Keinen Platz den Drogen! (Kurzlösung)
- Antrag Mabuses hat Erfolg, wenn er zulässig und begründet ist
I. Verwaltungsrechtsweg (§ 40 VwGO)
- Voraussetzung für Anwendbarkeit des § 80 Abs. 5 VwGO ist Anwendbarkeit der VwGO, d.h. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO; Polizei nimmt für präventive Tätigkeit polizeiliche Befugnisse in Anspruch; daher Streitentscheidung auf Basis öffentlich-rechtlicher Normen (+)
II. Statthaftigkeit des Antrags
- Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist statthaft, wenn Klage in der Hauptsache eine Anfechtungsklage wäre; Allgemeinverfügung vom 15. Oktober müsste ein VA i.S.d. § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO bzw. § 35 VwVfG sein
- str., nach welchen Maßstäben zu beurteilen
e.A.: Begriff des VAs in beiden Vorschriften deckungsgleich
a.A.: Begriff ist in § 42 Abs. 1 S. 1 VwGO weiter, erfasst auch Maßnahmen, die nach äußerer Form einen VA darstellen (+) Gebot des effektiven Rechtsschutzes, Betroffene müssen sonst u.U. komplizierte rechtliche Frage entscheiden, ob VA vorliegt bzw. ob dieser wirksam geworden ist
- hier wollte sich Polizei eindeutig der Form des VAs bedienen (+)
III. Antragsbefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO analog)
- vorläufiger Rechtsschutz nur zu gewähren, wo auch ein Hauptsacheverfahren zulässig wäre, daher § 42 Abs. 2 VwGO analog; eigentlich behauptet Mabuse von dem Aufenthaltsverbot gar nicht betroffen zu sein; allerdings wird es von der Polizei zur rechtlichen Basis der Verfügung gemacht; auch bei solchen „Irrtümern“ muss der so Betroffene also die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung haben
- mgl. verletzte Rechte: Art. 2 Abs. 1 GG oder Art. 11 Abs. 1 GG (+)
IV. Passive Verfahrensbefugnis
- Prozessführungsbefugnis in Hauptverfahren und im vorläufigen Rechtsschutz soll in einer Person liegen, daher § 78 VwGO analog; § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO analog Land Berlin (+)
V. Beteiligten- und Prozessfähigkeit (§§ 61, 62 VwGO)
- Mabuse § 61 Nr. 1 Alt. 1, § 62 Abs. 1 Nr. 1 VwGO beteiligten- und prozessfähig; Land Berlin nach § 61 Nr. 1 Alt. 2, § 62 Abs. 3 VwGO
VI. Einlegung eines Rechtsbehelfs, der die aufschiebende Wirkung nach § 80 Abs. 1 VwGO auslösen kann
- str., ob für Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO bereits einen Rechtsbehelf eingelegt worden sein muss, der die aufschiebende Wirkung auslösen kann; Streit kann dahinstehen, weil Widerspruch nach §§ 68 ff. VwGO eingelegt (+)
- Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nach § 80 Abs. 4 VwGO bei der Polizei ist nur in den Fällen des § 80 Abs. 6 VwGO erforderlich; hier nicht
- Antrag zulässig
- Antrag begründet, wenn entweder die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit nicht den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO entspricht oder wenn sich bei Abwägung der beteiligten Interessen ergibt, dass das Interesse des Antragstellers am einstweiligen Nichtvollzug (Suspensivinteresse) das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung (Vollzugsinteresse) überwiegt (vgl. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO); letzteres ist insbesondere der Fall, wenn sich nach summarischer Überprüfung ergibt, dass eine Klage im Hauptsacheverfahren begründet wäre, da an der Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts kein Interesse bestehen kann
- nach Sachverhalt entspricht die Anordnung den Voraussetzungen des § 80 Abs. 3 VwGO; fraglich, ob die Allgemeinverfügung vom 15. Oktober rechtswidrig ist und Mabuse in seinen Rechten verletzt; Allgemeinverfügung ist eine für Mabuse belastende Maßnahme, womit sich eine Rechtsverletzung schon bei Rechtswidrigkeit der Verfügung ergibt
