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Investory (Lösungsvorschlag)

Der Antrag der Gemeinde Mühlenbecker Land auf Unwirksamkeitserklärung des Bebauungsplans „Blankenfelde Nord“ hat Erfolg, wenn er zulässig und begründet ist.

 

A. Zulässigkeit

Der Antrag nach § 47 VwGO ist zulässig, wenn die Sachentscheidungsvoraussetzungen der §§ 40 ff. VwGO vorliegen.

 

Anmerkung: Für die Prüfung der Sachentscheidungsvoraussetzungen im Verwaltungsprozess siehe diesen Hinweis.

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges (§ 40, § 47 Abs. 1 VwGO)

Das OVG entscheidet im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit; der Verwaltungsrechtsweg muss demnach eröffnet sein.

Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO liegt im Grundsatz vor, wenn die für die Streitentscheidung maßgeblichen Normen dem öffentlichen Recht angehören. Die Frage, ob eine Rechtsverordnung oder eine Satzung mit höherrangigem Recht vereinbar ist, ist grundsätzlich öffentlich-rechtlicher Natur.[1] Streitigkeiten um die Berechtigung der Exekutive zur Normsetzung sind auch nicht als öffentlich-rechtliche Streitigkeiten verfassungsrechtlicher Art anzusehen.[2] Nach diesen Grundsätzen wäre der Verwaltungsrechtsweg für die Kontrolle untergesetzlicher Normen jeder Art eröffnet.

§ 47 Abs. 1 S. 1 VwGO schränkt jedoch nach herrschender Meinung mit den Worten „im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit“ den Verwaltungsrechtsweg für gerichtliche Normenkontrollen dergestalt ein, dass das Oberverwaltungsgericht nur solche untergesetzlichen Rechtsnormen auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüfen darf, auf deren Grundlage sich Streitigkeiten ergeben können, für die der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist. Mit der Formulierung wollte der historische Gesetzgeber vermeiden, dass eine Entscheidung nach § 47 Abs. 5 S. 2 VwGO nachfolgende Entscheidungen der Gerichte anderer Gerichtszweige bindet und diese damit der Verwaltungsgerichtsbarkeit praktisch unterordnet.[3] Vorliegend handelt es sich um einen Bebauungsplan nach § 10 BauGB, der nach § 246 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 6 Abs. 5 S. 1 AGBauGB Bln eine Rechtsverordnung darstellt, aufgrund derer es zu Streitigkeiten (etwa um die Zulässigkeit von Baugenehmigungen in diesem Gebiet) kommen kann, für die der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist, da die für die Streitentscheidung maßgeblichen Normen in diesem Fall solche des BauGB bzw. der BauO Bln sind.

Damit steht der Verwaltungsrechtsweg offen.

 

II. Statthaftigkeit (§ 47 Abs. 1 VwGO)

Das Normenkontrollverfahren ist nur gegen die in § 47 Abs. 1 VwGO genannten Rechtsnormen statthaft. Bei dem von der Gemeinde Mühlenbecker Land angegriffenen Bebauungsplan handelt es sich um eine Landesrechtsverordnung, so dass der Normenkontrollantrag gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 VwGO i. V. m. § 246 Abs. 2 BauGB, § 6 Abs. 3 S. 1 AGBauGB Bln statthaft ist.

 

III. Antragsbefugnis (§ 47 Abs. 2 S. 1 VwGO)    

Antragsbefugt ist jede natürliche oder juristische Person, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit zu werden, sowie jede Behörde (§ 47 Abs. 2 S. 1 VwGO).

 

Anmerkung: Eine Gemeinde ist als Körperschaft des öffentlichen Rechts (vgl. Maurer, § 23 Rn. 3) eine juristische Person, gleichzeitig ist aber ihr Bürgermeister auch Behörde im organisationsrechtlichen Sinne (siehe hierzu diesen Hinweis). Behörden können unter erleichterten Voraussetzungen antragsbefugt sein, denn sie müssen ausweislich der Formulierung des § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO keinen Nachteil in diesem Sinne darlegen. Ausreichend ist dagegen, dass die angegriffene Rechtsvorschrift im räumlich-zeitlichen Anwendungsbereich der Gemeinde gilt und für sie bei der Wahrnehmung der eigenen oder übertragenen Angelegenheiten als Behörde maßgeblich und zu beachten ist (siehe hierzu BVerwG, 4 NB 10.88 v. 15.3.1989, Abs. 9 = BVerwGE 81, 307, 309 f.; VGH Mannheim, 5 S 2124/04 v. 15.7.2005 = NVwZ-RR 2006, 232). Da es sich bei dem vorliegend von der Gemeinde Mühlenbecker Land angegriffenen Bebauungsplan „Blankenfelde Nord“ aber gerade nicht um eine in ihrem Gemeindegebiet geltende Vorschrift handelt, ist sie auch nicht unter den erleichterten Voraussetzungen als Behörde antragsbefugt.

Im vorliegenden Fall macht die Gemeinde Mühlenbecker Land geltend, dass im Rahmen des Bebauungsplanbeschlusses auf ihr Vorbringen nicht genügend eingegangen worden sei, insbesondere nicht auf die mögliche Verletzung ihrer Interessen, da sie den Niedergang des Einzelhandels und eine Beeinträchtigung des von ihr angrenzend geplanten reinen Wohngebiets durch die „Pankow-Mall“ befürchtet, die aufgrund des eigens dafür erlassenen Bebauungsplanes errichtet werden soll. Sie rügt damit einen Verstoß gegen das interkommunale Abstimmungsgebot des § 2 Abs. 2 BauGB, das zum Schutz der Selbstverwaltungsgarantie der Gemeinden aus Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG vorschreibt, dass Bauleitpläne benachbarter Gemeinden aufeinander abzustimmen sind.[4] Diese Norm hat drittschützenden Charakter.[5] Daher ist die Nachbargemeinde antragsbefugt, wenn sie eine mögliche Verletzung in ihren eigenen Rechten geltend macht; insoweit sind bei § 47 Abs. 2 VwGO keine höheren Anforderungen zu stellen als bei § 42 Abs. 2 VwGO. Danach genügt die Antragstellerin ihrer Darlegungspflicht, wenn sie hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest für möglich erscheinen lassen, dass die Festsetzungen des Bebauungsplans sie in ihrem Recht aus § 2 Abs. 2 BauGB verletzen.[6] § 2 Abs. 2 S. 2 BauGB verdeutlicht dabei, dass Teil des Abstimmungsgebots auch die Prüfung der Auswirkungen des Bebauungsplans auf die zentralen Versorgungsbereiche der Nachbargemeinde ist. Gerade die Missachtung dieser Prüfung rügt die Gemeinde Mühlenbecker Land. Da der Vortrag der Gemeinde Mühlenbecker Land eine mögliche Verletzung des interkommunalen Abstimmungsgebotes durch den Bebauungsplan nicht ausschließen lässt, ist sie antragsbefugt.

 

Anmerkung: Anders als bei der Verfassungsbeschwerde wird die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 VwGO nicht dadurch ausgeschlossen, dass die eigentliche Rechtsverletzung erst durch den Vollzug der Norm eintritt. Dies wird durch die Worte „oder deren Anwendung“ klargestellt (Hufen, § 19 Rn. 24).

 

IV. Passive Antragsbefugnis (§ 47 Abs. 2 S. 2 VwGO)

Richtiger Antragsgegner ist nach § 47 Abs. 2 S. 2 VwGO die Körperschaft, die die Rechtsvorschrift erlassen hat. Der Bezirk Pankow handelt hier für das Land Berlin nach §§ 1, 2 Abs.1 AZG Bln, welches daher der richtige Antragsgegner ist.

 

V. Beteiligten- und Prozessfähigkeit (§§ 61, 62 VwGO)

Die Gemeinde Mühlenbecker Land sowie das Land Berlin sind als juristische Personen nach § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO beteiligtenfähig und nach § 62 Abs. 3 VwGO durch ihre gesetzlichen Vertreter prozessfähig.

 

VI. Postulationsfähigkeit (§ 67 VwGO)

Wie von § 67 Abs. 4 S. 1 VwGO gefordert, hat sich die Gemeinde Mühlenbecker Land vor dem Oberverwaltungsgericht von einem Rechtsanwalt vertreten lassen (und dementsprechend von der Möglichkeit des § 67 Abs. 4 S. 3 VwGO nicht Gebrauch gemacht).

 

Anmerkung: Dies würde grundsätzlich auch für das Land Berlin gelten. Unabhängig davon wäre eine ordnungsgemäße Vertretung Berlins jedoch keine Voraussetzung für die Zulässigkeit des Normenkontrollantrags.

