Besuch bei einer Londoner Strafverteidigerin - Beitrag von Jolanda Rose
Jan 03, 2018
Anfang November hatte ich das Glück, die Strafverteidigerin Soraya Lawrence in London zu besuchen und sie zu Gericht sowie in einige Gebäude der öffentlich nicht zugänglichen Londoner „Inns of Court“ zu begleiten.
Tag 1 bei Gericht in Luton
Am ersten Tag begleitete ich sie zu einem Gerichtstermin am Gericht von Luton (nördlich von London). Dort begann der Tag mit einer für mich zugegebenermaßen erstmal sehr befremdlichen Handlung. Alle Anwälte kamen herein und legten sich ihre Perücken und Gewänder an. In England ist es bei Gericht noch immer üblich, sich in Robe und Perücke (Wig and Gown) zu kleiden. Die Richter haben eine etwas andere, feinere Perücke auf als Anwälte und Staatsanwälte. Roben kannte ich durchaus schon vom deutschen Gerichtsalltag, aber das Tragen der Perücken war für mich neu und durchaus amüsant. Natürlich wurde ich nach der Gerichtsverhandlung von Soraya genötigt, selbst in ein derartiges „Anwaltskostüm“ zu schlüpfen (siehe Bild 3, 4).
Danach konnte ich bei der geschlossenen Verhandlung dabei sein, die dort durch das Jury System anders abläuft. Es gibt eine Vorverhandlung, in der die Staatsanwaltschaft und die Verteidiger den Fall diskutieren. Dabei vermittelt der Richter und entscheidet am Ende, ob der Fall der Jury zur Beurteilung vorgestellt wird.
Royal Courts of Justice and the Inns of Court
Nach der Verhandlung sind wir zu den „Inns of Court“ gegangen und Soraya hat mir einige Fakten über die Organisation der Anwaltskammer erläutert. Wir haben einige Gebäude und Bibliotheken besichtigt und anschließend beim „Lunch in Hall“ in der Middle Temple Hall Mittag gegessen (siehe Bild 5). Der „Middle Temple“ ist einer der vier Anwaltskammern. Früher war es üblich, dass die Anwärter während ihrer Ausbildung zum „Barrister” in den Gebäuden der Anwaltskammern gelebt haben. Während dieser Zeit sollten sie dort Mittag und Abend essen. Noch heute ist ein Teil dieser Tradition erhalten geblieben. Vor dem „Call to the Bar“, der offiziellen Zeremonie, in der ein Anwärter zum Barrister ernannt wird, muss man eine gewisse Anzahl von Dinnern dort einnehmen.
Im Royal Court of Justice (siehe Bild 6) haben wir uns ein paar Strafgerichtsverhandlungen angehört. Es war eine tolle Erfahrung, einmal in solch historischer Atmosphäre bei Verhandlungen dabei zu sein.
In der „Lincoln’s Inn Library“ (siehe Bild 7) haben wir anschließend wichtige Rechtsprechungsdokumente für den zweiten Tag der Verhandlung herausgesucht.
Tag 2 bei Gericht in Luton
Am zweiten Tag wurde weiterhin die Beweisaufnahme geführt. Verschiedene Zeugen wurden gehört, noch immer unter Ausschluss der Jury. Anders als in vielen deutschen Gerichten saßen die Angeklagten hinter einer Glaswand hinter der Gruppe von Strafverteidigern und den Staatsanwälten. Die Verhandlung wurde nach der Beweisaufnahme für den Tag geschlossen.
In einem anderen Post werde ich näher auf das Verfahren und die juristischen Fragen, die sich dabei gestellt haben, eingehen.
Fun Facts about the Judicial System in the UK
#1 The Inns of Court
…werden die vier englischen Anwaltskammern genannt. Um als Anwalt vor Gericht plädieren zu dürfen, muss man einer dieser Kammern angehören. Die Hauptgebäude der Kammern befinden sich seit dem 14. Jahrhundert in der Nähe der Royal Courts of Justice. Die Kammern haben eine kontrollierende und disziplinarische Funktion. Um in eine dieser Kammern aufgenommen zu werden, muss man mehrere Prüfungen ablegen und Trainings durchlaufen. Voraussetzungen für die Bewerbung sind entweder ein abgeschlossenes Jurastudium oder ein sogenannter „Law Conversion Course“, den man nach einer anderen universitären Ausbildung absolvieren kann. Hat man alle Voraussetzungen erfüllt, kann man als „Barrister“ vor Gericht tätig werden. Eine Besonderheit gegenüber dem deutschen System ist, dass man nicht separat vom Anwaltsberuf eine Richterlaufbahn einschlagen kann. Um Richter zu werden, muss man mindestens zehn Jahre lang Barrister gewesen sein.
#2 Prosecutor = Defense Lawyer
Anders als im deutschen System sind auch die Berufe des Staatsanwalts und des Strafverteidigers bzw. Rechtsanwalts nicht getrennt. Als Barrister ist man Teil einer Anwaltskammer und kann beide Funktionen ausüben. So muss man sich nicht für eine der beiden Laufbahnen entscheiden und kennt beide Seiten der Arbeit vor Gericht.
#3 Jury System
In englischen Gerichten übernehmen die Richter durch das Jury System andere Rollen als in Deutschland. Sie entscheiden am Ende nicht über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten, vielmehr führen sie durch das Verfahren und entscheiden nur darüber, ob die Beweislage ausreicht, um den Fall einer Jury zu präsentieren. Am Ende entscheidet dann die Jury über das Schicksal des Angeklagten. Die Jury setzt sich aus zwölf englischen Bürgern zusammen. Diese dürfen nicht vorbestraft und nicht minderjährig sein. Ansonsten werden sie zufällig ausgelost und sollen einen Querschnitt der Gesellschaft darstellen. Früher wurden juristisch tätige Personen von der Juryarbeit ausgeschlossen. Heutzutage können auch sie zum “public service” geladen werden.
Interview mit Soraya Lawrence
Jolanda Rose: What has been your hardest case so far?
Soraya Lawrence: A 16-year-old, who had never been in trouble was accused of being part of a group who stabbed somebody. As far as I know, he was just there by accident. I could not sleep for many nights because I was so determined to find an argument that would stop the case. In the end, I got there by submitting a “no case to answer” at the end of the prosecution phase. There was hardly enough evidence for it to go to the Jury. So, I succeeded and the case stopped. However just for my client and one other defendant. The other nine defendants have been convicted. They were all very young. It is useless to go on about whether it makes sense to send people to prison at such a young age.
Jolanda Rose: What has been your funniest case?
Soraya Lawrence: In Englisch Law one can refuse testimony in front of the jury due to “Mute by malice or by visitation of God”. In the end of one trial I did, the jury decided my client was mute “by visitation of God”. After the trial was over, the judge told me “I think your client wants to talk to you”. We both laughed. I never would have guessed that the jury would decide that way.
Jolanda Rose: What are the pros of the jury system?
Soraya Lawrence: With a jury system, not one person who has been mostly in a courtroom for the last years will decide. However, rather ordinary people with their different „everyday experience“ get to decide. For that reason, there is less prejudice. It is much more difficult to influence the outcome (verdict) with twelve people. It is no coincidence that in magistrate’s court, where is no jury, about 98 percent of defendants get convicted.