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Freigesetzt! (Lösungsvorschlag)

Die Verfassungsbeschwerde Thomas Teufelsbergs hat Erfolg, soweit sie zulässig und begründet ist.

 

A) Zulässigkeit

 

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, wenn die Sachentscheidungsvoraussetzungen der Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, §§ 90 ff. BVerfGG erfüllt sind.

 

Anmerkung: Zur Gliederung einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Gerichtsurteil siehe diesen Hinweis.

 

I. Beteiligtenfähigkeit (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG: "jedermann")

Teufelsberg ist Grundrechtsträger und damit "jedermann" i.S.d. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG, mithin ist er beteiligtenfähig.

 

II. Beschwerdegegenstand (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG: "Akt der öffentlichen Gewalt")

Teufelsberg wendet sich nach dem Sachverhalt ausschließlich gegen die Entscheidung des BAG, also gegen das letztinstanzliche Gerichtsurteil. Dieses Urteil ist ein "Akt der öffentlichen Gewalt" i.S.d. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG und damit tauglicher Beschwerdegegenstand. Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht es auch nicht entgegen, dass nicht auch die Entscheidungen des Arbeitsgerichtes und des Landesarbeitsgerichtes angegriffen werden. Eine solche "umfassende" Verfassungsbeschwerde wird vom BVerfG zwar für möglich gehalten, jedoch nicht verlangt.[1]

 

III. Beschwerdebefugnis (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG: "Behauptung, in einem seiner Grundrechte verletzt zu sein")

Teufelsberg müsste behaupten können, durch die Entscheidung des BAG in seinen Grundrechten verletzt zu sein, er müsste also beschwerdebefugt sein, d.h. es dürfte nicht von vornherein ausgeschlossen sein, dass durch die Entscheidung Grundrechte des Teufelsberg verletzt werden. Teufelsberg beruft sich insbesondere auf sein Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG, woraus sich eine Pflicht der Arbeitsgerichte ergeben soll, durch eine bestimmte Anwendung des § 1 KSchG zu verhindern, dass er aufgrund einer allein mit seiner Homosexualität begründeten, daher sachlich ungerechtfertigten und willkürlichen Kündigung seines Arbeitgebers seinen Arbeitsplatz verliert. Dass sich aus Art. 12 Abs. 1 GG eine Schutzpflicht des Staates zugunsten des Arbeitnehmers gegen willkürliche, insbesondere auch diskriminierende Kündigungen des Arbeitsverhältnisses ergibt und hier eine solche Kündigung vorliegt, ist nicht von vornherein ausgeschlossen.

 

Anmerkung: Würde man hier – entgegen dem Bearbeitervermerk – in Rechnung stellen, dass das AGG, soweit es Schutz vor Benachteiligung wegen der "sexuellen Orientierung" gewährt, der Umsetzung der Richtlinie 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf dient, würde sich die Prüfung der Beschwerdebefugnis (und auch die Begründetheitsprüfung) als wesentlich komplexer darstellen:

Das BVerfG hat nämlich festgestellt, dass es die Beachtung der deutschen Grundrechte durch die deutschen Gerichte (und auch den deutschen Gesetzgeber) solange nicht am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes überprüft, wie die Europäische Union einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Union generell gewährleistet, „der dem vom Grundgesetz jeweils als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im Wesentlichen gleichzuachten ist, zumal den Wesensgehalt der Grundrechte generell verbürgt“[2] (siehe hierzu auch den Berliner-Verträge-Fall). Dies gilt auch für Richtlinien nach Art. 288 Abs. 3 AEUV. Auch eine innerstaatliche Rechtsvorschrift, die eine Richtlinie oder einen Beschluss in deutsches Recht umsetzt, wird insoweit nicht an den Grundrechten des Grundgesetzes gemessen, als das Unionsrecht keinen Umsetzungsspielraum lässt, sondern zwingende Vorgaben macht.[3] Ob ein Umsetzungsspielraum besteht, ist nach Auffassung des BVerfG[4] durch Auslegung des dem nationalen Umsetzungsrecht zugrunde liegenden Unionsrechts, insbesondere also der umgesetzten Richtlinien zu ermitteln, was auf nationaler Ebene vor allem den Fachgerichten obliege. Diese hätten dabei gegebenenfalls die Notwendigkeit eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 AEUV in Betracht zu ziehen.

