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Kurzlösung

 

Die Klage des Mesut (M) hat Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.

 

A. Zulässigkeit

 

I. Verwaltungsrechtsweg, § 40 I 1 VwGO

Im Streit stehen Rechte und Pflichten aus öffentlich-rechtlichem Schulrechtsverhältnis, § 46 I SchulG, sowie die Befugnis zur Untersagung gem. § 46 II 3 SchulG (Sonderrechtstheorie; Subordinationstheorie).

 

II. Statthafte Klageart

 

1. Voraussetzungen des § 43 I VwGO(+)

 

a. Rechtsverhältnis

Def.: Jede rechtliche Beziehung, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer Rechtsnorm des öffentlichen Rechts für das Verhältnis mehrerer Personen untereinander oder für das Verhältnis zwischen einer Person und einer Sache ergibt

-> Hier fraglich, ob M i.R.d. Schulrechtsverhältnisses, § 46 I SchulG,   zum rituellen Gebet außerhalb der Unterrichtszeit berechtigt ist

 

b. Berechtigtes Interesse an baldiger Feststellung

Def.: Jedes als schutzwürdig anzuerkennende Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Art. Liegt insbesondere vor, wenn die Rechtslage unklar ist, die zuständige Behörde insoweit anderer Auffassung als der Kläger ist und der Kläger sein künftiges Verhalten an der Feststellung orientieren will oder er Grund zur Besorgnis der Gefährdung seiner Rechte hat

-> Meinungsverschiedenheit zwischen M und der Schule über sein Recht zu beten; M möchte auch in Zukunft beten und es kann ihm nicht zugemutet werden, mögliche Sanktionen abzuwarten

 

2. keine Subsidiariät, § 43 II VwGO

- keine Verpflichtungsklage, § 42 I Alt. 2 VwGO

-> M begehrt nicht den Erlass eines Verwaltungsakts, da er sein Verhalten nicht für erlaubnispflichtig hält

- keine Anfechtungsklage, § 42 I Alt. 1 VwGO

-> Hinweis auf die Rechtslage ist mangels Regelungscharakter kein Verwaltungsakt i.S.v. § 35 S. 1 VwVfG

- P: Allgemeine Leistungsklage auf Verpflichtung zur Duldung des Gebets?

-> Allgemeine Leistungsklage wird in § 43 II 1 Alt. 2 VwGO vorausgesetzt, ist hier aber nicht einschlägig. M begehrt keine konkrete Handlung der Verwaltung.

 

III. Klagebefugnis, § 42 II VwGO analog

-> Rspr.: Unbewusste Regelungslücke, da Popularklagen auch bei der Feststellungsklage ausgeschlossen sein sollen

-> Lit.: Keine Regelungslücke, da Sonderregelung in § 43 II VwGO

-> Streit kann offenbleiben, da eine subjektiver Anspruch des M zu beten aus § 46 I SchulG i.V.m. Art. 4 I, II GG möglich ist bzw. ein behördliches Einschreiten dagegen möglicherweise dieses subjektive Recht verletzen würde

 

IV. Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts (§§ 45, 52 VwGO)

-> laut SV gegeben

 

V. Passive Prozessführungsbefugnis

-> Gem. § 78 I Nr. 1 VwGO das Land Berlin als Rechtsträger

 

VI. Beteiligtenfähigkeit

-> M gem. § 61 Nr. 1 Alt. 1 VwGO

-> Land Berlin gem. § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO

 

VII. Prozessfähigkeit

-> M gem. § 62 I Nr. 2 VwGO i.V.m. § 5 S. 1 KErzG i.V.m. Art. 4 I, II GG Minderjährige sind ab dem 14. Lebensjahr für Verfahren, welche das religiöse Bekenntnis betreffen, als prozessfähig anerkannt

-> Land Berlin gem. § 62 III VwGO

 

VIII. Grds. kein Widerspruchsverfahren und keine Klagefrist

 

IX. Ordnungsgemäße Klageerhebung, §§ 81 ff. VwGO

-> mangels gegenteiliger Hinweise (+)

 

X. Ergebnis zu A.

Die Klage ist zulässig.

 

B. Begründetheit

Die Klage ist begründet, wenn der Kläger berechtigt ist, während des Besuchs des Jochen-Löwe-Gymnasiums außerhalb der Unterrichtszeit einmal täglich sein rituelles islamisches Gebet zu verrichten. Der Anspruch besteht, wenn das Beten in der Schule in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt und der Beklagte nicht berechtigt ist, dem Kläger dieses Gebet zu untersagen.

