Springe direkt zu Inhalt

Kurzlösung

Kurzlösung Arbeitsvermittlung mit bürokratischen Hindernissen

Die Klage der Alexis Papariga Sàrl wird Erfolg haben, wenn sie zulässig und begründet ist und keine Vorlagepflicht besteht.

A) Zulässigkeit

I. Verwaltungsrechtsweg (§ 40 Abs. 1 S. 1 VwGO)

- ab- oder aufdrängende Sonderzuweisung (-)

- öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht-verfassungsrechtlicher Art i.S.d. § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO? Streitentscheidende Normen sind die des Limbosa-Gesetzes und Art. 56 AEUV. Diese sind öffentlich-rechtlich, da sie zumindest auch einen Träger öffentlicher Gewalt berechtigen oder verpflichten (modifizierte Subjektstheorie). Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit liegt somit vor, der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet. (+)

II. Statthafte Klageart 

- richtet sich nach dem Begehren des Klägers (vgl. § 88 VwGO); Die Alexis Papariga Sàrl beantragt, dass das Limbosa Gesetz (Registrierungspflicht, Androhung einer Geldbuße) vom VG für rechtswidrig erklärt wird und festgestellt wird, dass er direkt aus den Grundfreiheiten des AEUV einen Anspruch auf Ausübung seiner Tätigkeit besitzt.

- Verfahren von Privaten, die darauf gerichtet sind, dass ein formelles (Bundes-)Gesetz für rechtswidrig oder nichtig erklärt wird, sind dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten (Verfassungsbeschwerde, Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG). Gegen ein Bundesgesetz kommt § 47 VwGO nicht in Betracht. Damit scheint die Verfassungsbeschwerde die statthafte Klageart zu sein, allerdings kann sie nur vor dem Bundesverfassungsgericht erhoben werden und außerdem wäre sie verfristet (Ein-Jahres-Frist § 93 Abs. 3 BVerfGG).

- Der Antrag der Alexis Papariga Sàrl kann aber nach § 88 VwGO ausgelegt werden. Eine solche Auslegung ergibt, dass sich seine Begehr in erster Linie darauf richtet, dass festgestellt wird, dass er in Deutschland keiner Registrierungspflicht aufgrund des Limbosa-Gesetzes (bei Rechtswidrigkeit oder Unanwendbarkeit des Gesetzes) unterliegt. Voraussetzung ist ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis. Ein Rechtsverhältnis ist jede sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer konkreten Rechtsnorm ergebende Beziehung einer Person zu einer anderen Person (auch in Ansehung einer Sache). Die Registrierungspflicht begründet ein Rechtsverhältnis.

- Die (negative) Feststellungsklage ist nach § 43 Abs. 1 VwGO die statthafte Klageart.

III. Subsidiarität, § 43 Abs. 2 S. 1 VwGO

Das Abwarten eines Bußgeldbescheides ist der Alexis Papariga Sàrl nicht zuzumuten. Damit ist die Feststellungsklage im konkreten Fall nicht subsidiär gegenüber einer Anfechtungsklage.

IV. Feststellungsinteresse (§ 43 Abs. 1 VwGO) und Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO analog)

- berechtigtes Interesse = jedes nach der Sachlage anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art. Die Alexis Papariga Sàrl will zum einen verhindern, dass gegen sie ein Bußgeldbescheid ergeht, zum anderen will sie den Aufwand sparen, der sie durch die Registrierungspflicht trifft. Rechtliches und wirtschaftliches Interesse (+)

- Erfordernis einer subjektiven Rechtsverletzung i.S.d. § 42 Abs. 2 VwGO (analog) bei der Feststellungsklage? Dagegen: keine planwidrige Regelungslücke, Feststellungsinteresse erforderlich, ein Rechtsverhältnis setzt nach h.M. kein subjektives Recht voraus

V. Passive Prozessführungsbefugnis (Rechtsgedanke des § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO / § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO analog)

