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Friseurgeschäfte (Kurzlösung)

A. Untersagung des Verabreichens von Heißgetränken und Croissants an die Kunden des Friseurbetriebes wegen Unappetitlichkeit und mangelnder Hygiene

- Bezirk stützt sich ausdrücklich auf das GastG

 

I. Rechtsgrundlage und Zuständigkeit

- § 5 Abs. 2 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 1 GastG; GastG gilt nach Art. 125a Abs. 1 S. 1 GG in Berlin als Bundesrecht fort; Zuständigkeit nach § 4 Abs. 2 AZG, § 2 Abs. 4 ASOG, Nr. 21 Abs. 2 lit. e

 

II. Materielle Rechtmäßigkeit 

 - Voraussetzungen der § 1,  § 5 Abs. 2 i. V. m. § 5 Abs. 1 Nr. 1 GastG


1. Vorliegen eines stehenden Gewerbes, § 1 Abs. 1 GastG

- Gewerbebegriff der GewO wg. § 31 GastG; nach Rspr./Lit. fallen darunter jedenfalls nicht generell verbotene, auf Gewinnerzielung gerichtete und auf Dauer angelegte selbständigen Tätigkeiten (sog. „Gewerbsmäßigkeit“ einer Tätigkeit/„vier positive Merkmale des Gewerbebegriffs“), die sich weder als Urproduktion noch als Verwaltung eigenen Vermögens noch als Ausübung eines freien Berufes (sog. „Gewerbsfähigkeit“ einer Tätigkeit/„drei negative Merkmale des Gewerbebegriffs“) darstellen

 

a) Gewerbsmäßigkeit

- Ausschank ist selbständig, dauerhaft und nicht verboten; für Gewinnerzielungsabsicht ist  auf den „Gesamtbetrieb“ abzustellen; Ausschank zwar kostenlos, aber dient der Attraktivitätssteigerung der Gesamtleitsung

 

b) Gewerbsfähigkeit

- künstlerische Tätigkeit zählt zu den freien Berufen, unterfällt daher nicht Gewerbebegriff; Friseurdienstleistung als künstlerische Tätigkeit?; i.E. (-) weil zwar schöpferische Tätigkeit, aber starke Abhängigkeit vom Auftraggeber und keine Anerkennung von anderen Künstlern

 

c) Stehendes Gewerbe

- Gewerbe ist jedenfalls dann stehend, wenn es im Rahmen einer „gewerblichen Niederlassung“ i. S. d. § 42 Abs. 2 GewO ausgeübt wird, hier (+)

 

d) Ergebnis zu 1.

-  (+) stehendes Gewerbe

 

2. Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 GastG

- § 1 Abs. 1 GastG (+) Verabreichung zum Verzehr an Ort und Stelle; Friseurbetrieb ist „jedermann zugänglich“ (+); nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 GastG auch Bagatellfälle vom Gaststättenbegriff

- „Speisewirtschaft“ i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 2 GastG (+); „zubereitete Speise“ sind alle zum alsbaldigen Verzehr essfertig gemachten Lebensmittel; Croissants lassen sich dazu zählen, weil sie gebacken schnell verzehrt werden sollen

 

3. Keine Erlaubnispflichtigkeit von Pilules „Gaststätte“?

- § 2 Abs. 2 GastG; weil keine alkoholischen Getränke verabreicht


4. Vorliegen der Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 i. V. mit § 5 Abs. 1 Nr. 1 Gaststättengesetz

- Schutz der Gäste gegen Gefahren für die Gesundheit; hier zu allgemeine Erwägungen, Bezirk benennt keine konkrete Gefahr; Unappetitlichkeit reicht nicht, denn kein Gast ist gezwungen, in einer solchen Umgebung zu speisen

 

III. Ergebnis zu A.

- auf Grundlage des 5 Abs. 2 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 1 GastG keine Verfügung mgl.

 

B. Untersagung des Verabreichens von Heißgetränken und Croissants während der Sperrzeiten nach § 6 Abs. 1 GastVO

I. Ermächtigungsgrundlage und Zuständigkeit

- nach § 4 Abs. 2 AZG, § 2 Abs. 4 ASOG, Nr. 21 Abs. 2 lit. e i.V.m. Nr. 12 Abs. 6 ZustKat ASOG ist Bezirksamt zuständig; in GastVO keine ausdrückliche Ermächtigung zur Durchsetzung der Sperrzeitverordnung; daher § 17 Abs. 1 ASOG

 

II. Materielle Rechtmäßigkeit

1. Tatbestandsvoraussetzungen des § 17 Abs. 1 ASOG

- Sperrzeitregelung des § 6 Abs. 1 GastVO ist Teil des Schutzguts der öffentlichen Sicherheit; Verstoß Pilules begründet daher Gefahr; Pilule ist polizeipflichtig nach § 13 Abs. 1 ASOG

 

