Ordnungsgewalt (Kurzlösung)
Teil 1:
A. Zulässigkeit
Bund-Länder-Streit, Art. 93 I Nr. 3 GG iVm § 13 Nr. 7 BVerfGG.
Antragssteller: nach § 68 BVerfGG die Landesregierung.
Antragsgegner: für den Bund die Bundesregierung.
§ 69 i.V.m. § 64 I BVerfGG: der Antragssteller muss geltend machen können, in seinen ihm durch das Grundgesetz übertragenen Rechten verletzt zu sein. Für die Länder sind das Art. 30, 70, 83 GG.
Hier: durch den Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrages durch den Bund, der die Länder zum Einrichten einer Sonderbehörde verpflichtet, erscheint es möglich, dass Brandenburg insbesondere in seinem Recht die Gesetze eigenverantwortlich auszuführen (Art. 30, 83 GG) verletzt wurde.
§§ 69, 64 II, 70 BVerfGG (+)
B. Begründetheit
(+), wenn der Bundeskanzlerin keine Kompetenz zum Abschluss des Vertrages zukommt
Es ist fraglich, ob die Bundeskanzlerin zu Lasten der Länder Verträge abschließen kann.
1. Verbandskompetenz des Bundes
nach Art. 30 GG ist die Ausübung staatlicher Befugnisse grundsätzlich eine Sache der Länder.
Aber Kompetenz für Bund aus Art. 32 GG?
a. Abgrenzung zwischen Staatsvertrag und Verwaltungsabkommen
Staatsvertrag: völkerrechtliches Abkommen, bei dem es um wesentliche Fragen der ausländischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und anderen Staaten geht. Was bei völkerrechtlichen Abkommen „wesentlich“ ist, lässt sich aus Art. 59 II 1 GG schließen, der die Beteiligung des Parlaments bei Fragen der politischen Beziehungen oder der Gesetzgebung verlangt.
Dagegen: Verwaltungsabkommen (völkerrechtliche Vereinbarung, für deren Zustandekommen die Mitwirkung des nationalen Parlaments nicht erforderlich ist und die infolgedessen von den Gubernativorganen eigenständig abgeschlossen werden kann)
Hier: es geht nicht um politische Beziehungen, denn dies meint Angelegenheiten, die die Existenz des Staates, seine territoriale Integrität, seine Unabhängigkeit, seine Stellung und sein maßgebliches Gewicht in der Staatengemeinschaft betreffen. Kriegsgräbern kommt eine solche grundsätzliche Bedeutung jedoch nicht zu.
Aber hat die Materie ein solches Gewicht, dass sie dennoch der parlamentarischen Absicherung bedarf?
ja, Änderung ist nämlich nur auf der Grundlage eines Gesetzes möglich.
i.E. „Gesetzgebungsvertrag“ und damit Staatsvertrag (+)
es ist nicht eindeutig geklärt, ob bei Staatsverträgen, die Landesmaterien betreffen, stets die Länder zuständig sind, sie aber dabei verfahrensrechtlich auf eine Mitwirkung des Bundes angewiesen sind, oder ob Art. 32 III GG in Fortführung des Art. 32 I GG von einer grundsätzlichen Bundeskompetenz ausgeht, die aber nach Maßgabe des Art. 32 III GG zur Disposition des Bundes steht.
für Landeskompetenz spricht:
kaum vorstellbar, dass die Bundesregierung auf eine Verbandskompetenz des Bundes verzichten kann. Art. 59 II 1 GG ist ein Indiz dafür, dass das GG von der föderalistischen Betrachtung ausgeht, da es nur Gesetzgebungsmaterien des Bundes erwähnt.
es ist nicht denkbar, dass der Bundespräsident (Art. 59 I GG) bei Gesetzgebungsverträgen für die Länder aufgrund von Landesgesetzen oder ganz ohne Zustimmungsgesetz handelt. deshalb muss Art. 59 II 1 GG davon ausgehen, solche Staatsverträge seien nicht Sache des Bundes, sondern der Länder.
zudem droht Aushöhlung der Gesetzgebungskompetenz der Länder beim Abschluss von Verträgen.
