Demonstrationsverbot (Lösungsvorschlag)
Lösungsvorschlag Ausgangsfall
Der Antrag der B-Partei hat Erfolg, soweit er zulässig und begründet ist.
A. Zulässigkeit (+)
Der Antrag der Partei „Die Braunen" (B-Partei) ist zulässig, wenn die Sachentscheidungsvoraussetzungen erfüllt sind.
I. Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges
Auch für das verwaltungsgerichtliche Eilverfahren muss der Verwaltungsrechtsweg in der Hauptsache eröffnet sein. Mangels aufdrängender Sonderzuweisung richtet sich die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO. Vorliegend handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit, da die streitentscheidenden Normen, §§ 9, 14 VersFG BE, solche des öffentlichen Rechts sind. Ferner liegt mangels doppelter Verfassungsunmittelbarkeit keine verfassungsrechtliche Streitigkeit vor, und es greift keine abdrängende Sonderzuweisung ein.
Der Verwaltungsrechtsweg ist gem. § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO eröffnet.
II. Statthafte Antragsart
Die statthafte Antragsart richtet sich gem. §§ 88, 122 VwGO nach dem Begehren des Antragstellers.
Die B-Partei begehrt gerichtlichen Eilrechtsschutz gegen die Anordnungen zur angemeldeten Versammlung.
Für das verwaltungsgerichtliche Eilverfahren stehen der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO und die einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO zur Verfügung, wobei das Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gem. § 123 Abs. 5 VwGO vorrangig ist.
Das Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ist statthaft, wenn sich der Antragsteller gegen einen Verwaltungsakt wendet, der gem. § 80 Abs. 2 VwGO sofort vollziehbar ist.
Eine versammlungsrechtliche Verfügung nach § 14 Abs. 1 bzw. 2 VersFG BE stellt einen Verwaltungsakt nach § 35 S. 1 VwVfG dar. Da eine Versammlung nach § 13 VersFG BE keiner Genehmigung bedarf, gibt es daneben keinen Hauptverwaltungsakt.
Die handelnde Behörde hat die Anordnungen für sofort vollziehbar nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO erklärt. Einschlägig ist daher das Wiederherstellungsverfahren nach § 80 Abs. 5 S. 1 Var. 2 VwGO.
III. Antragsbefugnis
Auch im vorläufigen Rechtsschutz ist die Anwendung von § 42 Abs. 2 VwGO (analog) erforderlich, um Popularrechtsbehelfe auszuschließen. Erforderlich ist die Möglichkeit einer Verletzung von subjektiven Rechten.
In Betracht kommt eine Verletzung der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG. Deren Verletzung erscheint vorliegend nicht als ausgeschlossen. Im Sinne von Art. 19 Abs. 3 GG ist die Versammlungsfreiheit ihrem Wesen nach auch auf juristische Personen als Versammlungsveranstalter anwendbar.[1] Unabhängig von ihrer zivilrechtlichen Organisationsform sind politische Parteien im verfassungsrechtlichen Sinne juristische Personen.
Die Antragsbefugnis liegt vor.
IV. Beteiligten- und Verfahrensfähigkeit
Die B-Partei ist gem. § 61 Nr. 1 Var. 2 VwGO beteiligtenfähig und wird im Prozess gem. § 62 Abs. 3 VwGO durch einen Vertreter repräsentiert.
V. Rechtsschutzbedürfnis
Die vorherige Erhebung der Anfechtungsklage ist gem. § 80 Abs. 5 S. 2 VwGO nicht erforderlich.
Die Streitfrage, ob der Widerspruch schon erhoben sein muss, kann vorliegend dahinstehen, da die B-Partei zeitgleich Widerspruch erhoben hat.
Ferner ist die Hauptsache nicht offensichtlich unzulässig. Insbesondere ist der Verwaltungsakt noch nicht bestandskräftig.
Zuletzt ist kein vorheriger Aussetzungsantrag bei der Behörde nach § 80 Abs. 4 S. 1 VwGO erforderlich. Dies ergibt sich aus einem Umkehrschluss zu § 80 Abs. 6 VwGO, der einen solchen nur in den Fällen der sofortigen Vollziehbarkeit nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO für obligatorisch erklärt. Ein solcher Fall ist nicht gegeben.
Das Rechtsschutzbedürfnis ist gegeben
VI. Zuständiges Gericht
Zuständig ist gem. § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO das Gericht der Hauptsache.
VII. Frist/Form
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist nicht fristgebunden. Die Formvoraussetzungen ergeben sich aus §§ 81, 82 VwGO analog.
B. Begründetheit
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1 Var. 2 VwGO ist begründet, wenn entweder die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit formell rechtswidrig ist oder das staatliche Vollziehungsinteresse das private Suspensivinteresse nicht überwiegt.
I. Formelle Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist formell rechtmäßig. Insbesondere das Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 VwGO ist laut Sachverhalt eingehalten. Eine Anhörung im Hinblick auf die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist nach herrschender Meinung nicht notwendig, da diese keinen eigenständigen Verwaltungsakt darstellt.
II. Abwägung
Das öffentliche Vollziehungsinteresse darf das private Suspensivinteresse nicht überwiegen. Dies ist zumindest dann der Fall, wenn sich der Verwaltungsakt als voraussichtlich rechtswidrig darstellt.
