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Lösungsvorschlag

 

© Heike Krieger und Markus Heintzen (Freie Universität Berlin)

Bearbeitung für Hauptstadtfälle: Andreas Buser, Christian Janssen 

Stand der Bearbeitung: Juli 2024

 

 

Einführung

Der Fall greift einige aktuelle Probleme aus dem Versammlungsrecht im Hinblick auf pro-russische Demonstrationen auf.[1] Die Arbeit ist von einem leichten bis mittleren Schwierigkeitsgrad. Das Versammlungsrecht als verwaltungs- und verfassungsrechtliche Materie sollte beherrscht werden. Dazu zählen die kleineren versammlungsrechtlichen Probleme des Falls, etwa zum persönlichen Anwendungsbereich des Art. 8 GG oder zur Verantwortlichkeit für gewaltsame Gegendemonstrationen. Schließlich ist auf eine strukturierte Prüfung der Verhältnismäßigkeit zu achten, welche hier insgesamt drei Mal zu thematisieren ist (Verbot Z-Symbol, örtliche Beschränkungen und zeitliche Verlegung).

Einige Schwierigkeiten ergeben sich im Hinblick auf die Anwendung des noch relativ neuen Berliner VersFG und der einschlägigen strafrechtlichen Vorschriften zur Billigung eines Angriffskrieges. Hier ist streng darauf zu achten, den Prüfungsmaßstab des BVerfG (spezifisches Verfassungsrecht) richtig darzustellen und einzuhalten.

Der Prüfungsaufbau viel einigen Bearbeiter*innen in einer Originalklausur schwer. Hier sind mehrere Wege gut vertretbar. So kann etwa der Prüfungsumfang des BVerfG anders als in der Lösungsskizze auch an den Anfang der Begründetheit gestellt werden. Vertretbar wäre es auch das Verbot der Verwendung des Z-Symbols innerhalb der Prüfung der Versammlungsfreiheit (iVm Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) unter Verwendung der Schranken der Meinungsfreiheit zu prüfen. Teilweise wird ein solches Vorgehen in anderen Falllösungen befürwortet. Ebenso könnte die willkürliche Gesetzesanwendung auch unter dem Oberpunkt verfassungskonforme Anwendung/Auslegung des einfachen Rechts diskutiert werden.

Lösungsvorschlag

Die Verfassungsbeschwerde von A, B und C zum BVerfG hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.

A. Zulässigkeit

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, wenn die Sachentscheidungsvoraussetzungen gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG und §§ 90 ff. BVerfGG erfüllt sind.

I. Zuständigkeit des BVerfG

Das Bundesverfassungsgericht ist nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a, §§ 13 Nr. 8a, 90ff. BVerfGG für die Entscheidung über die eingelegte Verfassungsbeschwerde zuständig.

II. Beteiligtenfähigkeit (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG: „jedermann“)

A, B und C sind „jedermann“ im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG und damit beteiligtenfähig.

III. Prozessfähigkeit

Alle Beschwerdeführenden sind auch prozessfähig.

IV. Beschwerdegegenstand (Art. 93. 1 Nr. 4a GG, §§ 90 Abs. 1 BVerfGG: „Akt der öffentlichen Gewalt")

Verfassungsbeschwerden können sich nur gegen einen „Akt öffentlicher Gewalt“ richten. Gemeint sind damit alle Maßnahmen der gesetzgeberischen, vollziehenden und rechtsprechenden Gewalt. Der Beschluss des OVG ist ein Akt der rechtsprechenden Gewalt und daher ein tauglicher Beschwerdegegenstand. A, B und C hätten zusätzlich zu dem OVG-Beschluss auch gegen den Beschluss des VG und gegen den Bescheid der Polizeipräsidentin vorgehen können; sie müssen dies aber nicht; insoweit haben sie ein Wahlrecht.

V. Beschwerdebefugnis (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG: „Behauptung, in einem seiner Grundrechte verletzt zu sein“) (+)

Die Beschwerdeführenden müssten behaupten können, durch den Beschluss des OVG in ihren Grundrechten verletzt zu sein. Sie müssten beschwerdebefugt sein, d.h. es dürfte nicht von vornherein ausgeschlossen sein, dass der Beschluss des OVG sie in ihren Grundrechten verletzt.

An der Beschwerdebefugnis könnte im Hinblick auf A und C gezweifelt werden. Die Versammlungsfreiheit ist ein Deutschengrundrecht und A und C haben keine deutsche Staatsbürgerschaft, auf die es hier allein ankommt.

Im Hinblick auf die Verwendung des Z-Symbols könnten sich A und C aber möglicherweise auf die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs.1 S. 1 GG) berufen. Zudem greift auch im Hinblick auf die übrigen Beschränkungen jedenfalls das Auffanggrundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG). Insofern erscheint eine Verletzung auch für diese beiden Personen nicht ausgeschlossen.

A, B und C sind als Veranstaltende auch selbst und unmittelbar betroffen. Fraglich ist, ob die Beschwer noch gegenwärtig ist, da der 9. Mai mittlerweile verstrichen ist.

Die Beschwerdeführer müssten schon oder noch betroffen sein.[2] Hier könnte es an einer fortdauernden Beschwer fehlen, da der Termin der angemeldeten Versammlung in der Vergangenheit liegt.

Die Gegenwärtigkeit entfällt nach der großzügigen Rechtsprechung des BVerfG jedoch nicht, wenn vergangenen Beeinträchtigungen weiterhin eine beeinträchtigende Wirkung zukommt oder eine Wiederholung droht.[3]

Hier besteht die Beeinträchtigung durch den Beschluss fort. Insbesondere steht zu befürchten, dass bei ähnlichen Kundgebungen in der Zukunft vergleichbare Beschränkungen erlassen werden und diese von den Verwaltungsgerichten unbeanstandet bleiben.

VI. Rechtswegerschöpfung (§ 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG) und „Subsidiarität“ der Verfassungsbeschwerde (+)

Da gegen den Beschluss des OVG ein weiterer Rechtsbehelf nicht gegeben ist, ist auch der Rechtsweg gemäß § 90 Abs. 2 BVerfGG erschöpft.