- Polizeipräsidentin in Berlin gemäß § 4 Abs. 2 S. 1 AZG, § 1 Abs. 1 S. 1, § 5 Abs. 1, § 6 ASOG sachlich und örtlich zuständig
2. Zulässigkeit des Handelns in Form einer Allgemeinverfügung (§ 35 S. 2 VwVfG)
- nach § 29 Abs. 2 ASOG kann die Polizei nur eine Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr das Betreten verbieten; demnach war nur die Handlungsform eines VAs zulässig; fraglich ist deshalb, ob die Anordnung vom 15. Oktober der Legaldefinition des § 35 VwVfG entspricht
- P: ist Anordnung noch Einzelfallregelung i.S.d. § 35 VwVfG oder wäre nur Erlass einer Polizeiverordnung nach § 55 ASOG rechtmäßig; (+) ausreichender Einzelfallbezug i.S.d. § 35 S. 2 Var. 1 VwVfG aufgrund konkreter Gefahr am Weinbergspark; Alternativ: (+) ausreichender Einzelfallbezug i.S.d. § 35 S. 2 Var. 3, da auch als Benutzungsregelung der Sache „Weinbergspark“ qualifizierbar
3. Ordnungsgemäße Bekanntgabe (§ 41 VwVfG)
- nicht ordnungsgemäß bekannt gemachter VA ist VA i.S. der VwGO (s.o. A. II.); Allgemeinverfügung ist rechtswidrig, wenn sie Mabuse nicht gemäß § 41 VwVfG ordnungsgemäß bekannt gegeben wurde
- öffentliche Bekanntgabe bewirkt, dass der Verwaltungsakt für und gegenüber jedermann wirksam wird, unabhängig davon, ob dieser von ihm Kenntnis genommen hat oder ob ihn die Regelung zur Zeit ihres In-Kraft-Tretens schon etwas angeht; nur zulässig, wenn die Voraussetzungen des § 41 Abs. 3 VwVfG vorliegen und die Art und Weise der Bekanntgabe § 41 Abs. 4 VwVfG entspricht
- Voraussetzungen für öffentliche Bekanntmachung einer schriftlichen Allgemeinverfügung (§ 41 Abs. 3 S. 2, Abs. 4 VwVfG) lagen vor
4. Bestimmtheit (§ 37 Abs. 1 VwVfG)
- bei der Allgemeinverfügung ausreichend, wenn der Adressatenkreis nach allgemeinen Merkmalen durch Auslegung bestimmt werden kann
- hier ist der betroffene Personenkreis nach zwei Gesichtspunkten bestimmt: alle Personen, die sich (1.) im Weinbergspark aufhalten bzw. aufhalten wollen und bei denen (2.) offensichtliche Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Straftaten begehen werden, die der Drogenszene zuzurechnen sind
- alle Begriffe durch Auslegung präzisierbar und durch Offensichtlichkeitskriterium eingeschränkt, daher ausreichend bestimmt; tatsächliche Schwierigkeiten bzgl. der Feststellung der einzelnen Merkmale sind für die Bestimmtheit der Norm irrelevant
- Anhörung bedurfte es nicht, § 28 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG; Begründung der Allgemeinverfügung selbst nicht notwendig, § 39 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG
- Allgemeinverfügung ist formell rechtmäßig
1. Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 29 Abs. 2 S. 1 ASOG
- grds. zu bejahen, da sich die Allgemeinverfügung ihrem Wortlaut nach darauf beschränkt, die in § 29 Abs. 2 S. 1 ASOG genannten Voraussetzungen im Hinblick auf die Drogenszene im Weinbergspark zu präzisieren
- § 29 Abs. 2 ASOG verbietet auch nicht, Aufenthaltsverbote in Form von Allgemeinverfügungen zu erlassen; § 29 Abs. 2 ASOG spricht nicht von „konkreten Personen“ und das ASOG geht im Grds. davon aus, dass Gefahrenabwehrmaßnahmen auch durch Allgemeinverfügungen nach § 35 S. 2 VwVfG getroffen werden können
- Maßnahme war grds. an die richtigen Adressaten gerichtet; jedenfalls liegen hier jedenfalls die Voraussetzungen § 13 Abs. 1 ASOG vor, da sich das Aufenthaltsverbot ausdrücklich gegen Personen richtet, die selbst die Straftaten begehen wollen
2. Verfassungsmäßigkeit des § 29 Abs. 2 ASOG
a) Vorliegen eines Eingriffs in Art. 11 Abs. 1 GG
