Schwimmunterricht
Melek Mözil (M), die kleine Schwester von Mesut Mözil, ist 14 Jahre alt und Muslima. Sie besucht das Jochen-Löwe-Gymnasium in Berlin-Mitte (Wedding), von wo sie regelmäßig Bestnoten mit nach Hause bringt. Der Schwimmunterricht, der dort in der 8. Klasse stattfindet, ist koedukativ ausgestaltet: Mädchen und Jungen nehmen gemeinsam am Unterricht teil. Zwar sieht sich M durch ihren Glauben nicht daran gehindert, Sport zu treiben. Im Gegenteil sei dies erwünscht. Den Sportunterricht besucht sie in langer Hose und langärmeligem Hemd. An einem gemeinsamen Schwimmunterricht hingegen könne sie nicht teilnehmen, ohne gegen die islamischen Bekleidungsvorschriften zu verstoßen, die sie für verbindlich ansieht. Es sei ihr auch nicht zumutbar, mit dem Anblick von Angehörigen des anderen Geschlechts konfrontiert zu werden, die nicht den Vorgaben ihres Glaubens entsprechend bekleidet seien und mit denen sich Berührungen nicht vermeiden ließen. Im Übrigen sei Schwimmunterricht ohnehin nicht so wichtig.
M beantragt daher, aufgrund ihrer religiösen Überzeugungen nicht am Schwimmunterricht teilnehmen zu müssen. Die Schule lehnt den Antrag jedoch ab. Zwar sei schon fraglich, ob sie das Kopftuch überhaupt freiwillig trage, so der Schulleiter, jedenfalls aber könne M in einer ihren Glaubensvorstellungen entsprechenden Bekleidung am Unterricht teilnehmen.
M lehnt es jedoch ab, einen weit geschnittenen Burkini zu tragen. Solch ein Schwimmanzug, der aus schwimmtauglichen Stoff gefertigt ist, bedeckt den gesamten Körper bis auf Hände und Gesicht. Doch auch hierin, gibt M an, seien bei bestimmten Bewegungen noch Körperkonturen sichtbar und sie wäre besonders stark intolerantem Verhalten der Mitschüler ausgeliefert.
Nach einem erfolglosem Widerspruchsverfahren gaben das Verwaltungsgericht Berlin und das OVG Berlin-Brandenburg der Klage der M zunächst statt, doch in letzter Instanz vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde dem Land Berlin Recht gegeben. Es liege auch unter Berücksichtigung der Religionsfreiheit der M kein besonderer Grund vor, um sie vom Unterricht zu befreien.
M erhebt Verfassungsbeschwerde gegen alle in der Sache ergangenen Urteile. Wird diese Erfolg haben?
§ 3 Schulgesetz Berlin (SchulG Bln) – Bildungs- und Erziehungsziele
(1) Die Schule soll Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Werthaltungen vermitteln, die die Schülerinnen und Schüler in die Lage versetzen, ihre Entscheidungen selbständig zu treffen und selbständig weiterzulernen, um berufliche und persönliche Entwicklungsaufgaben zu bewältigen, das eigene Leben aktiv zu gestalten, verantwortlich am sozialen, gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben teilzunehmen und die Zukunft der Gesellschaft mitzuformen.
(2) Die Schülerinnen und Schüler sollen insbesondere lernen,
1. für sich und gemeinsam mit anderen zu lernen und Leistungen zu erbringen sowie ein aktives soziales Handeln zu entwickeln,
2.-4. [...]
5. logisches Denken, Kreativität und Eigeninitiative zu entwickeln,
6. Konflikte zu erkennen, vernünftig und gewaltfrei zu lösen, sie aber auch zu ertragen,
7. Freude an der Bewegung und am gemeinsamen Sporttreiben zu entwickeln.
(3) Schulische Bildung und Erziehung sollen die Schülerinnen und Schüler insbesondere befähigen,
1. die Beziehungen zu anderen Menschen in Respekt, Gleichberechtigung und gewaltfreier Verständigung zu gestalten sowie allen Menschen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen,
2. die Gleichstellung von Mann und Frau auch über die Anerkennung der Leistungen der Frauen in Geschichte, Wissenschaft, Wirtschaft, Technik, Kultur und Gesellschaft zu erfahren,
3. die eigene Kultur sowie andere Kulturen kennen zu lernen und zu verstehen, Menschen anderer Herkunft, Religion und Weltanschauung vorurteilsfrei zu begegnen, zum friedlichen Zusammenleben der Kulturen durch die Entwicklung von interkultureller Kompetenz beizutragen und für das Lebensrecht und die Würde aller Menschen einzutreten,
4. ihre Aufgaben als Bürgerinnen und Bürger in einem gemeinsamen Europa wahrzunehmen,
5.-7. [...]
8. ihre körperliche, soziale und geistige Entwicklung durch kontinuierliches Sporttreiben und eine gesunde Lebensführung positiv zu gestalten sowie Fairness, Toleranz, Teamgeist und Leistungsbereitschaft zu entwickeln,
9. ihr zukünftiges privates, berufliches und öffentliches Leben in Verantwortung für die eigene Gesundheit und die ihrer Mitmenschen auszugestalten, Freude am Leben und am Lernen zu entwickeln sowie die Freizeit sinnvoll zu nutzen.
§ 41 SchulG Bln – Grundsätze
(1) Schulpflichtig ist, wer in Berlin seine Wohnung oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder seine Ausbildungs- oder Arbeitsstätte hat. Völkerrechtliche Grundsätze und zwischenstaatliche Vereinbarungen bleiben hiervon unberührt.
[...]
§ 45 SchulG Bln
(1) Nimmt eine schulpflichtige Schülerin oder ein schulpflichtiger Schüler ohne berechtigten Grund nicht am Unterricht teil oder ..., entscheidet die zuständige Schulbehörde im Benehmen mit der Schulleiterin oder dem Schulleiter oder die mit der Untersuchung beauftragte Stelle über die Zuführung durch unmittelbaren Zwang.
[...]
§ 46 SchulG Bln
[...]
(5) Schülerinnen und Schüler können aus wichtigem Grund auf Antrag vom Unterricht beurlaubt oder von der Teilnahme an einzelnen Unterrichts- oder Schulveranstaltungen befreit werden. [...]
§ 5 Gesetz über die religiöse Kindererziehung (RelKErzG)
Nach der Vollendung des vierzehnten Lebensjahrs steht dem Kind die Entscheidung darüber zu, zu welchem religiösen Bekenntnis es sich halten will. Hat das Kind das zwölfte Lebensjahr vollendet, so kann es nicht gegen seinen Willen in einem anderen Bekenntnis als bisher erzogen werden.
Art. 135 Weimarer Reichsverfassung (WRV)
Alle Bewohner des Reichs genießen volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die ungestörte Religionsübung wird durch die Verfassung gewährleistet und steht unter staatlichem Schutz. Die allgemeinen Staatsgesetze bleiben hiervon unberührt.
© Markus Heintzen und Heike Krieger (Freie Universität Berlin) Bearbeitung für Hauptstadtfälle: Dr. Björnstjern Baade Stand der Bearbeitung: April 2020 |
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