Jedoch könnte unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde" die Durchführung des Hauptsacheverfahrens verlangt werden. Nach diesem - vom BVerfG letztlich in erweiternder Auslegung des § 90 Abs. 2 BVerfGG „gefundenen" - Grundsatz haben Beschwerdeführende neben der Erschöpfung des Rechtswegs alle anderweitig bestehenden Möglichkeiten auszuschöpfen, die geeignet sind, die Grundrechtsverletzung zu beseitigen, oder ohne Inanspruchnahme des BVerfG im praktischen Ergebnis dasselbe zu erreichen.[4] Wegen dieses Grundsatzes hält das BVerfG Verfassungsbeschwerden gegen Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutz regelmäßig für unzulässig und verlangt die Durchführung eines Hauptsacheverfahrens.[5] Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde soll einer (schon) gegen Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gerichteten Verfassungsbeschwerde jedoch dann nicht entgegenstehen, wenn[6]

  • eine speziell das Eilverfahren betreffende Grundrechtsrüge erhoben worden ist, etwa indem eine Verletzung des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG gerade durch die Verweigerung vorläufigen Rechtsschutzes geltend gemacht wird;
  • die Entscheidung des BVerfG hinsichtlich der materiellrechtlichen Grundrechtsrüge keiner weiteren tatsächlichen oder einfachrechtlichen Aufklärung durch die Fachgerichte bedarf;
  • die Sache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 90 Abs. 2 S. 2 Alt. 1 BVerfGG);
  • dem Beschwerdeführer durch die Verweisung auf den Rechtsweg im Hauptsacheverfahren schwere und unzumutbare Nachteile entstünden (vgl. § 90 Abs. 2 S. 2 Alt. 2 BVerfGG);
  • die Klage im Hauptsacheverfahren im Hinblick auf die entgegenstehende Rechtsprechung der Fachgerichte als von vornherein aussichtslos erscheinen muss.

Fraglich ist, ob die Beschwerdeführenden zunächst das Hauptsacheverfahren durchführen müssen. Verneint werden könnte dies aufgrund schwerer und unzumutbarer Nachteile. Zudem könnte ein Fall von § 90 Abs. 2 S. 2 BVerfGG vorliegen oder die Fallgruppe der entgegenstehenden Rechtsprechung einschlägig sein.

Gem. § 90 Abs. 2 S. 2 Alt. 2 BVerfGG müsste dazu die Durchführung des Hauptsacheverfahrens für die Beschwerdeführer*innen einen schweren und unabwendbaren Nachteil bedeuten, d.h. der Verweis auf die spätere Entscheidung in dem Hauptsacheverfahren müsste für sie schlechthin unzumutbar sein. Ein solcher schwerer und unabwendbarer Nachteil kann hier kaum angenommen werden. Der geplante Veranstaltungstermin ist bereits abgelaufen. Danach käme als schwerer Nachteil lediglich der Umstand in Betracht, zunächst keine Veranstaltungen, wie die ursprünglich geplante, durchführen zu können. Der schwere Nachteil muss aber kausal durch die Vorabentscheidung abwendbar sein.[7] Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht ist regelmäßig nicht schneller als das Hauptsacheverfahren. Insofern wäre auch dadurch den Beschwerdeführenden kaum schneller geholfen. Die Voraussetzungen des § 90 Abs. 2 S. 2 Alt. 2 BVerfGG liegen daher nicht vor.

Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass eine Klage in der Hauptsache im Hinblick auf eine etablierte Rechtsprechung von vornherein aussichtslos wäre.

Es könnten aber die Voraussetzungen des § 90 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 BVerfGG gegeben sein (sog. Vorabentscheidung). Die Vorschrift bezieht sich ausdrücklich nur auf das Rechtswegerschöpfungsgebot, kann aber analog auch für den Grundsatz der Subsidiarität herangezogen werden.[8] § 90 Abs. 2 S. 2 BVerfGG kommt dabei nur in Betracht, „wenn der Rechtsweg wenigstens beschritten wurde oder im Zeitpunkt der Entscheidung noch beschritten werden kann.“[9] Hier wurde zumindest der vorläufige Rechtsweg beschritten. Die Erhebung einer Fortsetzungsfeststellungsklage war in der Hauptsache angesichts der Erledigung des Verwaltungsaktes vor Bestandskraft auch noch fristgemäß möglich (zum Aufbau).

Der Entscheidung müsste dazu „allgemeine Bedeutung" zukommen. Dies ist der Fall, wenn sie grundsätzliche verfassungsrechtliche Fragen aufwirft oder wenn die zu erwartende Entscheidung über den Einzelfall hinaus Klarheit über die Rechtslage in einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle schafft.[10] Zumindest letzteres kann hier angenommen werden: Die erstrebte Entscheidung vermag Klarheit darüber schaffen, ob und inwieweit pro-russische Kundgebungen im Bundesgebiet, insbesondere an bestimmten Orten, zu bestimmten Zeiten und unter Verwendung bestimmter Symbole, von der Meinungs- und/oder Versammlungsfreiheit gedeckt sind und Beschränkungen gerechtfertigt sein können. Eine Vielzahl gleichgelagerter Fälle besteht laut Sachverhalt über das gesamte Bundesgebiet verteilt. Zudem sind die aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Rechtsfragen, etwa die Verwendung des Z-Symbols, in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts noch nicht hinreichend geklärt.

(a.A. vertretbar)

Damit steht der Verfassungsbeschwerde der Grundsatz der Subsidiarität nicht entgegen.

VII. Frist (§ 93 Abs. 1 BVerfGG)/Form (§ 23 Abs. 1 S. 1 BVerfGG)

Laut Sachverhalt wurde die Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG eingehalten. Weiterhin müsste die Beschwerde gem. § 23 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG schriftlich erhoben worden sein, was laut Sachverhalt ebenfalls gegeben ist.

 

B. Begründetheit (+)

Die Beschwerde müsste begründet sein. Als möglicherweise verletzte Grundrechte kommen hier insbesondere die Meinungs- und die Versammlungsfreiheit in Betracht. In seiner Auffangfunktion muss – jedenfalls für B – auch Art. 2 Abs. 1 GG geprüft werden.

