Kurzlösung
Die Klage Pilules wird Erfolg haben, wenn sie zulässig und begründet ist.
A) Zulässigkeit
I. Verwaltungsrechtsweg (§ 40 VwGO)
öffentlich-rechtliche Normen des Apothekengesetzes Bln sind für die Streitentscheidung maßgeblich
è öffentlich-rechtliche Streitigkeit (+)
i.E. (+)
II. Statthafte Klageart
Verpflichtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO
III. Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO)
(+), wenn Pilule einen Anspruch auf Erteilung einer Genehmigung haben könnte à ergibt sich unmittelbar aus § 9 ApothG Bln
IV. Vorverfahren (§ 68 VwGO)
laut Sachverhalt (+)
V. Passive Prozessführungsbefugnis (§ 78 VwGO)
Land Berlin als Behördenträger
VI. Beteiligtenfähigkeit (§ 61 VwGO)
§ 61 Nr. 1 Alt. 1 VwGO, § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO.
VII. Klagefrist
§ 74 Abs. 1 VwGO: Frist beträgt einen Monat nach Zustellung des Widerspruchsbescheides.
Fristberechnung erfolgt nach § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO i.V.m. §§ 187 ff. BGB.
Fristbeginn: VwZG des Bundes (über § 5 VwVfg Bln)
laut Sachverhalt erfolgte die Zustellung mittels Einschreiben durch Übergabe à dies regelt § 4 VwZG. Danach gilt die Drei-Tages-Fiktion (§ 4 Abs. 2 S. 2 VwZG): Zustellung fand am 19. Mai 2011 statt.
Nach § 187 Abs. 1 BGB ist Fristbeginn Samstag, der 20. Mai. Die Frist endet gem. § 188 Abs. 2 BGB am 19. Juni 2011.
Damit wäre Klage verfristet.
laut Sachverhalt ist der 20. Juni 2011 ein Montag, so dass der 19. Juni 2011 ein Sonntag sein muss. Nach § 193 BGB verlängert sich die Frist, wenn das Fristende auf einen Sonnabend oder Sonntag fällt, auf den nächsten Werktag, hier also auf Montag, den 20. Juni.
i.E.: Klage ist fristgerecht
VIII. Ergebnis zu A
Zulässigkeit (+)
B) Begründetheit
I. Formelle Voraussetzungen
Antragstellung bei der zuständigen Behörde nach § 9 ApothG Bln: (+)
II. Materielle Voraussetzungen
Die Versagung der Genehmigung muss mit dem Gesetz übereinstimmen. Hierfür ist sowohl rein nationales Recht wie auch EU-Recht zu beachten.
1. Anforderungen nach dem ApothG Bln
Nach § 9 ApothG Bln ist die Behörde verpflichtet, eine Genehmigung zu erteilen, sofern die Voraussetzungen des Gesetzes erfüllt sind.
Hier sind die Voraussetzungen der §§ 10 und 11 ApothG Bln nicht erfüllt
2. Modifikation durch das Europarecht?
Ergibt sich aus Unionsrecht eine anderes Ergebnis?
a. Anwendbarkeit des Unionsrechts
das Unionsrecht gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat und geht nationalen Regeln im Kollisionsfall vor.
b. Schutzbereich
Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit, Art. 49 ff. AEUV?
aa. Grenzüberschreitender Bezug
Franzose in Deutschland (+)
bb.Sachlicher Anwendungsbereich
nach Art. 49 Abs. 2 AEUV umfasst die Niederlassungsfreiheit die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Erwerbstätigkeiten. Es geht also um die tatsächliche und selbstständige Ausübung einer wirtschaftlichen, d.h. auf Erwerb ausgerichteten, Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung, etwa Geschäftsräumen, in einem anderen Mitgliedstaat auf unbestimmte Zeit. Neben gewerblichen Tätigkeiten werden auch die freien Berufe – wie Apotheker – erfasst.
(+)
cc. Persönlicher Anwendungsbereich
Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates (+)
dd.Bereichsausnahme
Bereichsausnahme des Art. 51 AEUV? eng auszulegen, hier (-)
Zwischenergebnis: Damit ist die Gründung einer Apotheke durch Pilule in Kreuzberg durch die Niederlassungsfreiheit geschützt.
c. Eingriff
aa.Diskriminierungsverbot
Diskriminierung: liegt immer vor, wenn ein Inländer gegenüber einem Ausländer besser gestellt wird.
Es ist zwischen unmittelbaren und mittelbaren Diskriminierungen zu unterscheiden. Unmittelbar ist eine solche Diskriminierung, wenn unmittelbar an die Staatsangehörigkeit angeknüpft wird. Mittelbar ist sie dann, wenn sie an Umstände anknüpft, die typischerweise nur von einem Inländer (oder einem Ausländer) erfüllt werden.
Ausdrücklich: (-) keine unmittelbare Diskriminierung.
Mittelbare Diskriminierung? (+), da § 11 ApothG Blnan die Berufserfahrung anknüpft, die im Inland gemacht wurde (Abs. 2) sowie an den Wohnsitz in Berlin (Abs. 3). Beide Kriterien werden typischerweise von Deutschen, aber nicht von Ausländern erfüllt.
Zwischenergebnis: § 11 Abs. 2 und 3 ApothG Bln verstößt gegen das Diskriminierungsverbot, die §§ 9, 10 und 11 Abs. 1 ApothG Blnhingegen nicht
bb. Beschränkungsverbot
Nach der sog. Gebhard-Formel liegt immer dann eine Beschränkung vor, wenn die Wahrnehmung der Freiheit „behindert oder weniger attraktiv“ gemacht wird.