Richtiger Beklagter im Verfahren der allgemeinen Feststellungsklage = juristische Person des öffentlichen Rechts, der gegenüber das Nichtbestehen des Rechtsverhältnisses festgestellt werden soll. Hier: Land Berlin; denn nach § 65 LimbosaG sind die Länder zuständig und die Alexis Papariga Sàrl will laut SV ihre Leistungen zunächst ausschließlich in Berlin anbieten

VI. Beteiligten- und Prozessfähigkeit

- Der Kläger ist als juristische Person nach § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO beteiligtenfähig. Dies gilt auch für juristische Personen aus EU-Staaten, sofern der Anwendungsbereich des AEUV eröffnet ist und sie nach dem Recht ihres Heimatstaates klagebefugt sind. Da dies eine Frage der Begründetheit ist, muss hier von der Beteiligtenfähigkeit ausgegangen werden. Die Beteiligtenfähigkeit des Landes Berlin ergibt sich aus § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO.

- Gemäß § 62 Abs. 3 VwGO muss sich der Kläger ebenso wie das Land Berlin von ihrem gesetzlichen Vertreter vertreten lassen.

VII. Ergebnis

Feststellungsklage insgesamt zulässig

 

B) Begründetheit

Die Klage ist begründet, wenn die geplante Tätigkeit der Alexis Papariga Sàrl keiner Registrierung bedarf und das festzustellende Rechtsverhältnis somit nicht besteht. Dies ist der Fall, wenn zwar die tatbestandlichen Voraussetzungen des LimbosaG erfüllt sind, aber aufgrund europarechtlicher Vorgaben ein Anspruch auf Registrierungsfreiheit besteht.

I. Tatbestandliche Voraussetzungen

Die Tätigkeit der Klägerin erfüllt den Tatbestand des § 53 Abs. 1 u. 2 LimbosaG und muss daher bei jeder Vermittlung die in § 54 LimbosaG verlangten Daten übermitteln.

II. Modifikation durch das Europarecht?

1. Anwendbarkeit des Unionsrechts

- Ein Verstoß gegen Europarecht ist nur dann zu berücksichtigen, wenn die nationalen Gerichte die Grundfreiheiten zu beachten haben. Voraussetzung dafür ist, dass das Unionsrecht unmittelbare Anwendbarkeit findet.

- EuGH Rs. Van Gend en Loos (1963): Unmittelbare Anwendbarkeit hinreichend genauer und unbedingter europäischer Normen in den Mitgliedstaaten. Dazu gehören die Grundfreiheiten.

2. Schutzbereich

Durch die Registrierungspflicht kommt ein Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 ff. AEUV, in Betracht. Da keine Harmonisierung vorliegt lässt sich direkt auf den AEUV abstellen.

a. Sachlicher Schutzbereich

- Legaldefinition in Art. 57 Abs. 1 u. 2 AEUV; Dienstleistungen sind selbständige und zeitlich beschränkte Tätigkeiten, die darauf gerichtet sind, nicht-körperliche Leistungen in der Regel gegen Entgelt zu erbringen.

- Unterschieden werden die aktive Dienstleistungsfreiheit, die passive Dienstleistungsfreiheit, die Korrespondenz-Dienstleistungsfreiheit sowie die auslandsbedingte Dienstleistungsfreiheit.

- Hier begibt sich die Alexis Papariga Sàrl nicht in ein anderes Land, sondern vermittelt gegen Entgelt Tätigkeiten von entsandten Selbstständigen, die sich gegen Entgelt in ein anderes Land begeben. Auf die Tätigkeiten der entsandten Selbstständigen ist nicht abzustellen, da die Alexis Papariga Sàrl aus eigenem Recht klagt. Die Vermittlung fällt in den Schutzbereich der Korrespondenzdienstleistung.

- Fraglich ist aber, ob nicht andere Grundfreiheiten einschlägig sind, die Dienstleistungsfreiheit schützt nämlich nur subsidiär.

