nahm ihn aber billigend in Kauf und handelte damit mit dolus eventualis.

[Anmerkung: Aufgrund der Fülle der Probleme in diesem Fall konnte man hier auf eine genaue Auseinandersetzung mit dem Eventualvorsatz verzichten !]

Zudem waren ihr die die Heimtücke ausmachenden Umstände bewusst, sodass sie auch diesbezüglich vorsätzlich handelte.

3. Rechtswidrigkeit

Fraglich ist aber, ob C auch rechtswidrig gehandelt hat.

a. Zu seinen Gunsten könnte eine Nothilfe gemäß § 32 StGB eingreifen.

Hierzu müsste zunächst eine Nothilfelage gegeben sein, also ein gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff. B hatte das Messer ergriffen und war gerade dabei, den C zu attackieren, sodass ein gegenwärtiger Angriff auf dessen Leben und körperliche Unversehrtheit gegeben war. Dieser müsste aber auch rechtswidrig gewesen sein, also nicht seinerseits durch Rechtfertigungsgründe gerechtfertigt. So könnte B seinerseits in Notwehr gehandelt haben, sah er sich mit den Schlägen doch einer gefährlichen Körperverletzung ausgesetzt (s.o.) und damit eines gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriffs. Insoweit er dem C körperlich unterlegen war, existierte auch kein milderes Mittel als der Griff zum Messer, sodass der Angriff auch erforderlich war. Fraglich ist aber, ob das Notwehrrecht des B nicht sozialethisch eingeschränkt war. Unter den sozialethischen Einschränkungen versteht man die Situationen, in denen die Ausübung des einem an sich zustehenden Notwehr- oder Nothilferechts einen Rechtsmissbrauch darstellen würde. Dies könnte aufgrund einer Provokation des B mit seinen beleidigenden Äußerungen der Fall sein. Während bei der Absichtsprovokation der Täter eine Provokationshandlung vornimmt, um unter dem Deckmantel der Notwehr den anderen verletzen zu können und sich damit eindeutig außerhalb des Rechts stellt, provoziert B nur auf eine sonstig schuldhafte Weise den Angriff des C. Wie diese Konstellationen zu lösen sind, ist fraglich.

Teilweise wird im Schrifttum hier jegliche Einschränkung des Notwehr­rechts abgelehnt. Die Rechtsordnung gebiete, trotz einer rechtswidrigen bzw. sozialethisch wertwidrigen Provokation nicht zu einem rechtswidrigen Angriff überzugehen. Wer dennoch nicht widerstehen könne, handele auf eigene Gefahr und müsse die Konsequenzen des dadurch hervorgerufenen Notwehrrechts auf sich nehmen (Hinz, JR 1993, 353 (357f.) und Mitsch, GA 1986, 533 (545 f.)). Folglich wäre nach dieser Ansicht der Angriff durch A ge­boten.

Der BGH dagegen nimmt ein Modell gestufter Abwehrberechtigung an. Zwar sei dem Provo­kateur sein Schutzinteresse nicht abzuerkennen, so dass ein völliger Aus­schluss des Notwehrrechts nicht angenommen werden könne. Jedoch sei wegen seines Mitverschuldens für die Begründung der Notwehrlage das allgemeine Rechtsbewährungsinteresse gemindert.

Die oftmals als „Drei-Stufen-Modell“ des BGH bezeichnete Abschichtung sieht vor, dass der Provokateur zunächst versuchen müsse, dem Angriff auszuweichen oder fremde Hilfe herbeizuholen. Sei dies nicht möglich, müsse er alle Möglichkeiten der Schutzwehr ausnutzen, wobei leichte Ver­letzungen hinzunehmen seien. Erst wenn diese schwere Verletzungen nicht abwehren können, sei ihm Trutzwehr erlaubt (Merke: Erst Schutzwehr, dann Trutzwehr !). Dabei werden an den auf Notwehr berufenden Täter umso höhere Anforderungen zur Vermei­dung gefährlicher Konstellationen gestellt, je schwerer die rechtswidrige und vorwerfbare Provokation der Notwehrlage wiegt. Eine Ausnahme von diesen Grundsätzen wird aber dann gemacht, wenn die Notwehrhandlung des Opfers das einzige Mittel ist, um einen möglicherweise tödlichen An­griff auf den in Notwehr Handelnden abzuwenden, weil keine milderen Ab­wehrmittel zur Verfügung stehen (BGH, NStZ 2001, 143 (144)). Nachdem A schon lange die Schläge hinnahm und ihm weder eine Ausweichmöglichkeit noch ein milderes Mittel zustand, den körperlich überlegenen A abzuwehren, gegen dessen Schläge er sich zunächst nur verteidigt hatte, durfte A hiernach sofort zum Angriff übergehen.

Innerhalb einer weiteren in der Literatur vertretenen Meinung werden hier teilweise die Beibehaltung der vollen Notwehrbefugnisse (Baumann, MDR 1962, 349 und Bertel, ZStW 84 (1972), 1 (14 ff.)), teilweise die vom BGH gebil­deten Grundsätze zur Notwehreinschränkung bejaht (Sch/Schr/Lenckner/Perron, 26. Aufl., § 32 Rn. 54 und 61 sowie Dencker, JuS 1979, 779 (781 ff.)). Jedoch mache sich der Provokateur wegen der unerlaubten Verursa­chung der Notwehrlage durch die Provokation strafbar. Da dies nichts daran ändert, dass A den Angriff vornehmen durfte, kommen somit alle Ansichten zum Ergebnis, dass das Notwehrrecht nicht eingeschränkt und die Verteidigung damit geboten war.

