Unerwünschte Hilfe Kurzlösung
Unerwünschte Hilfe (Kurzlösung)
Die Klage des Sebastian Sartorius hat Erfolg, soweit sie zulässig und begründet ist.
I. Verwaltungsrechtsweg (§ 40 Abs. 1 VwGO)
1. Aufdrängende Sonderzuweisung (-)
§ 65 ASOG (-) denn dieser regelt nur Klagen der Körperschaft gegen den Bürger auf Regress
Streitentscheidende Norm ist § 64 ASOG diese gehört dem öffentlichen Recht an und es liegt keine verfassungsrechtliche Streitigkeit vor
- richtet sich nach Begehren des Klägers (§§ 86 III, 88 VwGO).
- Sartorius wendet sich gegen den Kostenbescheid. Dieser Bescheid ist ein Verwaltungsakt i.S.d. § 1 VwVfG Bln i.V.m. § 35 BVwVfG
- Die Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO ist die richtige Klageart.
III. Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO)
(+) Sartorius ist Adressat
Die Senatsverwaltung für Finanzen ist oberste Landesbehörde, da kein Gesetz die Nachprüfung vorschreibt bedurfte es nach § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO nicht der erfolglosen Durchführung eines Vorverfahrens.
- Fristbeginn ist nach § 41 Abs. 2 VwVfG der 24. Oktober 2012 (Bekanntgabe)
- Damit Frist (+)
VI. Passive Prozessführungsbefugnis (§ 78 VwGO)
Nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO das Land Berlin (sog. Rechtsträgerprinzip).
VII. Beteiligten- und Prozessfähigkeit (§§ 61, 62 VwGO)
G nach § 61 Nr. 1 Alt. 1, § 62 Abs. 1 Nr. 1 VwGO; Land Berlin nach § 61 Nr. 1 Alt. 2, § 62 Abs. 3 VwGO
Damit ist die Klage zulässig.
Die Klage ist gemäß § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO begründet, soweit der Bescheid rechtswidrig ist und Sartorius dadurch in seinen Rechten verletzt wird.
Wegen der Adressatenstellung des Sartorius ergibt sich die Rechtsverletzung schon bei Rechtswidrigkeit des VA, so dass die Rechtsverletzung im Einzelnen nicht mehr geprüft wird.
- § 64 Abs. 1 ASOG ist gegenüber § 15 Abs. 2 ASOG die speziellere Norm für den Regress und hat danach Vorrang
- Verwaltungsaktbefugnis? Dagegen § 65 ASOG (Verweis auf Verwaltungsrechtsweg) aber Regressanspruch ist öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch und darf mittels Verwaltungsakt einseitig erhoben werden
Nach § 64 Abs. 1 und § 63 ASOG ist ausgleichspflichtige Körperschaft die Anstellungskörperschaft, hier das Land Berlin.
§ 28 Abs. 1 VwVfG Anhörung (+)
(+)
Zwischenergebnis: Der Bescheid ist damit formell rechtmäßig.
III. Materielle Rechtmäßigkeit
Nach § 64 Abs. 1 ASOG kann die Körperschaft Ersatz von den nach §§ 13, 14 ASOG Verantwortlichen verlangen, wenn sie nach § 59 Abs. 1 oder Abs. 3 ASOG einen Ausgleich für ihre Aufwendungen gewährt hat. Diese Pflicht müsste den Carl treffen und dann auf den Sartorius übergegangen sein
1. Gewährung eines Ausgleichs nach § 59 Abs. 1 oder Abs. 3 ASOG für Aufwendungen?
- Die Behörde hat laut Sachverhalt einen Ausgleich an den Vermieter gewährt. Einen solchen Ausgleich muss sie dann gewähren, wenn jemand infolge einer rechtmäßigen Inanspruchnahme nach § 16 ASOG (§ 59 Abs. 1 Nr. 1 ASOG), als unbeteiligter Dritter durch eine rechtmäßige Maßnahme der Ordnungsbehörde oder der Polizei (§ 59 Abs. 1 Nr. 2 ASOG) oder bei der Erfüllung einer ihm nach § 323 c StGB obliegenden Verpflichtung zur Hilfeleistung (§ 59 Abs. 1 Nr. 3 ASOG) einen Schaden erleidet.