 

VII. Antragsfrist (§ 47 Abs. 2 S. 1 VwGO)

Die Gemeinde Mühlenbecker Land wehrt sich unmittelbar nach dem In-Kraft-Treten des Bebauungsplans gegen diesen. Die Frist von einem Jahr (§ 47 Abs. 2 S. 1 letzter Hs. VwGO) wurde mithin eingehalten.

 

VIII. Ergebnis zu A

Der Antrag der Gemeinde Mühlenbecker Land ist somit nach § 47 VwGO zulässig.

Anmerkung: Mit Wirkung zum 02.06.2017 wurde § 47 Abs. 2a VwGO aufgehoben, der eine Präklusion und somit Unzulässigkeit für im Normenkontrollverfahren gegen einen Bebauungsplan oder bestimmte Satzungen nach dem BauGB geltend gemachte Einwendungen vorsah, wenn diese nicht oder verspätet geltend gemacht wurden, obwohl sie bereits vorher – im Rahmen der Beteiligung durch Auslegung (§ 3 Abs. 2 BauGB) – hätten geltend gemacht werden können und auf diese Folge hingewiesen wurde.

Mit dieser Gesetzesänderung reagierte der deutsche Gesetzgeber auf ein Urteil des EuGH vom 15. Oktober 2015 (C-137/14), in dem dieser entschieden hatte, dass die Präklusion von Einwendungen tatsächlicher Art im gerichtlichen Verfahren eine Beschränkung darstellt, für die es weder in der Umweltverträglichkeitsprüfungs-Richtline (2011/92/EU) noch in der Industrieemissions-Richtlinie (2010/75/EU) eine Grundlage gibt. Innerhalb des Anwendungsbereichs des UmwRG kann es aber noch zu einer Präklusion nach § 5 UmwRG kommen.

Im Übrigen gelten nunmehr (wieder) die herkömmlichen Regeln zum allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis.

 

 

B. Begründetheit

Der Normenkontrollantrag ist begründet, wenn der Bebauungsplan „Blankenfelde Nord“ ungültig ist (§ 47 Abs. 5 S. 2 VwGO). Dies ist der Fall, wenn er an einem Fehler leidet, der nicht nach §§ 214, 215 BauGB unbeachtlich ist. Insoweit kommt mangels Verstreichens der einjährigen Rügefrist eine Unbeachtlichkeit von Fehlern nach § 215 Abs. 1 BauGB vorliegend von vornherein nicht in Betracht.

 

Anmerkung: Bis zum Ablauf der Jahresfrist sind die in § 215 Abs. 1 BauGB genannten Fehler gegenüber jedermann, unabhängig von ihrer schriftlichen Geltendmachung gegenüber der Gemeinde, beachtlich[7] und können daher zur Ungültigkeit des Bebauungsplans führen.

Zu den bei der Überprüfung eines Bebauungsplans zu berücksichtigenden Punkten siehe diesen Hinweis.

Zudem ist zu beachten, dass das Normenkontrollverfahren nicht nur dem Individualrechtsschutz dient, sondern ein objektives Beanstandungsverfahren ist. Dies hat zur Folge, dass bei der Beeinträchtigung der Interessen des Antragstellers die angegriffenen Vorschriften insgesamt auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden und nicht nur im Rahmen der geltend gemachten Rechte, aus denen u. U. die Antragsbefugnis abgeleitet wurde.[8]

 

I. Formelle Rechtmäßigkeit des Bebauungsplans

Die Zuständigkeit des Bezirksamts und der Bezirksverordnetenversammlung Pankow folgt vorliegend aus § 6 AGBauGB Bln i. V. m. §§ 10 Abs. 1, 246 Abs. 4 BauGB.

 

1. Beachtung des „Bebauungsplanerlassverfahrens“ der §§ 2 ff. BauGB

Da sich nichts Gegenteiliges aus den Sachverhaltsschilderungen ergibt, ist davon auszugehen, dass das gesetzlich vorgeschriebene Verfahren zur Aufstellung eines Bebauungsplans nach den §§ 5, 6 AGBauGB Bln eingehalten wurde. Insbesondere gibt der Sachverhalt keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Bezirk entgegen § 2 Abs. 3 BauGB die Belange, die für die Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB von Bedeutung sind, nicht hinreichend ermittelt oder – jeweils für sich – unzutreffend bewertet hat.

 

Anmerkung: Nach § 214 Abs. 3 S. 2 Hs. 1 BauGB können Mängel, die von § 214 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BauGB erfasst werden – also Verstöße gegen § 2 Abs. 3 BauGB – nicht gleichzeitig als (materiellrechtliche) Mängel der Abwägung geltend gemacht werden. Hieraus folgt, dass – im Gegensatz zum früheren Recht – Fehler bei der Ermittlung und Bewertung des Abwägungsmaterials nur als formelle Fehler gerügt werden können. Weil allerdings immer noch unklar ist, was unter „Bewertung“ des Abwägungsmaterials i. S. des § 2 Abs. 3 BauGB zu verstehen ist, ist auch die Reichweite der Ausschlussklausel des § 214 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 BauGB unklar; verschiedene Ansätze inhaltlicher Ausfüllung (allerdings mit Abweichungen im Detail): BVerwG, 4 CN 1/07 v. 9.4.2008, Abs. 22 = BVerwGE 131, 100, 107 f. (m. Anm. Mager, JA 2009, 398, 400); Bernhardt, JA 2008, 166 ff.; Kersten, Jura 2013, 478, 485 ff.; Lege, DÖV 2015, 361, 366 ff.; Martini JuS 2012, 126, 128 ff.Pieper, Jura 2006, 817 ff.; U. Stelkens, UPR 2005, 81 ff.; Uechtritz, ZfBR 2005, 11 ff; siehe hierzu auch unten B.II.5.

 

2. Beachtung des kommunalrechtlichen Beschlussverfahrens

Vorliegend ist daher in formeller Hinsicht nur fraglich, ob der abschließende Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung über den Erlass des Bebauungsplans nach § 6 Abs. 3 S. 1 AGBauGB ordnungsgemäß zu Stande gekommen ist. Das Beschlussverfahren richtet sich insbesondere nach den §§ 8, 11 BezVG.

Weil das Mitglied der Bezirksverordnetenversammlung Erwin Eisenhart mit abgestimmt hat, obwohl er selbst durch den Bau der „Pankow-Mall“, für die der Bebauungsplan eigens erlassen wurde, betroffen sein könnte, könnte die Beschlussfassung fehlerhaft gewesen sein. Dies könnte einen Verstoß gegen § 11 Abs. 3 S. 1 BezVG darstellen.

 

Anmerkung: In Niedersachsen gilt das Mitwirkungsverbot nicht für Beratungen und Entscheidungen über Rechtsnormen und damit auch nicht für den Erlass eines Bebauungsplanes (vgl. § 41 Abs. 3 Nr.1 NdsKomVG) – insoweit eine Besonderheit, vgl. Lange, Kap. 5 Rn. 62.

Wenn ein Verstoß gegen § 11 Abs. 3 S. 1 BezVG i. V. m. § 20 VwVfG, § 1 Abs. 1 VwVfG Bln[9] vorgelegen hätte, der sich in der Sache auch auf die Entscheidung ausgewirkt hätte (bzw. dessen Auswirkung nicht offensichtlich ausgeschlossen werden kann – vgl. § 46 VwVfG),[10] so wäre die Rechtswidrigkeit des Beschlusses die Folge.

 

Anmerkung: Das Erfordernis der Kausalität gibt es nicht in allen Bundesländern, vgl. beispielsweise § 27 Abs. 6 der Saarländischen Kommunalordnung. Eine Übersicht findet sich bei Gern, Rn. 520 f.

 

Hier könnte sich ein Mitwirkungsverbot für Eisenhart nur aus § 20 Abs. 1 S. 2 VwVfG, § 11 Abs. 3 S. 1 BezVG ergeben. Es ist daher fraglich, ob der Beschluss über den Bebauungsplan ihm selbst einen unmittelbaren Vor- oder Nachteil bringt.

 

a) Vor- oder Nachteil

Da in einem derartigen Einkaufszentrum für gewöhnlich gleichartige Waren zu günstigeren Preisen als im kleinen Einzelhandel zu erwerben sind, ist zu erwarten, dass Eisenhart Kunden- und damit Umsatzeinbußen erleiden wird, wenn das Einkaufszentrum fertiggestellt ist. Dazu kommt auch, dass durch ein solches Einkaufszentrum vielfach die potenziellen Kunden eher aus der Innenstadt abgezogen werden. Durch den Bau der „Pankow-Mall“ auf Grundlage des Bebauungsplans wird Eisenhart, der ein Geschäft für Kurz- und Miederwaren betreibt, demnach nachteilig betroffen werden.