Eine Grundrechtsverletzung bei Anwendung von EU-Recht durch die deutschen Gerichte hält das BVerfG[5] in diesem Zusammenhang vor allem dann für möglich, wenn sich ein Gericht in der Annahme, an vermeintlich zwingendes Unionsrecht gebunden zu sein, an der Berücksichtigung der Grundrechte des Grundgesetzes gehindert sehe. Lasse das Unionsrecht den Mitgliedstaaten einen Umsetzungsspielraum, sei dieser grundgesetzkonform auszufüllen. Die Fachgerichte müssten den Einfluss der Grundrechte bei der Auslegung zivilrechtlicher Vorschriften des nationalen Rechts, die unionsrechtlich nicht oder nicht vollständig determiniert seien, zur Geltung bringen.

Das BVerfG betont in diesem Zusammenhang auch eine verfassungsrechtliche Pflicht, von der Möglichkeit einer Vorlage zum EuGH nach Art. 267 Abs. 1 AEUV Gebrauch zu machen, um zu klären, ob ein Umsetzungsspielraum besteht: Hierbei sei das BVerfG nicht auf eine bloße Willkürkontrolle beschränkt. Denn mit der Feststellung oder Verneinung eines unionsrechtlichen Umsetzungsspielraums werde zunächst durch die Fachgerichte darüber entschieden, ob Grundrechte des Grundgesetzes berücksichtigt werden müssen und ob das BVerfG nach seiner Rechtsprechung die Überprüfung nationaler Umsetzungsakte am Maßstab des Grundgesetzes zurücknehme.

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies Folgendes: Die Beschwerdebefugnis würde zunächst voraussetzen, positiv festzustellen, ob das EU-Recht (insbes. die Richtlinie 2000/78/EG) den Mitgliedstaaten einen Umsetzungsspielraum im Hinblick auf eine mögliche Benachteiligung gerade von Homosexuellen im Arbeitsleben belässt. Hier liegt nun nahe, dass die Richtlinie 2000/78/EG die Benachteiligung Homosexueller im Arbeitsleben gerade nicht gebietet. Die Richtlinie dürfte sogar umgekehrt eine solche Benachteiligung zwingend verbieten. In Fällen, in denen das EU-Recht aber staatliche Maßnahmen verbietet, die in die deutschen Grundrechte eingreifen, bedeutet auch nach Auffassung des BVerfG die Nichtbeachtung dieses EU-rechtlichen Verbots durch die nationalen Gerichte zugleich auch eine Verletzung der deutschen Grundrechte, so dass im vorliegenden Fall eine Verletzung der deutschen Grundrechte Teufelsbergs durch die Entscheidung des BAG als nicht von vornherein ausgeschlossen erscheint. Insoweit nimmt das BVerfG seine Prüfungskompetenz also nicht zurück, so dass die Verfassungsbeschwerde daher auch als mittelbares Instrument zur Durchsetzung des EU-Rechts dienen kann. In diesem Zusammenhang würde das BVerfG aber zudem wohl auch eine Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG annehmen, weil das BAG nicht nach Art. 267 Abs. 1 AEUV dem EuGH die Frage vorgelegt hat, ob und inwieweit die Richtlinie 2000/78/EG es ausschließt, dass nationales Recht die Kündigung eines Arbeitnehmers (nur) wegen seiner Homosexualität gestattet.[6]

 

Teufelsberg müsste zudem auch selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen sein. Hier könnte die gegenwärtige Betroffenheit in Frage stehen. Jedoch hob das BAG – das im Revisionsverfahren nach § 73 ArbGG die Rechtsanwendung durch das Landesarbeitsgericht vollumfänglich prüfen konnte – das Urteil des LAG nicht nach § 72 Abs. 5 ArbGG i.V.m. § 562 Abs. 1 ZPO auf. Somit ist Teufelsberg gegenwärtig sowie auch selbst und unmittelbar betroffen. Mithin ist er beschwerdebefugt.

 

IV. Ordnungsgemäßer Antrag nach §§ 23 Abs. 1, 93 BVerfGG

Ein ordnungsgemäßer Antrag nach §§ 23 Abs. 1, 93 BVerfGG müsste gestellt worden sein. Ein solcher verlangt die Wahrung des Frist- und des Formerfordernisses.

Die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des BAG muss innerhalb der Frist des § 93 Abs. 1 BVerfGG (1 Monat) eingelegt worden sein. Zweifel an der nach §§ 23 Abs. 1, 92 BVerfGG erforderlichen Form bestehen nicht. Ein ordnungsgemäßer Antrag liegt vor.

 

V. Erschöpfung des Rechtswegs (§ 90 Abs. 2 BVerfGG) und "Subsidiarität" der Verfassungsbeschwerde

Da gegen Entscheidungen des BAG ein weiterer Rechtsbehelf nicht gegeben ist, ist auch der Rechtsweg gemäß § 90 Abs. 2 BVerfGG erschöpft. Es ist auch keine weitere sonstige Möglichkeit erkennbar, wie Teufelsberg außer durch Erhebung einer Verfassungsbeschwerde sein vermeintliches Recht noch durchsetzen könnte, so dass der Verfassungsbeschwerde auch nicht der Grundsatz ihrer "Subsidiarität" entgegensteht.