Hinweis: Die Meinungsfreiheit und die Versammlungsfreiheit kommen hier grdsl. parallel zur Anwendung. Wobei sich die erste Beschränkung primär gegen die Meinungsfreiheit (Inhalt der Kundgebung) richtet und die anderen Beschränkungen gegen die Art- und Weise der Versammlung. Insofern kann die Prüfung des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG entweder in die Prüfung der Versammlungsfreiheit integriert werden oder isoliert erfolgen. Vorliegend bietet es sich an, mit der Prüfung von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG zu beginnen, da in dieser besonderen Fallkonstellation die Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG auch für Art. 8 Abs. 1 GG gelten. Ansonsten müssten die Schranken inzident in der Prüfung von Art. 8 Abs. 1 GG erfolgen, was zu einer komplizierten „verschachtelten“ Prüfung führen würde.

I. Meinungsfreiheit

Die erste Beschränkung könnte die Meinungsfreiheit der Beschwerdeführenden verletzen.

 

1. Schutzbereich

Fraglich ist, ob der Schutzbereich eröffnet ist.

a) Sachlich

aa) Abgrenzung zur Versammlungsfreiheit

Hier ist zunächst die Meinungsfreiheit von der Versammlungsfreiheit abzugrenzen. Grundsätzlich kommen beide Grundrechte parallel zur Anwendung.[11] Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG schützt dabei vor Beschränkungen des Inhalts und der Form einer Meinungsäußerung. Dagegen schützt Art. 8 GG primär das Zusammenkommen zum Zwecke der gemeinschaftlichen Meinungsbildung und Äußerung und damit die Art und Weise der Meinungsäußerung.[12]

Die zweite und die dritte Beschränkung richten sich hier primär gegen die Art des Zusammenkommens, indem örtliche und zeitliche Änderungen vorgenommen werden. Diese Beschränkungen beziehen sich damit direkt auf die Versammlungsfreiheit. Die erste Beschränkung richtet sich dagegen gegen den Inhalt und die Form der Kundgebung. Insbesondere wird hier verlangt, bestimmte Symbole, die mit bestimmten Aussagen verknüpft sind, nicht zu zeigen. Daher soll diese Beschränkung an der Meinungsfreiheit geprüft werden.

bb) Abgrenzung Werturteile und Tatsachenbehauptungen

Fraglich ist weiterhin, ob das Tragen des Z-Symbols vom Schutzbereich der Meinungsäußerungsfreiheit erfasst ist.

Unter Meinungsäußerung ist zunächst die Äußerung aller Werturteile zu verstehen. Für sie ist das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens kennzeichnend, weshalb sie sich nicht als wahr oder unwahr beweisen lassen. Dementsprechend schützt Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG die Äußerung von Werturteilen schlechthin, ohne dass es darauf ankäme, ob die Äußerung begründet oder grundlos, emotional oder rational, wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos ist.

Möglicherweise beinhaltet das Z-Symbol aber weniger eine Wertung als eine tatsächliche Aussage darüber, ob der Krieg in der Ukraine völkerrechtlich einen Angriffskrieg darstellt oder nicht.

Von der Meinungsäußerungsfreiheit werden darüber hinaus aber auch Tatsachenbehauptungen umfasst, obwohl sie streng genommen keine Meinungen sind, da sie erweislich wahr oder unwahr sein können. Den Schutz des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG auch auf Tatsachenbehauptungen zu erstrecken, ist geboten, da sich Meinungen regelmäßig auf tatsächliche Annahmen stützen oder zu tatsächlichen Verhältnissen Stellung beziehen, so dass ihre Mitteilung Voraussetzung für die Bildung von Meinungen ist. Dies gilt jedenfalls insoweit, als die Tatsachenbehauptung nicht bewusst oder erweislich unwahr ist.

Hier ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführenden tatsächlich davon ausgehen, die „Spezialoperation“ sei gerechtfertigt. Insofern liegt keine bewusst falsche Tatsachenbehauptung vor. Dagegen dürfte eine solche Tatsachenbehauptung erweislich unwahr sein, da laut Sachverhalt der Krieg in der Ukraine offensichtlich gegen das Gewaltverbot der UN-Charta verstößt.

Allerdings steht bei der Verwendung des Z nicht die Behauptung einer Tatsache, sondern das wertende Element im Vordergrund. Zwar ist das Z als Buchstabe zunächst wertungsneutral, es ist aber nach den sozialen Anschauungen und dem Kontext mittlerweile deutlich mit einer politischen Befürwortung der Handlungen Russlands in der Ukraine verknüpft.[13] Insofern beinhaltet es ein wertendes Element („die Spezialoperation ist legitim“). Inwiefern damit auch ein tatsächliches Element verknüpft ist – etwa „die Spezialoperation ist rechtmäßig“ – welches möglicherweise erweislich unwahr ist, kann daher offenbleiben.

 

Der sachliche Schutzbereich ist eröffnet.

 

b) Persönlich

Die Meinungsfreiheit ist als „Jedermann-Grundrecht“ ausgestaltet, auf welches sich alle Beschwerdeführenden berufen können.

 

2. Eingriff

Weiterhin müsste ein Eingriff vorliegen. Ein Eingriff ist nach dem modernen Eingriffsbegriff jedes staatliche Handeln, das dem Einzelnen ein Verhalten oder den Genuss eines Rechtsguts, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, ganz oder teilweise unmöglich macht, gleichgültig ob diese Wirkung final oder unbeabsichtigt, unmittelbar oder mittelbar, rechtlich oder tatsächlich, mit oder ohne Befehl und Zwang eintritt.[14]

Die ausgesprochene Beschränkung, die vom OVG nicht aufgehoben wurden, hindert die Beschwerdeführenden daran, ihre Meinung ungehindert zu verbreiten. Damit liegt ein Eingriff vor.

3. Rechtfertigung

Fraglich ist, ob der Eingriff in den Schutzbereich gerechtfertigt ist.

a) Schranken

Die Meinungsfreiheit sieht als Schranken die allgemeinen Gesetze, gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Jugend und das Recht der persönlichen Ehre vor (Art. 5 Abs. 2 GG).