1. Zeitliche Verlegung
a) Rechtsgrundlage § 14 Abs. 1 VersFG BE?
Als Rechtsgrundlage für die zeitliche Verlegung kommt zunächst § 14 Abs. 1 VersfG BE in Betracht, wonach eine Versammlung beschränkt werden kann, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Maßnahmen erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.
aa) Formelle Rechtsmäßigkeit
Die Polizei Berlin war gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 VersFG BE, § 4 Abs. 2 S. 1 AZG, § 2 Abs. 4 ASOG, Nr. 23 Abs. 2 ZustKat ASOG zum Erlass der Verfügung sachlich zuständig. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 6 ASOG. Die B-Partei ist auch nach § 28 Abs. 1 VwVfG ordnungsgemäß angehört worden. Auch dem Begründungserfordernis nach § 14 Abs. 5 VersFG BE ist genüge getan worden.
bb) Materielle Rechtmäßigkeit
(1) Versammlung im Freien
Eine Versammlung ist gem. § 2 Abs. 1 S. 1 VersFG BE eine örtliche Zusammenkunft von mindestens zwei Personen zur gemeinschaftlichen, überwiegend auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung.
Hier vereinigen sich ca. 50 Teilnehmer mit dem gemeinsamen Ziel, für eine Abschaffung von § 130 StGB zu werben. Eine Versammlung liegt demnach unproblematisch vor. Es handelt sich um einen Aufzug (§ 2 Abs. 1 S. 2 VersFG BE).
Waffen führt die B-Partei nicht mit.
Friedlich ist eine Versammlung, wenn sie keine Gewalt oder Aufruhr mit sich bringt. Allgemeine Erfahrungssätze der Behörde, die auf gewalttätige Gegner hindeuten, reichen zur Verneinung der Friedlichkeit nicht aus. Notwendig sind vielmehr konkrete tatsächliche Hinweise, die auf einen unfriedlichen Verlauf hinweisen.[2] Hier beruft sich die Polizeipräsidentin gerade nur auf allgemeine Erfahrungssätze. Die B-Partei will lediglich schweigend marschieren. Es ergibt sich aus der Anmeldung nicht, dass sie zu Gewalt bereit ist. Folglich liegt eine friedliche Versammlung vor.
(2) Rechtsgut: Öffentliche Sicherheit (-)
Es könnte ein Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit vorliegen. Von der öffentlichen Sicherheit umfasst sind die Individualrechtsgüter, das gesamte geschriebene Recht sowie der Staat und seine Einrichtungen.[3]
In Betracht kommt eine Gefahr für Individualrechtsgüter durch gewaltbereite Versammlungsgegner. Fraglich ist schon, ob die Verletzung von Individualrechtsgütern hinreichend wahrscheinlich ist. Die Erwartung gewaltbereiter Gegner beruht lediglich auf allgemeinen Erfahrungssätzen der Behörde. Nicht erkennbar ist, dass eine Schädigung von Individualrechtsgütern gerade auch bei dieser Versammlung zu erwarten ist. Es fehlt daher an der hinreichenden Wahrscheinlichkeit in diesem konkreten Einzelfall.
Jedenfalls dürfen aber keine Maßnahmen gegen die Versammlung der B-Partei als Notstandsstörer ergriffen werden. Art. 8 GG, § 14 Abs. 1 VersFG BE erlauben zwar Beschränkungen gegen Versammlungen, von denen selbst keine Gewalt ausgeht. Die Versammlung darf dann verschoben werden. Ist aber auch an dem anderen Tag mit gewaltbereiten Gegnern zu rechnen, ist zu prüfen, ob die Gewalt nicht anders verhindert werden kann.[4]
Hier würde auch bei einer zeitlichen Verlegung mit gewaltbereiten Gegnern der Versammlung zu rechnen sein. Zum Schutz der Versammlung müssen im Wege der Amtshilfe Polizeikräfte aus anderen Ländern angefordert werden und Maßnahmen gegen die gewaltbereiten Gegner ergriffen werden. Wegen der Möglichkeit der Amtshilfe trägt das Argument, alle Berliner Polizisten seien verplant, nicht. Ansonsten wäre die B-Partei dauerhaft an der Durchführung ihrer Versammlung gehindert.
b) Rechtsgrundlage § 14 Abs. 2 VersFG BE
Vorliegend könnte aber § 14 Abs. 2 VersFG BE einschlägig sein. Nach § 14 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VersFG BE kann eine Versammlung insbesondere beschränkt werden, wenn die Versammlung an einem in der Anlage zu diesem Gesetz genannten Tag oder einem Ort stattfindet, dem ein an die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft erinnernder Sinngehalt mit gewichtiger Symbolkraft zukommt, und nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die unmittelbare Gefahr besteht, dass durch die Versammlung die Würde der Opfer beeinträchtigt wird.
Die formelle Rechtmäßigkeit der Verfügung ist gegeben (siehe oben).
