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Abgeordnetenrechte Kurzlösung

Gutachten zu Aufgabe 1:

Der Antrag des Abgeordneten Beatus Saumann hat Aussicht auf Erfolg, wenn er zulässig und begründet ist.

 

A. Zulässigkeit

 

I. Zuständigkeit

- Nach Art. 93 I Nr. 1 GG, § 13 Nr. 5 BVerfGG ist die Zuständigkeit des BVerfG gegeben.

 

II. Antragsteller und Antragsgegner

- Abgeordnete des Deutschen Bundestages werden in § 63 BVerfGG nicht erwähnt. Auch ist Saumann selbst kein Teil des Bundestages, da es sich bei Abgeordneten nicht um eine ständige Untergliederung handelt. Allerdings handelt es sich bei Abgeordneten um „andere Beteiligte“ im Sinne von Art. 93 I Nr. 1 GG. Ihnen stehen eigene Rechte aus Art. 38 I 2 GG zu. Die Bundesregierung ist als Antragsgegnerin gem. § 63 BVerfGG beteiligtenfähig.

 

III. Antragsgegenstand

- Jedenfalls kann die gerügte Antwort – unabhängig davon, ob sie als Maßnahme oder Unterlassen einzuordnen ist – den Abgeordneten Saumann in seinem Rechtskreis aus Art. 38 I 2 GG betreffen (§ 64 I BVerfGG).

 

IV. Antragsbefugnis

- Hier macht Saumann geltend, dass seines Erachtens die mangelhaften Antwortschreiben der Bundesregierung ihn in seinem Informations- und Fragrecht als Abgeordneter des Deutschen Bundestages nach Art. 38 I 2 (iVm Art. 20 II 2 GG) verletzt. Zumindest besteht hierfür die Möglichkeit (Möglichkeitstheorie) einer Rechtsverletzung (§ 64 I BVerfGG).

 

V. Form und Frist

- sind gewahrt (vgl. § 23 I; § 64 III BVerfGG).

 

VI. Rechtsschutzbedürfnis

- Auch das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis ist gegeben.

 

VII. Zwischenergebnis

- Der Antrag des Saumann ist zulässig

 

B. Begründetheit

- Antrag ist begründet, soweit die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung der Bundesregierung ihn in seinen verfassungsrechtlichen Rechten verletzt, vgl. § 67 BVerfGG.

 

I. Recht des Abgeordneten

- fraglich, aus welcher Verfassungsnorm der Saumann seine Abgeordnetenrechte geltend machen kann. Vorliegend beruft er sich auf Art. 38 I 2 GG (iVm. Art. 20 II 2 GG).

 

Hier sind folgende Rechte von Belang:

 

-       das Recht auf Information und auf das Einreichen von Fragen

 

-       Dem Informations- und Fragerecht des einzelnen Abgeordneten steht dabei die grundsätzliche Antwortpflicht der Bundesregierung gegenüber (Kontrollfunktion des Parlaments).

 

II. Eingriff

- In die Rechtsposition des Saumann (Informations- und Fragerecht) wurde durch die knappe (Nicht-)Beantwortung der Bundesregierung eingegriffen.

 

III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

- genannte Rechte haben folgende Grenzen: Zuständigkeitsbereich der Regierung, der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung, die Grundrechte Dritter und das Staatswohl.

 

- Erfolgt eine Berufung der Bundesregierung auf den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung oder auf Gründe des Staatswohls, bedarf es im Grundsatz näherer Angaben im Sinne einer Begründung, die die Gründe für eine Auskunftsverweigerung und die vorangegangene Abwägung darlegt. Die Bundesregierung legt nicht hinreichend dar, warum das Staatswohl gefährdet ist. Eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung kommt somit nicht in Betracht.

 

IV. Zwischenergebnis

- Eingriff ist nicht gerechtfertigt. Der Antragsteller ist in seinem Recht aus Art. 38 I 2 GG verletzt. Folglich ist der Antrag begründet.

 

C. Ergebnis

- Antrag ist zulässig und begründet und hat daher Aussicht auf Erfolg. Das Bundesverfassungsgericht würde seine Entscheidung feststellend tenorieren. Gemäß § 67 BVerfGG stellt es in seiner Entscheidung fest, ob die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners gegen eine Bestimmung des Grundgesetzes verstößt. Die Bestimmung ist zu bezeichnen.

 

 

Gutachten zu Aufgabe 2:

- Gesetz ist formell verfassungsgemäß, wenn dem Bund die Gesetzgebungskompetenz zusteht und das Gesetzgebungsverfahren ordnungsgemäß durchlaufen wurde.

