29.05.2024 - Hannes Honecker: Vorbereitung der Hauptverhandlung
20.06.2024
Am 29. Mai 2024 besuchte uns Herr RA Honecker und sprach mit uns über die Vorbereitung einer Hauptverhandlung.
Vorbereitung der Stunde
Als Vorbereitung für die Stunde mit Herrn RA Honecker sollten wir einen Tätigkeitsbericht der Polizei lesen. In diesem ging es um Herrn A., der mit seinem Auto zu schnell fuhr, woraufhin die Polizei ihn verfolgte. Nachdem sie Herrn A. kurz aus den Augen verloren, entdeckten sie das Auto auf einem Parkplatz mit Herrn A. daneben. Herr A. gab zu Cannabis konsumiert zu haben, stritt jedoch ab, mit dem Auto gefahren zu sein. Die Polizei vermutet, dass Herr A. auf seinem Handy die Mercedes-App benutzte, um das Auto zu verschließen und beschlagnahmte es daraufhin.
Die Stunde mit Herrn RA Honecker
Mit dieser Vorbereitung begann die Stunde mit Herrn RA Honecker, indem der Fall ausführlich besprochen werden sollte.
Herr Honecker machte uns zunächst darauf aufmerksam, dass die Vorbereitung einer Hauptverhandlung sehr schwierig sei, wenn man nur einen Tätigkeitsbericht hat. Man könne nur vermuten, dass sich die Beamten so äußern, wie sie das in Ihrem Bericht gefasst hatten. Die Lücken im Bericht könnte man möglicherweise aber auch zur Verteidigung nutzten. Schließlich kenne man noch keinen Termin für die Hauptverhandlung und auch keinen genauen Vorwurf.
Allgemeine Vorbereitung der Hauptverhandlung
Zur Vorbereitung der Hauptverhandlung wird immer Akteneinsicht beantragt. Diese gewährt im Ermittlungsverfahren die Staatsanwaltschaft und im Bußgeldverfahren die Polizei als Bußgeldstelle.
Daraufhin müssen die Tatsachen mit dem Mandanten geklärt werden, um so zu vergleichen, was die Polizei und was der Mandant weiß. Vor allem aber muss der Mandant auf die Hauptverhandlung vorbereitet werden, indem man ihm den genauen Ablauf vor Gericht erklärt.
Die Sache des Herrn A.
Zuerst haben wir gemeinsam überlegt, was dem Herrn A. vorgeworfen werden könnte.
Im Raum stand einmal eine Strafbarkeit nach § 315c I Nr. 1a StGB, jedoch wurde dies schnell von uns verworfen, da im Tätigkeitsbericht keine Anhaltspunkte für eine konkrete Drittgefährdung durch die Beschleunigung bestehen.
Subsidiär kam daraufhin § 316 StGB in Betracht. Dem Herrn A. wurden 1,8 ng/ml THC im Blut nachgewiesen. Die Rechtsprechung setzt beim Autofahren eine Grenze von 1,0 ng/ml. Bei allem darüber sei man fahruntüchtig. Herr A. lag zwar über diesem Wert, allerdings wird zurzeit viel über die Anhebung dieses Grenzwerts auf 3,5 ng/ml in Anbetracht der Entkriminalisierung von Cannabis diskutiert. Dies ist wichtig, da bei einer Gesetzesänderung vor der Hauptverhandlung das für den Angeklagten günstigere Gesetz zur Anwendung kommen würde, auch wenn zur Tatzeit anderes Recht galt. Herr Honecker machte uns darauf aufmerksam, dass man auf Zeit spielen könnte, indem man die Hauptverhandlung durch Beantragung von Terminsverschiebungen, Fristverlängerungen und Beweisanträgen herauszögert.
Außerdem könnte man anhand der Diskussion um den neuen Grenzwert argumentieren, dass Sachverständige die Fahruntüchtigkeit auch vor Gesetzesänderung erst ab 3,5 ng/ml annehmen würden.
Vorgeschlagen wurde weiterhin eine Strafbarkeit des Herrn A. nach § 315d I Nr. 3 StGB, da dieser die Geschwindigkeitsgrenzen überschritt während er vor der Polizei floh. Allerdings ist diese Fallgruppe sehr umstritten, weshalb nicht länger darüber diskutiert wurde.
Letztlich kamen wir auf § 24a II StVG, eine Ordnungswidrigkeit, jedoch stellen sich hier dieselben Überlegungen wie bei § 316 StGB, dass 1,8 ng/ml demnächst unter dem Grenzwert liegen werden und somit noch zulässig sein werden.
Verteidigungsansätze in der Sache des Herrn A.