 

Anmerkung: Nach dem – vom BVerfG letztlich in erweiternder Auslegung des § 90 Abs. 2 BVerfGG „gefundenen“ – Grundsatz der „Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde“[7] hat der Beschwerdeführer neben der Erschöpfung des Rechtswegs alle anderweitig bestehenden Möglichkeiten auszuschöpfen, die geeignet sind, die Grundrechtsverletzung zu beseitigen oder ohne Inanspruchnahme des BVerfG im praktischen Ergebnis dasselbe zu erreichen.

 

VI. Ergebnis zu A

Die Verfassungsbeschwerde ist somit insgesamt zulässig.

 

B) Begründetheit

Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, soweit Teufelsberg durch die Entscheidung des BAG tatsächlich in seinen Grundrechten verletzt ist. Hier kommt eine Grundrechtsverletzung nur durch das Verfahrensergebnis in Betracht, während ein etwaiger Verstoß gegen Grundrechte durch das Verfahren selbst nicht erkennbar ist.

Da Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ein zivilgerichtliches Urteil ist, ist zu beachten, dass das Bundesverfassungsgericht keine „Superrevisionsinstanz“ ist und gem. § 90 Abs. 1 BVerfGG nur Verletzungen spezifischen Verfassungsrechts, also von Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten prüft. Die Überprüfung einfachen Rechts ist dagegen Sache der zuständigen Instanzgerichte, so dass der verfassungsgerichtliche Kontrollumfang beschränkt ist. Daraus folgt, dass ein Grundrechtsverstoß, der zur Beanstan-dung der angegriffenen Maßnahme im Rahmen der Urteilsverfassungsbeschwerde nur dann angenommen werden darf, wenn

(1) „übersehen worden ist, dass bei Auslegung und Anwendung der verfassungs-mäßigen Vorschriften des Privatrechts Grundrechte zu beachten waren;

(2) wenn der Schutzbereich des zu beachtenden Grundrechts unrichtig oder unvoll-kommen bestimmt

(3) oder ihr Gewicht unrichtig eingeschätzt worden ist, so dass darunter die Abwä-gung der beiderseitigen Rechtspositionen im Rahmen der privatrechtlichen Rege-lung leidet, und die Entscheidung (des Zivilgerichts) auf diesem Fehler beruht.“

Hier könnte das BAG Art. 12 Abs. 1 GG verletzt haben, indem es die gegenüber Teufelsberg ausgesprochene Kündigung für wirksam hielt.

Insoweit ist zudem zu beachten, dass Teufelsberg ein staatliches Unterlassen rügt. Er behauptet letztlich, dass das BAG aus Art. 12 Abs. 1 GG verpflichtet gewesen sei, die ihm gegenüber von einem Privaten ausgesprochene Kündigung für unwirksam zu erklären. Es geht also nicht um die Abwehr staatlicher Eingriffe, sondern um die Frage, inwieweit sich aus den Grundrechten ein Anspruch darauf ergibt, dass der Staat den Grundrechtsträger vor Beeinträchtigung seiner grundrechtlich geschützten Interessen durch Dritte schützt. Die Verfassungsbeschwerde kann also nur dann begründet sein, wenn sich aus Art. 12 Abs. 1 GG ein gegen den Staat gerichteter Anspruch des Arbeitnehmers auf staatlichen Schutz vor Kündigungen des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber ergibt und das BAG diesem Anspruch nicht nachgekommen ist.

 

Anmerkung: Sieht der Beschwerdeführer eine Verletzung von Grundrechten darin, dass der Staat ihm gegenüber bestimmte "Leistungen" nicht erbringt, auf die er aus den Grundrechten einen "Anspruch", mit anderen Worten ein dementsprechendes „Recht“ auf diese Leistungen, herleiten zu können glaubt, rügt er also letztlich ein Unterlassen der öffentlichen Gewalt, so ist sinnvollerweise nicht der übliche dreigliedrige Aufbau (Schutzbereich/Eingriff/verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffes) zu wählen. Vielmehr ist zunächst zu fragen, inwieweit sich aus den Grundrechten der vom Beschwerdeführer geltend gemachte "Anspruch" ergibt, und dann, ob diesem "Anspruch" durch die angegriffenen Maßnahmen Genüge getan wurde. Wird diesem "Anspruch" durch die angegriffene Maßnahme nicht Genüge getan, kommt eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung dieses "Eingriffs durch Unterlassen" nicht in Betracht, da sich aus den Grundrechten – wenn überhaupt – unmittelbar nur absolute Mindestansprüche herleiten lassen, was umgekehrt bedeutet, dass diese Mindestansprüche dann auch wirklich – ohne Gesetzesvorbehalt – in den Grundrechten garantiert sind. Dementsprechend muss ein Unterschreiten dieser Mindestansprüche dann auch schlechthin verfassungswidrig sein.