 

I. Gesetzgebungskompetenz

- Von der Gesetzgebungskompetenz kann ausgegangen werden.

 

II. Gesetzgebungsverfahren

 

1. Gesetzesinitiative

- Problem: sog. „verkappte Regierungsvorlage“. Art. 76 II GG sieht explizit die Beteiligung des Bundesrates vor, wenn eine Gesetzesinitiative ursprünglich von der Bundesregierung ausgeht.

- Für eine Zulässigkeit spricht jedoch, dass sich vorliegend eine Regierungsfraktion den Gesetzesentwurf der Bundesregierung zu eigen gemacht hat. Nun kommt die Gesetzesvorlage aus der Mitte des Bundestages.

 

2. Hauptverfahren

- Das Hauptverfahren ist verfassungsgemäß durchgeführt worden (hier insbesondere: drei Lesungen, Zustimmung des Bundesrates)

 

III. Ergebnis

- Gesetz ist formell verfassungsgemäß.

 

 

Gutachten zu Aufgabe 3:

- Feststellung, dass er durch das Betreten und Durchsuchen seiner Abgeordnetenräume in seinen verfassungsmäßigen Rechten als Abgeordneter verletzt worden sei.

 

A. Zulässigkeit

 

I. Zuständigkeit

- BVerfG ist gem. Art. 93 I Nr. 1 GG, § 13 Nr. 5 BVerfGG zuständig.

 

II. Beteiligtenfähigkeit

- Abgeordnete sind in Art. 38 I 2, Art. 39 I, Art. 46 ff. GG und §§ 16 ff. GO-BT eigene Rechte zugewiesen (siehe oben Aufgabe 1).

 

- Der Bundestagspräsident ist Teil des Organs Bundestag und in Art. 39 III 2, Art. 40 II GG, §§ 7, 21 ff. GO-BT mit eigenen Rechten ausgestattet.

 

III. Antragsgegenstand

- Da das Betreten als Maßnahme möglicherweise die Rechtsstellung des Saumann beeinträchtigt, ist sie auch rechtserheblich. Die Polizeigewalt hat der Bundestagspräsident auf die Polizei beim Deutschen Bundestag übertragen, deren Handeln sich also der verfassungsrechtlichen Befugnis aus Art. 40 II 1 GG als Handeln des Bundestagspräsidenten darstellt (vgl. auch § 1 I DA-PVD).

 

- Der verfassungsrechtliche Charakter resultiert dabei aus dem Abgeordnetenstatus. Damit kommt der Polizeigewalt wegen dieses Umstands verfassungsrechtliche – und nicht lediglich verwaltungsrechtliche – Bedeutung zu.

 

IV. Antragsbefugnis

 

1. Verletzung von Art. 40 II 2 GG

- Betreten der Abgeordnetenräume war lediglich das Mittel, um ein bereits ausgemachtes Ziel, die Entfernung der Plakatierungen von den Fenstern, zu erreichen. Damit scheidet zugleich die vom Antragsteller gerügte Verletzung von Art. 40 II 2 GG in Ermangelung einer Durchsuchung von vornherein aus. Gleiches gilt für die Beschlagnahme, denn der Begriff der Beschlagnahme erfasst die zwangsweise Ingewahrsamnahme von Gegenständen zum Zwecke der Beweiserbringung oder Gefahrenabwehr.

 

2. Verletzung von Art. 47 GG

- Saumann wendet sich nicht gegen die Maßnahme, die unmittelbar gegen die Plakatierung gerichtet war, sondern ausweislich des Sachverhalts allein gegen das Betreten und die (behauptete) Durchsuchung seiner Abgeordnetenräume.

 

3. Verletzung von Art. 38 I 2 GG

- Betreten der Abgeordnetenräume verletzt jedoch möglicherweise das freie Mandat des Abgeordneten aus Art. 38 I 2 GG.

 

V. Rechtsschutzbedürfnis

- Rechtschutzbedürfnis ist gegeben.

 

VI. Form und Frist

- ist gewahrt (§§ 23 I 1, 64 II, III BVerfGG).

 

VII. Zwischenergebnis

- Organstreitverfahren von Saumann ist zulässig, soweit er sich gegen das Betreten wendet und eine Verletzung von Art. 38 I 2 GG geltend macht.

 

B. Begründetheit

- Das Organstreitverfahren ist begründet, wenn Saumann durch die Maßnahme tatsächlich in seinen verfassungsmäßigen Rechten verletzt ist.