Der 27. Januar ist in Abs. 2 Nr. 1 der Anlage zum VersFG BE als Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus (Holocaust-Gedenktag) genannt. Das Thema der Versammlung könnte die Würde der Opfer beeinträchtigen. Schließlich richtet sich die Versammlung auf die Abschaffung von § 130 StGB. Eine solche Versammlung beeinträchtigt die Würde der Opfer, wenn die Versammlung von einer rechtsextremistischen Vereinigung in zeitlicher Nähe zu einem wichtigen Gedenktag zur nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft wie dem Holocaust-Gedenktag stattfindet.[5] Dies ergibt sich hier aus der Art und Weise der Veranstaltung, das heißt der Durchführung direkt an dem Holocaust-Gedenktag und in unmittelbarer Nähe zum Mahnmal.
Diese Gefahr bestand nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen auch unmittelbar.
c) Rechtsfolge
§ 14 Abs. 2 VersFG BE eröffnet Ermessen bezüglich der Anordnung eines Verbots oder einer Beschränkung. Fraglich ist, ob hier ein Fall der Ermessensüberschreitung durch die zeitliche Verlegung vorliegt.
Die Abgrenzung zwischen Verbot und Beschränkung orientiert sich am Veranstaltungszweck, nicht an der behördlichen Bezeichnung. Die B-Partei hat bewusst den 27. Januar gewählt. Das gewählte Datum stellt einen wesentlichen Bestandteil der Versammlung dar. Die Forderung nach dem Straftatbestand der Volksverhetzung bekommt eine andere Stärke, wenn sie am Holocaust-Gedenktag öffentlich erhoben wird. Die Versammlung würde für die B-Partei weitgehend ihren Sinn verlieren, wenn sie verschoben wird. Da es der B-Partei auf das Datum so ankommt, stellt die zeitliche Verlegung ein Verbot dar.
Eine Ermessensreduzierung kommt nicht wegen besonderer Kooperationsbereitschaft der B-Partei als Versammlungsleiter in Betracht. Die B-Partei wurde angehört. Dem Sachverhalt kann nicht entnommen werden, dass sie der Polizeipräsidentin derart entgegengekommen ist, dass ein Verbot der Versammlung nun unverhältnismäßig wäre.
Ein Versammlungsverbot darf aber nur zum Schutz von Rechtsgütern ausgesprochen werden, die zumindest genauso bedeutend sind wie die Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG. Ein Verbot ist etwa grundsätzlich unzulässig, wenn alleine das Schutzgut der öffentlichen Ordnung betroffen ist.[6] Vorliegend wurde die zeitliche Verlegung der Versammlung angeordnet, um den Würdeschutz der Opfer des Holocausts zu sichern. Art. 1 Abs. 1 GG vermittelt auch noch für bereits Verstorbene einen postmortalen Würdeschutz. Hierbei geht es aber um das Lebensbild des Verstorbenen in der Nachwelt.[7] Zudem verringert sich die Schutzintensität dieses postmortalen Persönlichkeitsschutzes mit der Zeit[8], sodass hier keine Gleichwertigkeit mit dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit gegeben ist. Der Polizeipräsidentin hätten hier mildere Mittel zur Verfügung gestanden. So hätte sie die Versammlung zum Beispiel zeitlich verkürzen und so das Ausmaß beschränken können.
Das Verbot ist auch nicht deswegen zulässig, weil sich gewaltbereite Gegner angekündigt haben. Der Staat ist verpflichtet, die Grundrechtsausübung vor Störungen Dritter zu schützen. Er darf nicht dulden, dass friedlichen Demonstranten durch gewaltbereite Gegner gestört werden, und muss ggf. Polizeikräfte aus anderen Bundesländern anfordern. Gegen die angemeldete Versammlung selbst darf nur vorgegangen werden, wenn die Voraussetzungen für den polizeilichen Notstand vorliegen. Das ist der Fall, wenn die Störung nicht auf andere Weise abgewehrt werden kann.[9]
Hier hat die Polizeipräsidentin nicht dargelegt, dass eine Anforderung von Polizeikräften zum Schutz der Versammlung der B-Partei aus den benachbarten Bundesländern nicht möglich war
2. Örtliche Verlegung
a) Rechtsgrundlage
Als Rechtsgrundlage für die örtliche Verlegung kommt § 14 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VersFG BE in Betracht.
b) Voraussetzungen
Das Mahnmal ist gemäß Abs. 1 Nr. 1 der Anlage des VersFG BE ein Ort im Sinne von § 14 Abs. 2 Nr. 3 VersFG BE. Auch die weiteren Tatbestandsvoraussetzung von § 14 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VersFG BE sind erfüllt (siehe oben). Auch die formelle Rechtmäßigkeit ist gegeben (siehe oben).
c) Rechtsfolge
§ 14 Abs. 2 VersFG BE eröffnet Ermessen. Es ist nicht ersichtlich, dass die Bedeutung von Art. 8 GG hier falsch beurteilt wurde. Die Polizeipräsidentin stellt zutreffend darauf ab, dass eine Versammlung am Denkmal für die ermordeten Juden Europas verboten werden kann. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Die Öffentlichkeit kann auch am Potsdamer Platz auf die Belange der B-Partei aufmerksam gemacht werden. Die Verlegung ist daher rechtmäßig.
