Freudenhaus (Kurzlösung)
A) Zulässigkeit
Die Klage ist zulässig, wenn die Sachurteilsvoraussetzungen der §§ 40 ff. VwGO erfüllt sind.
I. Verwaltungsrechtsweg (§ 40 VwGO)
Streitentscheidende Norm: § 80 S. 1 BauO Bln (Beseitigungsverfügung)
II. Statthafte Klageart
Schandowsky richtet sich gegen eine Beseitigungsverfügung; diese ist ein Verwaltungsakt => Anfechtungsklage, § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO
III. Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO)
Bei der Anfechtungsklage des Adressaten immer zumindest Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG möglich (sog. Adressatentheorie)
IV. Vorverfahren (§ 68 VwGO)
(+), form- und fristgerecht durchgeführt
V. Passive Prozessführungsbefugnis (§ 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO)
(+), nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO gegen Land Berlin als Behördenträger
VI. Beteiligtenfähigkeit (§ 61 VwGO)
(+), beide nach § 61 Nr. 1 VwGO
VII. Prozessfähigkeit (§62 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 VwGO)
(+), Kläger nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 VwGO, für Land Berlin handelt gem. § 62 Abs. 3 VwGO der gesetzliche Vertreter
VIII. Ergebnis zu A
Klage ist zulässig
B) Begründetheit
Die Anfechtungsklage ist begründet, soweit der Bescheid rechtswidrig ist und Schandowsky dadurch in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
I. Formelle Rechtmäßigkeit der Beseitigungsverfügung
Zuständigkeit: Bezirksamt als Bauaufsichtsbehörde gem. § 58 Abs. 1 S. 1, § 4 Abs. 2 S. 1 AZG, § 2 Abs. 4 S. 1 ASOG, Nr. 15 Abs. 1 ZustKat ASOG.
Verfahren: ist ordnungsgemäß durchgeführt worden, insbesondere ist auch die nach § 28 Abs. 1 VwVfG (i.V.m. § 1 Abs. 1 VwVfG Bln – auf Angabe des Verweises wird nachfolgend verzichtet) notwendige Anhörung vorgenommen worden.
Hinreichende Begründung nach § 39 Abs. 1 VwVfG fraglich: Nach dem Wortlaut des § 39 Abs. 1 S. 3 VwVfG hätte die Behörde hier angeben müssen, aus welchen Gründen sie nicht vom Erlass einer Beseitigungsverfügung abgesehen hat. Solche Ausführungen fehlen in dem Bescheid.
Die Norm ist allerdings eine „Soll-Vorschrift“, so dass nach wohl h.M. von der Begründung der Ermessenserwägungen abgesehen werden kann, wenn es einer solchen Begründung letztlich nicht bedarf, weil die getroffene Entscheidung für den Betroffenen selbstverständlich ist. Bei Baurechtswidrigkeit ist Behörde – wie auch hier – grundsätzlich zum Einschreiten verpflichtet. Weil kein Sonderfall vorliegt, sind keine Ausführungen nötig.
II. Materielle Rechtmäßigkeit der Beseitigungsverfügung
1. Tatbestandsvoraussetzungen des § 80 S. 1 BauO Bln
a) Errichtung in Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften
Das „Freudenhaus“ bedurfte einer Baugenehmigung nach § 59 Abs. 1 BauO Bln.
Da eine solche fehlt, wurde das „Freudenhaus“ in Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet.
b) Fehlen einer Möglichkeit, auf andere Weise als durch eine Beseitigung rechtmäßige Zustände wiederherzustellen
Eine Beseitigungsverfügung kommt jedoch trotz dieser formellen Baurechtswidrigkeit nur dann in Betracht, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände wiederherzustellen wären. Insoweit ist zu prüfen, ob nachträglich eine Baugenehmigung erteilt werden kann und ob die bauliche Anlage auch mit bauordnungsrechtlichen Vorschriften konform ist, die im (jeweiligen) Baugenehmigungsverfahren nicht (mehr) geprüft werden.
Letztlich erfolgt also eine umfassende bauordnungs- und bauplanungsrechtliche Untersuchung.
aa) Vereinbarkeit mit Bauordnungsrecht
(+), insb. kein Verunstalten nach § 9 Abs. 2 BauO Bln
bb) Vereinbarkeit mit Bauplanungsrecht (§§ 29 ff. BauGB)
(1) Anwendungsbereich der §§ 29 ff. BauGB
(+), da bauliche Anlage i.S.d. § 29 BauGB. Für die Auslegung des Begriffes kommt es auf die „bodenrechtliche“ bzw. „städtebauliche“ Relevanz an. Durch das Gebäude müssen die in § 1 Abs. 6 BauGB genannten Belange in einer Weise berührt werden, die geeignet ist, das Bedürfnis nach einer seine Zulässigkeit regelnden verbindlichen Bauleitplanung hervorzurufen. Bei einem Gebäude von 70 qm Grundfläche in der von Bauten freien Landschaft ist das der Fall.