 

I. Anspruch aus § 46 I SchulG i.V.m. Art. 4 I, II GG

 

1. Schutzbereich des Art. 4 I, II GG

 

a. Persönlicher Schutzbereich

Keine Einschränkung, daher „jedermann“; auch Minderjährige, da Grundrechtsträger alle natürlichen Personen, unabhängig von Alter und Fähigkeiten; auch Schüler (Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis abzulehnen; „Grundverhältnis“ betroffen)

 

b. Sachlicher Schutzbereich

Art. 4 I, II GG: einheitliches Grundrecht. Geschützt ist (Nicht)Glaube selbst (forum internum) sowie das Handeln gemäß der jeweiligen Überzeugung (forum externum). Über stilles Gebet hinaus auch rituelles Gebet umfasst, sofern für Grundrechtsträger verbindlich (subjektiver Ansatz), was substantiiert und nachvollziehbar darzulegen ist (Plausibilitätskontrolle). Dabei darf auch einer traditionellen Glaubensauffassung gefolgt werden

-> lt. SV gegeben

 

2. Rechtmäßigkeit einer möglichen Untersagung durch den Beklagten

 

a. Art. 4 I, II GG

Kein Schrankenvorbehalt; Keine Schrankenübertragung

 

b. Verfassungsimmanente Schranken

Grundrechte Dritter sowie Gemeinschaftswerte von Verfassungsrang, die mit der Religionsfreiheit des Mesut in schonenden Ausgleich zu bringen sind (praktische Konkordanz). Hier sind folgende Verfassungsgüter betroffen:

aa. Negative Religionsfreiheit (MitschülerInnen/Lehrpersonal) sowie elterliches Erziehungsrecht (Art. 6 II 1 i.V.m. Art. 4 I, II GG)

bb. Neutralitätspflicht des Staates

cc. Staatlicher Bildungs- und Erziehungsauftrag, Art. 7 I GG sowie der Schulfriede als Ausfluss des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrags

 

c. Abwägung

Besonderheiten an Schulen allgemein und insbesondere die konkrete Gefährdungslage am Joachim-Löwe-Gymnasium zu beachten. Grds. staatliche Schutzpflicht ggü. Störungen Dritter. Bezüglich Ausgestaltung der Schutzpflicht aber Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum vor allem des Gesetzgebers. SchulG liegt hier zwar vorrangig pädagogische Methode zur Lösung von Konflikten zugrunde (vgl. § 3 SchulG), der Gesetzgeber sieht aber auch staatliches Eingreifen zur Aufrechterhaltung des Schulfriedens vor (vgl. § 46 II 3 SchulG). Hier pädagogische Maßnahmen in der Vergangenheit ohne Erfolg. Hohes Gefährdungspotenzial, wegen Kapazitätsgrenzen keine Ausweichmöglichkeiten (Gebetsräume)

 

-> Abwägung fällt zulasten von M aus (a.A. vertretbar)

 

d. Bestimmtheit des § 46 II 3 SchulG

Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes, Art. 20 III GG: Grundrechtseingriffe bedürfen einer gesetzlichen Grundlage, auch und gerade bei Grundrechten ohne Schrankenbestimmung. Die gesetzliche Grundlage muss bestimmt genug sein, d.h. alle für die Grundrechtsausübung wesentlichen Fragen regeln. Wesentlichkeit hängt von Umständen des Einzelfalls ab. Der Gesetzgeber darf bei verfassungsimmanenten Schranken die Auflösung der Grundrechtskollision nicht gänzlich der Verwaltung überlassen, sondern muss „Leitlinien“ vorgeben.

Hier: Generalklausel des § 46 II 3 SchulG erlaubt Anordnungen zur Aufrechterhaltung des Schulfriedens („...dazu bestimmt, ....das Zusammenleben und die Ordnung in der Schule aufrechtzuerhalten“), mithin gibt der Gesetzgeber als Leitlinie vor, die Kollision zugunsten solcher Maßnahmen, die für die Aufrechterhaltung des Schulfriedens notwendig sind, aufzulösen.

A.A. vertretbar.

 

3. Zwischenergebnis

M hat aus § 46 I SchulG i.V.m. Art. 4 I, II GG keinen Anspruch, während des Besuchs des Joachim-Löwe-Gymnasiums außerhalb der Unterrichtszeit einmal täglich sein rituelles islamisches Gebet zu verrichten.  

 

II. Anspruch aus § 46 I SchulG i.V.m. Art. 2 I GG

Die allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 I GG tritt als subsidiäres Auffanggrundrecht hinter Art. 4 I, II GG zurück. Eine Anspruch aus § 46 I SchulG i.V.m. Art. 2 I GG scheidet daher aus.

 

III. Ergebnis zu B.

Die Klage ist unbegründet.

 

C. Gesamtergebnis

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet und hat daher keine Aussicht auf Erfolg.

 A.A. vertretbar.


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