 

Siehe zu den verschiedenen Aufbauvarianten auch den Immobilienhai-Fall.

 

I. Recht auf staatlichen Schutz des Arbeitnehmers vor Kündigungen des Arbeitgebers aus Art. 12 Abs. 1 GG

Art. 12 Abs. 1 GG garantiert neben der freien Wahl des Berufes auch die freie Wahl des Arbeitsplatzes. Während es bei der Berufswahl um die freie Entscheidung des Einzelnen geht, auf welchem Feld er sich beruflich betätigen will, betrifft die Arbeitsplatzwahl die Entscheidung, an welcher Stelle er dem gewählten Beruf nachgehen möchte. Genauer geht es damit bei der Wahl des Arbeitsplatzes um die Entscheidung für eine konkrete Beschäftigungsmöglichkeit oder ein bestimmtes Arbeitsverhältnis. Geschützt wird zunächst der Entschluss des Einzelnen, eine konkrete Beschäftigungsmöglichkeit in dem gewählten Beruf zu ergreifen, wozu bei abhängig Beschäftigten auch die Wahl des Vertragspartners samt den dazu notwendigen Voraussetzungen, insbesondere der Zutritt zum Arbeitsmarkt gehört. Darüber hinaus schützt das Recht der freien Arbeitsplatzwahl neben der Entscheidung für eine konkrete Beschäftigung auch den Willen des Einzelnen, diese beizubehalten oder aufzugeben.

Art. 12 Abs. 1 GG entfaltet seinen Schutz demnach gegen alle staatlichen Maßnahmen, die diese Wahlfreiheit einschränken, etwa indem sie den Einzelnen am Erwerb eines zur Verfügung stehenden Arbeitsplatzes hindern, ihn zur Annahme eines bestimmten Arbeitsplatzes zwingen oder die Aufgabe eines Arbeitsplatzes verlangen. Dagegen ist mit der Wahlfreiheit weder ein Anspruch auf Bereitstellung eines Arbeitsplatzes eigener Wahl noch eine Bestandsgarantie für den einmal gewählten Arbeitsplatz verbunden. Damit verleiht das Grundrecht auch keinen unmittelbaren Schutz gegen den Verlust eines Arbeitsplatzes aufgrund privater Disposition, d.h. aufgrund Kündigung des (vom Staat verschiedenen) Arbeitgebers,[8] weil Grundrechte nicht unmittelbar im Verhältnis zwischen Privaten gelten. Das Grundgesetz geht implizit davon aus, dass die Privatautonomie als Strukturelement einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung grundsätzlich geeignet ist, die gegenläufigen Interessen der Beteiligten angemessen auszugleichen, so dass der Staat grundsätzlich auch die im Rahmen der Privatautonomie getroffenen Regelungen zu respektieren hat.[9] Dies ergibt sich schon daraus, dass ein Eingriff zum Schutze der Freiheit des einen Teils gleichzeitig einen Eingriff in die Freiheit des anderen Teils bedeutet.

Privatautonomie kann aber nur funktionieren, solange einer der Vertragsteile nicht faktisch ein so starkes Übergewicht hat, dass er vertragliche Regelungen faktisch diktieren kann; sonst ist kein angemessener Interessenausgleich mehr gewährleistet. Daher ergibt sich nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG aus den Grundrechten eine Pflicht des Staates, das Privatrecht so zu gestalten, dass ein Ungleichgewicht der Vertragspartner nicht zu einer Fremdbestimmung des unterlegenen Vertragspartners führt.[10] Jedoch steht dem Gesetzgeber hier, wie sonst, wenn es um den Ausgleich widerstreitender, jeweils grundrechtlich geschützter Interessen geht, zur Regelung eines gerechten Ausgleichs ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Die Einschätzung der für die Konfliktlage maßgeblichen ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen liegt in seiner politischen Verantwortung. Dasselbe gilt für die Bewertung der Interessenlage, also die Gewichtung der einander entgegenstehenden Belange und die Bestimmung ihrer Schutzbedürftigkeit. Eine Verletzung grundrechtlicher Schutzpflichten kann in einer solchen Lage nur festgestellt werden, wenn eine Grundrechtsposition den Interessen des Vertragspartners in einer Weise untergeordnet wird, dass in Anbetracht der Bedeutung und Tragweite des betroffenen Grundrechts von einem angemessenen Ausgleich nicht mehr gesprochen werden kann.[11]

 

Anmerkung: Siehe hierzu auch den Geschlossene-Gesellschaft-Fall.