3.Verbot schwarzer Kleidung
a) Rechtsgrundlage
Rechtsgrundlage für das Verbot schwarzer Kleidung könnte § 9 Abs. 3 VersFG BE sein. Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Behörde Anordnungen treffen, um das Verbot aus § 9 Abs. 2 VersFG BE durchzusetzen.
b) Voraussetzungen
Nach § 9 Abs. 2 VersFG BE ist es verboten, in einer Versammlung durch das Tragen von Uniformen oder Uniformteilen oder sonst ein einheitliches Erscheinungsbild vermittelnden Kleidungsstücken in einer Art und Weise aufzutreten, die dazu geeignet und bestimmt ist, im Zusammenwirken mit anderen teilnehmenden Personen Gewaltbereitschaft zu vermitteln und dadurch einschüchternd zu wirken.
Die formelle Rechtmäßigkeit ist gegeben (siehe oben).
Materielle Voraussetzung für ein solches Verbot ist, dass es sich bei der in Rede stehenden Kleidung um Uniformen, Uniformteile oder sonst ein einheitliches Erscheinungsbild handelt. Vorliegend sollen von den Versammlungsteilnehmern schwarze Kleidungsstücke getragen werden, was weder eine Uniform noch Uniformteile darstellt, aber ein einheitliches Erscheinungsbild produziert. § 9 Abs. 2 VersFG BE muss im Lichte von Art. 8 GG und daher eng ausgelegt werden. Rechtsgut dieser Vorschrift ist der öffentliche Friede, was dadurch deutlich wird, dass die Norm für ein Verbot verlangt, dass im Zusammenwirken mit anderen Versammlungsteilnehmern Gewaltbereitschaft vermittelt wird und dadurch die Versammlung einschüchternd wirk. Daher fallen unter § 9 Abs. 2 VersFG BE nur solche Kleidungsstücke, die eine solche Gewaltbereitschaft zur Schau tragen. Hierzu können zum Beispiel Springerstiefel und Bomberjacken zählen.[10] Das bloße Tragen von schwarzer Kleidung reicht aber noch nicht aus. Die Voraussetzungen von § 9 Abs. 2 VersFG BE ist nicht erfüllt. Das Verbot ist rechtswidrig.
C. Ergebnis
Das Verfahren nach § 80 Abs. 5 S. 1 Var. 2 VwGO ist zulässig, aber nur hinsichtlich der zeitlichen Verlegung und des Verbots schwarzer Kleidung begründet.
Das Verwaltungsgericht wird daher hinsichtlich dieser Punkte die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherstellen und den Antrag im Übrigen abweisen.
Variante:
Die Verfassungsbeschwerde der B-Partei zum BVerfG hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.
D. Zulässigkeit (+)
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, wenn die Sachentscheidungsvoraussetzungen gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG und §§ 90 ff. BVerfGG erfüllt sind.
I. Zuständigkeit des BVerfG (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG) (+)
Das Bundesverfassungsgericht ist zuständig.
II. Beteiligtenfähigkeit (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG: „jedermann“) (+)
Die B-Partei könnte als „jedermann“ im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG beteiligtenfähig sein, sofern die Grundrechte ihrem Wesen nach auf eine Partei anwendbar sind.
Politische Parteien sind in der Regel nicht eingetragene Vereine des Privatrechts.[11] Nach Art. 19 Abs. 3 GG gelten die Grundrechte auch für inländische juristische Personen. Der Begriff der juristischen Person wird weit ausgelegt und erfasst alle Personenmehrheiten, die voll- oder teilrechtsfähig sind.[12] Ausreichend ist, dass die Rechtsordnung ihnen eigene Rechte und Pflichten zuerkennt.[13] Diese Rechte und Pflichten ergeben sich für den nicht eingetragenen Verein aus §§ 54, 705 ff. BGB. Die Partei ist daher eine juristische Person im Sinne von Art. 19 Abs. 3 GG.
Die Versammlungsfreiheit ist ihrem Wesen nach auch auf die Partei als Veranstalterin der Versammlung anwendbar. Die Verletzung der Versammlungsfreiheit kann die B-Partei auch im Wege der Verfassungsbeschwerde geltend machen.
Dem steht auch nicht Art. 21 GG entgegen. Art. 21 GG macht Parteien nicht zu inkorporierten Teilen der Staatlichkeit, die ihre Rechte im Wege des Organstreitverfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht geltend machen müssen. Parteien sind zivilrechtliche Organisationen, welche allerdings durch Art. 21 GG einem besonderen staatlichen Schutz unterstellt werden. Hieraus ergibt sich auch, dass Art. 21 GG nicht den Sinn haben kann, den politischen Parteien den Grundrechtsschutz zu entziehen, der allen anderen juristischen Personen des Privatrechts nach Maßgabe des Art. 19 Abs. 3 GG zusteht. Dementsprechend geht das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich davon aus, dass sich politische Parteien i.S.d. Art. 21 GG nach Art. 19 Abs. 3 GG auf alle Grundrechte berufen und diese Rechte auch im Wege der Verfassungsbeschwerde geltend machen können, soweit sie ihrem Wesen nach auf sie anwendbar sind.[14]
Ausführlich hierzu: Fall „Geschlossene Gesellschaft"
Die B-Partei ist damit im Hinblick auf Art. 8 GG grundrechtsfähig.
III. Prozessfähigkeit (+)
Die Prozessfähigkeit der Partei ergibt sich aus § 3 ParteienG.