Für Bundeskompetenz spricht:
die staatsorganisationsrechtlichen Vorschriften sind in ihrer Zielrichtung so zu interpretieren, dass sie den staatlichen Strukturmerkmalen des Art. 20 I GG – Rechtsstaat, Demokratie, Bundesstaat, Republik und Sozialstaat – optimal Rechnung tragen.
um außenpolitisch handlungsfähig zu sein, muss die Bundesrepublik nach außen einheitlich handeln. Unbeschadet der innerstaatlichen Kompetenzverteilung ist deshalb der Bund zuständig, Staatsverträge abzuschließen.
i.E. lag die Abschlusskompetenz damit beim Bund.
Beim Abschluss von Staatsverträgen: Bundespräsident
dem steht aber nicht entgegen, dass konkret die Bundeskanzlerin tätig wurde. Hier wurde der Vertrag erst paraphiert, nicht schon abgeschlossen.
3. Weitere formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen
Anhaltspunkte zu Verfahrensfehlern bestehen nicht.
(-)
Rechtmäßigkeit (+), kein Verstoß gegen Art. 30, 83 GG. Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet und hätte demnach keine Aussicht auf Erfolg.
Teil 2: Ausweitung von Europol
Die Übertragung von Kompetenzen auf Europol ist verfassungsmäßig, wenn sie nicht gegen Vorschriften des Grundgesetzes verstößt.
I. Formelle Verfassungsmäßigkeit
Grundsätzlich: Zuständigkeit für das Gefahrenabwehrrecht liegt bei den Ländern (Art. 30, 70 GG).
Wird in Angelegenheiten ein Staatsvertrag abgeschlossen, für die die Länder zuständig sind, so wie im vorliegen Fall, ist vorrangig Art. 32 GG als Kompetenznorm heranzuziehen.
Aber bzgl. Europa: Art. 23 GG als lex specialis: Bund ist zuständig, auch wenn es sich innerstaatlich um eine Materie handelt, die ausschließlich den Ländern zusteht
Allerdings: Abstimmungspflicht, stellt aber eine Verfahrensfrage dar
i.E. keine Verletzung des Landes Brandenburg in seinem Recht auf Gesetzgebung und eigenverantwortliche Regelung dieser Ländermaterie aus Art. 30, 70 GG
a. Verfahrensfehler durch fehlende dritte Lesung
nur zwei Lesungen wurden durchgeführt
§ 78 I GOBT: sieht drei „Beratungen“ und danach die Schlussabstimmung vor (§ 86 GOBT).
Verstoß gegen ihre Vorschriften führt aber nicht zur Unwirksamkeit des Gesetzes
b. Verfahrensfehler durch fehlende Zweidrittelmehrheit
Gesetz wurde mit einfacher Mehrheit (Art. 42 II GG) verabschiedet, Bundesrat hat die nach Art. 23 I GG erforderliche Zustimmung erteilt
Verfahrensvoraussetzungen von Art. 23 IV und V GG liegen vor
Aber: sind Regeln über die verfassungsändernden Gesetze zu beachten? Folge wäre: Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat aller Mitglieder nötig (Art. 79 II GG), hier: (-)
Zweidrittelmehrheit könnte erforderlich sein, wenn Hoheitsrechtsübertragungen nach Art. 23 II S. 2 GG stets auch als Rechtsakte im Sinne des Art. 23 I S. 3 GG zu begreifen sind.
Dagegen: Art. 23 I S. 2 GG mit seiner gesonderten Ermächtigung zur entsprechenden Übertragung von Hoheitsrechten im Grunde wäre überflüssig, wenn es sich in jedem Fall zugleich um eine Materie mit verfassungsrechtlicher Bedeutung handeln würde
Deshalb: Die Tatbestände von Art. 23 I S. 2 und S. 3 GG stehen nebeneinander, Übertragungen mit einfacher Mehrheit sind möglich
Zweidrittelmehrheit nötig bei „Änderung ihrer vertraglichen Grundlagen“ (Art. 23 I S. 3 GG)?
(-), wenn vertragsimmanente Hoheitsrechtsübertragungen vorliegen, zu denen bereits das geltende Vertragsrecht ermächtigt, die inhaltlich keine neue Verfassungsänderung auslösen. Abzustellen ist auf das Kriterium der Vorhersehbarkeit: Soweit Hoheitsübertragungen bereits in tatbestandlicher Vorhersehbarkeit von dem bestehenden Vertragswerk bzw. seinen Ermächtigungen umfasst werden, wenn es sich also in diesem Sinne bereit um vertragsausfüllende oder vertragsimmanente Hoheitsrechtsübertragungen handelt, dann gilt eine schlichte Hoheitsübertragung kraft einfachen Gesetzes.
