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Erfahrungsbericht des FU-Teams im Helga Pedersen Moot Court 2023/2024

In den letzten Monaten hat unser Team für die Freie Universität am Helga Pedersen Moot Court (HPMC) teilgenommen. Der HPMC simuliert ein Individualbeschwerdeverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Der Wettbewerb hat sich seit der ersten Auflage zum weltweit erfolgreichsten Menschenrechts-Moot-Court entwickelt. Teams aus allen Mitgliedstaaten des Europarats nehmen inzwischen hieran teil.

Dieses Jahr drehte sich der Fall um komplexe rechtliche Fragen der Reichweite von Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit sowie der von Manchen beklagten Einflussnahme von „Cancel Culture“ auf den wissenschaftlichen Diskurs. Es war unsere Aufgabe, Partei zu ergreifen: Für den Beschwerdeführer (Applicant) mussten wir Eingriffe in seine Meinungs- und Gleichheitsrechte nachweisen, während wir als Anwält:innen des beklagten Staates (Respondent) diese Eingriffe rechtfertigen mussten. Wie für Moot Courts üblich, teilt sich auch der HPMC in zwei Phasen. In der ersten Phase verfassten wir für beide Streitparteien Schriftsätze an den EGMR. In der zweiten Phase plädierten wir in Dublin in simulierten Verhandlungen gegen Teams anderer Universitäten. Auch hier haben wir einmal den Applicant und einmal den Respondent vertreten.

Schriftsatzphase: September – Dezember 2023

Ganz zu Beginn war die größte Herausforderung wie eine Anwältin zu denken. Anders als bisher im Studium gelernt, werden wir im Moot Court nicht dafür belohnt, die „richtige“, sondern die für unseren Mandanten günstigste Meinung zu vertreten. Durch diese gänzlich unterschiedliche Herangehensweise verschiebt sich auch die Perspektive auf die Problemschwerpunkte des Sachverhalts. Um uns hierauf möglichst gut vorzubereiten, organisierte die FU eine Veranstaltung mit Rechtsanwalt Stefan von Raumer, der uns die Voraussetzungen der Individualbeschwerde anhand von selbst geführten Beschwerdeverfahren veranschaulichen konnte.

Als nächstes galt es, durch intensive Recherche in möglichst kurzer Zeit Expert:innen für die relevanten Fragen unseres Falls zu werden. Hilfreich war dabei eine spezielle Rechercheschulung der rechtswissenschaftlichen Bibliothek der FU. Im Anschluss mussten wir das Wissen praxisnah und pointiert anwenden, immer darauf bedacht, nicht nur rechtliche Argumente vorzubringen, sondern den Richter:innen ein überzeugendes Narrativ zu präsentieren. Anstatt das Team auf die Parteien zu verteilen, entschieden wir uns, die Perspektive immer wieder zu wechseln. Das machte uns flexibler und ermöglichte uns, die Stärke der verschiedenen Argumente besser einzuschätzen. Während beispielsweise unser Applicant in der „um sich greifenden Cancel Culture“ eine Gefahr für den freien wissenschaftlichen Diskurs sah, zeichnete der Respondent das Bild eines Angriffs auf die Grundfesten unserer Demokratie, der mit rechtsstaatlichen Mitteln gestoppt werden müsse. 

Wie wichtig das planvolle „Framing“ eines verfassungsrechtlichen Sachverhalts ist, haben wir neben vielen anderen Dingen von der Gesellschaft für Freiheitsrechte lernen können, die wir im November 2023 besuchen konnten. Mit der Abgabe der Schriftsätze kurz vor Weihnachten konnte unser Team dann den ersten großen Erfolg feiern.

Probepleadings: Januar – Februar 2024

Im Januar 2024 begannen wir auf der Grundlage unserer Schriftsätze mit der Erarbeitung unserer mündlichen Plädoyers (Pleadings) für die anstehende Regionalrunde des Wettbewerbs. Allerdings mussten wir feststellen, dass ein gut geschriebener Text sich nicht automatisch zum Vorlesen eignet. Also haben wir experimentiert, Argumente verändert und umgestellt, bis wir unsere Ansichten in nur 35 Minuten möglichst überzeugend darstellen konnten. 

Neben den internen Pleadings mit unserem Coach erklärten sich auch viele externe Richter:innen bereit, mit uns den Ernstfall zu proben. An der Fakultät haben wir mit unserem Schirmherren Professor Christian Calliess, Professor Helmut Aust zusammen mit Dr. Prisca Feihle und Dr. Ihor Zeman (University of Lviv) und mit Professor Torben Ellerbrok proben können. Außerdem besuchten wir die Kanzlei Redeker Sellner Dahs. Dort empfingen uns die Rechtsanwält:innen Dr. Christian Johann, Susanna Barthmann und Vera Schürmann. Unsere Generalprobe absolvierten wir vor Richter:innen des Gemeinsamen Juristischen Prüfungsamts der Länder Berlin und Brandenburg. Dort leiteten Richter am Kammergericht Dr. Hendrik Maroldt, Richterin am Landgericht Dr. Felicitas Berning und Richter am Amtsgericht Marc Steinecke die Verhandlung. Die vielen Probepleadings haben unser rhetorisches Geschick, den Umgang mit kritischen Fragen und unser Zeitmanagement enorm verbessert. Diese arbeitsintensive Phase hat sich daher auch über den Wettbewerb hinaus für uns gelohnt. 