IV. Beschwerdegegenstand (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG: „Akt der öffentlichen Gewalt“) (+)
Verfassungsbeschwerden können sich nur gegen einen „Akt öffentlicher Gewalt“ richten. Gemeint sind damit alle Maßnahmen der gesetzgeberischen, vollziehenden und rechtsprechenden Gewalt. Der Beschluss des OVG ist ein Akt der rechtsprechenden Gewalt und daher ein tauglicher Beschwerdegegenstand. Die B-Partei hätte zusätzlich zu dem OVG-Beschluss auch gegen den Beschluss des VG vorgehen können; sie muss dies aber nicht; insoweit hat sie ein Wahlrecht.
V. Beschwerdebefugnis (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG: „Behauptung, in einem seiner Grundrechte verletzt zu sein“) (+)
Die B-Partei müsste behaupten können, durch den Beschluss des OVG in ihren Grundrechten verletzt zu sein. Sie müsste beschwerdebefugt sein, d.h. es dürfte nicht von vornherein ausgeschlossen sein, dass der Beschluss des OVG die B-Partei in ihren Grundrechten verletzt. Die B-Partei ist Veranstalterin der für den 27. Januar 2022 geplanten Versammlung. Es ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass sie in ihrem Grundrecht aus Art. 8 GG verletzt ist.
Die B-Partei ist selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen.
VI. Rechtswegerschöpfung (§ 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG) und „Subsidiarität“ der Verfassungsbeschwerde (+)
Da gegen den Beschluss des OVG ein weiterer Rechtsbehelf nicht gegeben ist, ist auch der Rechtsweg gemäß § 90 Abs. 2 BVerfGG erschöpft.
Jedoch könnte unter dem Gesichtspunkt der „Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde" die Durchführung des Hauptsacheverfahrens verlangt werden. Nach diesem - vom BVerfG letztlich in erweiternder Auslegung des § 90 Abs. 2 BVerfGG „gefundenen" - Grundsatz hat der Beschwerdeführer neben der Erschöpfung des Rechtswegs alle anderweitig bestehenden Möglichkeiten auszuschöpfen, die geeignet sind, die Grundrechtsverletzung zu beseitigen oder ohne Inanspruchnahme des BVerfG im praktischen Ergebnis dasselbe zu erreichen.[15] Wegen dieses Grundsatzes hält das BVerfG Verfassungsbeschwerden gegen Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutz regelmäßig für unzulässig und verlangt die Durchführung eines Hauptsacheverfahrens.[16] Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde soll einer (schon) gegen Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gerichteten Verfassungsbeschwerde jedoch dann nicht entgegenstehen, wenn[17]
- eine speziell das Eilverfahren betreffende Grundrechtsrüge erhoben worden ist, etwa indem eine Verletzung des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG gerade durch die Verweigerung vorläufigen Rechtsschutzes geltend gemacht wird;
- die Entscheidung des BVerfG hinsichtlich der materiellrechtlichen Grundrechtsrüge keiner weiteren tatsächlichen oder einfachrechtlichen Aufklärung durch die Fachgerichte bedarf;
- die Sache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 90 Abs. 2 S. 2 Alt. 1 BVerfGG);
- dem Beschwerdeführer durch die Verweisung auf den Rechtsweg im Hauptsacheverfahren schwere und unzumutbare Nachteile entstünden (vgl. § 90 Abs. 2 S. 2 Alt. 2 BVerfGG);
- die Klage im Hauptsacheverfahren im Hinblick auf die entgegenstehende Rechtsprechung der Fachgerichte als von vornherein aussichtslos erscheinen muss.
Fraglich ist, ob die B-Partei zunächst das Hauptsacheverfahren durchführen muss. Verneint werden könnte dies aufgrund schwerer und unzumutbarer Nachteile für die B-Partei. Zudem könnte ein Fall von § 90 Abs. 2 S. 2 BVerfGG vorliegen.
Gem. § 90 Abs. 2 S. 2 Alt. 2 BVerfGG müsste dazu die Durchführung des Hauptsacheverfahrens für die B-Partei einen schweren und unabwendbaren Nachteil bedeuten, d.h. der Verweis auf die spätere Entscheidung in dem Hauptsacheverfahren müsste für sie schlechthin unzumutbar sein. Insoweit kann wohl nicht ausreichen, dass die B-Partei ohne die Entscheidung durch das BVerfG die Versammlung am 27. Januar nicht durchführen kann. Die Voraussetzungen des § 90 Abs. 2 S. 2 Alt. 2 BVerfGG liegen daher nicht vor.
Es könnten aber die Voraussetzungen des § 90 Abs. 2 S. 2 Alt. 1 BVerfGG gegeben sein. Der Entscheidung müsste dazu „allgemeine Bedeutung" zukommen. Dies ist der Fall, wenn sie grundsätzliche verfassungsrechtliche Fragen aufwirft oder wenn die zu erwartende Entscheidung über den Einzelfall hinaus Klarheit über die Rechtslage in einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle schafft.[18] Zumindest letzteres kann hier angenommen werden: Die erstrebte Entscheidung vermag Klarheit darüber schaffen, ob und inwieweit extremistische Versammlungen an historischen Gedenktagen verboten werden können.
Damit steht der Verfassungsbeschwerde der Grundsatz der Subsidiarität nicht entgegen.
