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Gliederung Klage vor dem IGH

Schema – Zulässigkeit und Begründetheit einer Klage vor dem IGH


A. Zulässigkeit der Klage

Anmerkung: Die üblichen Prüfungsschemata differieren. So unterscheidet Andreas von Arnauld in seinem Falllösungsbuch zwischen „jurisdiction“ und „admissibility“, zwischen Klageberechtigung und Zuständigkeit einerseits und Zulässigkeit im engeren Sinne andererseits und verwendet zum Teil auch andere Begrifflichkeiten (v. Arnauld, Klausurenkurs im Völkerrecht, 3. Aufl. 2017, Rn. 240ff.; ders., Völkerrecht, 4. Aufl. 2019, Rn. 463-497). Dies ist selbstverständlich nicht falsch und unterscheidet sich nicht in der Sache. Sie müssen vor allem darauf achten, dass Sie dieselben Fragen ansprechen. Aus Gründen der Systematik, der Nachvollziehbarkeit und Vollständigkeit der einzelnen Prüfungspunkte schlage ich Ihnen aber folgenden Aufbau vor:


Die Klage müssten nach Art. 34ff. IGH-Statut zulässig sein.

 

I. Parteifähigkeit gem. Art. 34 Abs. 1 IGH-Statut

Gem. Art. 34 Abs. 1 IGH-Statut sind Staaten vor dem IGH parteifähig.

 

II. Zugang zum Gerichtshof gem. Art. 35 Abs. 1 IGH-Statut

Gemäß Art. 35 Abs. 1 IGH-Statut haben alle Vertragsparteien des Statuts Zugang zum Gerichtshof.

UN-Mitglieder sind gem. Art. 93 Abs. 1 der Satzung der Vereinten Nationen (SVN) automatisch Vertragsparteien des IGH-Statuts.

Gemäß Art. 93 Abs. 2 SVN iVm Art. 35 Abs. 1 IGH-Statut haben auch Vertragsparteien des IGH-Statuts Zugang zum Gerichtshof, die nicht Mitglieder der Vereinten Nationen sind.

Gemäß Art 35 Abs 2 des IGH-Statuts ist der Zugang zum Gericht auch den Staaten eröffnet, die weder Mitgliedstaaten der UN noch Vertragsparteien des Statuts sind, wenn sie die Zuständigkeit des IGH zu den vom Sicherheitsrat in der Resolution 9 (1946) festgelegten Bedingungen akzeptieren.

III. Zuständigkeit gem. Art. 36 IGH-Statut (jurisdiction)

Die Zuständigkeit des IGHs ergibt sich aus Art. 36 IGH-Statut. Sie muss ratione personae, also im Hinblick auf die beteiligten Streitparteien, und ratione materiae, also im Hinblick auf das Wesen des Streites gegeben sein.

Anmerkung: Hier wird geprüft, ob der Gegenstand eines Rechtsstreites in die Zuständigkeit des IGH fällt. Der Gegenstand des Rechtsstreits vor dem IGH erfasst (anders als im deutschen Recht) auch die Parteien.[1] Denn aufgrund des Konsensprinzips ist die Zuständigkeit des Gerichts auch vom Willen der Parteien abhängig, sich bzw. den Rechtsstreit dem Gericht zu unterwerfen. Daher bietet sich eine Aufteilung der Zuständigkeit nach Art. 36 IGH-Statut in eine Zuständigkeit ratione personae und ratione materiae im Aufbau an.

 

1. Zuständigkeit ratione personae

Die Zuständigkeit ratione personae liegt vor:

-       im Fall einer ad hoc Unterwerfung nach Art. 36 Abs. 1 1. Alt. IGH-Statut; insb. wenn sich ein Staat rügelos auf die Klage einlässt (sog. forum prorogatum). Dies ist zwar nicht im IGH-Statut vorgesehen, aber inzwischen als Völkergewohnheitsrecht anerkannt;[2]

-       im Fall einer kompromissarischen Klausel nach Art. 36 Abs. 1 2. Alt IGH-Statut, also im Fall einer Klausel in einem völkerrechtlichen Vertrag, die die Zuständigkeit des IGH begründet. Gem. Art. 37 IGH-Statut begründen kompromissarische Klauseln zum Ständigen Internationalen Gerichtshof des Völkerbundes nunmehr die Zuständigkeit des IGH.

-       im Fall einer obligatorischen Anerkennung nach Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut;

Bei der obligatorischen Anerkennung und bei kompromissarischen Klauseln sind ggf. inhaltliche Beschränkungen zu beachten.