 

Für das Arbeitsrecht bedeutet dies, dass die Privatrechtsordnung berücksichtigen muss, dass die berufliche Tätigkeit des Arbeitnehmers vom Abschluss und Fortbestand von Arbeitsverträgen abhängt und der Arbeitsplatz die wirtschaftliche Existenzgrundlage für ihn und seine Familie ist. Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses wird diese Existenzgrundlage in Frage gestellt. Die Aussichten, eine ähnliche Position ohne Einbußen an Lebensstandard zu finden, hängen dann vom Arbeitsmarkt ab und können in Zeiten struktureller Arbeitslosigkeit vor allem für ältere Arbeitnehmer schlecht sein. Gelingt es ihnen nicht, alsbald einen neuen Arbeitsplatz zu finden, geraten sie häufig in eine Krise, in der ihnen durch die Leistungen der Arbeitslosenversicherung nur teilweise und nur für einen begrenzten Zeitraum geholfen wird.

Diese – typischerweise gegebene – existentielle Abhängigkeit des Arbeitnehmers von seinem Arbeitsplatz wird im Regelfall zu einem Übergewicht des Arbeitgebers bei der Gestaltung arbeitsrechtlicher Beziehungen führen, insbesondere auch, was die Beendigung des Arbeitsverhältnisses angeht.[12] Bestände hier das Prinzip der freien Kündigung durch den Arbeitgeber, wäre der Arbeitnehmer durchgängig der Willkür des Arbeitgebers ausgeliefert. Deshalb leitet das BVerfG aus Art. 12 Abs. 1 GG eine staatliche Schutzpflicht zugunsten aller Arbeitnehmer her: Der Staat hat (materiellrechtlich) dafür Sorge zu tragen, dass der Arbeitnehmer in jedem Fall zumindest vor willkürlichen und auf sachfremde Motive gestützten Kündigungen geschützt wird, dass bei Auswahl zwischen mehreren Arbeitnehmern ein gewisses Maß an sozialer Rücksichtnahme ausgeübt wird und dass ein durch langjährige Mitarbeit verdientes Vertrauen nicht unberücksichtigt bleibt.[13]

Somit kann Teufelsberg grundsätzlich aus Art. 12 Abs. 1 GG einen Anspruch auf staatlichen Schutz vor Kündigungen des Arbeitsverhältnisses durch seinen Arbeitgeber herleiten.

 

II. Verwirklichung des Schutzauftrags aus Art. 12 Abs. 1 GG durch das BAG

Das BAG ist diesem sich aus Art. 12 Abs. 1 GG ergebenden Anspruch des Teufelsberg auf staatlichen Schutz vor Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber nicht nachgekommen, wenn es entweder Normen angewendet hat, die diesem Schutzauftrag nicht Genüge tun, oder in Auslegung dieser Normen einen Rechtssatz aufgestellt hat, der, wäre er vom Gesetzgeber erlassen worden, seinerseits diesem Schutzauftrag nicht genügen würde.

 

1. Verwirklichung der Schutzpflicht durch das geltende Kündigungsschutzgesetz

Fraglich ist daher zunächst, inwieweit das geltende Kündigungsschutzrecht, insbesondere § 1 KSchG diesem Schutzauftrag Genüge tut. § 1 Abs. 1 KSchG schränkt die Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers (nach Ablauf der Probezeit) ein, indem er als Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Kündigung deren soziale Rechtfertigung statuiert. Welche Kündigungen als sozial ungerechtfertigt gelten, wird in § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG konkretisiert. Diese Vorschrift unterscheidet zwischen personen-, verhaltens- und betriebsbedingten Kündigungen.

 

Anmerkung: Eine personenbedingte Kündigung liegt vor, wenn persönliche Fähigkeiten und Eigenschaften des Arbeitnehmers in Frage stehen, die von ihm nicht beeinflusst werden können, während eine verhaltensbedingte Kündigung vorliegt, wenn Anlass der Kündigung ein dem Arbeitnehmer zurechenbares Verhalten ist, das insbesondere in einer Vertragsverletzung liegen kann. Ein Grund in der Person liegt also vor, wenn der Arbeitnehmer will, aber nicht kann; ein Grund im Verhalten ist dagegen gegeben, wenn der Arbeitnehmer kann, aber nicht will.[14] Bei einer betriebsbedingten Kündigung liegt schließlich der Kündigungsgrund nicht in der Sphäre des Arbeitnehmers, sondern des Arbeitgebers.