Mangels rechtswidrigen Angriffs von Seiten des B lag damit keine Nothilfelage vor, sodass § 32 StGB ausscheidet.

b. Eingreifen könnte jedoch § 34 StGB. Eine gegenwärtige Gefahr für das Leib und Leben des C lag aufgrund des Angriffs des B vor. Angesichts der zugespitzten Situation war die Gefahr auch nicht anders abwendbar, sodass A sofort zum Einsatz der Flasche greifen konnte, um wirksam die Gefahr abzuwenden. Bei § 34 StGB ist jedoch zudem eine Abwägung der widerstreitigen Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und der jeweils drohenden Gefahren vorzunehmen. Hierbei kommt man zum Ergebnis, dass sowohl auf Seiten des C als auch auf Seiten des B das Leben steht, dass sich aufgrund seines absoluten Wertes aber einer Abwägung entzieht („Leben gegen Leben geht bei § 34 StGB nicht!“) (vgl. Lackner/Kühl, 25. Aufl., § 34 Rn.7). § 34 StGB scheidet somit als Rechtfertigungsgrund auch aus.

c. A handelte rechtswidrig.

4. Schuld

A kann jedoch aufgrund von § 35 StGB entschuldigt gewesen sein.

a. Eine gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr für Leib und Leben des C als Angehörigen (§ 11 I Nr.1a StGB) und damit eine Notstandshilfelage war gegeben.

b. Zur Abwehr der Gefahr war die Handlung der A wie dargelegt erforderlich.

c. Sie handelte auch mit dem notwendigen Rettungswillen.

d. Fraglich ist aber, ob eine Entschuldigung nicht an der Zumutbarkeitsklausel des § 35 I 2 Var.1 StGB scheitert. Hiernach scheidet eine entschuldigende Notstandshilfe aus,, wenn dem Täter nach den Umständen, namentlich weil er die Gefahr selbst verursacht hat, zugemutet werden konnte, die Gefahr hinzunehmen. Es kommt damit darauf an, ob A die Notstandshilfelage selbst verursacht hat. Dies könnte man mit der Begründung annehmen, dass sie ihrem Bruder C erlaubte, die Wohnung zu betreten, obwohl ihr bewusst war, dass dies gegen den Willen des B geschah. Aufgrund der weitreichenden Folgen eines Entschuldigungsausschlusses ist die Zumutbarkeitsklausel des § 35 I 2 Var.1 StGB jedoch restriktiv auszulegen. Hiernach kann nicht jede kausale Verursachung ausreichen, vielmehr bedarf es einer pflichtwidrigen Herbeiführung (Ebert, AT, 3. Aufl., S. 108). Selbst eine derartige könnte man aufgrund des Wissens der A um die Umstände noch annehmen und ihr abverlangen, dass sie zumindest die betroffenen Personen hätte informieren müssen. Selbst wenn man dies aber bejaht, ist zu berücksichtigen, dass es vorliegend nicht darum geht, dass derjenige, der eine Gefahr pflichtwidrig selbst begründet hat, die Folgen hinnehmen soll, sondern ein Dritter, zu dem sogar ein familiäres Verhältnis besteht. In diesen Konstellationen wird überwiegend vertreten, dass die Zumutbarkeit der Gefahrenhinnahme in diesen Konstellationen zu verneinen sei aufgrund des zwischenmenschlichen Gedankens: „Nichts liegt näher, als dem Angehörigen zu helfen, den man selbst pflichtwidrig in Lebensgefahr gebracht hat.“ (Jescheck/Weigend, AT, 5. Aufl., S. 485; ähnlich Roxin, AT I, 3. Aufl., § 22 Rn. 50, LK/Hirsch, 11. Aufl., § 35 Rn. 51 und Wessels/Beulke, AT, 34. Aufl., Rn. 441). Jedes andere Ergebnis wäre zudem mit dem Rechtsbewusstsein nur schwer zu vereinbaren. Dafür spricht, dass ein Strafrecht, welches einen Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung kennt, sich dem Vorwurf des widersprüchlichen Verhaltens aussetzen würde, wenn es über eine Notstandsregelung das Verhalten in die entgegengesetzte Richtung steuern würde. Dass der Notstandshelfer  keine Nachsicht verdiene (so Jakobs, AT, 2. Aufl., 17/75), vermag demgegenüber angesichts der Gesetzessystematik und des Gerechtigkeitsverständnisses nicht durchzugreifen.

e. A ist damit nach § 35 I StGB entschuldigt.

5. Schuld

A hat sich damit nicht nach §§ 212 I, 211 StGB strafbar gemacht.

 

II. §§ 223 I, 224 I Nr.2 StGB

Aufgrund des § 35 StGB scheitert auch eine Strafbarkeit nach §§ 223 I, 224 I Nr.2 StGB.

 

III. Ergebnis

A bleibt straflos.