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Sondergericht (Sachverhalt)

Nachdem der Bundesgerichtshof in einer Reihe von Urteilen mutmaßliche Terroristen aus Mangel an Beweisen freigesprochen hat, wird ein „Gesetz zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG)“ in den Bundestag eingebracht, das das Strafverfahren gegenüber Terroristen „effektivieren“ soll und von Bundestag und Bundesrat formell ordnungsgemäß verabschiedet wird.  Art. 1 dieses Gesetzes fügt in das GVG einen neuen § 140b ein, der lautet:

 

Sonderregelungen der Gerichtszuständigkeiten bei terroristischen Anschlägen

(1) Die Bundesregierung kann im Einzelfall beschließen, dass für eine Strafsache, deren Ahndung von Bedeutung für die Bekämpfung des Terrorismus ist, der Gerichtshof zur Terrorbekämpfung zuständig ist. Für das Verfahren vor dem Gerichtshof gilt die Strafprozessordnung entsprechend, soweit die Effektivität der Terrorismusbekämpfung nichts anderes fordert. Der Gerichtshof darf jedoch über die in den Strafgesetzen angedrohten Strafandrohungen nicht hinausgehen.

(2)  Der Gerichtshof zur Terrorbekämpfung entscheidet in der Besetzung von drei Richtern. Die Richter werden von der Bundesregierung in ihrem Beschluss nach Absatz 1 aus dem Kreise der aktiven Richter im Bundes- oder Landesdienst bestellt. Bei Bewährung ist eine erneute Bestellung zulässig.

(3) Die Entscheidungen des Gerichtshofs zur Terrorbekämpfung sind unanfechtbar; das Recht des Bundespräsidenten zur Begnadigung bleibt unberührt."

 

Zwei Jahre nach Inkrafttreten dieses Gesetzes wird nach einem Kofferbombenanschlag auf einen Intercity-Express Mesut Mözil als mutmaßlicher Terrorist verhaftet. Mesut ist in Berlin-Wedding aufgewachsen und türkischer Staatsbürger.

Hauptbeweismittel für seine Schuld ist ein Video aus einer Überwachungskamera, das ihn zeigt, wie er – bärtig, aber sonst absolut unauffällig – auf dem Bahnsteig des Berliner Hauptbahnhofs steht und dem später gesprengten Zug freundlich lächelnd (nach Auffassung der Bundesanwaltschaft: hämisch grinsend) hinterher schaut. Da eine Verurteilung vor den regulären Strafgerichten als unwahrscheinlich erscheint, fasst die Bundesregierung einen Beschluss nach § 140b GVG und weist den Fall dem Gerichtshof zur Terrorbekämpfung zur Aburteilung zu. Der Gerichtshof verurteilt Mözil wegen Mordes mit gemeingefährlichen Mitteln und aus niedrigen Beweggründen in 134 Fällen zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe.

Zwei Wochen später legt Mözil gegen das Urteil des Gerichtshofs zur Terrorbekämpfung Verfassungsbeschwerde beim BVerfG ein. Er sieht sich durch dieses Urteil in seinem im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG verankerten Recht auf ein „ordentliches Strafgericht“ verletzt.

Die Bundesregierung, der nach § 94 Abs. 3 BVerfGG Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde, hält die Verfassungsbeschwerde für unzulässig. Mözil habe kein beschwerdefähiges Recht gerügt und stehe als Ausländer und rechtskräftig verurteilter Terrorist ohnehin nicht unter dem Schutz der Grundrechte.  Das Urteil des Gerichtshofs zur Terrorbekämpfung sei schließlich schon deshalb nicht zu beanstanden, weil die Verfassungswidrigkeit des „Gesetzes zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes“, auf dessen Grundlage der Gerichtshof für Terrorbekämpfung gehandelt habe, wegen Ablaufs der Frist des § 93 Abs. 3 BVerfGG nicht mehr gerügt werden könne. Schließlich hätte Mözil vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde zum BVerfG ein Gnadengesuch beim Bundespräsidenten einreichen müssen.

 

Hat die Verfassungsbeschwerde von Mesut Mözil Aussicht auf Erfolg?

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© Klaus Grupp (Universität des Saarlandes) und Ulrich Stelkens (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer)

Bearbeitung für Hauptstadtfälle: Georg Hellmich (Überarbeitung: Björnstjern Baade)
Stand der Bearbeitung: August 2018