Hier: Wortlaut des Art. 87 I AEUV („Die Union entwickelt…“) lässt darauf schließen, dass es nicht zwangsweise bei der derzeitigen Kompetenzverteilung bleibt, sondern mit dem Vertrag von Lissabon eine immer enger werdende Kooperation als Ziel definiert wurde. Übertragung von Kompetenzen ist dann die Folge der Umsetzung dieses Ziels à keine Zweidrittelmehrheit nötig
dagegen: Ordnung des Grundgesetzes wird erheblich berührt, wenn aus einer dezentralen Polizei auf nationaler Ebene eine europäisch zentralisierte Polizei entsteht. Die Übertragung von Polizeiaufgaben auf die Union ist eine Einschränkung der durch Art. 30, 70 GG garantierten Eigenstaatlichkeit der Bundesländer. Die grundgesetzliche Kompetenzordnung wird somit angetastet. Zwar wohnt Art. 87 I AEUV das Ziel der immer engeren Kooperation inne. Damit wird jedoch keine verfassungsimmanente Hoheitsrechtsübertragung impliziert à Zweidrittelmehrheit im Bundestag war somit erforderlich.
i.E.: da keine ausreichende Mehrheit: das Gesetz ist formell verfassungswidrig.
II. Materielle Verfassungsgemäßheit
Inhaltlich könnten Verstöße gegen materielle Aussagen des GG vorliegen.
1. Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip?
Nach Art. 20 II 1 GG ist die Herrschaft des Volkes sicherzustellen
(P): In der EU geht der Zugriff des Volkes auf die Hoheitsträger teilweise verloren. Eine staatsanaloge Ausgestaltung ist jedoch solange entbehrlich, wie die europäische Zuständigkeitsordnung nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung in kooperativ ausgestalteten Entscheidungsverfahren und unter Wahrung hinreichender staatlicher Integrationsverantwortung besteht. Die demokratische Legitimation in der Union wurde durch den Vertrag von Lissabon erhöht. Zudem ist das GG auf die europäische Integration angelegt (Art. 23 I 1 GG). Diesen Verfassungsauftrag gibt auch die Präambel des GG vor. Die europäische Integration ist aber zwingend mit einem Verlust der Hoheitsgewalt der nationalen Staaten verbunden.
Folge: es besteht innerhalb der Verfassung ein Widerspruch zwischen zwei gleichwertigen Grundsätzen. Dies zwingt dazu, eine Konkordanz zwischen den widerstreitenden Interessen herzustellen.
Hierbei ist zu beachten, dass den Mitgliedstaaten grundsätzlich substantielle Handlungsfreiräume belassen bleiben müssen. Die Verfassungsmäßigkeit einer Übertragung von Hoheitsrechten muss an das Erfordernis einer engen Auslegung der Kompetenzgrundlagen geknüpft sein.
das Demokratieprinzip ist dann verletzt, wenn es zur Übertragung ganzer Aufgabenfelder in dem Bereich des Strafrechts käme. Welche Befugnisse die EU hat und bekommt, muss abschließend durch die nationalen Parlamente bestimmt werden. Dieses Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung ist hier nicht gewahrt, da eine Aufgabe übertragen wird, bei der Kompetenz und Befugnis die gleiche Weite aufweisen und die Organe der EU sich selbst Eingriffsermächtigungen schaffen können. Welche Befugnisse von Europol im Einzelnen durch die Länder wahrgenommen werden können, ist nicht vorhersehbar. Damit geht die Entäußerung von Hoheitsgewalt zu weit.
i.E.: das Demokratieprinzip ist verletzt
2. Vereinbarkeit mit dem Bundesstaatsprinzip
da ganze Kompetenzfelder übertragen werden, wird die Eigenstaatlichkeit der Länder in Frage gestellt.
i.E.: auch das Bundesstaatsprinzip ist verletzt
Die Kompetenzübertragung auf Europol ist damit nicht verfassungsgemäß. Sie verstößt gegen das Demokratieprinzip und Bundesstaatsprinzip.
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