VII. Frist (§ 93 Abs. 1 BVerfGG)/Form (§ 23 Abs. 1 S. 1 BVerfGG)
Laut Sachverhalt wurde die Frist des § 93 Abs. 1 S. 1 BVerfGG eingehalten. Weiterhin müsste die Beschwerde gem. § 23 Abs. 1 S. 1 BVerfGG schriftlich erhoben worden sein, was laut Sachverhalt ebenfalls gegeben ist.
E. Begründetheit (+)
Die Beschwerde müsste begründet sein.
I. Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 GG
Dazu müsste zunächst der Schutzbereich eröffnet sein.
1. Sachlich
a) Vorliegen einer Versammlung
Eine Versammlung ist Personenvereinigung von mindestens zwei Personen, die sich innerlich durch eine gemeinsame Zweckverfolgung verbunden hat.[19]
Hier vereinigen sich ca. 50 Teilnehmer mit dem gemeinsamen Ziel, für eine Abschaffung von § 130 StGB zu werben. Aufgrund der politischen Ausrichtung der Veranstaltung kann der Streit über die Anforderungen an den gemeinsamen Zweck einer Versammlung dahinstehen. Eine Versammlung liegt vor.
b) Friedlich und ohne Waffen
Waffen führt die B-Partei nicht mit.
Friedlich ist eine Versammlung, wenn sie keine Gewalt oder Aufruhr mit sich bringt. Allgemeine Erfahrungssätze der Behörde, die auf gewalttätige Gegner hindeuten, reichen zur Verneinung der Friedlichkeit nicht aus. Notwendig sind vielmehr konkrete tatsächliche Hinweise, die auf einen unfriedlichen Verlauf hinweisen.[20] Hier beruft sich die Polizeipräsidentin gerade nur auf allgemeine Erfahrungssätze. Die B-Partei will lediglich schweigend marschieren. Es ergibt sich aus der Anmeldung nicht, dass sie zu Gewalt bereit ist. Folglich liegt eine friedliche Versammlung vor.
2. Persönlich
Die B-Partei ist eine inländische juristische Person im Sinne von Art. 19 Abs. 3 GG und ist als Veranstalterin der Versammlung Grundrechtsträgerin.
II. Eingriff
Ein Eingriff ist jedes staatliche Handeln, das den Grundrechtsträger in seiner Versammlungsfreiheit beeinträchtigt.[21]
Hier ist zwischen drei Anordnungen zu unterscheiden: der zeitlichen Verlegung, der Kleideranordnung sowie der örtlichen Verlegung. Alle drei Anordnungen beeinträchtigen die Partei dabei, die Zeit, den Ort und die Art und Weise der Versammlung selbst zu bestimmen. Diese drei Punkte sind vom Schutzbereich der Versammlungsfreiheit gedeckt.
III. Rechtfertigung
1. Verfassungsmäßigkeit des Einschränkungsgesetzes
Nach Art. 8 Abs. 2 GG besteht die Möglichkeit der Einschränkung durch oder auf Grund eines Gesetzes.
a) § 14 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VersFG BE bezüglich örtlicher und zeitlicher Verlegung
§ 14 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VersFG BE ist formell und materiell verfassungsgemäß. Seit dem Inkrafttreten der Föderalismusreform (Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006, BGBl. I S. 2034) besteht keine Gesetzgebungskompetenz des Bundes mehr für das Versammlungsrecht. Dennoch gilt gemäß Art. 125a Abs. 1 S. 1 GG das auf Grundlage des früheren Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 erlassene (Bundes-)„Gesetz über Versammlungen und Aufzüge“ (Versammlungsgesetz - VersG) noch so lange (und insbesondere auch soweit) fort, wie es nicht durch Landesrecht ersetzt wird. Der Berliner Gesetzgeber hat lange Zeit von seiner Gesetzgebungskompetenz nur begrenzt Gebrauch gemacht (vgl. Gesetz über Aufnahmen und Aufzeichnungen von Bild und Ton bei Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzügen vom 23. April 2013 [GVBl. S. 103]), sodass im Übrigen das Versammlungsgesetz des Bundes fortgalt. Mit dem Versammlungsfreiheitsgesetz Berlin (VersFG BE) vom 21. Februar 2021 hat der Berliner Gesetzgeber nun sein eigenes Versammlungsrecht geschaffen. Die Gesetzgebungskompetenz des Landes Berlin folgt demnach aus Art. 70 Abs. 1 GG.
Trotz der sehr spezifischen Vorgaben in der Anlage zum VersFG BE handelt es sich nicht um ein Einzelfallgesetz nach Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG, da die Regelungen offensichtlich auf mehrere Sachverhalte Anwendung finden können. § 14 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VersFG BE ist auch im Übrigen verfassungsrechtlich unbedenklich. Es steht dem Gesetzgeber frei, eine Gedenkstätte wie das Holocaust-Mahnmal und die Würde der verstorbenen Juden besonders zu schützen.
b) § 9 Abs. 2 VersFG BE bezüglich Uniformverbot
§ 9 Abs. 2 VersFG BE ist formell und materiell verfassungsgemäß. Die Gesetzgebungskompetenz folgt auch hier aus aus Art. 70 Abs. 1 GG.