Gesetzliche Grundlage für die erste Beschränkung könnte § 14 Abs. 1 VersFG iVm § 140 Nr. 2, 138 Abs. 1 Nr. 5 letzte Var. StGB; §§ 6-13 VStGB oder § 14 Abs. 2 VersFG sein. Auch wenn Zweifel an der „Allgemeinheit“[15] dieser Vorschriften teilweise diskutiert werden, ist hier auf Grund des Bearbeitervermerks von der Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen auszugehen.

 

b) Verfassungskonforme Anwendung des Gesetzes

Das Bundesverfassungsgericht ist keine Superrevisionsinstanz. Es prüft daher nicht die konkrete Anwendung des Gesetzes, sondern lediglich, ob bei Anwendung und Auslegung der Gesetze spezifisches Verfassungsrecht verletzt wurde. Solches wird verletzt, wenn das Fachgericht Prozessgrundrechte missachtet, ein verfassungswidriges Gesetz angewandt, eine offensichtlich willkürliche Entscheidung getroffen oder die Wertung eines Grundrechts bei der Auslegung des einfachen Rechts verkannt hat.[16]

aa) Offensichtlich willkürliche Entscheidung

Fraglich ist zunächst, ob der Beschluss des OVG offensichtlich willkürlich war. Prüfungsmaßstab ist hier das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG. Zu prüfen ist, ob der Beschluss bei verständiger Würdigung der rechtlichen Fragestellungen schlechterdings unhaltbar und objektiv willkürlich ist und sich der Schluss aufdrängt, dass es auf sachfremden Erwägungen beruht.[17]

Die Untersagung des Z-Symbols könnte auf die öffentliche Sicherheit (§ 14 Abs. 1 VersFG) gestützt werden. Die öffentliche Sicherheit erfasst nach allgemeiner Meinung neben den Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates und Rechten Dritter, die Gesamtheit der Rechtsordnung. Dazu zählen auch die relevanten strafrechtlichen Vorschriften. Vorliegend könnte das Z-Symbol als Billigung eines Angriffskrieges oder der dort begangenen Kriegsverbrechen iSd §§ 140 Nr. 2, 138 Abs. 1 Nr. 5 letzte Var. StGB; §§ 6-13 VStGB aufgefasst werden.

Die Verwaltung und das OVG gingen vom Vorliegen der objektiven Tatbestandsmerkmale aus. Diese umfassen das Vorliegen einer der rechtswidrigen Katalogtaten (hier Angriffskrieg, Kriegsverbrechen) und das öffentliche Billigen dieser in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Möglicherweise ist die Entscheidung des Gerichts hier willkürlich.

Für die Billigung einer Aggression muss eine offenkundige Unvereinbarkeit des Gewalteinsatzes mit der UN-Charta vorliegen (§ 13 Abs. 1 VStGB). Diese ist laut Sachverhalt gegeben.

Eine Billigung setzt weiter voraus, dass der Täter seine Zustimmung kundgibt, dass die Tat begangen worden ist und sich damit moralisch hinter den Täter stellt.[18] Die Verwendung des Z-Symbols („für den Sieg“) stellt, zumindest im Hinblick auf den Angriffskrieg, eine deutliche Zustimmung dar. Insofern erscheint auch die Bejahung diese Tatbestandsmerkmals nicht unvertretbar.

Auch die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens ist nicht abwegig. § 140 StGB soll die Entstehung eines „psychischen Klimas verhindern, in dem gleichartige Untaten gedeihen können“.[19] Öffentlicher Frieden ist danach objektiv ein Zustand der Rechtssicherheit und des befriedeten Zusammenlebens der Bürger und subjektiv das Vertrauen der Bevölkerung (Sicherheitsgefühl) in die Fortdauer dieses Zustands.[20] Hier erscheint es vertretbar, eine Gefahr für das Zusammenleben ukrainisch-stämmiger und russisch-stämmiger Menschen in Deutschland anzunehmen. Das Sicherheitsgefühl der ukrainischen Geflüchteten wird durch die Konfrontation mit Symbolen des Aggressors beeinträchtigt.

Das Vorliegen des subjektiven Tatbestands ist hier unbeachtlich. Im Rahmen der präventiv-polizeilichen Beschränkung einer Versammlung kommt es nicht auf das Vorliegen subjektiver Elemente an, sondern auf die Verhinderung objektiver Rechtsverstöße.[21]

Damit erscheint die Annahme einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit nicht willkürlich.[22]

 

bb) Verkennung der Bedeutung der Meinungsfreiheit

Allerdings könnte das Gericht die Bedeutung der Grundrechte in der Entscheidung verkannt haben. Im Lüth-Urteil hat das BVerfG die konstituierende Bedeutung der freien Meinungsäußerung für die freiheitlich-demokratische Grundordnung betont. Wegen der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts darf aus der Anwendung der allgemeinen Gesetze im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG nicht eine vollständige Beschränkung der Meinungsfreiheit folgen. Vielmehr muss jede Einschränkung der Meinungsfreiheit ihrerseits im Lichte der besonderen Bedeutung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG betrachtet werden (sog. Wechselwirkungslehre).

Aufgrund der Bedeutung der Meinungsfreiheit ist die Vorschrift des § 140 StGB daher eng auszulegen. Vorliegend ist insbesondere zu prüfen, ob die Auslegung und Anwendung der Vorschrift durch das OVG mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar ist.

Der legitime Zweck liegt hier im Schutz des öffentlichen Friedens und des friedlichen Zusammenlebens der Menschen in Deutschland.[23]

Das Verbot des Z-Symbols auf einer öffentlichen Versammlung ist dazu auch nicht ungeeignet.

Erforderlich ist eine Maßnahme, wenn es keine gleich geeigneten milderen Mittel gibt. Andere mildere Mittel (z.B. nur kleine Z-Symbole, keine Fahnen mit dem Symbol) sind nicht gleich geeignet und auch nicht unbedingt milder.

Schließlich müsste die Beschränkung zur Zielerreichung angemessen erscheinen. Hier ist eine Zweck-Mittel Relation vorzunehmen. Vorliegend stehen sich abstrakt jeweils wichtige Verfassungsgüter gegenüber. Auf der einen Seite steht die Meinungsfreiheit, die als politisches Grundrecht von hoher Bedeutung für die Demokratie ist. Auf der anderen Seite steht der öffentliche Friede, dessen Aufrechterhaltung eine Kernaufgabe des Staates darstellt.

