Abschlussbericht: Die gromatischen Traktate des Iulius Frontinus
Abschluss des durch die Gerda-Henkel-Stiftung geförderten Projekts
Die gromatischen Traktate des Iulius Frontinus – Wissenstransfer im Spannungsbogen von Vermessungstechnik und Recht im Römischen Reich.
Das seit dem 1.5.2021 geförderte Projekt, an dem neben der Klassischen Philologie die Römische Rechtsgeschichte und die Wissenschaftsgeschichte beteiligt waren, ist mit dem 30.11.2024 abgeschlossen. Im Jahr 2025 wird das Ergebnis der Öffentlichkeit über eine Publikation im Herder-Verlag und gleichzeitig als Open Access Datei zugänglich gemacht werden. Neben einer kritischen Edition und ausführlichen Kommentaren bietet das Buch erstmals auch eine deutsche Übersetzung der Texte. Durch Kooperation mit der Bayerischen Staatsbibliothek, der Erfurter Universitätsbibliothek und der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel wird auch diese Publikation, wie schon das Feldmesserbuch von 2018, Einblicke in die Manuskripte und in frühneuzeitliche Drucke geben. Die folgende Übersicht stellt einige Ergebnisse des Projekts vor:
In der bisherigen Forschung zu Iulius Frontinus hatten sich folgende Urteile verfestigt: Der Verfasser wird regelmäßig mit dem Konsul Sextus Iulius Frontinus (ca. 35–103 n. Chr.) verwechselt. Die Texte werden deswegen als älteste Lehrschrift zur Thematik der römischen Feldmessung datiert. Weniger hartnäckig hält sich die Annahme, dieser Sextus Iulius Frontinus habe zwei Bücher zur Feldmessung verfasst. Grundlage für diese durch keine belastbaren Argumente unterstützte Annahme bilden die Textkonstitutionen der Teubner-Edition Thulins (1913) und eine kaum davon abweichende französische von 2005.
Diese Urteile sind mit der nun erscheinenden Edition, die erstmals alle Manuskripte vollständig berücksichtigt, hinfällig. Von den 19 Seiten der Teubneredition werden Frontin, für dessen Datierung erstmals prosopographische Ansätze und eine genaue sprachliche Untersuchung genutzt wurden, knapp neun Seiten belassen. Im Zuge der Förderung wurde ein Text über die Grenzlinien (de limitibus) als Nebenüberlieferung des Hyginus gromaticus identifiziert, ein Ergebnis, das in die, ebenfalls in der Förderzeit herausgegebene, kritische Edition Hygins aufgenommen werden konnte. Ein weiteres Textstück hat durch intertextuelle Vergleiche Iunius Nipsus als Verfasser wahrscheinlich gemacht.
Mit der Zuschreibung des Stücks an Hyginus gromaticus brach die gesamte bisherige Textkonstitution zusammen: In der Forschung bestand zwar grundsätzliche Einigkeit darüber, dass der Text auch durch spätere Kommentierungen interpoliert sein musste, doch das Ausmaß dieser Interpolationen wird erst jetzt vollständig erkennbar. Das hat Auswirkungen auf die Datierung Frontins (wohl 2. Jh. bis Anfang 3. Jh.; bisher 1. Jh. n. Chr.), auf die Rezeption dieser Texte, auf die Textkonstitution aller davon betroffenen Autoren und auf die Manuskripttradition und -zirkulation. Erstmals identifiziert wurde auch die Anweisung eines spätantiken Redaktors zur Zusammenstellung gromatischer Texte in den ältesten Mss. Dieser kodikologische Befund ist für die frühmittelalterliche Handschriftenforschung und damit für die Verbreitung wissenschaftsgeschichtlich relevanter Informationen wichtig. Kunstgeschichtlich interessant ist, dass über den Vergleich der Mss. eine weitere verlorene Illustration rekonstruierbar wird. Für die Wortforschung konnte der bisher für antik gehaltene Begriff der cultellatio dem 16. Jahrhundert und wahrscheinlich auch sein Urheber zugeordnet werden.
Im rechtshistorischen Teil sind die von Frontius beschriebenen Unterschiede bei den Feldertypen nach ihrem Zusammenhang von angewandter Vermessungsmethode und juristischer Einordnung für die Zuordnung von Eigentum und Nutzungsrechten besprochen. Im Zentrum dieses Teils der Kommentierung steht die Liste der controversiae, der Rechtsstreitigkeiten. Erstmals werden die fünfzehn Streitigkeiten ihrem Anwendungsbereich nach und mit Blick auf die Rolle der Feldmesser eingehend diskutiert. Es handelt sich um Streitigkeiten, die entweder die Grenze (finis) oder das Landstück (locus) betreffen. Die Feldmesserperspektive kommt bei der Unterscheidung danach zum Tragen, ob eine Streitigkeit dem ius ordinarium, dem ordentlichen Verfahren, zugewiesen werden muss oder auch von Feldmessern entschieden werden kann. Für diese Unterscheidung ist die Kenntnis davon wichtig, dass Feldmesser als Gutachter im ordentlichen Zivilprozess herangezogen, aber auch als Schiedsgutachter mit der Behandlung rechtlich relevanter Streitfragen befasst werden konnten. Es wird deutlich, dass zum Anforderungsprofil für Feldmesser eine besondere Sorgfalt auch bei Rechtsstreitigkeiten gehörte und dass der Autor über die Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes der Feldmesskunst bei Rechtsfragen informieren wollte.
Der Gerda-Henkel-Stiftung kann nicht genug gedankt werden, diese Grundlagenforschung unterstützt zu haben; die Wichtigkeit dieser Forschung wird im Wissenschaftsbetrieb zwar immer wieder angemahnt, jedoch meist weniger gefördert als Projekte, die auf der Grundlage edierter Texte valide Aussagen treffen müssen.
Jens-Olaf Lindermann/Cosima Möller