Die Abgrenzung zur Niederlassungsfreiheit erfolgt v.a. über das Kriterium der Dauerhaftigkeit. Abzustellen ist außerdem auf das Vorliegen einer festen Infrastruktur, die Häufigkeit der Leistung, ihre regelmäßige Wiederkehr und ihre Kontinuität. Hier kommt es v.a. darauf an, dass die Alexis Papariga Sàrl weiter von Paris aus tätig werden will. Damit kommt die Niederlassungsfreiheit nicht in Betracht.

Die Abgrenzung zur Warenverkehrsfreiheit erfolgt über das Kriterium der Verkörperung der Ware. Hier werden Menschen vermittelt.

Die Abgrenzung zur Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 AEUV erfolgt über das Kriterium der Weisungsgebundenheit. Die Alexis Papariga Sàrl wird gerade nicht weisungsgebunden tätig (ebensowenig wie die von ihr entsandten Selbstständigen).

Da die Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit ebenfalls nicht in Betracht kommt, ist der sachliche Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit eröffnet.

b. Grenzüberschreitender Bezug

(+)

c. Bereichsausnahme des Art. 62 i.V.m. Art. 51 AEUV

(-)

d. Persönlicher Schutzbereich

- Für juristische Personen gilt Art. 54 AEUV i.V.m. Art. 62 AEUV.

- Die Sàrl erfüllt die dort genannten Voraussetzungen.

3. Beeinträchtigung / Eingriff

- Ein Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit liegt immer dann vor, wenn eine national-rechtliche Maßnahme einen Marktteilnehmer unmittelbar (direkt) oder mittelbar (versteckt) diskriminiert oder zwar nicht diskriminiert, ihn aber in seiner Marktbeteiligung beschränkt.

- Eine Diskriminierung liegt vor, wenn ein inländischer Staatsangehöriger gegenüber einem ausländischen Staatsangehörigen besser gestellt wird. Dies ist immer dann der Fall wenn „unterschiedliche Vorschriften auf gleichartige Situationen angewandt werden oder wenn dieselbe Vorschrift auf unterschiedliche Situationen angewandt wird.“ Unmittelbar/direkt ist eine solche Diskriminierung, wenn unmittelbar/direkt an die Staatsangehörigkeit angeknüpft wird. Mittelbar/versteckt ist sie dann, wenn sie an Umstände anknüpft, die typischerweise nur von einem inländischer Staatsangehörigen (oder einem ausländischen Staatsangehörigen) erfüllt werden.

- Die Registrierungspflicht nach § 53 Abs. 2 LimbosaG und die Verlängerungspflicht alle zwei Monate (§ 53 Abs. 3 LimbosaG) macht die Ausübung der Dienstleistungsfreiheit weniger attraktiv.

- Das Limbosa-Gesetz knüpft an den (Wohn-)Sitz der Person und damit nicht ausdrücklich an die Staatsbürgerschaft an. Da zwar Ausländer im Inland wohnen können und Inländer im Ausland, aber typischerweise Inländer im Inland und Ausländer im Ausland wohnen, ist das Wohnsitzerfordernis jedoch eine mittelbar/versteckt diskriminierende Maßnahme.

- Damit liegt eine beeinträchtigende Maßnahme in Form einer versteckt diskriminierenden Maßnahme durch das Limbosa-Gesetz vor.

4. Rechtfertigung

a. Geschriebene Rechtfertigungsgründe

Art. 62 AEUV i.V.m.Art. 52 AEUV Rechtfertigung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit?

Der Begriff der öffentlichen Ordnung wird eng ausgelegt. Der Rechtfertigungsgrund Schutz des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit stellt aber einen anerkannten ungeschriebenen Rechtfertigungsgrund dar.

b. Ungeschriebene Rechtfertigungsgründe

Anwendbarkeit der Gebhard-Formel auf mittelbar / versteckt diskriminierende Maßnahmen?