Im konkreten Fall ist die Schwere der Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit durch das Verbot des Z-Symbols relativ gering. Zwar kommt Symbolen im politischen Meinungskampf teilweise eine hohe Bedeutung zu, hier können die Beschwerdeführerenden aber auch ohne die Verwendung des Symbols auf ihr Anliegen aufmerksam machen. Unabhängig von den anderen Beschränkungen (dazu sogleich) stellt allein das Verbot des Z-Symbols nur einen geringfügigen Eingriff in die Meinungsfreiheit der Beschwerdeführenden dar. Auf der anderen Seite ist die Gefahr für den öffentlichen Frieden zumindest von mittlerem Gewicht. Einerseits ist eher unwahrscheinlich, dass allein das Verwenden des Symbols gewaltsame Auseinandersetzungen provoziert oder gar Sympathisanten dazu veranlasst Gewalttaten zu verüben. Andererseits steht zu befürchten, dass Veranstaltungen wie die hier geplante und die dortige Verwendung von Zeichen des russischen Militärs Antipathien und Konflikte zwischen russisch-stämmigen und ukrainisch-stämmigen Bevölkerungsteilen schüren und sich damit der Konflikt in Deutschland fortsetzt.

Im Ergebnis erscheint die Beschränkung danach auch angemessen.

 

4. Zwischenergebnis

Ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG liegt vor. Dieser ist jedoch gerechtfertigt.

 

II. Versammlungsfreiheit

Der Beschluss des OVG könnte im Hinblick auf die zweite und die dritte Beschränkung die Versammlungsfreiheit verletzen.

Dazu müsste zunächst der Schutzbereich eröffnet sein.

1. Schutzbereich

a) Sachlich

Der sachliche Schutzbereich ist eröffnet, wenn eine Versammlung vorliegt und diese friedlich und ohne Waffen durchgeführt werden sollen.

aa) Vorliegen einer Versammlung

Eine Versammlung ist eine Personenvereinigung von mindestens zwei Personen, die sich innerlich durch eine gemeinsame Zweckverfolgung zur Teilnahme am öffentlichen Diskurs verbunden hat.[24]

Hier wollen sich ca. 200 Teilnehmer*innen zu einem Autokorso zusammenschließen. Auch wenn Art. 8 GG historisch wohl eher die Zusammenkunft „zu Fuß“ vor Augen hatte, bleibt es grundsätzlich den sich Versammelnden überlassen, ob sie ein anderes Fortbewegungsmittel wählen (andere Beispiele z.B. Fahrradkorsos, Landmaschinen etc.).

Unabhängig davon, ob man das Anliegen der Beschwerdeführenden für legitim hält, ist dieses jedenfalls auf Beteiligung am öffentlichen Meinungsaustausch gerichtet. Selbst auf die Richtigkeit der dem Anliegen zu Grunde liegenden Tatsachen (z.B. Spezialoperation, Entnazifizierung etc.) kommt es grundsätzlich nicht an.

Eine Versammlung liegt demnach vor.

b) Friedlich und ohne Waffen

Nur Versammlungen, die friedlich und ohne Waffen durchgeführt werden, sind vom sachlichen Schutzbereich erfasst. Eine Versammlung ist dann unfriedlich, wenn sie einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nimmt oder zu nehmen droht.[25] Sie wird nicht schon durch jede Rechts- und Polizeiwidrigkeit unfriedlich, da ansonsten der Gesetzesvorbehalt des Art. 8 Abs. 2 GG überflüssig wäre.[26] Allgemeine Erfahrungssätze der Behörde, die auf gewalttätige Gegner hindeuten, reichen zur Verneinung der Friedlichkeit nicht aus. Notwendig sind vielmehr konkrete tatsächliche Hinweise, die auf einen unfriedlichen Verlauf hinweisen.[27] Solche bestehen hier nicht.

Auch Waffen wollen A, B und C nicht mitführen.

2. Persönlich

Art. 8 GG ist als Deutschengrundrecht ausgestaltet. Als solches schützt es grundsätzlich. nur alle deutschen Staatsangehörigen iSd Art. 116 Abs. 1 GG. B ist deutscher Staatsbürger und kann sich damit auf Art. 8 Abs. 1 GG berufen.

 

A ist als russische Staatsangehörige weder Deutsche noch EU-Ausländerin. Diese können sich nur auf die Menschenrechte (Artikel 11 EMRK) sowie ggf. Art. 2 Abs. 1 GG als Auffanggrundrecht berufen. Damit ist für A allein Art. 2 Abs. 1 GG, nicht aber Art 8 Abs. 1 GG, einschlägig (siehe unten).

 

C ist als polnischer Staatsbürger EU-Ausländer. Hinsichtlich EU-Ausländern ist - wegen des Diskriminierungsverbotes des Art. 18 AEUV - umstritten, auf welche Grundrechte sie sich berufen können.

 

Nach einer Ansicht können sich EU-Ausländer direkt auf Deutschengrundrechte berufen.[28] Zur Begründung werden auf den Anwendungsvorrang des Europarechts und das Diskriminierungsverbot hingewiesen.

 

Nach anderer Auffassung sollen allein die Menschenrechte anwendbar sein. Allerdings müsse im Bereich der Bürgerrechte ein gleichwertiger Schutz über Art. 2 Abs. 1 GG gewährt werden. Als Grund wird angeführt, dass trotz fortschreitender Integration nicht-deutsche Bürger der EU nicht als Deutsche gelten könnten. Eine andere Auslegung überdehne den Wortlaut der Deutschengrundrechte.[29]

 

Je nach vertretener Auffassung kann sich C damit auf Art. 8 Abs. 1 GG oder Art. 2 Abs. 1 GG berufen. Hier soll der Auffassung gefolgt werden, dass eine unmittelbare Berufung auf Art. 8 Abs. 1 GG durch EU-Ausländer möglich ist.

