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Nächtliche Schlagfertigkeit (Kurzlösung)

Die Klage Schlags hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist. Es handelt sich um zwei unterschiedliche Klagebegehren und damit um zwei Klageanträge. Zum einen geht es um die Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme als solche, zum anderen um die Rechtswidrigkeit ihres Vollzugs im Wege des Verwaltungszwangs.


Erster Teil: Klage gegen die Ingewahrsamnahme als solche

Die Klage gegen die Ingewahrsamnahme als solche hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.


A. Zulässigkeit

I. Verwaltungsrechtsweg

(+), streitentscheidende Norm (§ 30 ASOG) solche des öffentlichen Rechts; Sonderzuweisung an die ordentlichen Gerichte gemäß § 23 Abs. 1 S. 1 EGGVG kommt nicht in Betracht.


II. Statthafte Klageart

1. Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO)

(-), da sich aus der Anordnung der Ingewahrsamnahme endgültig keine Rechtsfolgen mehr ergeben können; zwar stellt diese einen Verwaltungsakt dar, jedoch wurde dieser bereits vollzogen und der Kostenfestsetzungsbescheid ist inzwischen bestandskräftig, bedarf also nicht mehr der Anordnung als Grundlage.


2. Fortsetzungsfeststellungsklage

(+), zwar unmittelbare Anwendung ausgeschlossen, da sich der Verwaltungsakt schon vor Klageerhebung erledigt hat. Jedoch ist dies der einzige Unterschied zum Anwendungsfall der Anfechtungsklage nach § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO. Weil somit eine vergleichbare Interessenlage vorliegt und eine planwidrige Regelungslücke besteht, ist die analoge Anwendung der Norm geboten.


III. Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO analog)

(+), nach Adressatentheorie.


IV. Vorverfahren (§ 68 VwGO)

Ob Vorverfahren bei Erledigung vor Eintritt der Bestandskraft nötig ist, ist umstritten. Vorverfahren kann in diesem Fall jedoch seine wesentlichen Funktionen (Aufhebung des VA und aufschiebende Wirkung) nicht erfüllen. FFK nicht nötig, wenn wie hier die Erledigung schon vor Ablauf der Fristen für das Vorverfahren eingetreten ist. Daher ist Durchführung eines Vorverfahrens bei Erledigung vor Ablauf der Widerspruchsfrist keine Zulässigkeitsvoraussetzung der FFK nach § 113 Abs. 1 S. 4 analog. Hier galt Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO, die vor Erwachsen des Kostenbescheids in Bestandskraft Anfang März eintrat.


V. Frist

Anwendbarkeit des § 74 VwGO auf die FFK ist abzulehnen. Es genügt der Rückgriff auf das Institut der Verwirkung.


VI. Fortsetzungsfeststellungsinteresse (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analog)

1. Feststellungsinteresse wegen anhängigen Disziplinarverfahrens

(-), da für dieses Verfahren allein der spezifische strafrechtliche Rechtswidrigkeitsbegriff in § 113 StGB ausschlaggebend ist. Dieser kann durchaus zu anderen Ergebnissen als eine verwaltungsrechtliche Beurteilung führen.


2. Rehabilitationsinteresse

(+), da ein Eingriff in das durch Art. 2 Abs. 2 GG geschützte Grundrecht der persönlichen Freiheit vorlag. Ein solcher Eingriff ist jedenfalls dann, wenn er – wie im vorliegenden Fall – von Dritten wahrgenommen werden kann, geeignet, das Ansehen des von der Maßnahme Betroffenen in der Öffentlichkeit herabzusetzen und ein Interesse an Rehabilitierung zu begründen.


3. Feststellungsinteresse wegen tiefgreifenden Grundrechtseingriffs

(+), wegen Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG, da ohne nachträgliche Überprüfung kein anderweitiger Rechtsschutz gegen den mit der sich kurzfristig erledigenden Maßnahme verbundenen Grundrechtseingriff zu erlangen wäre.


4. Ergebnis zu VI.

(+), Schlag hat berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme in mehrfacher Hinsicht.


VII. Passive Prozessführungsbefugnis (§ 78 VwGO)

Klage gegen das Land Berlin als Behördenträger (§ 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).


VIII. Beteiligtenfähigkeit (§ 61 VwGO)

Kläger als natürliche Person nach § 61 Nr. 1 Var. 1 VwGO beteiligtenfähig, Land Berlin nach § 61 Nr. 1 Var. 2 VwGO.


