Gebetsraum
Der im Januar 1997 geborene Mesut Mözil ist muslimischen Glaubens und besucht seit dem Schuljahr 2009/2010 das städtische Jochen-Löwe-Gymnasium in Berlin-Mitte (Wedding). Die Schülerschaft des Jochen-Löwe-Gymnasiums besteht mehrheitlich aus Schülerinnen und Schülern unterschiedlicher islamischer Glaubensrichtungen, darunter Aleviten, Sunniten und Schiiten. Zudem besuchen christliche, jüdische, buddhistische und hinduistische Schüler das Gymnasium.
Am 1. März 2011 betet Mesut in der Schulpause nach der sechsten Unterrichtsstunde gemeinsam mit sieben Mitschülern etwa 10 Minuten lang in einem Flur des Schulgebäudes. Dabei knien sie auf ihren Jacken, um das rituelle islamische Gebet zu verrichten, wobei sie von anderen Schülern und der völlig verdutzten Klassenlehrerin Rollgardina Mikaelson beobachtet werden. Frau Mikaelson, die sich selbst als "ausgesprochen tolerant" bezeichnet hat nun genug von diesen "konservativen Fundamentalisten". Sie stürmt daraufhin in das Büro der Schulleiterin Odessa Hubbard-Siontologis und berichtet ihr aufgeregt von dem Ereignis. Diese macht den Fall sofort zur „Chefinnensache“ und weist Mesut und seine Eltern am 2. März 2011 schriftlich darauf hin, dass nach der geltenden Rechtslage an der Schule politische und religiöse Bekundungen, zu denen insbesondere rituelle Gebete gehörten, nicht erlaubt seien. Ein daraufhin erfolgtes Gespräch zwischen ihr, Mesut und seinen Eltern endet ergebnislos.
Mesut meint, die Religionsfreiheit gebe ihm das Recht, auch in Zukunft in der Schule das rituelle islamische Gebet zu verrichten. Seine Glaubensauffassung verbiete ihm, das Mittagsgebet nachzuholen. Aus dem Schulgesetz ergebe sich nicht, dass ihm die Schule das Beten verbieten dürfe. Da Mesut sofort „vor den Kadi ziehen“ möchte, erhebt er am 3. April 2011 gegen das Land Berlin Klage beim zuständigen Verwaltungsgericht und beantragt, „festzustellen, dass er (Anm. Mesut) berechtigt ist, während des Besuchs des Jochen-Löwe-Gymnasiums außerhalb der Unterrichtszeit einmal täglich sein rituelles islamisches Gebet zu verrichten“.
Das Land Berlin hält die Klage bereits für unzulässig, im übrigen aber auch für unbegründet. Die Religionsfreiheit sei nicht betroffen, schließlich könne Mesut ein stilles Gebet verrichten. Die Praktizierung religiöser Riten in Gruppen vor den Augen der Mitschülerinnen und Mitschüler beeinträchtige deren Religionsfreiheit und könne auch wegen der Bekenntnisneutralität staatlicher Einrichtungen nicht geduldet werden. Eine Ermächtigungsgrundlage für einen möglichen Eingriff brauche man, wie ein Umkehrschluss aus den Artikeln 5 II, 10 II und 11 II GG deutlich mache, nur in Ausnahmefällen. Schließlich sei auch das Zusammenleben und die Ordnung in der Schule in Gefahr. Im laufenden Schuljahr hätten sich Konflikte ergeben, unter anderem deshalb, weil eine Reihe von Schülerinnen und Schülern nicht den Verhaltensregeln gefolgt seien, die sich aus einer bestimmten Auslegung des Koran ergeben würden, wie z.B. Kopftuchzwang sowie persönliche Kontakte mit "unreinen" Mitschülern. Diese Konflikte seien teilweise sehr heftig und auf nicht akzeptable Weise ausgetragen worden; zu nennen seien beispielhaft Mobbing, Beleidigungen, insbesondere auch mit antisemitischer Zielrichtung, Bedrohungen und sexistische Diskriminierungen. Die den Konflikt schürenden Schüler – Mesut sei an den Konflikten allerdings in keinerlei Weise beteiligt gewesen – hätten sich völlig uneinsichtig gezeigt und regelmäßig darauf berufen, dass der Koran ihr Verhalten legitimiere. Man habe versucht, an die Toleranz zu appellieren und dazu einen gemeinsamen Gebetsraum eingerichtet. Auch hierbei sei es aber zu verbalen Auseinandersetzungen gekommen, etwa deshalb, weil es die muslimischen Schüler abgelehnt hätten, gemeinsam mit ihren Mitschülerinnen zu beten. Man könne nicht mehrere Gebetsräume zur Verfügung stellen, dafür fehlten die räumlichen und personellen Mittel und dies sei auch nicht Aufgabe der Schule. Im Übrigen gebe es muslimische Schülerinnen und Schüler, die das rituelle islamische Gebet zu Hause nachholen würden, dasselbe müsse für Mesut gelten.
Hat die Klage Aussicht auf Erfolg?
Anmerkungen:
1. Gehen Sie davon aus, dass Mesut substantiiert und nachvollziehbar darlegen kann, dass er die Verrichtung des islamischen rituellen Mittagsgebets tatsächlich als für sich verbindlich und nicht nachholbar betrachtet und diese Überzeugung einer traditionellen Richtung innerhalb der islamischen Glaubensgemeinschaft entspricht.
2. Gehen Sie für die Zwecke dieser Klausur weiter davon aus, dass in Berlin Religionsunterricht an öffentlichen Schulen ordentliches Lehrfach ist und Art. 141 GG keine Anwendung findet.
3. Normen der Verfassung von Berlin (VvB) sind nicht zu prüfen.
4. Auf §§ 3 und 46 des Schulgesetzes für das Land Berlin sowie auf § 5 RelKErzG wird hingewiesen (siehe auch Sachverhalt-PDF).
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