 

b) Unmittelbarkeit

Fraglich ist allerdings, ob dieser Nachteil auch das Kriterium der Unmittelbarkeit erfüllt. Das Kriterium der Unmittelbarkeit erfordert einen direkten Ursachenzusammenhang zwischen Entscheidung der Bezirksverordnetenversammlung und Nachteilsverwirklichung ohne Hinzutreten eines unterbrechenden oder vermittelnden Ereignisses.[11] Damit bleiben lediglich mittelbare Folgen ohne Berücksichtigung. Zweifel an der Unmittelbarkeit könnten sich daraus ergeben, dass der alleinige Erlass des Bebauungsplans – mit der Folge des Baus der „Pankow-Mall“ – noch nicht dazu führen wird, dass Erwin Eisenhart Umsatzeinbußen sowie einen Kundenrückgang erleidet. Vielmehr muss dieses Einkaufszentrum von den Kunden zunächst auch angenommen werden (was nicht selbstverständlich ist), indem sie gerade die von Eisenhart angebotenen Waren nunmehr dauerhaft in dem Einkaufszentrum erwerben wollen. Sie müssen ihre Einkaufsgewohnheiten weg vom Einzelhändler in der Pankower Innenstadt hin zum Großeinkauf am Pankower Stadtrand dauerhaft ändern, damit es sich nachteilig auf Eisenharts Umsatzzahlen auswirkt.

 

Anmerkung: Falsch wäre es hier, die Unmittelbarkeit allein deswegen zu verneinen, weil es noch des tatsächlichen Baus des Einkaufszentrums bedarf. Denn zum einen geht aus dem Sachverhalt eindeutig hervor, dass der Bebauungsplan nur aus diesem Grunde erlassen wurde, und zum anderen käme man sonst – außer im Falle der Wertsteigerung eines Grundstücks innerhalb des neuen Baugebietes (und selbst da müsste sich erst noch ein Käufer finden!) – wohl nie dazu, im Rahmen der Beschlussfassung von Bebauungsplänen einen Interessenwiderstreit annehmen zu können, was der ratio legis des § 11 Abs. 3 BezVG nicht gerecht würde.

 

Da es sich bei den von Eisenhart befürchteten Nachteilen lediglich um mittelbare Folgen des Einkaufszentrums in Form von Erwartungen aus zukünftig möglichen Entwicklungen handelt, liegt eher keine unmittelbare Nachteilszufügung vor.

 

c) Individuelle Betroffenheit

Eisenhart ist gerade aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Berufsgruppe der Einzelhändler nicht individuell, sondern vielmehr allgemein betroffen i. S. d. § 20 Abs. 1 S. 3 VwVfG i. V. m. § 11 Abs. 3 S. 1 BezVG. In einem solchen Fall gilt das Mitwirkungsverbot gerade nicht. Einer Entscheidung, ob die Folge noch dem Kriterium der Unmittelbarkeit genügt, bedarf es somit vorliegend nicht.

 

d) Ergebnis zu 2

Damit wurde bei der Beschlussfassung über den Erlass des Bebauungsplans nicht gegen § 11 Abs. 3 S. 1 BezVG verstoßen.

Weil Eisenhart auch gegen den Bebauungsplan abgestimmt hat und nicht ersichtlich ist, dass er auf andere Weise den Ausgang der Beschlussfassung beeinflusst hätte, wäre darüber hinaus auch das o. g. Kausalitätserfordernis wohl nicht erfüllt, d. h. der Formmangel wäre unbeachtlich.

 

3. Ergebnis zu I

Mithin ist der Bebauungsplan insgesamt formell ordnungsgemäß zu Stande gekommen.

 

II. Materielle Rechtmäßigkeit

Jedoch könnte der Bebauungsplan an beachtlichen materiellen Fehlern leiden.

 

1. Erforderlichkeit der Planung (§ 1 Abs. 3 S. 1 BauGB)

Fraglich ist zunächst, ob es erforderlich war, für das Gewerbegebiet „Blankenfelde Nord“ einen Bebauungsplan zu erlassen. Gemäß § 1 Abs. 3 S. 1 BauGB müssen die Gemeinden Bauleitpläne aufstellen, sobald und soweit dies für die städtebauliche Entwicklung erforderlich ist. Allerdings sind an diese Erforderlichkeit keine allzu strengen Anforderungen zu stellen, vielmehr reicht es aus, wenn es vernünftigerweise geboten ist, die bauliche Entwicklung durch die vorherige Planung zu ordnen[12], und der Verwirklichung des Plans nicht dauerhafte rechtliche Hindernisse im Weg stehen[13]. Dagegen sind nicht erforderlich i. S. d. § 1 Abs. 3 S. 1 BauGB Pläne, die nicht dem wahren Willen der Gemeinde (bzw. des Bezirks) entsprechen, bei denen also zwischen Planungswillen und Planungshoheit eine Diskrepanz besteht, sowie Pläne, die einer positiven Planungskonzeption entbehren und ersichtlich der Förderung von Zielen dienen, für deren Verwirklichung die Planungsinstrumente des BauGB nicht bestimmt sind. In dieser Auslegung setzt § 1 Abs. 3 S. 1 BauGB der Bauleitplanung eine erste, wenn auch strikt bindende Schranke, die lediglich grobe und einigermaßen offensichtliche Missgriffe ausschließt, nicht hingegen Einzelheiten einer konkreten planerischen Lösung betrifft, für die das Abwägungsgebot maßgeblich ist, das im Hinblick auf gerichtliche Kontrolldichte und Fehlerbeachtlichkeit abweichenden Maßstäben unterliegt.[14]

Was die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erfordert, ist damit nicht allein aus räumlichen Gegebenheiten vorbestimmt. Vielmehr entscheidet die Gemeinde (bzw. der Bezirk) kraft ihrer Planungshoheit und planerischen Gestaltungsfreiheit selbst, welche städtebauliche Entwicklung und Ordnung verfolgt wird; was städtebaulich erforderlich i. S. v. § 1 Abs. 3 BauGB ist, hängt weitestgehend von Willensentscheidungen der Gemeinde ab.[15] Insbesondere kann die Erforderlichkeit nicht bereits deshalb bezweifelt werden, weil die Aufstellung auf private Bauwünsche zurückgeht, da es üblich ist, dass Gemeinden (bzw. Bezirke) nicht ins Blaue planen, sondern meistens Bauinteressenten den Anstoß dafür geben. Dies ist solange unbedenklich, wie die Gemeinde mit dem Bebauungsplan nicht ausschließlich private Bauwünsche fördert, sondern die städtebauliche Ordnung fortentwickeln will.[16]

Vorliegend hat das Bezirksamt Pankow den Bebauungsplan aufgrund des Anstoßes durch die Schwartz-Bau GmbH beschlossen, was nach dem zuvor Gesagten kein Hindernis für die Erforderlichkeit des Bebauungsplans darstellt. Vielmehr liegt es gerade im Interesse des Bezirks und damit der Allgemeinheit, wenn ein privater Investor einen Großteil der Finanzierung trägt, um so die Haushaltskassen des Bezirks und damit die Bürger weniger zu belasten werden und dabei trotzdem ein Einkaufszentrum zu errichten, das letztendlich den meisten Bürgern zu Gute kommt. Da es in Pankow bislang noch kein für solche Projekte ausreichend großes Gewerbegebiet gibt, stellt sich der Beschluss eines solchen Bebauungsplans auch als sinnvoll dar, um die städtebauliche Ordnung fortzuentwickeln und eine vernünftige Planung zu ermöglichen, ohne später im Einzelfall immer wieder die Zulässigkeit gewerblicher Vorhaben im unbeplanten Innen- bzw. gegebenenfalls Außenbereich prüfen zu müssen. Daher ist die Erforderlichkeit des Erlasses des Bebauungsplans „Blankenfelde Nord“ zu bejahen.

 

2. Einhaltung der zulässigen Festsetzungen nach § 9 BauGB

Der Bebauungsplan müsste ferner dem Numerus clausus der Festsetzungsmöglichkeiten nach § 9 Abs. 1 BauGB genügen, dürfte also keine anderen als die dort und in der BauNVO vorgesehenen Festsetzungen enthalten.[17] Hier steht nur die Festsetzung über die Art der baulichen Nutzung (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB) in Frage. Welche Festsetzungen hier getroffen werden dürfen, richtet sich nach der aufgrund von § 9a Nr. 1 lit. a BauGB erlassenen BauNVO, die in § 1 Abs. 2 und Abs. 3 abschließend die möglichen Baugebiete regelt. Dass der Bebauungsplan „Blankenfelde Nord“ speziell für die „Pankow-Mall“ ein „Sondergebiet für Einkaufszentrum“ festsetzt, entspricht insoweit den Vorgaben des § 11 Abs. 3 BauNVO. Damit ist auch § 9 Abs. 1 BauGB beachtet worden.