- Als Anspruchsgrundlage für diesen Ausgleich kommt hier § 59 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 ASOG in Betracht. Dazu muss entweder ein Nichtstörer oder ein unbeteiligter Dritter einen Ausgleich erhalten haben für einen Schaden, den er als Nichtstörer oder als unbeteiligter Dritter im Rahmen einer rechtmäßigen Maßnahme der Polizei erlitten hat.
- § 16 ASOG Abs. 1 Nr. 3 ASOG verlangt, dass jemand als Nichtstörer nur dann in Anspruch genommen werden darf, wenn die Polizei die Maßnahme nicht selbst durchführen kann. Da die Polizei die Maßnahme hier selbst durchgeführt hat, ist der Vermieter unbeteiligter Dritter i.S.d. § 59 Abs. 1 Nr. 2 ASOG.
- Der unbeteiligte Dritte hat auch einen Schaden erlitten, nämlich i.H.v. 400,00 Euro. Der Schaden wurde ausgeglichen, so dass Aufwendungen in i.H.v. 400,00 Euro durch das Land Berlin getätigt wurden.
Fraglich ist, ob eine formell und materiell rechtmäßige Maßnahme der Polizei vorliegt.
a. Rechtsgrundlage: unmittelbare Ausführung oder Sofortvollzug?
- Als Rechtsgrundlage kommt mangels Verwaltungsakts entweder die unmittelbare Ausführung (§ 15 ASOG) oder der Sofortvollzug (§ 6 Abs. 2 VwVG i.V.m. § 5aVwVfG Bln), in Betracht.
- Die Abgrenzung ist umstritten (P)
e.A.: Eine Abgrenzung hat danach zu erfolgen, ob mit der Handlung ein mutmaßlich bestehender Wille gebrochen wird, dann Sofortvollzug, ansonsten unmittelbare Ausführung
a.A.: Unmittelbare Ausführung ist immer vorrangig
a.A.: Unmittelbare Ausführung immer dann einschlägig, wenn der Verantwortliche nicht erreichbar ist
Vorliegend ist der Verantwortliche nicht erreichbar; damit kommen die beiden letzten Ansichten zum Vorrang der unmittelbaren Ausführung.
Eine Streitentscheidung kann dahinstehen, wenn auch die erste Ansicht die unmittelbare Ausführung als Rechtsgrundlage ansieht.
Fraglich ist, ob es der mutmaßliche Wille des nicht anwesenden Carl gewesen wäre, dass sein Leben gerettet und die Tür geöffnet wird. Dagegen spricht, dass falls der Carl sich hätte umbringen wollen, sein Wille wohl darauf gerichtet gewesen wäre, gerade nicht gerettet zu werden. Allerdings ist hier der Lebensschutz aus Art. 2 Abs. 2 GG zu beachten: Den Staat trifft die Pflicht, das Leben seiner Bürger zu schützen. Deshalb ist anerkannt, dass der mutmaßliche Wille des Selbstmörders nicht auf das Sterben, sondern auf das Leben gerichtet ist. Die Pflicht zur Verhinderung eines Selbstmordes wird in Berlin zusätzlich von § 20 Abs. 1 lit c.) UZwG Bln betont. Damit war es der mutmaßliche Wille des Carl weiterzuleben und damit auch, dass die Tür geöffnet wird. Sein mutmaßlicher Wille wurde demnach nicht gebrochen, so dass hier nach allen Ansichten eine unmittelbare Ausführung vorliegt.
b. Tatbestandsvoraussetzungen der unmittelbaren Ausführung
aa. Zweck der Maßnahme durch Inanspruchnahme der nach §§ 13, 14 ASOG nicht oder nicht rechtzeitig erreichbar
Da der nach §§ 13, 14 ASOG Verantwortliche nicht erreichbar war und deshalb die Tür nicht geöffnet werden konnte, war der Zweck der Maßnahme – die Lebensrettung – nur im Wege der unmittelbaren Inanspruchnahme verwirklichbar.
bb. Rechtmäßigkeit des hypothetischen Grundverwaltungsaktes
Als Rechtsgrundlage für den hypothetischen Verwaltungsakt kommt die Standardmaßnahme des § 36 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 ASOG (Betreten und Durchsuchen von Wohnungen) in Betracht.
