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Die Göttin (Sachverhalt)

Lola Labelle ist Eigentümerin eines roten Cabriolet Citroën DS 19, das von Flaminio Bertoni gestylt wurde und heute noch als „La Déesse“ bezeichnet wird. Am Nachmittag des 26. Juli letzten Jahres wollte Frau Labelle mit dem Wagen bei herrlichem Sonnenschein eine Spritztour machen, musste jedoch erschrocken feststellen, dass die „Déesse“ sich nicht mehr auf dem Parkplatz befand, auf dem sie das Cabriolet kurz zuvor für die Dauer einiger Einkäufe abgestellt hatte. Da sie alle Fahrzeugschlüssel in Besitz und das Auto ordnungsgemäß geparkt hatte, wurde ihr sofort klar, dass es nur  gestohlen worden sein konnte. Sie informierte daher unverzüglich die Polizei, die die Mitteilung über den Diebstahl an die im Einsatz befindlichen Dienstkräfte weitergab.

Wenig später wurde eine Polizeistreife auf der Onkel-Tom-Straße bei der Krummen Lanke auf die mit offenem Verdeck von einem Unbekannten gesteuerte „Déesse“ aufmerksam. Die sich weiter südlich ebenfalls auf Streifenfahrt befindlichen Polizeivollzugsbeamten Stephan Stark und  Rudi Ritter wurden daher per Funk angewiesen, den Wagen zu stoppen. Sie stellten deshalb in aller Eile ihr Fahrzeug quer auf die Onkel-Tom-Straße,  postierten sich links und rechts daneben und winkten dem Fahrer mit ihrer Polizeikelle zu, er solle unverzüglich anhalten. Als sich die „Déesse“ dieser Straßensperre näherte, hielt der Fahrer jedoch nicht an, sondern beschleunigte und zog rechts an dem Polizeifahrzeug vorbei; der dort postierte Stark konnte sich nur durch einen Sprung in den Straßengraben davor retten, umgefahren zu werden, und zog sich dabei nicht unerhebliche Verletzungen zu. Die „Déesse“ blieb zunächst auf dem ungepflasterten Seitenstreifen im Erdreich stecken, doch gelang es dem Fahrer, sie wieder in Gang zu bringen. Der links neben dem Streifenwagen stehende Ritter konnte dem Fahrer noch zurufen: „Halt! Sofort stehen bleiben!“, bevor der Unbekannte die „Déesse“ wieder auf die Fahrbahn lenkte und mit dem an Ritter gerichteten Ruf: „Ich bin doch nicht blöd!“ sowie mit quietschenden Reifen davon fuhr. Ritter schoss daraufhin mit seiner Dienstpistole zur Warnung in die Luft. Als der Fahrer jedoch unbeeindruckt weiter raste, feuerte er mehrfach auf  die Reifen des Autos, um den Fahrer zum Anhalten zu zwingen. Die Schüsse verfehlten jedoch trotz klaren Schussfeldes die Reifen und der Unbekannte fuhr mit unverminderter Geschwindigkeit in Richtung Krumme Lanke, wobei er zwei entgegenkommende Fahrzeuge in den Straßengraben abdrängte. Einige Stunden später wurde „La Déesse“ mit leerem Tank sowie einem zerschossenen Rücklicht, zwei Einschusslöchern im Kofferraum und schusszerfetztem Verdeck auf dem Parkplatz des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität gefunden; von dem Fahrer fehlt jede Spur.

In seinem anschließend erstellten Bericht führte Ritter aus, dass er und Stark mittels der Straßensperre entsprechend der ihnen über Funk zugegangenen Weisung beabsichtigt hatten, den Wagen anzuhalten, um so die Identität des Fahrers feststellen und das Auto ggf. sicherstellen zu können. Nachdem der Fahrer die Sperre jedoch gewaltsam durchbrochen und Stark beinahe überfahren hatte,  habe er den Wagen durch die Schüsse nur noch anhalten wollen, um die Gefahr für Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer abzuwehren, die sich aus dem rücksichtslosen Fahrstil des Unbekannten ergab. Eine solche Gefahr habe auch ernsthaft bestanden, habe der Unbekannte doch später zwei weitere Fahrzeuge von der Fahrbahn abgedrängt und sei mit Höchstgeschwindigkeit auf die Kreuzung der Onkel-Tom-Straße und der Argentinischen Straße zugerast - eine Kreuzung, die um diese Uhrzeit von vielen Fußgängern, Fahrradfahrern und Autofahrern überquert werde.

Lola Labelle hat dennoch für diesen Polizeieinsatz wenig Verständnis und ist über die Beschädigung ihres Autos verärgert. Sie wendet sich deshalb an die insoweit zuständige Polizeipräsidentin in Berlin Beatrice von Bullenberg und verlangt 5147, 30 Euro. Diese Summe habe sie für die Reparatur der „Schussverletzungen“ zahlen müssen, die die Polizei ihrer „Déesse“ zugefügt hätten. Der Schusswaffengebrauch sei ein völlig ungeeignetes Mittel gewesen, um den Fahrer zum Anhalten zu bewegen. Jedenfalls hätten die Beamten die Straßensperre an einem anderen, engeren Straßenabschnitt errichten müssen und ohnehin den Wagen eher durch ein Nagelbrett stoppen können. Wenn aber schon geschossen werden musste, hätte der Schütze jedenfalls auch die Reifen, auf die er gezielt habe, treffen müssen. Man sei schließlich nicht bei den Karl-May-Spielen in Bad Segeberg.

Die Polizeipräsidentin lehnt demgegenüber eine Schadensersatzpflicht ab: Der Polizeibeamte Ritter hätte in Anbetracht der Umstände gar nicht anders handeln können. Dass er daneben geschossen habe, sei bedauerlich, jedoch seien Fehlschüsse - gerade bei beweglichen Zielen - auch für den besten Schützen nicht vermeidbar. Ritter gehöre überdies zu den besten Schützen der Berliner Polizei. Im Übrigen habe der Einsatz objektiv jedenfalls auch im Interesse von Frau Labelle gelegen, da es schließlich um ihr Auto gegangen sei. Zudem habe sich für sie letztlich nur das allgemeine Lebensrisiko verwirklicht, für das der Staat nicht aufkommen müsse: Wer sein Fahrzeug auf offener Straße parke, müsse damit rechnen, dass es gestohlen und hierbei beschädigt werde - gerade dann, wenn es sich hierbei um ein besonders „attraktives“ Auto handele.

Frau Labelle will dies nicht hinnehmen. Sie beauftragt deshalb den beim Landgericht Berlin zugelassenen Berliner Rechtsanwalt Sebastian Sartorius damit, ihre Rechte in dieser Angelegenheit durchzusetzen. Sartorius erhebt folglich für Frau Labelle beim Landgericht Berlin Klage gegenüber dem Land Berlin auf Zahlung von 5147,30 Euro.

 

Hat diese Klage Aussicht auf Erfolg?


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