Nach dem wir eventuelle Vorwürfe ausführlich diskutiert hatten, überlegten wir gemeinsam, wie man den Herrn A. am besten verteidigen könnte.
Ein wichtiger Ansatz hier ist die vermeintliche Wiedererkennung des Herrn A. durch die Polizisten, die die einzige Grundlage für die Vorwürfe sind. Beim Antreffen des Herrn A. sind sich die Polizisten laut Tätigkeitsbericht sicher, diesen als Fahrer des Autos, welches zu schnell fuhr, identifizieren zu können. Dabei ist es eigentlich eher unrealistisch eine Person beim kurzen Vorbeifahren derart sehen zu können, dass man sie später wiedererkennt. Außerdem ist sein Outfit (das einzige Merkmal, anhand dem Herr A. als Fahrer identifiziert wurde) kein einzigartiges. Vielmehr beschreibt der Tätigkeitsbericht ein Outfit, welches viele Menschen tragen könnten und woran man keine Person eindeutig wiedererkennen kann. Demnach handele es sich um leicht auswechselbare Identifikationsmerkmale. Des Weiteren ist anzumerken, dass die Polizeibeamten bei der Identifizierung des Herrn A offensichtliche Merkmale des Beschuldigten gänzlich außer Acht lassen. Identifikationsmerkmale wie zum Beispiel ein dunkler Bart, eine Brille oder die Haare des Beschuldigten wurde also keinerlei Bedeutung zugemessen. Daher erscheint das Wiedererkennen der Polizeibeamten unvollständig.
In diesem Kontext erscheint es ebenso erörterungsbedürftig, wieviel Zeit verging, bis Herr A am parkenden Fahrzeug erschien. Ist in der Zwischenzeit, in der die Polizeibeamten den Herrn A aus dem Gesichtsfeld verloren, so viel Zeit vergangen, dass es dem Herrn A beispielsweise möglich gewesen wäre sich umzuziehen, das Auto zu parken und einen Joint am Parkplatz zu rauchen? Dies könnte den Verdacht der Polizei aufweichen lassen.
Herr Honecker machte uns auch darauf aufmerksam, die von der Polizei beschrieben Bewegungen des Herrn A. auf Google Maps gegenzuprüfen. Dabei stellte sich heraus, dass die angebliche Route des Herrn A. so nicht möglich ist. Der Polizei muss hierbei also ein Fehler unterlaufen sein, da die Beschreibungen des Tätigkeitsberichts kein passendes Gesamtbild ergeben.
Im Tätigkeitsbericht fiel auch auf, dass die Polizisten die Behauptung des Herrn A., er sei auf dem Parkplatz um zu rauchen, ohne weitere Überlegungen als Schutzbehauptung einstuften.
Was wäre, wenn A mit seinen Freunden sich auf dem Parkplatz versammelte, um dort Cannabis zu konsumieren? Es wurde vorgeschlagen, die anwesenden Freunde des Herrn A. als Zeugen diesbezüglich zu befragen, jedoch machte Herr Honecker darauf aufmerksam, dass er nicht die Freunde dazu bringen darf, vor Gericht zu lügen und sich somit nach den §§ 153 ff. StGB strafbar zu machen.
Es wurde angemerkt, dass Herr A. laut Tätigkeitsbericht auf Arabisch zu seinen Freunden sagt, sein Auto sei „dort hinten“, ohne das genauer ausgeführt wurde, woher die Polizisten dies wussten. Es gab keine Angaben, ob einer der Polizisten arabisch versteht. Herr Honecker war jedoch der Meinung, dass man davon ausgehen kann, dass diese Information korrekt ist und man darauf keine Verteidigung stützen könne, da man Sprachen stets erlernen kann.
Relevant ist auch die mehrmals erfolgte Belehrung des Herrn A.
Dabei drängt sich die Frage auf, ob Herr A. schon als Beschuldigter belehrt wurde oder ob ein anderer relevanter Fehler dort passiert ist. Denn Herr A wurde laut des polizeilichen Tätigkeitsberichts zwei Mal belehrt. Hierbei ist fraglich, weshalb es zu einer zweiten Belehrung kam. Herr Honecker betonte, dass im Umstand der doppelten Belehrung sich ausdrücken könne, dass die Polizeibeamten sich unsicher darüber waren, wie sie mit dem A verfahren sollten.
Weiterhin betonte er, was man alles vor der Hauptverhandlung erledigen muss. Einmal solle man einen Fragenkatalog erstellen, in dem man festhält, welche Fragen man welchem Zeugen stellen will. Außerdem solle man sich über die sämtlichen gemessenen THC-Werte informieren. Dabei erklärte Herr Honecker, dass THC-Carbonsäure ein Abbauprodukt sei, das mangels berauschender Wirkung die Fahrtüchtigkeit nicht beeinträchtige, sondern nur Auskunft über die Cannabisrückstände im Blut gibt.
