Chefsache I (Sachverhalt)
© Klaus Grupp (Universität des Saarlandes) und Ulrich Stelkens (Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer)
Bearbeitung für Hauptstadtfälle: Jan-Peter Wiepert; Moritz Funke Stand der Bearbeitung: Mai 2023 |
Die kurz auf den Tod des Bundeskanzlers Buhl folgenden Wahlen zum Deutschen Bundestag ergaben nach einem mit bisher nicht gekannter Heftigkeit geführten Wahlkampf folgende Verteilung der 600 Sitze:
Christlich-Liberale Partei (CLP): 274
Sozialistische Partei (SP): 263
Freiheitliche Moralpartei (FMP): 31
DIE BUNTEN: 32
Dies ermöglichte zwar eine Fortsetzung der bisherigen Koalition zwischen der CLP und der FMP, aber die Mehrheit von 305 Stimmen erschien recht gering, um die anstehenden schwierigen Probleme zu lösen. Eine große Koalition zwischen der CLP sowie der SP war jedoch wegen der unüberbrückbaren politischen Gegensätze zwischen diesen beiden Parteien ausgeschlossen, und DIE BUNTEN hatten bereits während des Wahlkampfes erklärt, sie würden mit keiner der drei etablierten Parteien ein Regierungsbündnis eingehen, sondern allenfalls in Einzelfragen mit ihnen stimmen und ansonsten fundamental-realistische Opposition zur konsequenten Durchsetzung der von ihnen verfolgten Ziele betreiben. Angesichts dessen traten die CLP und die FMP in Koalitionsverhandlungen ein, die aber alsbald scheiterten, weil die CLP erneut Bundesminister Dagobert Rumsweg für das Amt des Verteidigungsministers nominierte, der von der FMP – insbesondere durch den von der Abgeordneten Stillhüttler-Krächzentaler geführten Parteiflügel – als „verteidigungspolitischer Brandstifter“ unnachgiebig abgelehnt wurde.
In dieser Situation schaltete sich Bundespräsident Prächtlein die Gespräche zwischen den Parteien ein, weil sich nach seiner Ansicht eine Minderheitsregierung schon nach wenigen Wochen als handlungsunfähig erweisen würde. Auf sein Drängen erklärte die Verhandlungskommission der CLP schließlich den Verzicht auf das Verteidigungsministerium und bot es der FMP an, die sich damit einverstanden erklärte, als der Bundespräsident ihrem Vorsitzenden Osterwoge versicherte, er werde alles in seiner Macht Stehende tun, um die CLP zur Einhaltung dieser Zusage zu bewegen. Daraufhin einigten sich die Kommissionen der CLP und der FMP über ein Regierungsprogramm und die Besetzung der Ministerposten; Osterwoge sollte hiernach das Verteidigungsministerium übernehmen.
Nunmehr wurde die Kandidatin der CLP, Margit Gräfin von Eisen, vom Bundestag auf Vorschlag von Bundespräsident Prächtle im ersten Wahlgang mit 305 gegen 295 Stimmen zur Bundeskanzlerin gewählt. Einen Tag nach ihrer Ernennung schlug die Bundeskanzlerin dem Bundespräsidenten entgegen der getroffenen Vereinbarung Rumsweg zur Ernennung zum Verteidigungsminister vor; Osterwoge sollte Wirtschaftsminister werden. Zur Begründung erklärte sie dem Bundespräsidenten, die Fraktion der CLP habe beschlossen, ihr das Vertrauen zu entziehen, wenn sie Rumsweg nicht das Verteidigungsministerium übertrage, so dass sie ohne diesen nicht regieren könne. Wenn sich die FMP damit nicht abfinden könne, stehe es ihr ja frei, aus der Koalition mit ihrer Partei auszuscheiden und zusammen mit der SP und den BUNTEN einen anderen Kanzler, z. B. den SP-Vorsitzenden Bernd Bussi, zu wählen. Sie sei allerdings überzeugt, dass DIE BUNTEN hierbei nicht mitwirken würden; notfalls müsse sie ihr Amt als Minderheitskanzlerin, gestützt auf die 274 Stimmen ihrer Fraktion, ausüben.
Bundespräsident Prächtle ist über das Verhalten der Bundeskanzlerin empört. Er meint, diese habe die Koalitionsvereinbarung und damit die entscheidende Bedingung verletzt, unter der er sie dem Bundestag zur Wahl vorgeschlagen habe. Deshalb lehnt er die Ernennung Rumswegs ab und fordert Gräfin von Eisen auf, ihm für das Amt des Verteidigungsministers einen Kandidaten vorzuschlagen, der auch die Billigung der FMP finde. Gräfin von Eisenvertritt vertritt indessen die Auffassung, Bundespräsident Prächtle sei verpflichtet, die von ihr als Bundeskanzlerin vorgeschlagenen Minister ohne Widerspruch und Zögern zu ernennen, hält daher an Rumsweg fest und beantragt drei Tage später beim BVerfG festzustellen, dass der Bundespräsident durch die Nichternennung Rumswegs gegen das Grundgesetz verstoßen habe, was sie unter Nennung der einschlägigen Vorschriften ausführlich begründet.
Frage 1: Wie wird das BVerfG entscheiden?
Frage 2: Wie wäre es, wenn der Bundespräsident von dem Vorhaben Gräfin von Eisens, Rumsweg zum Bundesverteidigungsminister zu berufen, nach ihrer Wahl durch den Bundestag, aber vor ihrer Ernennung nach Art. 63 Abs. 2 Satz 2 GG erfährt, sich daraufhin weigert, Gräfin von Eisen zur Bundeskanzlerin zu ernennen, und nunmehr Gräfin von Eisen beim BVerfG beantragt, festzustellen, dass der Bundespräsident durch die Nichternennung ihrer Person zur Bundeskanzlerin gegen das Grundgesetz verstoßen habe?
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