- unstreitig, dass Art. 11 Abs. 1 GG nicht die „Fortbewegungsfreiheit“ schützt, und wohl auch, dass die „Fortbewegungsfreiheit“ – und nicht die „Freizügigkeit“ – betroffen ist, wenn der Aufenthalt an einem bestimmten Ort nicht um seiner selbst willen, sondern um der Fortbewegung willen (dann Art. 2 Abs. 1GG) erfolgt; hier will Mabuse sich aber bewusst im Park aufhalten
- umstritten ist Bedeutung des „Aufenthaltnehmens“
e.A.: Betroffene muss an einem bestimmten Ort mehr wollen, als sich nur (flüchtig) aufzuhalten; gewisse Dauer des Aufenthalts erforderlich
h.M.: auch vorübergehender Aufenthalt an jedem Ort der Bundesrepublik ist geschützt, jedenfalls dann, wenn es dem Betroffenen gerade auf den Aufenthalt an diesem Ort um seiner selbst willen ankommt
- Entscheidung kann dahinstehen, wenn § 29 Abs. 2 ASOG den Anforderungen entspricht, die Art. 11 Abs. 2 GG für Eingriffe in Art. 11 Abs. 1 GG aufstellt; Anforderungen von Art. 2 Abs. 1 GG können jedenfalls nicht höher sein
b) Formelle Verfassungsmäßigkeit
- Zitiergebot in § 66 ASOG beachtet; Landeskompetenz nicht durch Art. 73 Abs. 1 Nr. 3 GG ausgeschlossen, weil Ermächtigung in Art. 11 Abs. 2 GG, strafbaren Handlungen vorzubeugen (sog. „Kriminalvorbehalt“), sich auf typische Funktion des landesrechtlich geregelten Polizeirechts bezieht
c) Vereinbarkeit mit dem Schrankenvorbehalt des Art. 11 Abs. 2 GG
- Aufenthaltsverbote nach § 29 Abs. 2 ASOG sind nur für den Fall mgl., dass Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass am „verbotenen Ort“ Straftaten begangen werden; speziellem Schrankenvorbehalt Genüge getan
d) Materielle Verfassungsmäßigkeit
- Verhältnismäßigkeit nicht zu beanstanden, da § 29 Abs. 2 S. 2-4 ASOG die Eingriffsintensität vermindert und mit der Verhinderung von Straftaten gewichtige Interessen verteidigt werden
- § 29 Abs. 2 ASOG ist verfassungsgemäß
3. Ordnungsgemäße Ermessensausübung (§ 40 VwVfG i.V.m. §§ 11, 12 ASOG)
a) Verstoß gegen den Zweck der Ermächtigung (§ 40 Alt. 1 VwVfG)
- jedenfalls dann, wenn durch Aufenthaltsverbot nicht die Bekämpfung der Gefahr, sondern lediglich ihre „Verschiebung“ in andere Stadtteile im Vordergrund steht; hier sollen aber objektiv die Gefahren beseitig werden
b) Missachtung der gesetzlichen Grenze des in § 11 ASOG normierten Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (§ 40 Alt. 2 VwVfG)
- regelmäßige Störung der offenen Drogenszene kann einer Verfestigung der Vertriebswege entgegenwirken
- Aufenthaltsverbot durch Einzelverfügung gegenüber den von der Allgemeinverfügung „anvisierten“ Personen weniger belastend; für die Polizei auch der gleiche „Ermittlungsaufwand“
- Allgemeinverfügung nicht erforderlich, daher unverhältnismäßig.
- Allgemeinverfügung ermessensfehlerhaft
- Allgemeinverfügung somit materiell rechtswidrig
- Allgemeinverfügung rechtswidrig, verletzt Mabuse in seinen Rechten; Anfechtungsklage wäre im vorliegenden Fall begründet und hätte Aussicht auf Erfolg; somit überwiegt das Suspendierungsinteresse Mabuses das Vollziehungsinteresse der Polizei; Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO ist damit begründet
- Antrag Mabuses ist zulässig und begründet und hat damit Aussicht auf Erfolg
Dokumente
- KeinenPlatzDenDrogen Sachverhalt (pdf)
- Keinen Platz den Drogen! (Kurzlösung)
- Keinen Platz den Drogen! (Lösungsvorschlag)
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© Klaus Grupp (Universität des Saarlandes) und Ulrich Stelkens (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer)
Bearbeitung für Hauptstadtfälle: Georg Hellmich, Franziskus Baer
Stand der Bearbeitung: Mai 2017