Regionalrunde in Dublin: 23. – 25. Februar 2024

Die Ergebnisse unserer Vorbereitung konnten wir bei der Regionalrunde in Dublin Ende Februar präsentieren. Über zwei Tage verteilt durften 21 Teams jeweils einmal für Applicant und Respondent vor drei Richter:innen plädieren. Während der gesamten Verhandlung durften die Richter:innen jederzeit unterbrechen und Nachfragen stellen, wodurch die Vortragenden die Gelegenheit bekamen, ihre Kenntnis des Falls und der EMRK sowie ihr juristisches Geschick unter Beweis zu stellen. Es war eine besonders bereichernde Erfahrung, sich in unseren Pleadings mit den Argumenten und Perspektiven anderer Teams auseinanderzusetzen.

Begleitet wurde das Wettbewerbswochenende von diversen Social Events, die ELSA Ireland organisierte. Nach der Eröffnungszeremonie am Freitag fanden diverse Kennenlernspiele statt. Jeden Abend gab es zudem ein gemeinsames Abendessen in einem der traditionellen Pubs, bei dem sich die Teams weiter kennenlernen und austauschen konnten. Über die Tage verteilt knüpften wir so viele Kontakte mit den Teilnehmenden aus anderen Ländern. Am letzten Abend wurden die Preise für das Gewinner-Team und den „Best Orator“ verliehen. Die Zeremonie endete in einem schönen Abschlussabend und einer ausgelassenen Party für alle Teilnehmenden. Unser Team blieb noch einige Tage länger in Dublin, in denen wir viel von der Stadt gesehen haben und einen Ausflug in die nahegelegenen Wicklow Mountains machten.

Der Weg von Dublin nach Straßburg

Der krönende Abschluss erwartete uns nach unserer Rückkehr: Aufgrund der guten Bewertung unserer Schriftsätze und unserer Leistungen in Dublin haben wir uns für das HPMC-Finale in Straßburg qualifiziert. Nachdem wir uns hierüber sehr gefreut haben, nutzten wir die nächsten Wochen, um uns intensiv auf Straßburg vorzubereiten. 

Durch unsere Erfahrungen in Dublin und neue Probeverhandlungen merkten wir, dass selbst nach mehreren Monaten intensiver Beschäftigung neue Erkenntnisse und neue Argumente aus dem Fall gewonnen werden konnten. Zahlreiche interne Proben, aber vor allem die Verhandlungen mit externen Richter:innen ermöglichten es uns, diese inhaltlichen Änderungen zu erproben und stilistisch zu verfeinern. So besuchten wir die Kanzlei pswp, in der wir uns mit Rechtsanwalt Dr. Justus Quecke in Richterrolle über den Fall austauschten und dabei wertvolles Feedback für die weitere Arbeit sammelten. Kurz vor unserer Reise nach Straßburg besuchten wir Herrn Prof. Dr. Matthias Dombert in seiner Kanzlei in Potsdam, was auch im gleichen Zuge als Generalprobe diente. Diese intensive wie auch aufregende Zeit gab uns die Möglichkeit, unseren Pleadings den letzten Schliff vor der Finalrunde zu verleihen.

Finalrunde in Straßburg: 27. – 31. Mai 2024

Früh morgens am 27. Mai ging es schließlich für uns als eines von 18 qualifizierten Teams zur Finalrunde nach Straßburg. Zu Beginn der Finalrunde, die in den Räumlichkeiten des Europarates stattfand, war zunächst eine nochmalige “Vorrunde” vorgesehen, in der alle Teams einmal den Applicant und den Respondent vertreten durften. Für uns ging es dabei zunächst als Vertreter*innen des Respondents gegen das Team aus Utrecht und am Folgetag als Vertreter*innen des Applicants gegen das Team aus Madrid. Dabei merkten wir, dass im Vergleich zu Dublin die Teams deutlich häufiger unterbrochen wurden und die Fragen der Richterbank herausfordernder waren. Unsere Gegnerteams erwiesen sich ebenfalls als sehr gut vorbereitet.

Im Ergebnis der Vorrunde konnten wir uns leider nicht für das Viertelfinale qualifizieren. Im Anschluss bekamen wir aber die Gelegenheit, die restlichen Runden der anderen Teams anzuschauen. Hierbei war es besonders interessant, die Ähnlichkeiten, aber auch Unterschiede in den Herangehensweisen anderer Teams zu beobachten. 