 

2. Zuständigkeit ratione materiae gem. Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut

Die Zuständigkeit ratione materiae des IGH gem. Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut ist gegeben, soweit der Klagegegenstand „Rechtsstreitigkeiten“ zum Inhalt hat.

Rechtsstreitigkeiten sind Meinungsverschiedenheiten zweier Staaten bezüglich einer Rechtsfrage oder einer Tatsachenfrage: “a disagreement on a point of law or fact”. Der Klagegegner (respondent) weiß oder müsste wissen (str.), dass eine solche Meinungsverschiedenheit besteht. Der Kläger muss der Rechtsbehauptung des Beklagten vor Klageerhebung widersprochen haben, wobei dies auch konkludent möglich ist:

„A dispute exists when it is demonstrated, on the basis of the evidence, that the respondent was aware, or could not have been unaware, that its views were ‘positively opposed’ by the applicant”.[3]

Ein formeller Protest, Verhandlungen oder eine Ankündigung der Klage sind in der Regel nicht erforderlich; es sei denn dies ist etwa im Rahmen einer kompromissarischen Klausel speziell vorgegeben (dann schon unter III.1. zu prüfen).

Gegenstand muss eine Frage des Völkerrechts sein.

 

3. Zuständigkeit ratione temporis

Anmerkung: Dieser Punkt ist nur zu prüfen, wenn der Sachverhalt dazu Veranlassung gibt. Hier geht es um die zeitliche Begrenzung der Zuständigkeit des Gerichtes, die im Völkerrecht auf Grund des Konsensprinzips eine größere Rolle spielt als im deutschen Recht. Die Zuständigkeit ratione temporis kann sowohl im Hinblick auf die Parteien als auch auf das Wesen und die Entstehung des Rechtsstreits problematisch sein. Daher kann sie auch unter III.1. und III.2. geprüft werden. Um diesen Punkt nicht zu übersehen und angesichts uU komplexer Fragen wird hier vorgeschlagen, einen eigenen Prüfungspunkt dafür vorzusehen. Ratione personae stellt sich die Frage im Fall der ad hoc Unterwerfung im Übrigen nicht.

Der IGH ist nur für Fälle zuständig, bei denen die Streitparteien im Zeitpunkt der Antragsstellung der Gerichtsbarkeit des IGH unterworfen waren. Die zeitliche Beschränkung ratione materiae betrifft die Frage nach der zeitlichen Beschränkung der Zuständigkeit des IGH im Hinblick auf Wesen und Entstehung des Streites. Es stellt sich die Frage, ob sich ein Rechtsstreit und der zugrundeliegende Lebenssachverhalt auf Tatsachen beziehen, die vor der Unterwerfung unter die Gerichtsbarkeit des IGH abgeschlossen sind und nicht mehr fortwirken (vgl. Art. 28 WVK).

IV. Aktivlegitimation (standing/ius standi)

Der Staat muss aktiv legitimiert, d.h. in seinen eigenen Rechten verletzt sein.

Die Aktivlegitimation ist auch gegeben, wenn ein Staat die Verletzung einer erga omnes-Norm rügt.

 

V. Schriftform gemäß Art. 40 Abs. 1 IGH-Statut

Schiedsvertrag oder Klage müssen schriftlich eingereicht bzw. erhoben werden.

 

VI. Ergebnis

Die Klage ist (nicht) zulässig.

 

B. Begründetheit

 

Anmerkung: Klagen vor dem IGH sind im Grundsatz Feststellungsklagen. In aller Regel begehrt der klagende Staat, dass ein Verstoß des beklagten Staates gegen Völkerrecht festgestellt wird. Das grundlegende Schema für den Aufbau ergibt sich dann aus dem Recht der Staatenverantwortlichkeit, insb. Art. 2 der Articles on the Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts (ARSIWA oder auch ASR) der International Law Commission (ILC).

I.  Deliktsfähigkeit

Voraussetzung ist zunächst die aktive und passive völkerrechtliche Deliktsfähigkeit, die bei Staaten, die allein vor dem IGH klagen und verklagt werden können, in der Regel gegeben ist. Im Fall eines sog. failed state kann die Frage fehlender Handlungsfähigkeit als passive Deliktsfähigkeit uU vom einschlägigen Delikt abhängig sein.

