Italien als Verfassungslabor: Regierungsstabilität um jedweden Preis?
News vom 14.05.2024
Am 13. Mai 2024 durften wir Herrn Professor Andrea De Petris (Rom) als Gast in der Vorlesung „Grund- und Menschenrechte“ begrüßen. Im Rahmen einer Kooperation mit dem Italienzentrum der Freien Universität beleuchtete er unter dem Titel „Italien als politisches Labor: Die Direktwahl des Regierungschefs zwischen Regierbarkeit und demokratischem Prinzip“ ein aktuelles Reformvorhaben der italienischen Regierung.
Nach einer Einführung in das Verfahren für Verfassungsänderungen in Italien und deren hohen politischen Relevanz verdeutlichte Professor De Petris anhand eines Vergleiches zu Deutschland die Problematik der geringen Stabilität italienischer Regierungen, die wesentlicher Ausgangspunkt der geplanten Reform ist. Als Konsequenzen der geringen Kontinuität stellte er insbesondere die Schwierigkeiten für die Durchführung größerer Reformvorhaben sowie die erschwerten Bedingungen für vertrauensvolle internationale Beziehungen heraus.
Auf dieser Grundlage beleuchtete Professor De Petris anschließend den Inhalt der vom Bündnis um die Ministerpräsidentin Giorgia Meloni initiierten, unter dem Stichwort „premierato“ diskutierten Vorschläge. Danach soll der italienische Ministerpräsident zukünftig zeitgleich mit dem Parlament direkt durch das Volk gewählt werden. Zu seiner Einsetzung soll freilich die Zustimmung beider Parlamentskammern erforderlich bleiben. Um etwaige Blockaden insoweit zu vermeiden, wird eine „Prämie“ diskutiert, die dem stärksten Bündnis 55 % der Sitze in beiden Kammern garantiert.
In seiner Bewertung der Reformvorschläge legte Professor De Petris einen besonderen Fokus auf das Problem einer „Hyperpersonalisierung“ in einem bisher parlamentarischen System und zog Parallelen zum US-amerikanischen Politikstil. Ferner zeigt er verschiedentliche Inkonsistenzen des derzeitigen Reformvorhabens auf. Dem Argument, die Inkontinuität italienischer Regierungen wirke sich negativ auf die Wirtschaftskraft aus, hielt er entsprechende Kennzahlen zum prognostizierten Wirtschaftswachstum aus anderen EU-Staaten entgegen.
In der anschließenden Diskussionsrunde wurden die Gefahren der geplanten Reform für eine demokratische Ordnung noch einmal herausgestellt. Zugleich wurde deutlich, dass der Ausgleich eines Interesses an einer gewissen Regierungsstabilität auf der einen Seite und der Beibehaltung der Rolle des Parlaments als Zentrum demokratischer Abwägung diffizil ist. Aller Voraussicht nach werden die italienischen Bürgerinnen und Bürger in einem Verfassungsreferendum über die Umsetzung dieser „Mutter aller Reformen“ (Meloni) entscheiden. Insoweit gilt es, die Entwicklungen in Italien als zentralem Akteur in der Europäischen Union auch in Deutschland weiter im Blick zu behalten.
Wir bedanken uns beim Italienzentrum der Freien Universität Berlin für die Initiative zu dieser Veranstaltung und insbesondere bei Professor Andrea De Petris für den spannenden Vortrag und die anregende Diskussion.
Weiterführende Lesehinweise:
Andrea De Petris, Looking at Berlin, Ending up on Capitol Hill, verfassungsblog v. 13.11.2023