Das große Finale fand am letzten Wettbewerbstag, dem 31. Mai, statt. Diesmal nicht mehr in den Räumlichkeiten des Europarates, sondern in einem der Verhandlungssäle des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte selbst. Die Richterbank war mit nunmehr 9 Richter*innen voll besetzt, wobei einige von ihnen tatsächlich als Richter*innen am EGMR tätig sind. Dieses Jahr traten im Finale die Teams Maastricht und Birmingham gegeneinander an. Die Richter*innen hielten sich dabei mit den Fragen nicht zurück und stiegen in vertiefte und spannende Diskussionen mit den jeweiligen Seiten ein. 

Schlussendlich konnte das Team aus Birmingham die Richterbank mit ihren Argumenten für den Applicant mehr überzeugen und wurde somit hochverdient zum Gewinner des gesamten Wettbewerbes gekürt.

Straßburg Social

Wie bereits in Dublin sorgte das Organisationsteam für ein abwechslungsreiches soziales Programm während der Wettbewerbswoche: Bei täglichen gemeinsamen Lunchs in der Kantine des Europarates hatten die Teams bereits tagsüber Gelegenheit, miteinander ins Gespräch zu kommen, Kontakte zu knüpfen und sich auszutauschen. Die Abende in Straßburg boten uns auch die Gelegenheit, verschiedene Teile der Stadt kennenzulernen und insbesondere mit den politischen Institutionen Straßburgs in Berührung zu kommen. 

So fand die Eröffnungsfeier im Rahmen eines Empfangs bei der niederländischen Vertretung statt, bei welcher viele Teams mit Vertreter*innen ihrer jeweiligen Länder in Kontakt treten konnten. Für die Verkündung der Ergebnisse nach der Vorauswahl wurden alle Teams im Straßburger Rathaus herzlich empfangen und von Vertreter*innen der Stadt begrüßt. Die Abschlusszeremonie mit der Verkündung der Auszeichnungen und Preise fand im Anschluss an das Finale im Gerichtssaal statt und fand seinen Ausklang in der EGMR-Kantine. 

Für die restlichen Abende waren gemeinsame Abendessen für alle Teams in der Innenstadt geplant, bei denen wir nicht nur das gastronomische Angebot der Region, sondern vor allen Dingen viele Teams und ihre Coaches näher kennenlernen konnten. Dabei kamen wir in regen Austausch über unsere Beschäftigung mit dem Moot Court, Teamarbeit und Falllösungsstrategien, und haben viele Bekanntschaften mit Studierenden aus ganz Europa geschlossen.

Lange Nacht der Wissenschaften

Am 22. Juni veranstalteten wir im Rahmen der Langen Nacht der Wissenschaften an der Freien Universität eine letzte Vortragsrunde. Hier spielten wir die erlebten mündlichen Verhandlungen nach und kamen anschließend mit den Zuschauer*innen ins Gespräch, um deren Meinung zum Fall und den vorgebrachten Argumenten zu hören. Zum Ausklang unserer monatelangen intensiven Auseinandersetzung mit der EMRK und unserem Fall war es sehr erfreulich zu sehen, dass die aufgeworfenen Fragen auch außerhalb des Wettbewerbs auf Resonanz und reges Interesse stießen.

Vielen Dank!

Mit diesem Rückblick auf die erlebnisreichen letzten Monate möchten wir uns als Team verabschieden und uns nochmals herzlich bei all denen bedanken, die uns auf diesem Weg begleitet und mit Rat und Tat unterstützt haben.

Unser ganz besonderer Dank gilt unserem Coach Mattis Leson – seine unermüdliche Unterstützung und andauerndes Engagement während des gesamten Wettbewerbs war für uns schlichtweg unentbehrlich und hat wesentlich dazu beigetragen, dass wir auch in den anstrengendsten Phasen nicht nur immer wieder motiviert und als Team vorankommen konnten, sondern dabei auch Spaß hatten. Gleichfalls möchten wir uns herzlichst bei dem Lehrstuhl von Professor Calliess bedanken, unter dessen Schirmherrschaft die Teilnahme am Wettbewerb überhaupt erst ermöglicht wurde. Ein großer Dank gilt auch FPS Law und White & Case. Durch die großzügigen Spenden der beiden Kanzleien konnten wir sämtliche Reisekosten finanzieren.

Bewerbung für die 13. Edition des HPMCC 2024

In diesem Sinne ist eine Teilnahme am Helga Pedersen Moot Court eine spannende und sehr vielfältige Erfahrung, die wir nur weiterempfehlen können! Daher möchten wir alle Interessierten zuletzt auf die Möglichkeit hinweisen, sich bis zum 31. Juli 2024 für das Team der Freien Universität in der kommenden 13. Auflage des HPMCC zu bewerben. Weitere Informationen dazu finden sich auf der Lehrstuhl-Webseite.