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Freigesetzt! (Sachverhalt)


In der Hauptgeschäftsstraße des Bezirks Steglitz-Zehlendorf, der Schloßstraße, befindet sich das Ladengeschäft "Kurz- und Miederwaren Treulich". Geschäftsinhaber ist seit 1962 Ralf Rüstig, der Sohn der Rita Rüstig, der dort auch selbst mitarbeitet und vier Angestellte beschäftigt.
Einer der Angestellten ist der dort schon seit 35 Jahren tätige, bei seinen Kolleginnen sehr beliebte 56-jährige Thomas Teufelsberg. Dieser verkündet bei einem Betriebsausflug im angeheiterten Zustand, dass er sich nur zu Männern hingezogen fühle, dass er dieser Neigung aber bisher kaum nachgegangen sei und damit in seinem Alter auch nicht mehr anfangen wolle. Drei Tage später wird ihm von Ralf Rüstig unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist zum 31. Dezember desselben Jahres gekündigt. Kündigungsgründe werden nicht angegeben. Auf Nachfrage Teufelsbergs teilt ihm Rüstig mit, Grund für die Kündigung sei ausschließlich Teufelsbergs Homosexualität. Er bedauere, in Zukunft auf seine hervorragenden Leistungen verzichten zu müssen, jedoch könne er Leute "mit abartigen Sexualverhalten" nicht ausstehen. Im Übrigen würde der Erfolg des Geschäftes vor allem bei der überwiegend weiblichen Kundschaft darunter leiden, wenn publik würde, dass dort Homosexuelle beschäftigt würden. Von derartigen Auswirkungen oder sonstigen Störungen des Betriebsklimas wurde jedoch bisher nichts bekannt.


Teufelsberg will diese Kündigung nicht akzeptieren und erhebt daher innerhalb der Frist des § 4 KSchG gegen Ralf Rüstig beim insoweit zuständigen Arbeitsgericht Berlin Klage auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis ungekündigt fortbestehe. Das Arbeitsgericht weist die Klage zurück, da § 1 KSchG auf den Betrieb des Beklagten gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG nicht anwendbar sei, so dass es für die ordentliche Kündigung keiner sozialen Rechtfertigung bedürfe, sie vielmehr im freien Belieben des Arbeitgebers stehe. Dies ergebe sich schon aus einem Umkehrschluss aus § 1 Abs. 2 und § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG: Wenn der Gesetzgeber den Kündigungsschutz auf Großbetriebe beschränke, so könne nicht ohne Umgehung dieser gesetzlichen Wertung ein ähnlicher Kündigungsschutz etwa unter Anwendung der zivilrechtlichen Generalklauseln geschaffen werden. Hierfür spreche auch § 2 Abs. 4 AGG, der regele, dass die Normen des AGG, die eine Benachteiligung u. a. aus Gründen der sexuellen Identität für unzulässig erklärten, auf Kündigungen nicht anwendbar seien. Die von Teufelsberg angestrengte Berufung zum Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg und die (vom Landesarbeitsgericht zugelassene) Revision zum Bundesarbeitsgericht bleiben ohne Erfolg, da die Gerichte im Wesentlichen der Argumentation des Arbeitsgerichtes folgen.


Teufelsberg erhebt daraufhin Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Bundesarbeitsgerichtes. Das BAG habe zu Unrecht § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG herangezogen, da diese den Kündigungsschutz des § 1 KSchG auf Großbetriebe beschränkende Vorschrift wegen Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG verfassungswidrig sei und daher der Entscheidung nicht hätte zugrunde gelegt werden dürfen. Zumindest hätte das BAG die Wirksamkeit der Kündigung an § 138 und § 242 BGB messen und dabei sein grundrechtlich geschütztes Interesse an der Beibehaltung seines Arbeitsplatzes berücksichtigen müssen.


Hat die Verfassungsbeschwerde Erfolg? 

 

Bearbeitervermerk: Auf den Umstand, dass das AGG der Umsetzung eines Bündels von Antidiskriminierungsrichtlinien der EU dient, und insbesondere auf die Reichweite zur Pflicht der Umsetzung der Richtlinie 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist nicht einzugehen. Gehen Sie daher auch davon aus, dass das BAG im Anwendungsbereich des AGG an die deutschen Grundrechte gebunden ist, das BVerfG insoweit auch die Beachtung der deutschen Grundrechte bei der Rechtsanwendung durch die Gerichte vollumfänglich prüft und sich die Frage einer Vorlagepflicht für das BVerfG (und des BAG) nach Art. 267 Abs. 1 AEUV hinsichtlich der Auslegung dieser Richtlinien nicht stellt.

 

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© Klaus Grupp (Universität des Saarlandes) und Ulrich Stelkens (Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer)

Bearbeitung für Hauptstadtfälle: Jan-Peter Wiepert, Franziskus Baer

Stand der Bearbeitung: November 2018