 

Während die Zulässigkeit der betriebsbedingten Kündigung gemäß § 1 Abs. 3 bis 5 KSchG ausdrücklich unter dem Vorbehalt der richtigen Sozialauswahl (Berücksichtigung des Alters, der Länge der Betriebszugehörigkeit etc.) steht, erscheint zumindest nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG jeder in der Person und dem Verhalten des Arbeitnehmers liegende Grund eine Kündigung zu rechtfertigen, so dass der Arbeitgeber jedem kündigen könnte, "dessen Nase ihm nicht (mehr) passt". Dies soll aber allgemeiner Meinung nach gerade durch § 1 Abs. 2 KSchG ausgeschlossen werden: Das Wort "bedingt" in § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ist hier im Sinne von "erforderlich" zu verstehen.[15] Damit reicht es für die soziale Rechtfertigung nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG nicht aus, dass der Arbeitgeber die Kündigung an der Person oder dem Verhalten des Arbeitnehmers festmacht, sondern es müssen objektiv nachprüfbare sachliche Gründe die Kündigung wegen der Person oder des Verhaltens des Arbeitnehmers sachlich und damit sozial rechtfertigen. Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses muss mit anderen Worten für den Arbeitgeber unzumutbar sein, was sich nur nach einer umfassenden Interessenabwägung zwischen Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers und dem Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses klären lässt.

Wird § 1 KSchG so verstanden, erfüllt er die Anforderungen des Schutzauftrags aus Art. 12 Abs. 1 GG.[16]

 

2. Verwirklichung der Schutzpflicht außerhalb des Anwendungsbereiches des Kündigungsschutzgesetzes

Jedoch gilt § 1 KSchG nicht in allen Arbeitsverhältnissen. Insbesondere findet § 1 KSchG aufgrund der "Kleinbetriebsklausel" des § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG nicht auf Betriebe Anwendung, in denen, wie im Betrieb Rüstigs, in der Regel fünf oder weniger Arbeitnehmer beschäftigt werden (d.h. es müssen mindestens sechs beschäftigt sein). Es ist daher zu fragen, ob diese Kleinbetriebsklausel mit der Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich zu vereinbaren ist.

 

Anmerkung: Die Sonderregelung des § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG für Arbeitnehmer, die ihr Arbeitsverhältnis nach dem 31. Dezember 2003 begonnen haben, ist vorliegend nicht einschlägig, so dass auf deren Verfassungsmäßigkeit hier nicht einzugehen ist.

 

a) Verstärkte Schutzbedürftigkeit des Arbeitgebers

Hier ist zu berücksichtigen, dass das Kündigungsrecht des Kleinunternehmers im Gegensatz zum Kündigungsrecht in Großunternehmen als schutzwürdiger erscheint, so dass grundsätzlich nicht zu beanstanden ist, wenn der Gesetzgeber in diesen Fällen den Kündigungsschutz einschränkt und somit den Arbeitnehmern in Kleinbetrieben ein größeres rechtliches Risiko des Arbeitsplatzverlustes zumutet als Arbeitnehmern in Großbetrieben: Nach Ansicht des BVerfG[17] hängt in einem Betrieb mit wenigen Arbeitskräften nämlich der Geschäftserfolg mehr als bei Großbetrieben von jedem einzelnen Arbeitnehmer ab. Auf seine Leistungsfähigkeit komme es ebenso an wie auf Persönlichkeitsmerkmale, die für eine Zusammenarbeit, die Außenwirkung und das Betriebsklima von Bedeutung sind. Kleine Teams seien anfällig für Missstimmungen und Querelen, die sich bei geringerem Geschäftsvolumen spürbar auf das Ergebnis durchschlagen könnten; Ausfälle ließen sich bei geringerem Personalbestand nur schwer ausgleichen, auch sei das Vertrauensverhältnis zwischen Chef und Arbeitnehmer weit wichtiger. Es sei damit insgesamt schwerer, weniger leistungsfähiges, weniger benötigtes oder auch nur weniger genehmes Personal zu ertragen.

 

b) Notwendigkeit eines Mindestschutzes für Arbeitnehmer auch in Kleinbetrieben

Jedoch darf auch die gesteigerte Schutzwürdigkeit des Arbeitgebers in diesen Fällen nicht dazu führen, dass dem Arbeitnehmer keinerlei Kündigungsschutz gewährt wird. Der verfassungsrechtlich gebotene Mindestschutz des Arbeitnehmers vor Verlust durch private Disposition muss auch in diesen Fällen gewährleistet sein, also insbesondere auch der Schutz vor Kündigungen aus willkürlichen und sachfremden Motiven. Der Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG ist damit noch nicht Genüge getan, wenn ein Kündigungsschutzrecht für bestimmte Arbeitnehmer existiert, sondern die Privatrechtsordnung muss für jedes Arbeitsverhältnis zumindest ein Mindestmaß an Kündigungsschutz gewähren. Ergäbe sich somit aus dem KSchG, dass Arbeitnehmern in Kleinbetrieben ohne Rücksicht auf deren schutzwürdige Interessen nach bloßer Willkür gekündigt werden kann, müsste man wohl § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG als verfassungswidrig ansehen.[18]