- grdsl nach § 4 Abs. 1 ASOG die Ordnungsbehörden
- nach § 4 Abs. 1 S. 1 ASOG die Polizei, wenn die Abwehr der Gefahr durch die Bezirksämter nicht oder nicht rechtzeitig möglich erscheint
- Hier war die Polizei vor Ort, sofortige Maßnahmen zur Gefahrenabwehr erschienen notwendig. Damit war die Polizei sachlich zuständig.
- örtliche Zuständigkeit nach § 6 ASOG (+)
- Verfahren: Anhörung nach § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG nicht nötig
(2) Tatbestandsmäßigkeit, § 36 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 ASOG
Nach § 36 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 ASOG darf die Polizei eine Wohnung ohne Einwilligung des Inhabers betreten und durchsuchen, wenn dies zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person erforderlich ist.
- Def.: Eine gegenwärtige Gefahr liegt bei Bestehen einer Sachlage vor, bei der das schädigende Ereignis bereits begonnen hat oder unmittelbar oder in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorsteht. Entscheidend dabei ist, dass ein sofortiges Eingreifen erforderlich ist, weil sonst ein mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorstehender Schaden nicht mehr abgewendet werden kann.
- Der durch den Polizeieinsatz zu rettende Carl war jedoch bereits vor dem Beginn der Maßnahme verstorben. Damit bestand objektiv keine Gefahr für sein Leben.
- Anscheinsgefahr? Eine Anscheinsgefahr liegt immer dann vor, wenn bei die Gefahrenabwehrbehörde im Zeitpunkt ihres Handelns (ex ante) bei verständiger, pflichtgemäßer Würdigung der objektiven Anhaltpunkte eine Gefahrenlage annehmen durfte, obgleich sich nachträglich (ex post) herausstellt, dass eine Gefahr in Wirklichkeit nicht vorlag. Diese Gefahr im Sinne des Polizeirechts ist abzugrenzen von der Putativgefahr (Scheingefahr). Die Putativgefahr ist keine Gefahr im Sinne des Polizeirechts.
- Die Polizei durfte nach dem Sach- und Erkenntnisstand im Zeitpunkt des Eingreifens (Ex-ante-Betrachtung) zu Recht annehmen, dass Carl sich in Lebensgefahr befand und deshalb entsprechende Maßnahmen ergreifen. Damit lag eine Anscheinsgefahr vor, so dass hypothetisch ein Grundverwaltungsakt nach § 36 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 ASOG hätte ergehen dürfen.
- Verhaltensverantwortlichkeit nach § 13 Abs. 1 ASOG (-) endet mit dem Tod
- Anscheinsstörer(+): Ein Anscheinsstörer ist ein als polizeipflichtig in Betracht kommendes Rechtssubjekt, bei dem es aus der Ex-ante-Sicht der handelnden Polizei- oder Ordnungsbehörde bei verständiger Würdigung der Sachlage den Anschein hat, dieses sei Verhaltens- oder Zustandsstörer. Durch die von innen verschlossene Wohnungstür, den in der Wohnungstür innen steckenden Schlüssel und die von ihm mehrfach und glaubhaft geäußerten Suizidabsicht entstand der Anschein einer aktuell bestehenden Gefahr. Bei verständiger Würdigung der Sachlage mussten die handelnden Beamten deshalb davon ausgehen, dass die gewaltsame Türöffnung notwendig ist.
(4) Ordnungsgemäße Ermessensausübung / Verhältnismäßigkeit (§ 40 VwVfG i.V.m. §§ 11, 12 ASOG)
- Ermessensfehler sind nicht ersichtlich, an der Erforderlichkeit der Maßnahme bestehen keine Zweifel
- Angesichts des hohen Schutzgutes des Art. 2 Abs. 2 GG war das Einschreiten der Polizei auch angemessen.
Zwischenergebnis: Der fiktive Grundverwaltungsakt ist rechtmäßig und damit auch die unmittelbare Ausführung.