 

3. Entwicklung des Bebauungsplans aus dem Flächennutzungsplan (§ 8 Abs. 2 S. 1 BauGB)

Zweifelhaft ist jedoch, ob der Bebauungsplan „Blankenfelde Nord“ aus dem Flächennutzungsplan entwickelt wurde, wie dies § 8 Abs. 2 S. 1 BauGB vorsieht. Der Flächennutzungsplan erstreckt sich gemäß § 5 Abs. 1 BauGB über das gesamte Gemeindegebiet und „verplant“ dieses „grobmaschig“, in Berlin besteht der Flächennutzungsplan für das gesamte Land und wird vom Senat beschlossen (§ 2 Abs. 2 S. 3 AGBauGB Bln i. V. m. § 1 AGBAuGB Bln, § 246 Abs. 1, 4 BauGB. Im Flächennutzungsplan werden in der Regel nur Bauflächen, nicht aber bereits einzelne Baugebiete i. S. d. § 1 Abs. 2 BauNVO dargestellt. Aus diesen grobmaschigen Festsetzungen sind dann die einzelnen Bebauungspläne zu entwickeln. Dies bedeutet auch, dass der jeweilige Bebauungsplan dem Flächennutzungsplan nicht in allen Einzelheiten entsprechen muss, d. h. die Gemeinde (in Berlin: der Bezirk) darf im vorgegebenen Rahmen weiterplanen und gegebenenfalls auch von den Vorgaben abweichen, solange der Bebauungsplan den Grundentscheidungen des Flächennutzungsplans nicht zuwiderläuft.[18]

 

a) Veränderung des Flächennutzungsplans in seinen Grundentscheidungen?

Laut Flächennutzungsplan war für das Gebiet zwischen Berlin und der Gemeinde Mühlenbecker Land eine Wohnbebauung und eine teilweise gewerbliche Nutzung vorgesehen. In Fortentwicklung dieser Festsetzung wäre hier entweder eine Festsetzung des gesamten Gebiets als „Allgemeines Wohngebiet“ i. S. d. § 4 BauNVO oder eine Festsetzung des Gebiets teilweise als „Allgemeines Wohngebiet“, teilweise als „Gewerbegebiet“ i. S. d. § 8 BauNVO in Betracht gekommen. Hiervon weicht die Festsetzung als „Sondergebiet Einkaufszentrum“ i. S. d. § 11 Abs. 3 BauNVO erheblich ab. Schon diese Abweichung von den Gebietstypen der BauNVO spricht dafür, dass die Festsetzung des Sondergebiets keine bloße Fortentwicklung des Flächennutzungsplans mehr darstellt und der Bebauungsplan eine grundlegend andere Städteplanung vornimmt. Hinzu kommt, dass es einen beachtlichen Unterschied macht, ob ein Gebiet, so wie hier durch den Flächennutzungsplan ursprünglich vorgesehen, zur Wohnnutzung mit teilweiser gewerblicher Nutzung oder zur rein kommerziellen Nutzung „im großen Stil“ vorgesehen wird. Denn durch den Bau eines Einkaufszentrums ist auch ein sehr viel höheres Verkehrsaufkommen, namentlich durch eine wesentlich größere Zahl an Kunden, Lieferanten und Beschäftigten, zu erwarten, was einen bauplanungsrechtlich zu berücksichtigenden Belang darstellt.

Folglich wurden die Grundentscheidungen des Flächennutzungsplans durch den von dem Bezirk Pankow erlassenen Bebauungsplan für dieses Gebiet betroffen, und damit liegt ein Verstoß gegen das Entwicklungsgebot vor.

 

b) Unbeachtlichkeit des Rechtsverstoßes nach § 214 Abs. 2 Nr. 2 BauGB

Dieser Fehler könnte jedoch nach § 214 Abs. 2 Nr. 2 BauGB unbeachtlich sein. Danach sind Verstöße gegen das Entwicklungsgebot des § 8 Abs. 2 BauGB ausnahmsweise unbeachtlich, wenn eine geordnete städtebauliche Entwicklung nicht beeinträchtigt ist. Insoweit ist die planerische Konzeption des Flächennutzungsplans für das gesamte Landesgebiet maßgeblich. Ein Bebauungsplan ist damit nicht schon dann unwirksam, wenn für einzelne Baugebiete die Grundkonzeption des Flächennutzungsplans aufgegeben wird, solange die Auswirkungen dieser Abweichung vom Flächennutzungsplan die benachbarten Baugebiete nicht nachteilig berühren und die geordnete städtebauliche Entwicklung im gesamten Gemeindegebiet (in Berlin: Landesgebiet) nicht beeinträchtigt wird.[19]

Die benachbarten Baugebiete auf dem Gebiet des Bezirks Pankow werden durch die Planung zwar nicht beeinträchtigt; das durch den Bebauungsplan „Blankenfelde Süd“ festgesetzte Gewerbegebiet nach § 8 BauNVO ist vielmehr ein „idealer“ Nachbar für ein Sondergebiet nach § 11 Abs. 3 BauNVO.

Jedoch wird durch die Zulassung der „Pankow-Mall“ die geordnete städtebauliche Nutzung im gesamten Bezirksgebiet und darüber hinaus beeinträchtigt. Dies ergibt sich aus den bekannten Auswirkungen der Errichtung von Einkaufszentren „auf der grünen Wiese“ auf den innerstädtischen Handel und die hiermit verbundenen Verkehrsprobleme. Auch und gerade deshalb lässt die BauNVO Einkaufszentren nach § 11 Abs. 3 BauNVO außer in Kerngebieten nur in hierfür besonders ausgewiesenen Sondergebieten zu und bringt damit zum Ausdruck, dass für Einkaufszentren ein gesteigerter Planungsbedarf besteht. Daher wird die Funktion des Flächennutzungsplans als Instrument zur Steuerung der städtebaulichen Entwicklung unterlaufen, wenn ausgerechnet bei der Planung von Einkaufszentren dem Entwicklungsgebot nach § 8 Abs. 2 BauGB nicht Rechnung getragen wird. Der Fehler ist damit nicht nach § 214 Abs. 2 Nr. 2 BauGB unbeachtlich.

 

c) Ergebnis zu 2

Damit leidet der Bebauungsplan wegen Verstoßes gegen § 8 Abs. 2 S. 1 BauGB an einem auch nach § 214 Abs. 2 Nr. 2 BauGB beachtlichen Fehler.

 

4. Beachtung des interkommunalen Abstimmungsgebots (§ 2 Abs. 2 S. 1 BauGB)

Der Bebauungsplan „Blankenfelde Nord“ könnte zudem gegen das interkommunale Abstimmungsgebot aus § 2 Abs. 2 S. 1 BauGB verstoßen.

 

Anmerkung: Die Vorschrift betrifft das materielle Verhältnis der Bauleitpläne benachbarter Gemeinden zueinander, das Abgestimmtsein der Pläne. Das Abstimmungsverfahren bestimmt sich nach § 4 BauGB, weil auch Nachbargemeinden zu den „Behörden“ in diesem Sinne zählen (BVerwG, 4 C 36/86 v. 15.12.1989, Abs. 33 = BVerwGE 84, 209, 216; Battis, in: Battis/Krautzberger/Löhr, 13. Aufl. 2016, § 2 Rn. 22). Als Folge der Änderungen des BauGB durch das Gesetz zur Anpassung des Baugesetzbuchs an EU-Richtlinien (Europarechtsanpassungsgesetz Bau - EAG Bau) vom 24. Juni 2004 (BGBl. I 1359) steht § 2 Abs. 2 S. 1 BauGB heute allerdings an systematisch falscher Stelle. Denn § 2 BauGB sollte nach dem Willen der Gesetzesverfasser eigentlich (nur noch) die wesentlichen Verfahrensvorgaben für die Aufstellung von Bauleitplänen enthalten, während die materiellrechtlichen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Abwägung an sich in § 1 BauGB „gebündelt“ werden sollten (vgl. BT-Drs. 15/2250, S. 36 f. und S. 42). Die Regelung des § 2 Abs. 2 BauGB ist bei diesem „Umbau“ offenbar vergessen worden. Jedenfalls lässt sich den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen, dass § 2 Abs. 2 BauGB (stillschweigend) von einer materiellrechtlichen Norm zu einer verfahrensrechtlichen Norm umgewandelt werden sollte; näher U. Stelkens, UPR 2005, 81, 86 f.