 

c) Möglichkeit eines Rückgriffs auf die zivilrechtlichen Generalklauseln zur Gewährleistung des Mindestschutzes

§ 23 KSchG als verfassungswidrigen Ausschluss eines Mindestschutzes der Arbeitnehmer anzusehen, ließe sich jedoch vermeiden, wenn außerhalb des Anwendungsbereiches des § 1 KSchG ein Schutz vor willkürlichen und sachfremden Kündigungen durch Anwendung des § 242 und des § 138 Abs. 1 BGB bestünde. Eine solche Konstruktion liegt vor allem auch deshalb nahe, weil vor Inkrafttreten des Kündigungsschutzgesetzes die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte unter Heranziehung dieser Generalklauseln bereits Kündigungsschutz gewährt hatte.[19] Kündigungsschutz durch Heranziehung der zivilrechtlichen Generalklauseln zu gewähren, würde auch der Schutzpflicht des Staates aus Art. 12 Abs. 1 GG genügen; denn das BVerfG nimmt in ständiger Rechtsprechung an, dass dann, wenn der Gesetzgeber davon absieht, zwingendes Vertragsrecht für bestimmte Lebensbereiche zu schaffen, dies nicht bedeute, dass die Vertragspraxis dem freien Spiel der beteiligten Kräfte ausgesetzt wäre. Soweit sich aus der Verfassung eine Schutzpflicht des Staates bezüglich eines Vertragspartners herleiten lasse, wende sich nämlich bei Fehlen spezialgesetzlicher Regelungen dieser Schutzauftrag an den Richter, der den objektiven Grundentscheidungen der Grundrechte unter Heranziehung der zivilrechtlichen Generalklauseln zur Wirkung zu verhelfen habe.[20]

 

Anmerkung: Das BVerfG hat in der Bürgenentscheidung[21] ganz allgemein das Vertragsrecht des BGB daraufhin überprüft, ob es wirksam vor Fremdbestimmung durch "den Stärkeren" schütze und diese Regelungen vor allem deshalb für mit dem Grundgesetz vereinbar gehalten, weil gerade die Generalklauseln des BGB es dem Richter ermöglichten, auch ohne spezialgesetzliche Regelungen bei gestörter Vertragsparität ausgleichend zu wirken.[22]

 

Kündigungsschutz außerhalb des Anwendungsbereiches des § 1 KSchG durch Rückgriff auf die zivilrechtlichen Generalklauseln zu gewähren, kommt jedoch nur dann in Betracht, wenn ein solcher Rückgriff nicht ausdrücklich spezialgesetzlich ausgeschlossen ist. Diese Ansicht ist in der arbeitsrechtlichen Literatur verschiedentlich vertreten worden: § 1 i.V.m. § 23 KSchG wurde die Wertung entnommen, dass Umstände, die im Rahmen des § 1 Abs. 2 KSchG zu würdigen sind, nach dem Willen des Gesetzgebers außerhalb des Anwendungsbereichs des § 1 KSchG nicht als Verstöße gegen § 138 BGB und § 242 BGB gewürdigt werden könnten. Begründet wurde dies vor allem mit der früheren Ausgestaltung des KSchG, nach der die Fristenregelung des § 4 KSchG nur für einzelne "Kündigungsunwirksamkeitsgründe" galt[23] (nämlich für Kündigungen, die wegen § 1 Abs. 2 und 3 KSchG unwirksam waren und für Kündigungen aus "wichtigem Grund). Ob diese Ansicht nach früherem Recht zwingend war[24] kann hier dahingestellt bleiben: Durch das Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl. I 3002) sind § 4 und § 23 KSchG insoweit verallgemeinert worden, dass (auch in Kleinbetrieben) für alle "Kündigungsunwirksamkeitsgründe" – und damit auch für solche, die auf den zivilrechtlichen Generalklauseln beruhen – die Fristenregelung des § 4 KSchG gilt. In der Gesetzesbegründung[25] wird insoweit ausdrücklich auf die Möglichkeit Bezug genommen, dass sich die Unwirksamkeit einer Kündigung auch unter Anwendung der zivilrechtlichen Generalklauseln ergeben kann. Damit geht – jedenfalls heute – der Gesetzgeber selbst davon aus, dass es (auch in Kleinbetrieben) einen "Kündigungsschutz 2. Klasse"[26] außerhalb des Anwendungsbereichs des § 1 KSchG geben kann.