2. Störerauswahl auf Sekundärebene
- Nach ständiger Rechtsprechung des VG Berlin und anderer Gerichte kann ein vermeintlicher Störer nur dann für die Kosten einer polizeilichen Maßnahme in Anspruch genommen werden, wenn sich nachträglich herausstellt, dass er den Anschein einer Gefahr hervorgerufen oder in zurechenbarer Weise verursacht hat, wenn also der Anscheinsstörer bei rückschauender Betrachtung tatsächlich die Anscheinsgefahr veranlasst und zu verantworten hat.
- Zwar rechtfertigen es der steckende Wohnungsschlüssel und die fehlende Reaktion alleine nicht, dem verstorbenen Carl den Anschein der Gefahr zuzurechnen, denn beide Tatbestände sind normale Lebensäußerungen. Anderes gilt aber, hinsichtlich der geäußerten Suizidabsichten. Durch diese setzte Carl in zurechenbarer Weise den Anschein einer aktuell bestehenden Gefahr. Damit ist er auch auf Sekundärebene Störer. (a.A. mit guter Begründung vertretbar)
3. Übergang der Ordnungspflicht
Übergang von Ordnungspflichten gesetzlich selten geregelt; Voraussetzungen für die Nachfolge in öffentlich-rechtliche Rechts- und Pflichtenpositionen: Nachfolgefähigkeit der Rechtsposition und Übergangstatbestand
Ein Übergangstatbestand, nämlich §§ 1922 I, 1967 I BGB, existiert.
- Die Nachfolgefähigkeit der Rechtsposition ist zum einen davon abhängig, ob es sich um eine höchstpersönliche Pflicht handelt – dann ist sie nicht nachfolgefähig –, ob der Störer Verhaltens- oder Zustandsstörer ist und ob die Pflicht schon konkretisiert wurde oder noch abstrakt ist. Eine konkretisierte Pflicht liegt immer dann vor, wenn ein Verwaltungsakt schon ergangen ist, eine abstrakte Pflicht dann, wenn noch kein Verwaltungsakt ergangen ist.
- Als möglicherweise übergangsfähige Pflicht kommt die Pflicht in Betracht, sich nicht umzubringen. Diese könnte aber höchstpersönlich und damit nicht übergangsfähig sein.
Höchstpersönlich ist eine Pflicht, wenn sich mit dem Wechsel des pflichtigen Zuordnungsobjekts der Gesetzeszweck nicht mehr erreichen lässt. Es wird argumentiert, dass nicht vertretbare Pflichten, also solche, die nicht von einem anderen vorgenommen werden können, höchstpersönlich seien. Z.T. wird dem entgegengesetzt, dass die Frage der Vertretbarkeit nur ein, wenngleich wichtiges, Indiz darstelle. Insgesamt sei auf den Charakter der Pflicht und ihren Sinn und Zweck abzustellen.
Die Pflicht, sich selbst nicht umzubringen und damit eine Gefahr für den eigenen Leib oder das eigene Leben hervorzurufen, ist aber nach beiden Ansichten eine höchstpersönliche Pflicht. Damit ist ein Übergang ausgeschlossen.
- In Betracht kommt andererseits die Pflicht, die Kosten zu erstatten. Diese Pflicht wurde zu Lebzeiten des Carl noch nicht durch Verwaltungsakt konkretisiert, so dass es sich um eine abstrakte Ordnungspflicht handeln könnte. Dagegen spricht aber, dass sie auch abstrakt erst entstehen konnte, als der Carl schon tot war – nämlich im Anschluss an die polizeiliche Maßnahme.
Der Bescheid ist demnach zwar grundsätzlich rechtmäßig, aber der Sartorius ist nicht in die Ordnungspflicht des Carl eingetreten (a.A. bei sorgfältiger Begründung vertretbar – dann muss aber noch die Verhältnismäßigkeit der Kostenerhebung geprüft werden, da § 64 ASOG Ermessen vorsieht). Damit ist der Bescheid letztlich rechtswidrig.
Die Klage ist zulässig und begründet. Das VG Berlin wird ihr daher stattgeben.
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© Heike Krieger (Freie Universität Berlin)
Bearbeitung für Hauptstadtfälle: Dominik Steiger
Stand der Bearbeitung: Mai 2014