 

Das dort normierte Gebot, die Bauleitpläne benachbarter Gemeinden aufeinander abzustimmen, ist eine gesetzliche Ausformung des in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG gewährleisteten gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts, die dem Interesse der Nachbargemeinde, vor Nachteilen bewahrt zu werden, besonderes Gewicht verleiht. Dem liegt die Vorstellung zu Grunde, dass benachbarte Gemeinden sich mit ihrer Planungsbefugnis im Verhältnis der Gleichordnung gegenüberstehen. Befinden sich benachbarte Gemeinden objektiv in einer Konkurrenzsituation, so darf folglich keine von ihrer Planungshoheit rücksichtslos zum Nachteil der anderen Gebrauch machen. Vielmehr sind eine Koordination und ein Interessenausgleich zwischen den Gemeinden notwendig. Wird dies missachtet, kann sich die Nachbargemeinde unabhängig davon, welche Absichten sie für ihr Gebiet verfolgt oder bereits umgesetzt hat, gegen unmittelbare Auswirkungen gewichtiger Art zur Wehr setzen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Interessen der Nachbargemeinde an der Vermeidung unmittelbarer Auswirkungen gewichtiger Art niemals im Wege der Abwägung überwunden werden könnten. Die Gemeinde, die ihre eigenen Vorstellungen selbst um den Preis von gewichtigen Auswirkungen für die Nachbargemeinde durchsetzen möchte, unterliegt aber einem erhöhten Rechtfertigungszwang in der formellen und materiellen Ausgestaltung der Planung.[20]

 

Anmerkung: Hiernach steht § 2 Abs. 2 S. 1 BauGB zwar in einem engen sachlichen Zusammenhang zu dem Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 BauGB, ist aber hiervon zu unterscheiden (siehe auch B.II.4.c). Dennoch ist es möglich, dass ein Belang einer Gemeinde zwar nicht gewichtig genug ist, um in Zusammenhang mit § 2 Abs. 2 S. 1 BauGB Bedeutung zu erlangen, dass die Nachbargemeinde diesen Belang aber im Rahmen des § 1 Abs. 7 BauGB berücksichtigen muss. Denn Nachbargemeinden genießen in dieser Hinsicht einen besonderen Schutz (BVerwG, 4 C 5/01 v. 1.8.2002, Abs. 21 f. = BVerwGE 117, 25, 33).

 

Dementsprechend ist fraglich, ob der Bebauungsplan „Blankenfelde Nord“ unmittelbare Auswirkungen gewichtiger Art auf das Gebiet der Nachbargemeinde Mühlenbecker Land hat.

 

a) Störung des von der Gemeinde Mühlenbecker Land geplanten „reinen Wohngebiets“

Eine Missachtung des interkommunalen Abstimmungsgebots könnte zunächst darin liegen, dass der Bezirk Pankow nicht hinreichend die Absicht der Gemeinde Mühlenbecker Land berücksichtigt hat, einen Bebauungsplan zu erlassen, der unmittelbar an der Grenze zum Bezirk Pankow ein reines Wohngebiet vorsieht. Durch den geplanten Bau der „Pankow-Mall“ werden Verkehrsprobleme aufgeworfen, die einseitig die Nachbargemeinde Mühlenbecker Land belasten. Wenn in Pankow das Gewerbegebiet „Blankenfelde Nord“ so wie geplant realisiert und das Einkaufszentrum gebaut wird, kann jedenfalls ein unmittelbar angrenzendes reines Wohngebiet nicht mehr seinen Sinn eines störungsfreien, ruhigen Wohnens erfüllen, sondern ist dem Lärm und den Umweltbelastungen durch den Zu- und Abgangsverkehr des angrenzenden Sondergebiets ausgesetzt. Die Kunden und Lieferanten, welche von der Schildower Seite her kommen, müssen direkt durch das Wohngebiet fahren. Da nur an der Grenze zu Pankow ein (neues) reines Wohngebiet noch möglich ist, wäre der Gemeinde Mühlenbecker Land damit die Planung eines solchen schlechthin verwehrt. Weil das Gebiet des Bebauungsplans „Blankenfelde Nord“ an das Gewerbegebiet „Blankenfelde Süd“ angrenzt und diese nach Norden führende Strecke ohnehin schon durch Kunden- und Lieferantenverkehr belastet ist, so dass für den Pankower Bereich kaum nachteilige Auswirkungen hervorgerufen werden, würde die Gemeine Mühlenbecker Land quasi alleiniger Träger der durch das Pankower Vorhaben zusätzlich hervorgerufenen Verkehrsbelastungen.

Die Tatsache allein, dass das Einkaufszentrum eventuell auch für die Gemeinde Mühlenbecker Land von Nutzen sein könnte, weil auch deren Bürger dort Arbeit finden oder einkaufen können, rechtfertigt eine solche einseitige Lastenverteilung nicht. Ebenso wenig kann entgegengehalten werden, in der mobilen Gesellschaft müsse man sich mit Verkehrslärm auch in reinen Wohngebieten abfinden. Der von einem Einkaufszentrum ausgehende Verkehrslärm kann jedenfalls nicht mit „normalem“ Verkehr verglichen werden.

Da die Planung des Einkaufszentrums durch den Bezirk Pankow die Gemeinde Mühlenbecker Land zu einer Umstrukturierung ihrer Planungsabsichten zwingen würde, ist damit deutlich, dass die Planung Pankows wichtige Belange der Gemeinde Mühlenbecker Land berührt, über die – wie geschehen – nicht einfach hinweggegangen werden kann.

 

b) Abwerben der Kunden aus der Schildower Innenstadt

Bei der interkommunalen Abstimmung nach § 2 Abs. 2 S. 1 BauGB war zudem die Möglichkeit zu berücksichtigen, dass der innerstädtische Einzelhandel der Gemeinde Mühlenbecker Land durch die Errichtung eines Einkaufszentrums an der gemeinsamen Grenze der Nachbarstädte so erheblich beeinträchtigt wird, dass die Schildower Innenstadt verödet. Dies stellt § 2 Abs. 2 S. 2 BauGB mittlerweile ausdrücklich klar. Auch § 11 Abs. 3 BauNVO ist von dieser übergemeindlichen Sichtweise geprägt und schreibt vor, derartige Auswirkungen auf den Versorgungshandel zu berücksichtigen. Der Schutz der mittelständischen Wirtschaft dient nicht als Mittel dafür, bestimmte Wettbewerbsverhältnisse zu stabilisieren, sondern soll sicherstellen, dass durch die Ansiedlung von Betrieben an peripheren Standorten nicht die wirtschaftliche Existenz derjenigen Betriebe bedroht oder gar vernichtet wird, die eine verbrauchernahe Versorgung gewährleisten.[21]

Demzufolge kann die reine Befürchtung von Arbeitslosigkeit infolge neuer Wirtschaftskonkurrenz allein noch nicht den Schutz der mittelständischen Wirtschaft verletzen. Aber durch die An- und ggf. Umsiedlung der Anbieter in das geplante Einkaufszentrum wird zwangsläufig eine Umsatzumverteilung zu Lasten derjenigen Betriebe folgen, die bisher in der Innenstadt, typischerweise in Form von Einzelhandelsgeschäften, die ortsnahe Versorgung der Einwohner gewährleistet haben. Da damit zu rechnen ist, dass viele dieser Betriebe in der Innenstadt den Geschäftsbetrieb infolge der neuen Konkurrenz aufgeben werden, dürfte es gerade für ältere Menschen und solche ohne Auto schwieriger werden, einzukaufen. Pankow hat es vorliegend nicht einmal für notwendig erachtet, sich mit diesem Problem auseinander zu setzen und eventuell zusammen mit der Gemeinde Mühlenbecker Land eine Lösung zu erarbeiten – sei es auch nur in Form der beispielsweisen Festlegung bestimmter Dienstleistungen und Produkte im künftigen Einkaufszentrum, die die Einzelhandelsbetriebe in der Innenstadt daneben als Anbieter bestehen lassen. Von einer ordnungsgemäßen Abstimmung dieser essentiellen Interessen kann daher nicht die Rede sein.