IX. Prozessfähigkeit (§ 62 VwGO)

Schlag gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 1 VwGO, für das Land Berlin handelt nach § 62 Abs. 3 VwGO der gesetzliche Vertreter.


X. Ergebnis zu A.

Die Klage ist somit zulässig.


B. Begründetheit

Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist nach § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analog begründet, wenn die Anordnung der Ingewahrsamnahme rechtswidrig war und Schlag in seinen Rechten verletzte.


I. Rechtsgrundlage für die Ingewahrsamnahme

Als Rechtsgrundlage kommt nur § 20 Abs, 1 Nr. 2 ASOG in Betracht, der insbesondere nicht durch § 29a ASOG verdrängt wird, da dieser nicht dem Schutz des „Gewalttäters“ vor Maßnahmen der Polizei dient, die – wie eine Ingewahrsamnahme nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 ASOG – über die Wohnungsverweisung hinausgehen.

Daher: § 30 Abs. 1 Nr. 2 ASOG.


II. Formelle Rechtmäßigkeit

Zuständigkeit: § 4 Abs. 2 AZG, §§ 2 Abs. 3 ASOG, 4 Abs. 1 S. 1 , 30 Abs. 1 ASOG => Polizei, also die Polizeipräsidentin in Berlin.

Aber: Richtervorbehalt, § 31 Abs. 1 S. 1 ASOG. Da der Notdienst ausnahmsweise nicht besetzt war, war dies aber entbehrlich; auch im Übrigen Verfahren und Form in Ordnung.


III. Materielle Rechtmäßigkeit

1. Tatbestandsvoraussetzungen

Begehung einer Straftat muss unmittelbar bevorgestanden haben.

Schlag hat ausdrücklich erklärt, er könne mit seiner Frau machen, was er wolle. Angesichts dessen konnten die Polizisten nur davon ausgehen, dass Schlag den Tatbestand der Körperverletzung gemäß § 223 StGB gegenüber seiner Ehefrau verwirklichen würde. Es kommt auf eine Betrachtung ex ante aus Sicht eines vernünftigen Polizeibeamten an. Dieser musste davon ausgehen, dass Schlag seine Frau an der Gesundheit schädigen würde. => Straftat (+)

Unmittelbar bevorstehend (+): Hier lag es nahe, dass Schlag seine Ehefrau, die kurz zuvor die Wohnung verlassen hatte, um die Polizei zu alarmieren, bei ihrer Rückkehr wiederum angegriffen hätte. Dafür spricht auch seine drohende Geste.


2. Ordnungsgemäße Ermessensausübung

Ordnungsgemäße Ermessensausübung, insb. Unerlässlichkeit (+): die Begehung einer Straftat durch Schlag hätte nicht auf andere Art abgewendet werden können, insbesondere stellt anderweitige Unterbringung der Ehefrau mitten in der Nacht kein milderes Mittel dar, und den Beamten wäre es auch nicht zuzumuten gewesen, die Ehefrau durch eigenes Verbleiben in der Wohnung zu schützen; Wohnungsverweisung nach § 29a ASOG wäre nicht gleich effektiv gewesen. Vielmehr wäre ein Nichthandeln ermessenswidrig gewesen; Fall der Reduzierung des Ermessens „auf Null“.


IV. Ergebnis zu B.

Die Anordnung der Ingewahrsamnahme war insgesamt rechtmäßig und verletzte Schlag nicht in seinen Rechten. Die Klage ist somit unbegründet.


C. Ergebnis des ersten Teils

Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist demnach zwar zulässig, jedoch unbegründet und hat damit keine Aussicht auf Erfolg.

 

Zweiter Teil: Klage gegen die Durchsetzung der Ingewahrsamnahme

Die Klage gegen die Art und Weise der Durchsetzung der Ingewahrsamnahme hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.


A. Zulässigkeit

I. Verwaltungsrechtsweg (§ 40 VwGO)

Streitentscheidende Normen: Zwangsvollstreckungsrecht, §§ 6, 9, 12 ff. VwVG i.Vm. §§ 1 Abs. 1, 4 UZwG Bln, § 8 Abs. 1 S. 1 VwVfG Bln => Verwaltungsrechtsweg (+)


II. Statthafte Klageart

Durchführung der Ingewahrsamnahme selbst ist Realakt, daher allgemeine Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO statthaft. Streitiges Rechtsverhältnis ist die Frage, ob die Beamten berechtigt waren, die konkret angewandten Maßnahmen zu ergreifen.