(2) Zulässigkeit nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB
unbeplanter Außenbereich (+)
privilegiertes Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB?
(a) Privilegierung wegen Geräuschemissionen?
(-), Festsäle befinden sich fast immer im Innen- und nicht im Außenbereich
(b) Privilegierung wegen Unterstandsmöglichkeiten für Spaziergänger?
(-), da dies nicht Hauptzweck des Gebäudes ist
(c) Privilegierung wegen Nutzung als öffentliche Einrichtung durch den Bezirk?
(-), da es auch hier darauf ankommt, dass die Schaffung der Einrichtung gerade im Außenbereich erforderlich sein muss.
(d) Ergebnis zu (2)
Kein privilegierter Bau
(3) Zulässigkeit als „sonstiges Vorhaben“ nach § 35 Abs. 2 BauGB
Zulässigkeit als „sonstiges Vorhaben“ erfordert, dass öffentliche Belange durch das Vorhaben nicht beeinträchtigt werden dürfen. Dies liegt v.a. in den Fällen des § 35 Abs. 3 S. 1 BauGB vor.
§ 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 BauGB: Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft und deren Erholungswerts sowie Verunstaltung des Landschaftsbildes
Hierbei kommt es nicht auf die optische, sondern auf die funktionelle Abweichung des Vorhabens von seiner Umgebung an. Darum spielt auch keine Rolle, dass das „Freudenhaus“ eine Giebelhöhe von nur 3,5 Metern aufweist. Da es dem Erholungswert der Außenbereichslandschaft nicht zuträglich ist, liegt eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange gemäß § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 BauGB vor.
§ 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 7 BauGB, Entstehung einer Splittersiedlung?
(+); es ist zu befürchten, dass ein solches Vorhaben weitere Bauwünsche nach sich zieht und damit „Vorbildwirkung“ entfaltet. Dafür ist es unerheblich, dass das „Freudenhaus“ nicht zu Wohnzwecken genutzt wird, weil es wohnähnlichen freizeitgestalterischen Zwecken dient und damit auch vorbildhaft wirken kann.
i.E. liegt kein privilegiertes Bauvorhaben vor; das „Freudenhaus“ steht damit in Widerspruch zum Bauplanungsrecht der §§ 29 ff. BauGB.
c) Ergebnis zu 1
Damit liegt auch eine materiell-rechtlich Baurechtswidrigkeit vor, so dass eine Baugenehmigung nach § 71 Abs. 1 S. 1 BauO Bln nicht hätte erteilt werden können. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 80 S.1 BauO Bln liegen vor.
2. Inanspruchnahme des richtigen Adressaten für die Beseitigungsverfügung?
Die Inanspruchnahme des richtigen Adressaten ist ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal.
Mangels einer speziellen Norm sind insoweit entsprechend § 17 Abs. 2 S. 2 ASOG die allgemeinen Vorschriften der §§ 8 ff. ASOG heranzuziehen. Grundsätzlich ist daher gemäß § 14 Abs. 3 S. 1 ASOG nicht zu beanstanden, dass Schandowsky als Eigentümer des „Freudenhauses“ zu dessen Beseitigung herangezogen wird.
Dem steht auch die Vermietung nicht entgegen. Zwar ist es momentan rechtlich unmöglich, die Beseitigung durchzuführen. Dies wird aber erst auf der Ebene der Durchsetzung der Beseitigungsverfügung im Wege des Verwaltungszwangs relevant.
=> (+)
3. Ordnungsgemäße Ermessensausübung (§ 40 VwVfG)
a) Verstoß gegen Pflicht zur Ermessenausübung (§ 40 Var. 1 VwVfG)
(-), nicht allein aus der Nichtdarstellung der Erwägungen im Bescheid zu schließen; Behörde hat Gründe aufgezeigt, warum aus ihrer Sicht Abriss geboten ist und alternative Handlungsmöglichkeiten ausscheiden.
b) Verstoß gegen die gesetzlichen Grenzen des Ermessens (§ 40 Var. 2 VwVfG)?
(-), keine Ermessensreduzierung dahingehend, dass zwingend vom Erlass einer Beseitigungsverfügung hätte abgesehen werden müssen.
c) Ergebnis zu 3
Die Beseitigungsverfügung ist ermessensgerecht erfolgt.
4. Ergebnis zu II
Die Beseitigungsverfügung ist damit auch materiell rechtmäßig.
III. Ergebnis zu B
Beseitigungsverfügung ist rechtmäßig und daher nicht geeignet, Schandowsky in seinen Rechten zu verletzten, so dass die Klage unbegründet ist.
C) Gesamtergebnis
Die Klage des Schandowsky ist demzufolge zwar zulässig, aber unbegründet, und hat deshalb keine Aussicht auf Erfolg.
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© Klaus Grupp (Universität des Saarlandes) und Ulrich Stelkens (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer)
Bearbeitung für Hauptstadtfälle: Dominik Steiger, Jannik Bach
Stand der Bearbeitung: März 2018