 

c) Beachtlichkeit des Fehlers

Damit hat der Bezirk Pankow in zweifacher Hinsicht gegen § 2 Abs. 2 BauGB verstoßen. Ein Verstoß gegen § 2 Abs. 2 BauGB wird weder in § 214 BauGB noch in § 215 Abs. 1 BauGB ausdrücklich erwähnt, so dass hieraus geschlossen werden könnte, ein Verstoß gegen das interkommunale Abstimmungsgebot sei immer beachtlich.[22] Vielfach werden jedoch Verstöße gegen § 2 Abs. 2 BauGB als „Mängel der Abwägung“ i. S. d. § 214 Abs. 3, § 215 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BauGB angesehen.[23]

Indessen beziehen sich § 214 Abs. 3, § 215 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BauGB wohl nur auf das allgemeine Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 BauGB, während das interkommunale Abstimmungsgebot jedenfalls nach der neueren Rechtsprechung des BVerwG[24] nur „im engen sachlichen Zusammenhang“ mit dem allgemeinen Abwägungsgebot steht, hiervon jedoch zu unterscheiden ist.[25] Konsequenterweise wird man dann § 2 Abs. 2 BauGB auch bei der Anwendung von § 214, § 215 BauGB eine eigenständige Rolle zusprechen müssen, so dass er nicht von den allgemeinen Regeln über die Unbeachtlichkeit von Abwägungsfehlern erfasst wird.[26]

Da jedenfalls die Nichtberücksichtigung des interkommunalen Abstimmungsgebots offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen ist (§ 214 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 BauGB), so dass der Fehler auch bei Anwendbarkeit § 214 Abs. 3 BauGB nicht als unbeachtlich angesehen werden kann, kommt es letztlich auf diese Frage jedoch nicht an.

 

d) Ergebnis zu 4

Damit liegt ein beachtlicher Verstoß gegen § 2 Abs. 2 BauGB vor.

 

5. Ordnungsgemäße Abwägung (§ 1 Abs. 7 BauGB)

Darüber hinaus könnte der Bebauungsplan „Blankenfelde Nord“ gegen das Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 BauGB verstoßen. Nach § 1 Abs. 7 BauGB ist Voraussetzung rechtmäßiger Planung, dass die verschiedenen öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abgewogen werden. Die zu berücksichtigenden Belange werden beispielhaft in § 1 Abs. 6 BauGB und in Ergänzung hierzu in § 1a BauGB aufgezählt (vgl. § 1a Abs. 2 S. 3, Abs. 3 S. 1, Abs. 4 BauGB). Wird gegen das Gebot gerechter Abwägung verstoßen, ist die Planung rechtswidrig. Da es sich dabei um Planungsermessen des Bezirks handelt und dies zu dem ihm durch das Selbstverwaltungsrecht eingeräumten Planungshoheit gehört, ist diese Planungsentscheidung jedoch nicht vollständig rechtlich determiniert.

Materiellrechtliche Abwägungsfehler sind – wie § 214 Abs. 3 S. 2 Hs. 1 BauGB verdeutlicht – jedoch nur (noch) Fehler im Abwägungsergebnis. Sie werden weder von § 214 Abs. 3 S. 2 Hs. 1 BauGB noch von § 215 Abs. 1 BauGB erfasst und sind damit immer beachtlich.[27] Solche Fehler sind insbesondere gegeben, wenn der Ausgleich zwischen den Belangen in einer Weise vorgenommen wurde, der zu ihrer objektiven Gewichtung außer Verhältnis steht (Abwägungsdisproportionalität).

Darüber hinaus sind als materielle Abwägungsfehler (nur) noch solche Fehler im Abwägungsvorgang zu behandeln, die nicht nur die Zusammenstellung und Bewertung des Abwägungsmaterials nach § 2 Abs. 3 BauGB betreffen. Diese Fehler werden nicht von § 214 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BauGB, sondern nur von § 214 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 BauGB erfasst. Da der Begriff des „Bewertens“ i. S. d. § 2 Abs. 3 BauGB und damit die Reichweite des § 214 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BauGB unklar sind, ist nicht zweifelsfrei, welche Fehler „übrige Fehler im Abwägungsvorgang“ sind. Nach hier vertretener Ansicht sind solche Fehler gegeben, wenn überhaupt keine Abwägung stattgefunden hat (Abwägungsausfall), wenn sich ernsthaft aufdrängende Planungsalternativen von vornherein nicht berücksichtigt wurden, wenn objektiv nicht abwägungsrelevante Belange in die Abwägung mit eingestellt werden („Fehleinstellung von Belangen“) und bei der Fehlgewichtung von Belangen, wenn also die abwägungsrelevanten Belange nicht mit dem ihnen im konkreten Fall zuzumessenden Gewicht in die Abwägung mit eingestellt werden.

 

Anmerkung: Siehe hierzu U. Stelkens, UPR 2005, 81, 85; so wohl auch OVG Lüneburg, 1 KN 9/06 v. 20.4.2009, Abs. 68 = BauR 2009, 1553, 1555; Kersten, Jura 2013, 478, 490 f.; Labrenz, Die Verwaltung 43 (2010), 63, 72 ff.; teilweise a. A. BVerwG, 4 CN 1/07 v. 9.4.2008, Abs. 22 = BVerwGE 131, 110, 107 f. [m. Anm. v. Mager, JA 2009, 398, 400]; Bernhardt, JA 2008, 166, 169 ff.; Lege, DÖV 2015, 361, 366 ff.; Martini, JuS 2012, 126, 128 ff.; Pieper, Jura 2006, 817, 819 ff.; Uechtritz, ZfBR 2005, 11, 14 ff.

 

Abwägungsfehler in diesem Sinne könnten hier wegen einer faktischen Vorabbindung gegenüber der Schwartz-Bau GmbH und/oder wegen Nichtberücksichtigung der während der Bürgeranhörung vorgeschlagenen Kompromisslösung vorliegen.

 

a) Abwägungsfehler wegen Vorabbindung gegenüber der Schwartz-Bau GmbH

Ein Abwägungsfehler könnte darin zu sehen sein, dass die Leiterin der Abteilung Bauwesen im Bezirksamt Pankow, Karin Koslowsky, der Schwartz-Bau GmbH versprochen hatte, sie werde das Einkaufszentrum im Bezirksamt „baurechtlich möglich machen“. Da das Bezirksamt nach dem Sachverhalt auch bei dem abschließenden Beschluss des Bebauungsplans die Gewichtung der Belange „Arbeitsplätze und Wohnbedürfnisse“ noch diskutiert hat, hat zumindest noch eine Art „Rest-Abwägung“ stattgefunden, so dass jedenfalls von keinem Abwägungsausfall gesprochen werden kann. Allerdings bezieht sich das Bezirksamt ausdrücklich auf die mit der Schwartz-Bau GmbH getroffene Übereinkunft, wodurch es den für das Einkaufszentrum sprechenden Interessen gerade wegen der Vorabbindung eine außer Verhältnis hohe Gewichtung beimisst, was für eine Abwägungsdisproportionalität sprechen könnte.

Weil man sich vorliegend nicht vertraglich verpflichten wollte, ist in dieser Übereinkunft zwar keine verbotene vertragliche Bindung zum Erlass eines Bebauungsplans i. S. d. § 1 Abs. 3 S. 2 BauGB zu sehen.[28] Da aber eine faktische Bindung entsteht, erscheint eine solche Vorabsprache dennoch problematisch. Auf der anderen Seite wäre es verfehlt zu glauben, es ließen sich gänzlich ohne jede Vorabsprachen Interessenten und Investoren für derartige Großprojekte wie die „Pankow-Mall“ finden. Angesichts dieser praktischen Notwendigkeit hat die Rechtsprechung derartige Übereinkünfte unter folgenden Voraussetzungen für zulässig erklärt[29]: Selbstbindende Vorentscheidungen verletzen das Gebot gerechter Abwägung nicht, wenn (1.) die planungsrechtliche Zuständigkeitsordnung gewahrt wird, (2.) die Vorwegnahme der Entscheidung sachlich gerechtfertigt ist und (3.) die vorweggenommene Entscheidung inhaltlich nicht zu beanstanden ist, also insbesondere die Anforderungen erfüllt, die an eine abschließende Abwägung gestellt werden.

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, leidet der Bebauungsplan nicht wegen der Vorabentscheidung unter einer Abwägungsdisproportionalität. Da das Pankower Bezirksamt die Verhandlungen des Bezirksamtsmitglieds Karin Koslowsky mit der Schwartz-Bau GmbH gebilligt hat, wurde die Zuständigkeitsordnung gewahrt.

Weil die Planung eines solchen Einkaufszentrums nur sinnvoll ist, wenn sie auch den Wünschen und Bedürfnissen des Investors entspricht, sind auch vorherige Verhandlungen und eine genauere Abstimmung mit potenziellen Investoren sinnvoll.