 

2. Eingriff

Bei den „Beschränkungen“ zwei und drei, die durch die Polizeipräsidentin ausgesprochen worden sind und im Beschluss des OVG bestätigt wurden, handelt sich um staatliches Handeln, welches die Art und Weise der gemeinsamen öffentlichen Meinungskundgebung betrifft. Da die Versammlungsfreiheit grundsätzlich auch die Selbstbestimmung von Ort und Zeit umfasst,[30] stellt sich die Verlegung auf einen anderen Tag und die Änderung der Route als Behinderung dar.

3. Rechtfertigung

Der Eingriff könnte gerechtfertigt sein. Nach Art. 8 Abs. 2 GG besteht die Möglichkeit der Einschränkung von Versammlungen unter freiem Himmel durch oder auf Grund eines Gesetzes. Das Merkmal „unter freiem Himmel“ ist weit zu verstehen und umfasst alle Orte, die dem allgemeinen Publikumsverkehr offenstehen und wo dieser sich bewegt und damit besonders gefährdet ist.[31] Unabhängig davon, ob die Versammlungsteilnehmer ein Dach über dem Kopf haben oder im Cabriolet an der Versammlung teilnehmen, gilt daher der Gesetzesvorbehalt des Art. 8 Abs 2 GG.

 

a) Verfassungsmäßigkeit des Einschränkungsgesetzes

An der Verfassungsmäßigkeit des Berliner VersFG bestehen laut Sachverhalt keine Zweifel.

 

b) Verfassungskonforme Anwendung des Gesetzes

Wie oben dargestellt prüft das Bundesverfassungsgericht nicht die konkrete Anwendung des Gesetzes, sondern lediglich, ob bei Anwendung und Auslegung der Gesetze spezifisches Verfassungsrecht verletzt wurde. Solches wird verletzt, wenn das Fachgericht Prozessgrundrechte missachtet, ein verfassungswidriges Gesetz angewandt, eine offensichtlich willkürliche Entscheidung getroffen oder die Wertung eines Grundrechts bei der Auslegung des einfachen Rechts verkannt hat.

 

Hier kommen die Fallgruppen der willkürlichen Anwendung und Auslegung des Gesetzes und die Verkennung der Wertungen des Grundrechts bei der Auslegung in Betracht. Insofern ist jeweils zwischen der zeitlichen und der örtlichen Verlegung zu differenzieren.

aa) Zeitliche Verlegung

Die Wahl des Versammlungstages ist von der Versammlungsfreiheit umfasst, insbesondere dann, wenn das Datum für den Zweck der Versammlung von Bedeutung ist.[32]

(1) Willkürliche Anwendung des VersFG

Zunächst könnte in der Annahme der gesetzlichen Voraussetzungen einer Beschränkung im Hinblick auf die zeitliche Verlegung eine willkürliche Anwendung des VersFG liegen. Versammlungsrechtlich wäre eine Beschränkung hier über § 14 Abs. 1 VersG nur möglich, wenn ein Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit drohen würde.

Eine Versammlung unter dem angegebenen Motto dürfte aber (ohne die Verwendung des Z-Symbols) allein kaum als strafrechtlich relevante Billigung eines Angriffskrieges aufzufassen sein.

Im Rahmen der öffentlichen Sicherheit kommt noch eine Gefahr für Individualrechtsgüter durch gewaltbereite Versammlungsgegner*innen in Betracht. Fraglich ist allerdings schon, ob die Verletzung von Individualrechtsgütern hinreichend wahrscheinlich ist. Die Erwartung von gewaltbereiten Gegnern beruht nur auf abstrakten Erfahrungssätzen der Behörde. Nicht erkennbar ist, dass eine Schädigung von Individualrechtsgütern gerade auch bei dieser Versammlung zu erwarten ist. Es fehlt daher an der hinreichenden Wahrscheinlichkeit in diesem konkreten Einzelfall. Zudem müssen zum Schutz der Versammlung im Wege der Amtshilfe Polizeikräfte aus anderen Ländern angefordert werden und Maßnahmen gegen die gewaltbereiten Gegner ergriffen werden. Der Staat ist verpflichtet, die Grundrechtsausübung vor Störungen Dritter zu schützen. Er darf nicht dulden, dass friedlichen Demonstranten durch gewaltbereite Gegner gestört werden und muss ggf. Polizeikräfte aus anderen Bundesländern anfordern. Gegen die angemeldete Versammlung selbst darf nur vorgegangen werden, wenn die Voraussetzungen für den polizeilichen Notstand vorliegen. Das ist der Fall, wenn die Störung nicht auf andere Weise abgewehrt werden kann.[33] Hier hat die Polizeipräsidentin nicht dargelegt, dass eine Anforderung von Polizeikräften zum Schutz der Versammlung aus den benachbarten Bundesländern nicht möglich war.

Insofern erscheint die Annahme einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit willkürlich.

Daneben hat die Polizeipräsidentin und das Gericht als Rechtsgrundlage für die Beschränkung § 14 Abs. 2 Nr. 3 VersFG VersG herangezogen. Der 9. Mai ist in der Anlage zum VersFG genannt. Allerdings ist sehr fraglich, ob hier die unmittelbare Gefahr bestand, dass durch die Versammlung die Würde der Opfer des Nationalsozialismus beeinträchtigt wird. Dies wird regelmäßig nur bei Demonstrationen angenommen, die mit dem Nationalsozialismus sympathisieren. Allerdings scheint es wohl nicht als völlig abwegig, dass auch Demonstrationen, wie die hier vorliegende, die unabhängig von ihrem Motto – ausweislich der zunächst geplanten Verwendung des Z-Symbols – mit Kriegsverbrechern und Aggressoren sympathisieren, die Würde der Opfer des Nationalsozialismus beeinträchtigen.

Insofern erscheint die Annahme der Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 Nr. 3 VersFG im Hinblick auf die zeitliche Verlegung der Versammlung als noch vertretbar.

(a. A. vertretbar)

(2) Verkennung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit

Die Entscheidung des OVG, welche die zeitliche Verlegung nicht beanstandet, könnte mangels hinreichender Abwägung der widerstreitenden Rechtsgüter verfassungswidrig sein. Die Gerichte müssen bei Anwendung und Auslegung des Versammlungsgesetzes die überragende Bedeutung von Art. 8 GG beachten. Angesichts der besonderen Bedeutung der Versammlungsfreiheit sind Beschränkungen nur zum Schutz gleichgewichtiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erlaubt.[34]

Hier kommt wiederum ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Betracht.