Ein weiterer wichtiger Ansatz zur Verteidigung stellt die Mercedes-App dar, welche der Herr A angeblich benutzte. Herr Honecker erklärte, dass es aus Verteidigungsperspektive empfehlenswert sei, sich näher mit der Funktionsweise der Mercedes-App zu befassen.
Des Weiteren wird im Tätigkeitsbericht beschrieben, dass der Herr A sein Handy „heimlich“ gezückt hätte, um per Mercedes-App die Türen und Fenster des Autos zu schließen. Wäre das ganze tatsächlich „heimlich“ passiert, hätten die Beamten vom vermeintlichen Abschließen nichts mitbekommen.
Bedeutsam erscheint in diesem Kontext auch die Frage, weshalb genau die Polizeibeamten davon ausgehen, dass Herr A das Auto abgeschlossen hat. Dem Tätigkeitsbericht ist zwar entnehmen, dass die Polizeibeamten dem Herr A sein Handy abnahmen, aber es wurde nicht darauf eingegangen, ob man nun die besagte Mercedes-App auf seinem Handy fand oder nicht. Herr Honecker erklärte, dass wenn die App nicht auf dem Handy des Herr A gefunden werden konnte, es nicht auszuschließen ist, dass bspw. einer seiner anwesenden Freunde das Auto abschloss. Geht man mangels entgegenstehender Anhaltspunkte im Tätigkeitsberichts davon aus, dass man Herr A das Handy wieder zurückgegeben hat, unterstreicht dies ebenfalls, dass das Abschließen des Autos nicht eindeutig auf Herrn A zurückgeführt werden kann.
Des Weiteren könnte relevant sein, dass die Polizei dem Herr A zwar sein Handy abnahm, aber von einem Autoschlüssel nicht die Rede ist. Herr Honecker erklärte, dass es aus Verteidigungsperspektive sinnvoll sein kann, sich in die Rolle des Richters zu versetzen und sich zu fragen, wie das Gericht den konkreten Sachverhalt aufnehmen könnte. Um einen Richter davon zu überzeugen, dass der Beschuldigte auch tatsächlich das Fahrzeug führte, könnte es von immenser Bedeutung sein, ob der Beschuldigte überhaupt einen passenden Fahrzeugschlüssel dabei hatte oder nicht. Dies war hier nicht der Fall, weswegen nicht eindeutig davon ausgegangen werden könne, dass Herr A überhaupt das Auto fuhr, was die im Tätigkeitsbericht beschriebene Verdachtserhärtung nicht nachvollziehbar erscheinen lässt. Auch dürfte von Bedeutung sein, dass dem Tätigkeitsbericht keine Halteranfrage zu entnehmen sei. Es läge mehr als nahe, neben der Frage nach dem Autoschlüssel auch jene nach dem Halter des Fahrzeuges zu ermitteln. Dies sei hier offensichtlich nicht geschehen.
Herr Honecker klärte uns außerdem über die wichtigen Einzelheiten eines polizeilichen Datenabgleichs mit Vollauskunft auf. Im Tätigkeitsbericht wird darauf verwiesen, dass Herr A in der Vergangenheit im Zusammenhang mit BtMG-Delikten auffällig geworden sei. Hierbei ist allerdings anzumerken, dass polizeilichen Informationsregistern nur Informationen über polizeiliche Verfahren entnommen werden kann. Demnach stehen auch eingestellte oder freigesprochene Sachverhalte in diesem Informationsregister, weswegen diese Beschreibung nicht sonderlich aussagekräftig erscheint.
Zum Schluss erklärte uns Herr Honecker, dass die oben näher ausgeführten Überlegungen, Zweifel und Beweisbarkeitsmängel nicht nur im Rahmen der Hauptverhandlung als Verteidigungsmittel dienen können, sondern dass man jene auch schon vorher verwenden könne. Als Strafverteidiger sei stets ein frühzeitiges Einschreiten nötig, um die Mandanten sowohl finanziell als auch in puncto Zeit entlasten zu können. In Bezug auf den Sachverhalt von Herr A erscheint es beispielsweise sinnvoll durch ein frühzeitiges Einschreiten bereits erste Überzeugungsarbeit zu leisten, um somit den Erlass eines Bußgeldbescheides verhindern zu können. Herr Honecker betonte zum Schluss, dass die immer schon im Ermittlungsverfahren beginnt und sich keinesfalls auf die Hauptverhandlung beschränken darf.