EuGH in italienische Museen: Anwendbarkeit +; EuGH in Ciola: Anwendbarkeit -; Für eine Anwendbarkeit der ungeschriebenen Rechtfertigungsgrüne spricht, dass der EuGH die geschriebenen Rechtfertigungsgründe eng auslegt. Außerdem unterscheidet der EuGH oft nicht zwischen Beschränkungen und Diskriminierungen. Dagegen spricht allerdings, dass er den Staaten so versteckte Diskriminierungen unter Umständen erlaubt, die von den Staaten selbst nicht vorgesehen waren. Aufgrund der neuen Rechtsprechungslinie des EuGH, die auch im Rahmen der anderen Marktfreiheiten erkennbar ist, spricht vieles dafür, faktisch diskriminierende Maßnahmen auch aufgrund zwingender Erfordernisse zu rechtfertigen. Dies muss aber dann nicht entschieden werden, wenn eine Rechtfertigung nicht in Betracht kommt.

aa. Legitimer Zweck

Die Verhinderung von Missbrauch (Sozialbetrug) schützt das finanzielle Gleichgewicht des Systems der sozialen Sicherheit. Dies ist ein zwingendes Erfordernis des Allgemeininteresses.

bb. Geeignetheit

Das Abgleichen von Daten bei der Registrierung dient der Aufdeckung von Betrugsfällen.

cc. Erforderlichkeit

- Erforderlich ist eine Regelung dann, wenn keine gleich geeignete, aber weniger in die Grundfreiheiten des Einzelnen eingreifende Maßnahme besteht. Hierbei kommt dem Staat ein Beurteilungsspielraum zu.

- Die Erforderlichkeit steht zum einen deswegen in Frage, weil die Registrierung nur für zwei Monate gültig ist und danach erneuert werden muss. Hier würde auch ein längerer Zeitraum ausreichen. Dies betrifft allerdings nur den Zeitraum, nicht die Registrierungspflicht an sich.

- Zum anderen lässt sich an der Erforderlichkeit der Registrierung als solcher zweifeln. Ein genereller Betrugsverdacht kann als Rechtfertigung nicht genügen. Die Registrierungspflicht ist nicht auf konkrete Fälle beschränkt, bei denen ein Betrugsverdacht besteht. Außerdem umfasst die Registrierungspflicht sehr detaillierte Informationen. Als milderes Mittel kommt in Betracht, dass im Fall eines konkreten Verdachts, Informationen bei den Herkunftsstaaten angefragt werden. Schließlich ist es auch nicht erforderlich, dass alle deutschen Behörden Zugriff auf diese Daten haben.

- Damit ist das Limbosa-Gesetz nicht erforderlich.

Zwischenergebnis: Die Registrierungspflicht ist nicht europarechtskonform.

C) Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV? 

- Grdsl. muss das Gericht das Gesetz anwenden, oder wenn es von seiner Verfassungswidrigkeit überzeugt ist, das Verfahren aussetzen und dem Bundesverfassungsgericht vorlegen.

- In Bezug auf das Europarecht gilt aber der Vorrang des EU-Rechts (EuGH: Costa ./. Enel), der die nicht Anwendung des EU-rechtswidrigen Gesetzes verlangt. Diese Rechtsprechung wurde vom Bundesverfassungsgericht anerkannt. Nationale Regelungen sind deshalb unionsrechtskonform auszulegen. Ist dies nicht möglich, dann wird das nationale Recht nicht etwa unwirksam, sondern findet im konkreten Fall keine Anwendung.

- Ein Vorabentscheidungsverfahren ist daher nur dann zwingend, wenn die Vorlagefrage entscheidungserheblich ist und wenn das Gericht entweder Europarecht (oder europarechtlich determiniertes nationales Recht) nicht anwenden möchte oder wenn es letztinstanzlich tätig wird, und es Zweifel an der Gültigkeit oder Auslegung des Unionsrechts hat (Art. 267 Abs. 3 AEUV). Hier will das Gericht aber gerade Europarecht anwenden, weshalb nicht vorgelegt werden muss.

D) Ergebnis

Die Klage ist zulässig und begründet.

 


Dokumente

Zur zuletzt besuchten Textpassage | Zum Seitenanfang