Legitimer Zweck der Beschränkung ist hier der Schutz der Würde der Opfer des Nationalsozialismus und des öffentlichen Friedens.

Die zeitliche Verlegung ist dafür auch geeignet, da die Versammlung an einem anderen Tag eine andere und geminderte Symbolkraft entfaltet.

Mildere gleich geeignete Mittel sind nicht ersichtlich.

Problematisch ist jedoch die Angemessenheit.

Abstrakt stehen sich hier die Versammlungsfreiheit der Beschwerdeführenden und die Würde der Opfer des Nationalsozialismus gegenüber. Die Menschenwürde hat in Art. 1 Abs. 1 GG eine herausgehobene Stellung. Wie oben bereits erwähnt stellt sich die Aufrechterhaltung des öffentlichen Friedens als Kernaufgabe des Staates dar. Auf der anderen Seite ist die Versammlungsfreiheit in einer demokratischen Gesellschaft ebenfalls von hoher Bedeutung.

Konkret ist hier zu beachten, dass die Verlegung der Versammlung auf einen anderen Tag einem besonders schweren Verbot der Versammlung nahekommt. Denn für den Versammlungszweck ist der hier gewählte Tag von hoher Bedeutung. Verbot und Auflösung einer Versammlung kommen nur zum Schutz „elementarer“ Rechtsgüter in Betracht [35] An diesem Tag finden auch in Russland große Feierlichkeiten statt. Zudem richtet sich der Autokorso zumindest seinem Motto nach „gegen Nazis“. Auf der anderen Seite ist die konkrete Beeinträchtigung der Würde der Opfer des Nationalsozialismus als eher gering einzustufen. Ein Autokorso mag mit Feierlichkeiten im Rahmen von Fußballspielen assoziiert werden, erscheint aber auch am „Tag des Sieges“ nicht völlig unangebracht. Zumal am 9. Mai, anders als etwa am Volkstrauertag und Totensonntag, das ungestörte Gedenken nicht besonders gesetzlich geschützt ist.[36] Die Versammlung selbst sympathisiert nicht mit dem Nationalsozialismus, sondern „nur“ allgemein mit einem gewalttätigen Regime. Auch örtlich ist hier kein konkreter Bezug zu den Opfern des Nationalsozialismus gegeben. So führt die Strecke nicht an einschlägigen Mahnmalen vorbei. Schließlich geht allein von der Art der Versammlung als Autokorso keine besonders große Gefahr für den öffentlichen Frieden aus. Insbesondere erscheint ein Autokorso weder konkret noch generell dazu geeignet, eine Stimmung der Angst und Rechtsunsicherheit zu erzeugen.

Danach wurde die die Versammlungsfreiheit der Beschwerdeführenden in der Entscheidung nicht angemessen berücksichtigt (a. A. vertretbar).

Die zeitliche Verlegung ist verfassungswidrig.

bb) Örtliche Verlegung

Art. 8 GG schützt grundsätzlich auch die Wahl des Versammlungsortes.[37]

(1) Willkürliche Entscheidung

Im Rahmen der öffentlichen Sicherheit kann hier eine Beeinträchtigung der Rechte der Ukrainer*innen, die sich am Tegeler Flughafen und am Bahnhof ankommen, thematisiert werden. Allerdings erscheint hier eine gesundheitliche Beeinträchtigung (psychischer Schaden durch Konfrontation oder Handgreiflichkeiten) eher fernliegend. Ein Recht, mit bestimmten Meinungen nicht konfrontiert zu werden, gibt es jedenfalls in der Öffentlichkeit grundsätzlich. nicht. Insofern erscheint das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit hier offensichtlich nicht betroffen.

Auch die Voraussetzungen der in § 14 Abs. 2 VersFG aufgezählten Alternativen sind hier kaum einschlägig. Insbesondere wird nicht konkret zu Hass oder Gewalt- und Willkürmaßnahmen gegen die ukrainischen Geflüchtete aufgestachelt (§ 14 Abs. 2 Nr. 1 a) VersFG) oder dieser Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich gemacht oder verleumdet (§ 14 Abs. 2 Nr. 1 b) VersFG).

Insofern kann hier gut vertretbar bereits ein Verstoß gegen das Willkürverbot angenommen werden.

(2) Verkennung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit

Zudem könnte in der Auslegung durch das Gericht die Bedeutung der Versammlungsfreiheit verkannt worden sein. Wiederrum ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu prüfen.

Als legitimer Zweck kann hier der öffentliche Friede angeführt werden.

Die örtliche Verlegung ist auch nicht ungeeignet, hierzu einen Beitrag zu leisten, da so die Gruppen nicht direkt miteinander konfrontiert werden.

Als mildere Maßnahme käme die örtliche Beschränkung nur im Hinblick auf den Tegeler Flughafen in Betracht. Diese ist aber nicht gleich geeignet, da so eine Konfrontation von Ukrainer*innen mit den Versammlungsteilnehmer*innen am Hauptbahnhof droht.

Im Rahmen der Angemessenheit ist wiederrum zwischen Zweck und Mittel abzuwägen.

Für die abstrakte Wertigkeit der widerstreitenden Belange kann nach oben verwiesen werden.

Konkret ist zu berücksichtigen, dass eine Versammlung direkt vor einer Flüchtlingsunterkunft, in der sich viele Ukrainer*innen aufhalten, eine besonders hohe Symbolkraft und damit auch ein hohes Risikopotential für den öffentlichen Frieden birgt. Für die dort untergebrachten Ukrainer*innen kann ein Fahrzeugkonvoi, der mit russischen Fahnen bestückt ist, durchaus zu Verunsicherung führen und ein Klima der Angst erzeugen. Dagegen dürfte allein das Vorbeifahren am Hauptbahnhof kaum zusätzliches Gefahrpotential bergen. Der Bahnhof hat zwar eine gewisse Symbolkraft wegen der dort angekommenen Geflüchteten, allerdings kommen dort mittlerweile nur noch vereinzelt Ukrainer*innen an.

