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17.06.2020 - Stefan Conen: Verteidigung in der Hauptverhandlung

07.10.2020

„Die Hauptverhandlung ist nur ein ‘Wiederaufkauen‘ des Ermittlungsverfahrens, nur eine Plausibilitätskontrolle der Anklage durch den Richter.“

So begann Herr Rechtsanwalt Stefan Conen unseren Webex-Termin. Seine Ausführungen machen deutlich, dass man in der Hauptverhandlung als Angeklagter im Nachteil ist. Man kämpft nicht nur gegen die von der Schuld des Angeklagten überzeugte Staatsanwaltschaft, sondern in den meisten Fälle auch gegen den bereits überzeugten Richter.

Rechtsanwalt Conen zielte mit seinem Vortrag neben den formellen Bestandteilen einer Hauptverhandlung, wie der Kontrolle der Personalien, der Verlesung der Anklage und der Belehrung zum Schweigerecht, vor allem auf die Einlassung des Angeklagten im Vergleich zu den Zeugenaussagen ab. Denn der Angeklagte steht von vornherein in einem schlechten Licht.

Für die Zulassung zur Hauptverhandlung braucht der Richter die überwiegende Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung. Die Folge ist eine vorgefertigte Meinung des Richters, so Rechtsanwalt Conen, doch dies gilt nicht als Befangenheit. Aufgrund dieser Problematik setzte das Rechtssystem früher auf die Beteiligung von zwei Richtern an der Hauptverhandlung. Einer prüfte die Klage auf eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Verurteilung und ein zweiter Richter urteilte nach der Verhandlung. Dies sorgte für einen geringeren Perseveranz-Effekt oder Inertia-Effekt.

Der Perseveranz-Effekt beschreibt, dass bereits vorliegende Ereignisse und Eindrücke zu einer Umdeutung von späteren Informationen führen. Der Inertia-Effekt beschreibt hingegen die Trägheit einer erneuten Meinungsbildung und eine weitgehende Immunität gegenüber anderen Betrachtungsweisen. Beide soziopsychologischen Effekte wirken gegen den Angeklagten.

Folglich entsteht für den Angeklagten immer eine Bedrohung bei der Einlassung. Der Angeklagte muss sich nicht selbst belasten und hat damit das Recht zu Lügen bzw. die Möglichkeit der straflosen Falschaussage. Folge dessen ist, dass der Richter im Laufe des Prozesses hauptsächlich belastende Aussagen aus der Einlassung später im Gedächtnis behält.

Auch Studien belegen den Perseveranz-Effekt, wobei in einer Studie zwei Gruppen von Richter teilnahmen. Die eine Gruppe las vor der Hauptverhandlung die Akten, die andere nicht. Schließlich wurde beiden die gleiche Hauptverhandlung vorgespielt. Das Ergebnis fiel eindeutig aus, denn ein überwiegender Teil der ersten, bereits „vorbereiteten“, Gruppe stimmte für die Verurteilung, während das Ergebnis der zweiten Gruppe eher durchmischt ausfiel.

Letztlich muss sich der ausgebildete Rechtsanwalt entscheiden - möchte er, dass sich sein Mandant äußert, ist es eher hinderlich oder möchte er sich nur schriftlich mitteilen. Die grundsätzliche Empfehlung von Herrn Rechtsanwalt Conen bleibt das Schweigen des Angeklagten. Dennoch mahnt er diese Entscheidung nicht allein von der Strafverteidigung treffen zu lassen. Denn die Verteidigung bleibt der Dienstleister des Mandanten.

Auch ein weiterer Ausspruch blieb besonders in Erinnerung: „Der Angeklagte ist Subjekt, nicht Objekt“. Der Angeklagte sollte durch den Rechtsanwalt und den gesamten Gerichtssaal nicht als ein weiteres Beweisstück angesehen werden, sondern als das was er ist - ein Mensch.