2. Verfassungskonforme Anwendung des Gesetzes
Das Bundesverfassungsgericht ist keine Superrevisionsinstanz. Es prüft daher nicht die konkrete Anwendung des „einfachen" Gesetzes, sondern lediglich, ob bei Anwendung und Auslegung der Gesetze spezifisches Verfassungsrecht verletzt wurde. Solches wird verletzt, wenn das Fachgericht Prozessgrundrechte missachtet, ein verfassungswidriges Gesetz angewandt, eine offensichtlich willkürliche Entscheidung getroffen oder die Wertung eines Grundrechts bei der Auslegung des einfachen Rechts verkannt hat.
a) Zeitliche Verlegung
Die Entscheidungen der Fachgerichte könnten mangels hinreichender Abwägung der widerstreitenden Rechtsgüter verfassungswidrig sein.
Die Gerichte müssen bei Anwendung und Auslegung des Versammlungsgesetzes die überragende Bedeutung von Art. 8 GG beachtet haben. Im vorliegenden Fall wurde diese Bedeutung jedenfalls nicht grundsätzlich verkannt.
In Betracht kommt eine Gefahr für Individualrechtsgüter durch gewaltbereite Versammlungsgegner. Fraglich ist schon, ob die Verletzung von Individualrechtsgütern hinreichend wahrscheinlich ist. Die Erwartung von gewaltbereiten Gegnern beruht nur auf Erfahrungssätzen der Behörde. Nicht erkennbar ist, dass eine Schädigung von Individualrechtsgütern gerade auch bei dieser Versammlung zu erwarten ist. Es fehlt daher an der hinreichenden Wahrscheinlichkeit in diesem konkreten Einzelfall.
Hier würde auch bei einer Verlegung mit gewaltbereiten Gegnern zu rechnen sein. Zum Schutz der Versammlung müssen im Wege der Amtshilfe Polizeikräfte aus anderen Ländern angefordert werden und Maßnahmen gegen die gewaltbereiten Gegner ergriffen werden.
Der Staat ist im Übrigen verpflichtet, die Grundrechtsausübung vor Störungen Dritter zu schützen. Er darf nicht dulden, dass friedlichen Demonstranten durch gewaltbereite Gegner gestört werden und muss ggf. Polizeikräfte aus anderen Bundesländern anfordern. Gegen die angemeldete Versammlung selbst darf nur vorgegangen werden, wenn die Voraussetzungen für den polizeilichen Notstand vorliegen. Das ist der Fall, wenn die Störung nicht auf andere Weise abgewehrt werden kann.[22] Ansonsten wäre die B-Partei dauerhaft an der Durchführung ihrer Versammlung gehindert. Hier hat die Polizeipräsidentin nicht dargelegt, dass eine Anforderung von Polizeikräften zum Schutz der Versammlung der B-Partei aus den benachbarten Bundesländern nicht möglich war.
Die Bedeutung des Art. 8 GG könnte ebenfalls durch eine fehlerhaften Ermessensausübung verkannt worden sein. § 14 Abs. 2 VersFG BE eröffnet Ermessen bezüglich der Anordnung eines Verbotes, einer Beschränkung oder Auflösung. Fraglich ist, ob das hier ein Fall der Ermessensüberschreitung durch die zeitliche Verlegung vorliegt und das OVG das Verbot hätte aufheben müssen.
Die Abgrenzung zwischen Verbot und Beschränkung orientiert sich am Veranstaltungszweck, nicht an der behördlichen Bezeichnung. Die B-Partei hat bewusst den 27. Januar gewählt. Das Datum stellt einen wesentlichen Bestandteil der Versammlung dar. Die Forderung nach einer Abschaffung des Straftatbestands der Volksverhetzung bekommt eine andere Stärke, wenn sie am Holocaust-Gedenktag öffentlich geäußert wird. Die Versammlung würde für die B-Partei ihren Sinn verlieren, wenn sie verschoben wird. Die zeitliche Verlegung ist daher ein Verbot, da es der B-Partei gerade auf das Datum ankam.
Ein Versammlungsverbot darf aber nur zum Schutz von Rechtsgütern ausgesprochen werden, die zumindest genauso bedeutend sind wie die Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG. Ein Verbot ist daher etwa grundsätzlich unzulässig, wenn alleine das Schutzgut der öffentlichen Ordnung betroffen ist.[23] Vorliegend wurde die zeitliche Verlegung der Versammlung angeordnet, um den Würdeschutz der Opfer des Holocausts zu sichern. Art. 1 Abs. 1 GG vermittelt auch für bereits Verstorbene einen postmortalen Würdeschutz. Hierbei geht es aber um das Lebensbild des Verstorbenen in der Nachwelt.[24] Zudem verringert sich die Schutzintensität dieses postmortalen Persönlichkeitsschutzes mit der Zeit[25], sodass hier keine Gleichwertigkeit mit dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit gegeben ist. Der Polizeipräsidentin hätten hier mildere Mittel zur Verfügung gestanden. So hätte sie die Versammlung zum Beispiel zeitlich verkürzen und so das Ausmaß beschränken können. Die Bedeutung des Art. 8 GG wurde daher grundsätzlich verkannt.