Die stärkere Gewichtung des Belangs „Wirtschaft und Arbeitsmarkt“ i. S. d. § 1 Abs. 6 Nr. 8 lit. a und c BauGB gegenüber dem Belang „Wohnbedürfnisse“ i. S. d. § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB ist als solche nicht zu bemängeln. Eine derartige Prioritätensetzung ist Ausdruck der planerischen Gestaltungsfreiheit. Daher ist die Entscheidung auch sachlich nicht zu beanstanden.

Dementsprechend ist nicht schon in der Vorabbindung des Bezirks Pankow mit der Schwartz-Bau GmbH ein materiellrechtlicher Abwägungsfehler zu sehen.

 

b) Abwägungsfehler wegen Vernachlässigung des vorgeschlagenen Kompromisses zwischen den Einkaufsmöglichkeiten und Wohnraumbedarf

Ein Abwägungsfehler könnte jedoch darin zu sehen sein, dass das Bezirksamt es versäumt hat, die von den Bürgern im Rahmen der Anhörung vorgeschlagene Kompromisslösung in Erwägung zu ziehen, vor allem Wohngebiete und allenfalls nur wenige Einzelhandelsbetriebe auszuweisen, die noch innerhalb eines Mischgebiets nach § 6 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO zulässig wären.

 

aa) Fehler im Abwägungsvorgang oder im Abwägungsergebnis

Nach dem Sachverhalt steht fest, dass die Schwartz-Bau GmbH nur in ein solches Einkaufszentrum investieren würde, womit Alternativen zum Sondergebiet i. S. d. § 11 Abs. 3 BauNVO ausscheiden, wenn man den Investor und damit letztendlich das gesamte Projekt nicht verlieren will. Demzufolge stellte sich vorliegend eine „So-oder-überhaupt-nicht-Situation“ für den Bezirk. Insoweit wurde auch darauf hingewiesen, man könne ein solches Einkaufszentrum keinesfalls allein finanzieren, jedoch benötige Pankow die damit verbundenen 150 Arbeitsplätze dringend. Somit ist das Abwägungsergebnis nicht zu beanstanden, d. h. auch wenn das Bezirksamt die Kompromisslösung näher erwogen hätte, hätte es sich rechtmäßigerweise für die Planung des Einkaufszentrums entscheiden können.[30] Ein Fehler im Abwägungsergebnis liegt somit nicht vor.

Es könnte jedoch zu einem Fehler im Abwägungsvorgang gekommen sein. Zwar verlangt § 1 Abs. 7 BauGB nicht, dass das Bezirksamt jede theoretisch denkbare Planungsmöglichkeit erwägen muss. Es muss jedoch solche Planungsalternativen berücksichtigen, die im Verfahren angeregt wurden oder sich aufdrängen mussten. Hier ist zu berücksichtigen, dass das Erfordernis von Wohnungsbau von vielen Pankower Bürgern vorgebracht wurde und es sich damit aufgedrängt hat, zumindest über eine Kompromisslösung nachzudenken. Dass dies im Hinblick auf die mit der Schwartz-Bau GmbH getroffenen Absprachen vollständig abgelehnt wurde, stellt einen – von § 2 Abs. 3, § 214 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BauGB nicht erfassten – Fehler im Abwägungsvorgang dar.

Dementsprechend begründet die vollständige Nichtberücksichtigung des Kompromissvorschlags einen Fehler (nur) im Abwägungsvorgang.

 

bb) Beachtlichkeit des Fehlers

Es ist zu untersuchen, ob der Fehler nach § 214 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 BauGB offensichtlich war und auf das Planungsergebnis Einfluss hatte. Nach ständiger Rechtsprechung ist § 214 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 BauGB im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG (sehr) restriktiv auszulegen.[31]

Offensichtlich sind hiernach nicht nur ein solcher Fehler, der leicht erkennbar ist, sondern alle Fehler, die auf objektiv erfassbaren Umständen beruhen. Nicht offensichtlich sind nur solche Fehler, die ausschließlich auf subjektiven, nicht dokumentierten Vorstellungen der Mitglieder der Bezirksverordnetenversammlung beruhen.

Von Einfluss auf das Planungsergebnis sind solche Fehler schon dann, wenn die konkrete Möglichkeit besteht, dass ohne den Vorgangsfehler das Abwägungsergebnis anders ausgefallen wäre. Eine solche konkrete Möglichkeit ist immer dann gegeben, wenn entweder anhand der Planungsunterlagen oder aufgrund sonst erkennbarer naheliegender Umstände der Mangel im Abwägungsvorgang von Einfluss auf das Abwägungsergebnis gewesen sein kann, wobei die alleinige – abstrakte – Annahme, eine Vermeidung des Fehlers hätte zu einem anderen Ergebnis führen können, nicht ausreicht, allerdings ein positiver Nachweis, dass es bei Vermeidung des Fehlers zu einem anderen Planungsergebnis gekommen wäre, nicht geführt werden muss.

Vorliegend ist die nicht hinreichende Berücksichtigung der Planungsalternative in allen Planungsstadien dokumentiert worden und ist damit objektiv erkennbar, mithin offensichtlich gewesen. Fraglich ist jedoch, ob die konkrete Möglichkeit einer anderen Planung bestanden hätte, wenn sich das Bezirksamt Pankow ordnungsgemäß mit der Planungsalternative „Wohnungsbau“ auseinandergesetzt hätte. Allerdings ist nach dem vom Bezirksamt Vorgebrachten davon auszugehen, dass diesem ausschließlich etwas an der Realisierung des mit dem Investor abgesprochenen Projektes „Pankow-Mall“ gelegen war, denn nur anlässlich dieser Gelegenheit, „die Gunst der Stunde zu nutzen“, wurde der Bebauungsplan “Blankenfelde Nord“ überhaupt in Erwägung gezogen. Da sich zudem ein solches Vorhaben in dieser Größenordnung baurechtlich nicht mit Wohnungsbau in Einklang bringen lässt und kaum angenommen werden kann, dass dieses Projekt zu Gunsten des Wohnungsbaus vollends aufgegeben worden wäre, kann hier nicht von einer konkreten Möglichkeit gesprochen werden, dass das Planungsverfahren unter ordnungsgemäßer Berücksichtigung der Alternative „Wohnungsbau“ anders ausgefallen wäre. Auch bei einer Auseinandersetzung mit Alternativen ist mehr als wahrscheinlich, dass das Bezirksamt diese wegen Unvereinbarkeit mit dem geplanten Projekt verworfen hätte.

 

cc) Ergebnis zu b

Demnach ist der Fehler im Abwägungsvorgang durch Nichtberücksichtigung der Planungsalternative nach § 214 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 BauGB unbeachtlich.

 

c) Ergebnis zu 5

Es liegen somit keine beachtlichen Fehler bei der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB vor.

 

6. Ergebnis zu II

Der Bebauungsplan „Blankenfelde Nord“ leidet damit an materiellrechtlich beachtlichen Fehlern (nur) im Hinblick auf das Entwicklungsgebot des § 8 Abs. 2 BauGB (B.II.3) und das interkommunale Abstimmungsgebot des § 2 Abs. 2 Satz 1 BauGB (B.II.4), während die Fehler bei der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB (B.II.5) unbeachtlich sind.

 

III. Ergebnis zu B

Da der Bebauungsplan „Blankenfelde Nord“ an beachtlichen Mängeln leidet, somit mit höherrangigem Recht unvereinbar und daher ungültig ist, ist der Antrag der Gemeinde Mühlenbecker Land begründet.

 

C. Gesamtergebnis

Der Antrag der Gemeinde Mühlenbecker Land ist damit zulässig und begründet. Das OVG wird den Bebauungsplan „Blankenfelde Nord“ für unwirksam erklären.