III. Feststellungsinteresse (§ 43 Abs. 1 VwGO)

(+), parallel zum zur Anordnung der Ingewahrsamnahme Gesagten, ergibt sich das Feststellungsinteresse sowohl aus Rehabilitationsgesichtspunkten als auch aus der Intensität des Grundrechtseingriffs.


IV. Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO analog)

(+), umstr., ob § 42 Abs. 2 VwGO Anwendung findet; weil aber durch die Anwendung unmittelbaren Zwangs als belastende Maßnahme Möglichkeit der Verletzung der Grundrechte des Schlag besteht, kann Entscheidung dahinstehen.


V. Passive Prozessführungsbefugnis

§ 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO findet keine Anwendung; nach Rechtsträgerprinzip ist Klage gegen das Land Berlin zu richten.


VI. Beteiligtenfähigkeit (§ 61 Nr. 1 VwGO)

Schlag als natürliche Person nach § 61 Nr. 1 Var. 1 VwGO, das Land Berlin als juristische Person nach§ 61 Nr. 1 Var. 2 VwGO.


VII. Ergebnis zu A.

Die Klage ist somit zulässig.


B. Begründetheit

Die Feststellungsklage ist begründet, wenn die Polizeibeamten die Ingewahrsamnahme nicht, oder nicht wie geschehen, hätten durchsetzen dürfen.


I. Allgemeine Vollstreckungsvoraussetzungen

Zuständigkeit: § 7 Abs. 1 VwVG (+)

Anordnung der Ingewahrsamnahme ist ein Verwaltungsakt i.S.d. § 35 S. 1 VwVfG. Dieser Verwaltungsakt ist zumindest auf Duldung der Ingewahrsamnahme gerichtet, aber wohl auch auf eine Handlung, nämlich das Mitkommen zur Wache.

Ein Rechtsbehelf gegen die Ingewahrsamnahme hätte nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VwGO keine aufschiebende Wirkung, sodass die Anordnung gem. § 6 Abs. 1 VwVG vollziehbar war.


II. Besondere Vollstreckungsvoraussetzungen

Die Anwendung unmittelbaren Zwangs ist grundsätzlich zulässiges Zwangsmittel (§ 9 Abs. 1 lit. c) VwVG).

Die Anwendung anderer Zwangsmittel (Zwangsgeld, Ersatzvornahme) kam nicht in Betracht (§§ 12, 9 Abs. 2 S. 2 VwVG).

Von der vorherigen Androhung des Zwangsmittels (§ 13 Abs. 1 S. 1 VwVG) konnte abgesehen werden, weil die Verwirklichung eines Straftatbestandes drohte (vgl. § 13 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 6 Abs. 2 VwVG).


III. Rechtmäßigkeit der Art und Weise der Anwendung unmittelbaren Zwangs

Der Behörde stand hinsichtlich der Art und Weise der Anwendung unmittelbaren Zwangs Ermessen zu (s. § 15 Abs. 2 S. 1 VwVG). Grenzen des Ermessens waren zu beachten, insb. Verhältnismäßigkeit. Maßnahme der Polizei war geeignet, unmittelbar bevorstehende Gefahr der Körperverletzung abzuwehren, ein legitimes Ziel. Milderes Mittel kam nicht in Betracht: Handfesseln waren dem sich wehrenden Schlag anzulegen und der Bademantel mag zwar den Achtungsanspruch beeinträchtigt haben, war jedoch zum zügigen Verbringen vonnöten. Maßnahmen auch nicht unangemessen.

=> (+), Ermessen korrekt ausgeübt.


IV. Ergebnis zu B.

Die Anwendung unmittelbaren Zwangs war daher rechtmäßig, sodass auch die Feststellungsklage Schlags unbegründet ist.


C. Ergebnis des zweiten Teils

Auch die Feststellungsklage ist demnach zwar zulässig, jedoch unbegründet und hat damit keine Aussicht auf Erfolg.

 

Dritter Teil: Gesamtergebnis und Zulässigkeit einer Klagehäufung

Beide Klagen sind unbegründet und haben keine Aussicht auf Erfolg.

Über beide Begehren kann das Gericht in einem gemeinsamen Verfahren entscheiden, weil insoweit eine objektive Klagehäufung nach § 44 VwGO zulässig ist.


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© Klaus Grupp (Universität des Saarlandes) und Ulrich Stelkens (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer)

Bearbeitung für Hauptstadtfälle: Dominik Steiger, Jannik Bach
Stand der Bearbeitung: Juni 2018