2. Rechtsfolge: Ermessen § 12 ASOG, § 40 VwVfG

- zweifelhaft, ob Schutz der „alteingessenen Friseurbetriebe“ vor „ungesunder“ Konkurrenz dem Ermächtigungszweck (§ 40 Alt. 1 VwVfG) entspricht

- jedenfalls wäre Verbot nicht verhältnismäßig, weil zur Beendigung der Gefahr i.S.d. § 17 Abs. 1 ASOG milderes Mittel verfügbar: Verkürzung der Sperrzeiten auf Null nach § 8 S. 1 GastVO; „öffentliches Bedürfnis“ i.S.d. § 8 Abs. 1 GastVO für eine Sperrzeitverkürzung liegt vor, weil im Interesse der Allgemeinheit (gut angenommen von Publikum) und sonstige öffentlichen Belangen nicht entgegenstehen

 

3. Ergebnis zu II.

- Voraussetzungen einer Ordnungsverfügung, mit der die Beachtung der Sperrzeit nach § 6 Abs. 1 GastVO gegenüber Pilule durchgesetzt wird, liegen nicht vor

 

III. Ergebnis zu B.

- für Bezirk keine Möglichkeit, die Verabreichung von Heißgetränken und Croissants an die Kunden von Pilules Friseursalon in der Zeit zwischen 5:00 und 6:00 Uhr morgens zu untersagen

 

C. Anordnung, die Ladenschlusszeiten beim Verkauf von Haarpflegemitteln an die Kunden einzuhalten

- Berliner Ladenöffnungsgesetz (BerlLadÖffG) hat aber nach Art. 125a Abs. 1 S. 2 GG das „alte“ Gesetz über den Ladenschluss des Bundes ersetzt; nach § 3 Abs. 1 BerLadÖffG werktags in Berlin keine verbindlichen Ladenschlusszeiten; damit kein Rechtsverstoß Pilules und keine Eingriffsmöglichkeit

 

D. Untersagung des Friseurbetriebes wegen Missachtung des Gaststättenrechts und des Ladenöffnungsrechts sowie wegen Gefährlichkeit für die Kunden

- § 35 Abs. 1 S. 1 GewO; Zuständigkeit des Bezirksamts nach § 4 Abs. 2 AZG, § 2 Abs. 4 ASOG, Nr. 21 Abs. 2 lit. b ZustKat ASOG; für Verbot müsste wg. § 4 lit. a VwVfG Bln i.V.m. § 1, Anlage 1 Nr. 3 FörmVfO ein förmliches Verwaltungsverfahren nach den §§ 63 ff. VwVfG durchgeführt werden

 

I. Anwendbarkeit des § 35 Abs. 1 S. 1 GewO

- Friseurgeschäft ist stehendes Gewerbe (siehe oben A. II. 1.)

 

1. Genereller Ausschluss der GewO durch die Handwerksordnung?

- §§ 1 ff. der HandwO könnten grds. abschließend den Betrieb eines zulassungspflichtigen Handwerks regeln; Handwerksausübung ist aber Gewerbe i.S.d. GewO, § 1 Abs. 1 HandwO nimmt auch deutlich auf GewO Bezug („stehendes Gewerbe“); GewO kann ergänzend zur Handwerksordnung herangezogen werden

 

2. § 16 Abs. 3 S. 1 Handwerksordnung als lex specialis?

- (-) § 16 Abs. 3 HandwO ermächtigt nur zur Untersagung, wenn Vorschriften der HandwO missachtet werden; HandwO regelt nur Fragen der fachlichen Befähigung, nicht der allgemeinen Zuverlässigkeit

 

3. Ausschluss des § 35 Abs. 1 S. 1 GewO durch § 35 Abs. 8 S. 1 GewO?

- (-) Zulassung nach HandwO richtet sich nur nach fachlicher Befähigung

 

4. Ergebnis zu I.

- § 35 Abs. 1 S. 1 GewO gegenüber Pilule anwendbar

 

II. Tatbestandsvoraussetzungen des § 35 Abs. 1 S. 1 GewO

- unzuverlässig ist jeder, der keine Gewähr dafür bietet, dass er in Zukunft sein Gewerbe ordnungsgemäß ausüben wird

 

1. Unzuverlässigkeit wegen Verstoßes gegen das Gaststätten- und Ladenöffnungsrecht

- hier keine Verstöße (siehe oben)

 

2. Unzuverlässigkeit wegen der Verletzung von Frau Zille

- nicht auf Pilules Handeln zurückzuführen, deshalb keine Rückschlüsse auf Zuverlässigkeit möglich

 

3. Ergebnis zu II.

- keine Anhaltspunkte für Unzuverlässigkeit; § 35 Abs. 1 S. 1 GewO (-)

 

III. Ergebnis zu D.

- Bezirk Pankow kann Pilule die Ausübung des Friseurhandwerks nicht untersagen

 

E. Gesamtergebnis 

- keine der angekündigten Maßnahmen kann rechtmäßig sein


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