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4. Berliner Cyberversicherungstag (14.10.2022)

Zum vierten Mal fand am 14. Oktober 2022 am Fachbereich Rechtswissenschaft der FU Berlin
der Cyberversicherungsrechtstag in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Verein für
Versicherungswissenschaft e.V. (DVfVW) statt. Über 120 Interessierte verfolgten die Vorträge
aus Wissenschaft und Praxis zu aktuellen Themen zur Cyberversicherung teilweise vor Ort,
teilweise online. Initiatoren der Veranstaltung sind aus der Praxis Thomas Pache und Dr. Dan
Schilbach, aus der Wissenschaft Prof. Dr. Christian Armbrüster.

Zum Auftakt hob Prof. Armbrüster die enorm steigende Praxisrelevanz der Cyberversicherung
hervor. Dies wurde sogleich untermauert durch den einführenden Vortrag von Thomas Pache
(Aon), der die Entwicklung des Cyberrisikos skizzierte und exemplarisch den Verlauf eines
Cyber-Versicherungsfalls vorstellte. Insbesondere seien dabei die unterschiedlichen
Interessenlagen der Beteiligten (Angreifer, Versicherungsnehmer, Versicherer) zu beachten.

Im Anschluss erörterten Felix Leugering (HDI) und Alexander Welter (Aon) als „Statler und
Waldorf der Schadensbearbeitung“ (Zitat einer Teilnehmerin) in einem kurzweiligen Dialog
die Perspektiven von Versicherungsnehmer und Versicherer in der Schadensabwicklung.
Konflikte könnten sich demnach bei der Nichterteilung oder Nichteinholung von Weisungen,
der Deckungsentscheidung dem Grunde nach sowie bei Eigenschäden des
Versicherungsnehmers ergeben. Häufig stünden sich die Parteiinteressen gegenüber (Forensik
vs. Schadensminderung), weshalb im Schadensfall durch eine Zusammenarbeit zwischen
Versicherungsnehmer und Versicherer Kompromisse erzielt werden sollten. Hierbei wären
auch eine frühzeitige Abstimmung und fortlaufende Kommunikation von Bedeutung. Dies
entspreche auch der übereinstimmenden Praxiserfahrung der Referenten, wonach in mehr als
der Hälfte der Schadensfälle Vergleiche zustande kommen.

Die anschließenden Vorträge von Tobias Wessel (Wilhelm RA) und Dr. Julian Lesser
(Clyde&Co) behandelten die Anzeigeobliegenheiten des Versicherungsnehmers im Rahmen
von Risiko-Fragebögen. Problematisch seien hierbei insbesondere der Umfang des
Fragenkatalogs sowie die technische Expertise, die für Erstellung und Beantwortung
gleichermaßen erforderlich sei. Insbesondere wegen der gravierenden Rechtsfolgen sei es
unerlässlich, die Balance zwischen Verständlichkeit und hinreichender Konkretisierung der
Obliegenheiten zu wahren. Dies ersetze jedoch nicht den zwingend erforderlichen Risikodialog
der Parteien.

Digital zugeschaltet wandte sich Dr. Bärbel Sachs (Noerr) in ihrem Vortrag dem Problem der
Erpressungsgeldzahlungen im Kontext des Sanktionsrechts zu. Die US-Behörde OFAC rate
von der Zahlung an Erpresser grundsätzlich ab, auch wenn dieses Vorgehen insbesondere auch
im Rahmen des Versicherungsverhältnisses stark umstritten sei. Unterscheiden müsse man
zwischen dem EU-Recht (insbesondere der Cyberangriffs-VO) und dem US-Sanktionsrecht,
das von einer strict liability ausgeht – ein Bußgeld der OFAC könne damit auch dann zu
erwarten sein, wenn der Erpresste die Identität des Erpressers nicht kennt.

Nach der Mittagspause hielt Neil Arklie. Leiter der Cyberabteilung des Versicherungsmarkts
Lloyd’s und zugeschaltet aus London, einen Vortrag zur Marktentwicklung in Großbritannien.
Er führte aus, dass sich das Produkt Cyberversicherung in den letzten Jahren stark gewandelt
habe. Insbesondere die abnehmende Profitabilität sowie zunehmende Schadensfälle und -höhen
bedeuteten Herausforderungen für das Underwriting. Das Cyberrisiko sei insoweit einzigartig,
da es statt von der geografischen Lage eher von Unternehmensgröße und Industriezweig
abhinge und die Modellierung nicht anhand naturwissenschaftlicher Empirie erfolge, sondern
viel mehr die soziale Entwicklung entscheidend sei. Hierfür fehle es häufig an hinreichend
konsistenten Datensammlungen.

Aus der wissenschaftlichen Perspektive erörterte anschließend Prof. Dr. Carsten Günther
(BLD/TH Köln) Kriegsausschlussklauseln in Versicherungsbedingungen. Dafür ging er
zunächst auf den Kriegsbegriff in Praxis und Rechtsprechung ein. So habe schon das
Reichsgericht vor über 100 Jahren festgestellt, dass ein räumlicher Zusammenhang zwischen
Kriegshandlungen und dem Versicherungsfall nicht erforderlich sei. Unter Bezugnahme auf
Definitionen der UN und des BSI befürwortete der Referent im Ergebnis die Folgentheorie –
ein Cyberkrieg müsse im Hinblick auf die Auswirkungen mit denen eines „klassischen“ Krieges
vergleichbar sein, um von der Kriegsausschlussklausel erfasst zu werden. Dies sei insbesondere
in der modernen „hybriden Kriegsführung“ schwer festzustellen, da klassische
Kriegshandlungen von Cyberattacken flankiert würden – hier sei aber der Kriegsausschluss in
den AVB einschlägig.

Abgerundet wurde das Programm durch einen Vortrag von Ole Sieverding (CyberDirekt
GmbH) zum Vergleich von Cyberversicherungsbedingungen. Neben den maßgeblichen
Entscheidungskriterien Preis, Risikoumfang und Bedingungen seien oft auch weiche Faktoren
zu berücksichtigen (Bekanntheit und Größe des Versicherers, Erfahrung im Cyberbereich,
Assistance-Leistungen). Im Hinterkopf zu behalten sei bei einem Vergleich immer die
Perspektive der Ratingagentur – diese stehe vor mehreren Herausforderungen, die im Rating
unterschiedliche berücksichtigt würden. Es sei problematisch, dass die Optimierung anhand
von Ratingkriterien erfolge und die Berücksichtigung von Schadensfällen in den Hintergrund
rücke. Bei den Vergleichen fehle häufig eine vertiefte Auseinandersetzung mit den einzelnen
Bedingungswerken, die über ein Checklisten-Prinzip für einzelne Klauseln hinausgehe, so der
Referent.

Prof. Armbrüster schloss die Veranstaltung mit einem Dank an das Publikum (online und
offline), die Referenten sowie die Referentin und die an der Organisation Beteiligten. Dabei
erwähnte er einige weitergehende Fragen, die in den Vorträgen aufgeworfen wurden und Anlass
für eine Fortsetzung des Formats im kommenden Jahr bieten würden. Zudem lud er alle
Teilnehmenden ein, sich mit eigenen Themenvorschlägen zu melden, um auch künftig die
Praxisnähe des Programms zu gewährleisten.


Victor Claussen
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
Lehrstuhl Prof. Dr. Christian Armbrüster
Freie Universität Berlin