Die zeitliche Verlegung ist verfassungswidrig.
b) Örtliche Verlegung
Art. 8 GG schützt grundsätzlich auch die Wahl des Versammlungsortes.[26]
Bei der Entscheidung über die örtliche Verlegung wurde die Bedeutung des Art. 8 GG nicht verkannt. Die B-Partei bringt durch ihr Versammlungsmotto eine Billigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft zum Ausdruck und beeinträchtigt hierdurch die Würde der Opfer. Dagegen ist die Einschränkung der Versammlungsfreiheit gering. Der Potsdamer Platz liegt in unmittelbarer Nähe zum geplanten Versammlungsort. Eine Erschwerung der Versammlung ist damit nicht verbunden. Weiterhin können die Versammlungsteilnehmer ihre Meinungsäußerung auch an diesem Ort tätigen. Folglich überwiegen die entgegenstehenden Rechtsgüter.
Die örtliche Verlegung ist verfassungskonform.
c) Verbot schwarzer Kleidung
Voraussetzung für ein solches Verbot ist, dass es sich bei der Kleidung um Uniformen oder gleichartige Kleidungsstücke handelt. Die maßgebliche Norm des § 9 Abs. 2 VersFG BE muss im Lichte von Art. 8 GG und daher eng ausgelegt werden. Rechtsgut dieser Vorschrift ist der öffentliche Friede. Das Uniformverbot soll verhindern, dass Gewaltbereitschaft durch die Kleidung signalisiert wird. Das Tragen von schwarzer Kleidung allein kann - anders als zum Beispiel bei Springerstiefeln und Bomberjacken[27] - aber nicht für die Annahme einer Gewaltbereitschaft ausreichen, anderenfalls entstünde ein mit Art. 8 GG unvereinbarer Generalverdacht. Vielmehr hätte die Behörde weitere Angaben dahingehend tätigen müssen, dass die Kleidung der Demonstrationsteilnehmer tatsächlich Gewaltbereitschaft signalisiert. Das Verbot ist verfassungswidrig.
F. Ergebnis
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und hinsichtlich der zeitlichen Verlegung und des Verbots schwarzer Kleidung begründet.
Zur weiteren Vertiefung empfehlenswert:
Lembke, JuS 2005, 984 ff. und 1081 ff.
Enzenzberger, NVwZ 2014, 886 ff.
[1] Depenheuer, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 8 Rn. 115 m.w.N. (Stand der Kommentierung: Oktober 2020).
[2] Kahl, JuS 2004, 894 (895).
[3] VG Berlin, BeckRS 2020, 10983 Rn. 26.
[4] BVerfG (K), NJW 2000, 3015 (3053).
[5] BVerfG (K), NVwZ 2006, 585.
[6] BVerfG (K), NJW 2001, 1409 (1410); BVerwG, NVwZ 2014, 883 (885). Grundlegend: BVerfGE 69, 315 (352).
[7] Herdegen, in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 1 Rn. 57 (Stand der Kommentierung: Mai 2009).
[8] Herdegen, in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 1 Rn. 57 (Stand der Kommentierung: Mai 2009).
[9] BVerfG, NVwZ 2006, 1049.
[10] Vgl. OVG Bautzen, NVwZ-RR 2002, 435 (436).
[11] Ipsen/Kaufhold/Wischmeyer, Staatsrecht I, Staatsorganisationsrecht, 35. Aufl. 2023, § 5 Rn. 7.
[12] Hufen, Staatsrecht II, Grundrechte, 10. Aufl. 2023, § 6 Rn. 36.
[13] Remmert, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 19 Abs. 3 Rn. 37 (Stand der Kommentierung: Mai 2009).
[14] Vgl. BVerfGE 84, 290 (299); 121, 30 (56 ff.).
[15] Hencke, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, 2. Aufl. 2021, § 90 Rn. 138.
[16] Vgl. z. B. BVerfG (K), NJW 2004, 1855.
[17] Vgl. Niesler, in: BeckOK BVerfGG, 17. Edition, § 90 Rn. 78 ff.
[18] Lechner/Zuck, BVerfGG, 8. Aufl. 2019, § 90 Rn. 182 ff.
[19] Depenheuer, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 8 Rn. 45 (Stand der Kommentierung: Oktober 2020).
[20] Kahl, Jus 2004, 894 (895).
[21] Vgl. Depenheuer, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 8 Rn. 162 (Stand der Kommentierung: Oktober 2020).
[22] BVerfG (K), NVwZ 2006, 1049; OVG Sachsen-Anhalt, BeckRS 2020 Rn. 24.
[23] BVerfG (K), NJW 2001, 1409 (1410); zuerst BVerfGE 69, 315 (353).
[24] Herdegen, in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 1 Rn. 57 (Stand der Kommentierung: Mai 2009).
[25] Herdegen, in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 1 Rn. 57 (Stand der Kommentierung: Mai 2009).
[26] BVerfGE 73, 206 (249); ausführlich Burgi, DÖV 1993, 633 ff.
[27] OVG Bautzen, NVwZ-RR 2002, 435 (436).
Dokumente
- Demonstrationsverbot Sachverhalt (pdf)
- Demonstrationsverbot (Kurzlösung)
- Demonstrationsverbot (Lösungsvorschlag)
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© Heike Krieger (Freie Universität Berlin) und Markus Heintzen (Freie Universität Berlin)
Bearbeitung für Hauptstadtfälle: Katja Gerdes, Jan-Ole Alpha, Christian Janssen
Stand der Bearbeitung: September 2024