 

Anmerkung: Nach § 214 Abs. 4 BauGB kann durch ein „ergänzendes Verfahren zur Behebung von Fehlern“ der Bebauungsplan auch rückwirkend in Kraft gesetzt werden. Hieraus folgt, dass der unwirksame Bebauungsplan bis zur Behebung des Fehlers im ergänzenden Verfahren nur „schwebend unwirksam“ ist (vgl. BT-Drs. 15/2250, S. 41). Ein solches ergänzendes Verfahren kommt aber vorliegend nicht in Betracht, da § 214 Abs. 4 BauGB restriktiv auszulegen ist: Ein Fehler kann im ergänzenden Verfahren dann nicht „behoben“ werden, wenn das ergänzende Verfahren zu einem grundlegend anderen Bebauungsplan führt. Das Grundgerüst des Planungsergebnisses darf durch den Fehler nicht infiziert sein (Brohm, Öffentliches BauR, 3. Aufl. 2002, § 16 Rn. 9). Genau dies ist hier jedoch der Fall: Die Ausweisung eines Sondergebietes nach § 11 Abs. 3 BauNVO für die geplante „Pankow-Mall“ ist einziger Gegenstand des Bebauungsplans „Blankenfelde Nord“. So wie das Einkaufszentrum konzipiert worden ist, ist es schlechthin mit den Vorgaben des Flächennutzungsplans und dem Recht der Gemeinde Mühlenbecker Land aus § 2 Abs. 2 S. 1 BauGB unvereinbar. Ein ergänzendes Verfahren könnte daher nur zu einer ganz anderen Planung als der Planung führen, die ursprünglich Gegenstand des Bebauungsplans „Blankenfelde Nord“ war. Es würde sich damit auch nicht mehr um ein ergänzendes Verfahren handeln. Im Übrigen ändert – seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Anpassung des Baugesetzbuchs an EU-Richtlinien (Europarechtsanpassungsgesetz Bau - EAG Bau) vom 24. Juni 2004 (BGBl. I 1359) – der bloße Umstand, dass ein ergänzendes Verfahren möglich ist, nichts mehr an der vom OVG nach § 47 Abs. 5 S. 2 VwGO auszusprechenden „Unwirksamkeitserklärung“.

Siehe

 

aus der Rechtsprechung zur Investorenplanung und zum interkommunalen Abstimmungsgebot: BVerwG, IV C 50/72 v. 5.7.1974 = BVerwGE 45, 309 ff.; BVerwG, 4 C 5/01 v. 1.8.2002  =  BVerwGE 117, 25 ff.; BVerwG, 4 C 14/01 v. 17.9.2003 = BVerwGE 119, 25 ff.; BVerwG, 4 CN 1/07 v. 9.4.2008 = BVerwGE 131, 100 ff.; OVG Koblenz, 1 C 10970/08 v. 6.5.2009 = NVwZ-RR 2009, 711 ff.

 

aus der Literatur zur Bedeutung des § 214 Abs. 3 Hs. 1 BauGB:

Bernhardt, JA 2008, 166 ff.; Kersten, Jura 2013, 478 ff.; Labrenz, Die Verwaltung 43 (2010), 63 ff.; Lege, DÖV 2015, 361 ff.; Martini, JuS 2012, 126 ff.; Pieper, Jura 2006, 817 ff.; U. Stelkens, UPR 2005, 81 ff.; Uechtritz, ZfBR 2005, 11 ff.;

 

ferner den sehr lesenswerten Beitrag von Berkemann mit dem Titel „Das ‚Abwägungsmodell‘ des BVverwG (BVerwGE 34, 301 [1969] – Entstehungsgeschichte und Legendenbildungen, DVBl. 2013, 1280 ff.; ergänzend hierzu wieder Lege, DÖV 2015, 361 ff.

 

siehe ferner die Fallbearbeitungen bei Seidel/Reimer/Möstl, Bes. VerwR, 2009, S. 137 ff.


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Fußnoten

[1]   BVerwG, 5 CN 1.12 v. 18.4.2013, Abs. 9 = BVerwGE 146, 217, Abs. 9.

[2]   BVerwG, 2 C 13.01 v. 4.7.2002, Abs. 13 = NVwZ 2002, 1505 f.

[3]   Vgl. Ausführungen bei BVerwG, 5 CN 1.12 v. 18.4.2013, Abs. 10 f. = BVerwGE 146, 217, Abs. 10 f.

[4]   BVerwG, 4 C 5/01 v. 1.8.2002, Abs. 20 ff. = BVerwGE 117, 25, 31 f.

[5]   BVerwG, 4 C 5/01 v. 1.8.2002, Abs. 22 = BVerwGE 117, 25, 33 m.w.N.; bereits für die als Sollbestimmung formulierte Vorgängernorm, den § Abs. 4 BBauG: BVerwG, 4 C 36.86 v. 15.12.1989, Abs. 21 = BVerwGE 84, 209, 215.

[6]   BVerwG 4 CN 2/98 v. 24.9.1998, Abs. 8 f. = BVerwGE 107, 215, 217 f.

[7]   Battis, in: Battis/Krautzberger/Löhr, § 215 Rn. 7.

[8]   BVerwG, 4 CN 1/07 v. 9.4.2008, Abs. 13 = BVerwGE 131, 100, 102.

[9]   Im Folgenden wird auf den Verweis in das Berliner Landesrecht bzgl. des VwVfG verzichtet.

[10] Bonk/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 20 Rn. 27.

[11] Vgl. Wohlfarth, in: Gröpl/Guckelberger/Wohlfahrt, § 3 Rn. 57; krit. zu diesem Verständnis: Lange, Kap. 5 Rn. 48 ff., der das Unmittelbarkeitskriterium eher als Umschreibung des Umstands versteht, dass es um individuelle Sonderinteressen gehen müsse.

[12] BVerwG, 8 C 46/91 v. 22.1.1993, Abs. 22 = NVwZ 1993, 1102, 1103.

[13] BVerwG, 4 CN 4/98 v. 12.8.1999, Abs. 24 = BVerwGE 109, 246, 249 f.

[14] BVerwG, 4 CN/14 v. 5.5.2015, Abs. 10 = NVwZ 2015, 1537, Abs. 10.

[15] BVerwG, 4 CN 6/99 v. 31.8.2000, Abs. 18 = BVerwGE 112, 41, 46 f.

[16] Vgl. VGH Mannheim, 8 S 487/96 v. 5.6.1996 Abs. 20 ff. = NVwZ-RR 1997, 684, 685.

[17] Vgl. Schrödter, in Schrödter, BauGB, 8. Auflage 2015, § 9 Rn. 12.

[18] Frenz, Jura 2008, 811, 814; Muckel/Ogorek, § 5 Rn. 103.

[19] Battis, in: Battis/Krautzberger/Löhr, 13. Aufl. 2016, § 214 Rn. 12.

[20] Siehe zum Ganzen BVerwG, 4 C 5/01 v. 1.8.2002, Abs. 20 ff. = BVerwGE 117, 25, 32 f.; BVerwG, 4 C 14/01 v. 17.9.2003, Abs. 21 ff. = BVerwGE 119, 25, 35.

[21] Vgl. BVerwG, 4 C 5/01 v. 1.8.2002, Abs. 27 ff. = BVerwGE 117, 25, 35 ff.; BVerwG, 4 C 14/01 v. 17.9.2003, Abs. 26 ff. = BVerwGE 119, 25, 37 ff.; Seidel/Reimer/Möstl, Besonderes Verwaltungsrecht, 2009, S. 144).

[22] So Brohm, Öffentl. BauR, 3. Aufl. 2002, § 16 Rn. 13.

[23] So z.B. BeckOKBauGB/Uechtritz, 36. Ed. 2017, BauGB § 2 Rn. 50.

[24] BVerwG, 4 C 5/01 v. 1.8.2002, Abs. 21. = BVerwGE 117, 25, 32.

[25] Ähnlich BVerwG, 4 C 14/01 v. 17.9.2003, Abs. 21 = BVerwGE 119, 25, 34: § 2 Abs. 2 BauGB sei eine „besondere gesetzliche Ausprägung des planungsrechtlichen Abwägungsgebots“.

[26] U. Stelkens, UPR 2005, 81, 87.

[27] Näher hierzu U. Stelkens, UPR 2005, 81, 82 ff.

[28] Hierzu Hellriegel, BauR 2016, 1853 ff.

[29] Vgl. BVerwG, IV C 50/72 v. 5.7.1974, Abs. 41 ff. = BVerwGE 45, 309, 315 ff.; Finkelnburg/Ortloff/Kment, Öffentl. BauR I, 6. Aufl. 2011, § 5 Rn. 29.

[30] Siehe hierzu Bernhardt, JA 2008, 166, 170.

[31] Vgl. hierzu und zum Folgenden: BVerwG, 4 C 57/80 v. 21.8.1981, Abs. 18 ff. = BVerwGE 64, 33, 34 ff. (zu einer entsprechenden Vorschrift des „alten“ Bundesbaugesetzes); BVerwG 4 NB 43/93 v. 20.1.1995, Abs. 14 ff. = BVerwG NVwZ 1995, 692, 693; BVerwG, 4 CN 1/07 v. 9.4.2008, Abs. 18 ff. = BVerwGE 131, 100, 105 ff.; Frenz, Jura 2008, 811, 815.


© Klaus Grupp (Universität des Saarlandes) und Ulrich Stelkens (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer)

Bearbeitung für Hauptstadtfälle: Georg Hellmich, Jannik Bach
Stand der Bearbeitung: Mai 2017 (Aufhebung des § 47 Abs. 2a VwGO ist jedoch bereits berücksichtigt)