§ 9 ApothG Bln (Genehmigungspflicht) ist eine Beschränkung, da Verwaltungskosten (i.H.v. 500 €) und weitere finanzielle Belastungen, etwa der Zeitaufwand, möglicherweise Einschaltung eines Rechtsanwalts, etc., vom Wirtschaftsteilnehmer zu tragen sind.
§ 10 ApothG Bln ist ebenfalls eine Beschränkung, da er die Neuansiedlung von Apotheken verhindert, die sogar – da sie objektiver Natur sind – vom Einzelnen nicht beeinflussbar sind
§ 11 Abs. 1 ApothG Blnbeschränkt ebenfalls die Niederlassungsfreiheit, da alle Nicht-Pharmazeuten daran gehindert werden, eine Apotheke zu eröffnen.
ABER: nach den Grundsätze der Keck-Rechtsprechung kann eine Beschränkung ausscheiden. Zwar hat der EuGH die Grundsätze der Keck-Rechtsprechung bislang nicht auf die Niederlassungsfreiheit angewendet, aufgrund der Weite der Gebhard-Formel wird dies aber in der Literatur weitestgehend bejaht. Dieser Streit ist aber dann nicht zu entscheiden, wenn sich auch bei Anwendung der Keck-Formel die genannten Normen als Eingriffe darstellen.
Eine Beschränkung scheidet immer dann aus wenn die Regelungen erst nach dem Zugang zum Markt ansetzt, der Marktzugang also nicht behindert wird, und alle Wirtschaftsteilnehmer rechtlich und tatsächlich gleich betroffen sind.
Zwischenergebnis: §§ 9, 10, 11 Abs. 1 ApothG Bln treffen zwar alle Wirtschaftsteilnehmer rechtlich und tatsächlich gleich. Sie schränken aber den Zugang zu dem Markt ein. Ob die Keck-Formel auf die Niederlassungsfreiheit Anwendung findet, kann hier also offen bleiben, da auch bei ihrer modifizierten Anwendung weiterhin von einer Beschränkung (und damit einem Eingriff) auszugehen ist.
d. Rechtfertigung
aa. legitimer Zweck
geschriebene Rechtfertigungsgründe des Art. 52 AEUV (Öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit)?
Nach § 1 ApothG Bln (+)
bb. Geeignetheit
§ 9 ApothG Bln dient dazu, die Voraussetzungen der §§ 10 und 11 ApothG Bln durch eine präventive Kontrolle sicherzustellen ist damit grundsätzlich geeignet
Da ein Apotheker aufgrund § 10 ApothG Bln so gezwungen sein kann, sich seinen Wunsch nach einer eigenen Apotheke statt in einer zahlungskräftigen Gegend wie Charlottenburg in einer finanziell benachteiligten Gegend wie Marzahn zu erfüllen: Geeignetheit (+)
11 Abs. 1 ApothG Bln ist ebenfalls geeignet, da es einer kompetenten Beratung nicht nur durch den Arzt, sondern auch durch den Apotheker, bedarf
Anders aber § 11 Abs. 2 ApothG Bln: Dass Erfahrung im Inland doppelt so viel zählt wie die im Ausland ist nicht geeignet, eine sichere und qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Dagegen spricht auch nicht § 3 ApothG Bln. „Wie“ eine Apotheke in der Region betrieben wird, kann schon alleine deshalb nicht durch Herkunftsklauseln sichergestellt werden, da alleine die Herkunft einer Person keine Garantie hinsichtlich seiner Ortskenntnisse gibt. Allerdings ist die Voraussetzung, überhaupt fünf Jahre in einer Apotheke gearbeitet zu haben, geeignet. Diese Auslegung kann durch eine europarechtskonforme teleologische Reduktion der Norm erreicht werden.
Das Wohnsitzerfordernis ist aus demselben Grund nicht geeignet. Da eine europarechtskonforme Auslegung scheitert, muss diese Norm unangewendet bleiben.
cc. Erforderlichkeit
Die Voraussetzung einer Genehmigung (§ 9 ApothG Bln) ist erforderlich, um die Anforderungen des Gesetzes kontrollieren zu können.
Die Voraussetzung eines pharmazeutischen Studiums nach § 11 Abs. 1 ApothG Bln ist erforderlich, da nur so gewährleistet werden kann, dass eine Apotheke den Zielen des § 3 ApothG entspricht und nicht eine reine Verkaufsstelle wird.
Auch die Voraussetzung, überhaupt Berufserfahrung gesammelt zu haben, ist erforderlich.
Auch die Voraussetzungen des § 10 ApothG Bln sind erforderlich, insbesondere sind sie systematisch und kohärent
Zwischenergebnis: Erforderlichkeit (+)
dd. Angemessenheit
(+), (a.A. bei ausreichender Argumentation vertretbar)
3. Zwischenergebnis:
Die § 11 Abs. 2 und 3 ApothG widersprechen dem Europarecht.
III. Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV?
(-), da das Gericht Europarecht anwenden will
C) Ergebnis
Pilule hat zwar grundsätzlich einen Anspruch auf Erteilung der Genehmigung. Dies gilt aber nicht für die Orte, in denen die Voraussetzungen des § 10 ApothG – wie hier – nicht erfüllt sind. Damit hat er keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Genehmigung. Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
(a.A. bei ausreichender Argumentation vertretbar)
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