II. Zurechnung des Verhaltens zum beklagten Staat

Anmerkung: Werden im Sachverhalt mehrere Handlungen oder Unterlassungen angesprochen, die es zu beurteilen gilt, kann es sich anbieten nach Sachverhaltskomplexen zu unterteilen, wenn sich in rechtlicher Hinsicht Unterschiede ergeben (z.B. in der Zurechnung, wenn verschiedene Personen handeln). Dies ist nicht zwingend. Es sollte aber ein nachvollziehbarer, möglichst übersichtlicher Aufbau gewählt werden.

 

Das gerügte Verhalten muss dem beklagten Staaten nach Art. 4-11 ASR zurechenbar sein.

 III. Verstoß gegen völkerrechtliche Norm

Das zurechenbare Verhalten muss gegen eine völkerrechtliche Norm verstoßen, die den beklagten Staat zu einem Tun oder Unterlassen verpflichtet.

Anmerkung: Bei mehreren in Betracht kommenden Rechtsquellen bietet es sich in der Regel an, die Prüfung entlang der Reihenfolge von Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut aufzubauen, wobei bilaterale Verträge aus Gründen der Spezialität vor multilateralen Verträgen geprüft werden können.

 IV. (Fehlende) Rechtfertigung

Die Klage ist unbegründet, wenn der beklagte Staat den Verstoß gegen eine völkerrechtliche Norm zu rechtfertigen vermag (Art. 20-27 ASR). Insbesondere kommt eine Rechtfertigung in Betracht, wenn eine nach Art. 22, 49-54 ASR zulässige Gegenmaßnahme ergriffen worden ist.

 

C. Ergebnis

Der IGH wird feststellen, dass [je nachdem, was beantragt wurde] der beklagte Staat durch Handlung X [wenn unbegründet: nicht] gegen die völkerrechtliche Norm Y verstieß.

Anmerkung: Darüber hinaus kann der IGH auch ein Verpflichtungsurteil erlassen. Dies beruht auf den gewohnheitsrechtlichen Konsequenzen eines Völkerrechtsverstoßes, wie sie in den Art. 28ff. ASR niedergelegt sind, und kann umfassen: Unterlassung, Nicht-Wiederholung, Schadenersatz (materiell und immateriell) und Genugtuung. Diese Kompetenz ergibt sich nicht direkt aus dem IGH-Statut. Sie lässt sich aber aus Art. 94 SVN ableiten, der Mitgliedstaaten verpflichtet, den Urteilen Folge zu leisten und den Sicherheitsrat ermächtigt, auf die Einhaltung von Verpflichtungen hinzuwirken, die sich aus einem IGH-Urteil ergeben.

Er wird den beklagten Staat zu Z verpflichten.

Anmerkung: Achtung, Unterschied zum deutschen Prozessrecht: Ist eine unter der ZPO oder VwGO erhobene Feststellungsklage unbegründet, wird nicht ohne Weiteres das Gegenteil festgestellt, sondern die Klage nur „abgewiesen“.

Praxisbeispiel:

„For these reasons,

The Court, ...

By twelve votes to four

Finds that Japan, by granting special permits to kill, take and treat fin, humpback and Antarctic minke whales in pursuance of JARPA II, has not acted in conformity with its obligations under paragraph 10 (e) of the Schedule to the International Convention for the Regulation of Whaling...

By twelve votes to four,

Decides that Japan shall revoke any extant authorization, permit or licence granted in relation to JARPA II, and refrain from granting any further permits in pursuance of that programme.”

 


[1]       H. Krieger, Die Zuständigkeit ratione temporis internationaler Streitbeilegungsinstanzen, in: J. Ipsen / E. Schmidt-Jortzig (Hrsg.), Recht - Staat – Gemeinwohl: Festschrift für Dietrich Rauschning, Köln u.a. 2001, S. 577 (584).

[2]       S. Shabtai Rosenne, International Court of Justice, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, online edition (www.mpepil.com), 2009, Stand: Juni 2006, Rn. 71 f. Auch das deutsche Recht kennt, wenngleich in etwas anderer Form, die rügelose Einlassung, s. § 39 ZPO.

[3]       IGH, South West Africa (Ethiopia v. South Africa; Liberia v. South Africa), Preliminary Objections, Judgment, I.C.J. Reports 1962, S. 328; Obligations concerning Negotiations relating to the Cessation of the Nuclear Arms Race and to Nuclear Disarmament (Marshall Islands v United Kingdom) I.C.J. Reports 2016, p. 850 para. 41.