Die Verlegung ist damit im Hinblick auf die Umgehung des Hauptbahnhofs verfassungswidrig. Im Hinblick auf den Tegeler Flughafen dürfte die Beschränkung dagegen noch angemessen erscheinen. Angesichts der offensichtlich fehlenden einfachgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für eine solche Beschränkung stellt sich der Beschluss des OVG hier aber insgesamt als verfassungswidrig dar.

(a. A. vertretbar)

 

III. Allgemeine Handlungsfreiheit der A

Als russische Staatsbürgerin kann sich A nur auf die allgemeine Handlungsfreiheit berufen. Dieses Grundrecht ist allerdings im Lichte von Art. 11 EMRK völkerrechtsfreundlich auszulegen. Im Ergebnis dürften sich daher keine Unterschiede zu oben ergeben, da auch im Rahmen von Art. 2 Abs. 1 GG letzlich die Verhälntismäßigkeit der Beschränkungen zu prüfen ist. Auch für A stellen sich die zweite und dritte Beschränkung daher als ungerechtfertigt dar.

 

C. Ergebnis

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und hinsichtlich der „Beschränkungen“ zwei und drei auch begründet (a. A. vertretbar).

 

Zur weiteren Vertiefung empfehlenswert:

OVG untersagt Verwendung von T-Shirts mit 'Z'-Symbol (lto.de)

Z-Symbol, russische Flagge und Georgsband – Verfassungsblog             

Pro-russische Versammlungen – neue Herausforderung für das Versammlungsrecht? › JuWissBlog


[1] Siehe dazu: Rhein-Fischer, Z-Symbol, russische Flagge und Georgsband, VerfBlog, 2022/4/27, https://verfassungsblog.de/z-symbol-russische-flagge-und-georgsband/; Vasovic, Pro-russische Versammlungen – neue Herausforderung für das Versammlungsrecht?, JuWissBlog, 2022/4/26, https://www.juwiss.de/23-2022/.

[2] Kingreen/Poscher, Grundrechte, 37. Aufl. Rn 1312.

[3] Im Überblick: Kingreen/Poscher, Grundrechte, 37. Aufl. Rn 1313.

[4] Im Überblick: Niesler, in: BeckOK BVerfGG, 2021, § 90 Abs. 2, Rn. 44 (Stand der Kommentierung: Dezember 2023).

[5] Vgl. z. B. BVerfG (K), NJW 2004, 1855; NJW 2015, 3708 Rn. 13.

[6] Vgl. Niesler, in: BeckOK BVerfGG, § 90 Abs. 2 Rn. 78 ff. (Stand der Kommentierung: Dezember 2023).

[7] Niesler, in: BeckOK BVerfGG, § 90 Abs. 2 Rn. 166.

[8] BVerfG, NJW 2015, 2252 Rn. 17; Niesler, in: BeckOK BVerfGG, § 90 Abs. 2, Rn. 155 (Stand der Kommentierung: Dezember 2023).

[9] BVerfGE 56, 54 (69).

[10] Niesler, in: BeckOK BVerfGG, § 90 Abs. 2 Rn. 158 ff. (Stand der Kommentierung: Dezember 2023).

[11] BVerfGE 82, 236 (258); 90, 241 (250, 254).

[12] BVerfGE 111, 147 (154).

[13] So auch OVG Sachsen Anhalt, Beschl. v. 27.04.2022, Az. 3 M 45/22, juris.

[14] Siehe etwa: Kingreen/Poscher, Grundrechte, 37. Aufl. Rn. 294.

[15] Vgl. Anschütz, VVDStRL 4, 1928, 74/75; Kingreen/Poscher, Grundrechte, 37. Aufl., Rn. 690.

[16] Im Überblick und mit deutlicher Kritik zu einzelnen Fallgruppen: Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 12. Aufl., Rn. 286 ff.

[17] Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 12. Aufl., Rn. 299.

[18] BGH, NJW 2003, 1201.

[19] BGHSt 22, 286; 28, 314.

[20] Sternberg-Lieben/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder Strafgesetzbuch, 30. Aufl. 2019, § 126 Rn. 1.

[21] Barczak, in: Ridder/Breitbach/Deiseroth, Versammlungsrecht, 2. Aufl., § 15 Rn. 101.

[22] So bejaht das OVG Sachsen Anhalt den objektiven Tatbestand der Billigung eines Angriffskrieges und damit die Rechtmäßigkeit einer Auflage das Z-Symbol nicht zu verwenden: Beschl. v. 27.04.2022, Az. 3 M 45/22, juris.

[23] Zum Schutzgut „öffentlicher Friede“ des § 140 StGB: BGHSt 22, 286.

[24] Kritisch dazu: Depenheuer, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 8 Rn. 85 f. (Stand der Kommentierung: Oktober 2020).

[25] Siehe etwa: BVerfGE 73, 248 (249).

[26] Kunig, in v. Münch/Kunig, 6. Aufl., Art. 8 Rn. 23.

[27] Kahl, Jus 2004, 894 (895).

[28] Michael/Morlok Grundrechte, 8. Aufl., Rn. 448.

[29] Vgl. Schneider, in: BeckOK GG, Art. 8, Rn. 23 m.w.N. (Stand der Kommentierung: Januar 2024).

[30] Kingreen/Poscher, Grundrechte, 37. Aufl. Rn. 821.

[31] Siehe nur: Kinggreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 822.

[32] BVerfG NJW 2001, 1409 (1410).

[33] BVerfG (K), NVwZ 2006, 1049; OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 18.4.2020, 3 M 60/20, juris Rn. 24.

[34] BVerfGE 69, 315 (348).

[35] BVerfGE 69, 315 (353).

[36] Zur Versammlungsbeschränkungen an solchen Tagen: BVerfG (K), NVwZ 2003, 601.

[37] BVerfGE 73, 206 (249); BVerfG (K), NVwZ 2002, 714; ausführlich Burgi, DÖV 1993, 633 ff.


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© Heike Krieger (Freie Universität Berlin) und Markus Heintzen (Freie Universität Berlin)

Bearbeitung für Hauptstadtfälle: Andreas Buser, Christian Janssen 

Stand der Bearbeitung: Juli 2024