 

I. Verfassungsrechtliches Recht von Saumann

- Art. 38 I 2 GG gewährleistet als Ausprägung des freien Mandats die effektive Wahrnehmung des Mandats. Den Abgeordneten des Deutschen Bundestages steht aus Art. 38 I 2 GG das Recht zu, die ihnen zugewiesenen Räumlichkeiten ohne Beeinträchtigungen durch Dritte nutzen zu können.

 

II. Beeinträchtigung

- Das freie Mandat wurde durch das Betreten des Abgeordnetenbüros beeinträchtigt.

 

III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

- Über Art. 40 II gibt das Grundgesetz dem Bundestagspräsidenten grundsätzlich die Möglichkeit, das freie Mandat im Wege der Abwägung mit widerstreitenden Rechtsgütern in Ausgleich zu bringen.

 

1. Ermächtigungsgrundlage

- Fraglich, ob Art. 40 II 1 GG als Ermächtigungsgrundlage für Maßnahmen der Bundestagspolizei ausreicht oder ob es eines formellen Gesetzes bedarf. Letztlich braucht diese Frage nicht beantwortet werden, sofern die polizeiliche Maßnahme in diesem Fall den Anforderungen des Art. 40 II 1 GG nicht gerecht wird bzw. den Anforderungen der DA-PVD nicht genügt.

 

2. Bedeutung der Dienstanweisung

- Der DA-PVD kommt der Charakter einer ermessenslenkenden Verwaltungsvorschrift zu. Stellt der Bundestagspräsident durch die Dienstanweisung generelle Maßstäbe auf, muss er sich gegenüber allen Abgeordneten daran halten.

 

3. Tatbestandliche Voraussetzungen der Dienstanweisung

- § 23 I DA-PVD gestattet der Polizei beim Deutschen Bundestag das Betreten eines Raums zur Abwehr einer Gefahr. Von § 23 I DA-PVD geschützt ist mithin auch die Unversehrtheit des Parlamentsgebäudes und der Parlamentsmitarbeiter, auf die sich die Polizeibeamten hier berufen haben. Nicht völlig fernliegend erscheint zudem das Vorliegen einer Gefahr. Ebenso erscheint es nicht ausgeschlossen, dass Saumann zu Recht als Adressat der Maßnahme ausgewählt wurde.

 

4. Rechtsfolge

- Bundestagspräsident muss verhältnismäßig handeln, wenn er Polizeigewalt gegenüber einem Abgeordneten ausübt.

 

a) Legitimes Ziel

- Unversehrtheit des Parlamentsgebäudes und der Parlamentsmitarbeitenden ist ein legitimes Ziel.

 

b) Eignung

- Betreten des Gebäudes war auch zu dieser Zielerreichung förderlich.

 

c) Erforderlichkeit

- In Betracht kommt als alternative Handlungsmöglichkeit, telefonisch Kontakt zu Saumann oder zum Parlamentarischen Geschäftsführer seiner Fraktion herzustellen. Die Erforderlichkeit ist damit zweifelhaft.

 

d) Verhältnismäßigkeit

- Auf Seiten des Antragstellers sind dessen Statusrechte aus Art. 38 I 2 GG betroffen. Das freie Mandat dient auch dazu, die Funktionsfähigkeit des Deutschen Bundestages insgesamt zu gewährleisten. Dabei stellt die räumliche Integrität eines Abgeordnetenbüros ein wichtiges Element der freien Mandatsausübung dar. Der Eingriff wiegt folglich schwer. Die Funktionsfähigkeit des Parlaments vor Gefahren von außen zu sichern, wiegt indes nicht schwerer als die Sicherung der Funktionsfähigkeit des Parlaments durch das Nichtbetreten der Abgeordnetenräume. Es gab keine Anhaltspunkte, dass Personen das Parlamentsgebäude oder Parlamentsmitarbeitende bereits als Angriffsobjekte wegen der Plakatierung wählten.

 

- Vor diesem Hintergrund ist das streitgegenständliche sofortige Einschreiten der Polizei beim Deutschen Bundestag offensichtlich unangemessen.

IV. Ergebnis zur Begründetheit

- Recht von Saumann aus Art. 38 I 2 GG ist verletzt.

 

C. Ergebnis

- Das Organstreitverfahren ist zulässig und begründet und hat damit Erfolg.


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© Markus Heintzen

Bearbeitung für Hauptstadtfälle: Tim Kuhn, Christian Janssen

Stand der Bearbeitung: Mai 2024