Hierbei ist allerdings zu beachten, dass der durch die Generalklauseln gewährte Schutz nicht dazu führen darf, dass dem Kleinunternehmer praktisch die im KSchG vorgeschriebenen Maßstäbe der Sozialwidrigkeit auferlegt werden; nur der verfassungsrechtlich gebotene Mindestschutz des Arbeitnehmers kann hierdurch gesichert werden.

 

d) Ergebnis zu 2.

Damit erscheint dann aber auch die Kleinbetriebsklausel des § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG als verfassungsgemäß. Somit hat das BAG hier spezifisches Verfassungsrecht nicht schon dadurch verletzt, dass es in Anwendung des § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG von der Nichtanwendbarkeit des § 1 KSchG ausging.

 

Anmerkung: Würde man hier von einer Verfassungswidrigkeit des § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG ausgehen, wären die sich hieraus ergebenden Rechtsfolgen nicht einfach zu bewältigen. Eine Nichtigkeitserklärung des § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG hätte zur Folge, dass der weitreichende Kündigungsschutz des § 1 KSchG unterschiedslos auf alle Arbeitsverhältnisse Anwendung finden müsste – ein Ergebnis, das weder vom Gesetzgeber gewollt ist noch wohl dem gesteigerten (ebenfalls grundrechtlich geschützten) Kündigungsinteresse des Kleinunternehmers gerecht würde. Die Anwendung des § 1 KSchG auch auf in Kleinunternehmen beschäftigte Arbeitnehmer könnte damit ihrerseits verfassungswidrig sein, weil sie übermäßig in die Berufsausübungsfreiheit des Kleinunternehmers eingreift. Im Ergebnis würde das Verfahren daher wohl auf eine –  in § 95 BVerfGG so nicht vorgesehene – Erklärung der Unvereinbarkeit des KSchG mit dem Grundgesetz verbunden mit einem Neuregelungsauftrag für den Gesetzgeber hinauslaufen, weil dem Gesetzgeber hier verschiedene Möglichkeiten zur Wahl stehen, wie er das Kündigungsschutzrecht in Kleinbetrieben ausgestaltet.[27]

 

3. Bedeutung des § 2 Abs. 4 AGG

Das BAG hatte zudem aber auch § 2 Abs. 4 AGG herangezogen, nach dem für Kündigungen (auch arbeitsrechtliche Kündigungen) nicht das AGG anwendbar sein soll, sondern ausschließlich die Bestimmungen des allgemeinen und besonderen Kündigungsschutzrechts. § 2 Abs. 4 AGG könnte daher als gesetzlicher Auftrag verstanden werden, das allgemeine und besondere Kündigungsschutzrecht so -auszulegen, dass Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität (vor denen das AGG schützen soll, vgl. § 1 AGG) bei Kündigungen nicht als unzulässig anzusehen sind.

Wäre § 2 Abs. 4 AGG so zu verstehen, würde dies für den vorliegenden Fall bedeuten, dass bei Anwendung der zivilrechtlichen Generalklauseln eine Kündigung (auch in Kleinbetrieben) nicht deshalb als unwirksam angesehen werden dürfte, weil sie aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität erfolgt. Derartige pauschale Diskriminierungen würden also im Bereich des Kündigungsschutzrechts pauschal gesetzlich gestattet, und insoweit willkürliche und sachfremde Kündigungen aus derartigen Gründen ohne Berücksichtigung der Interessen der Arbeitnehmer und unabhängig davon ermöglicht, ob sich die persönliche Eigenschaft, wegen der die Kündigung ausgesprochen wird, nachteilig auf den Betrieb bzw. betriebliche Abläufe ausgewirkt hat. Dies wäre mit der angenommenen Pflicht des Staates, alle Arbeitnehmer vor willkürlichen und sachfremden Kündigungen zu schützen, nicht vereinbar, so dass bei einem solchen Verständnis § 2 Abs. 4 AGG wegen "Schutzpflichtunterschreitung" als verfassungswidrig anzusehen wäre.

Allerdings ist ein solches Verständnis des § 2 Abs. 4 AGG nicht zwingend und kaum nahe liegend:[28] Es liegt stattdessen näher, dass es bei § 2 Abs. 4 AGG nicht um einen Anwendungsausschluss für die Diskriminierungsverbote des AGG geht, sondern vielmehr um die Beschreibung des Weges, auf dem die Diskriminierungsverbote des AGG in das bisherige System des Kündigungsschutzrechts nach der Vorstellung des Gesetzgebers einzupassen sind. Für den Weg, auf dem dies geschieht, sollen allerdings nach § 2 Abs. 4 AGG "ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz" maßgeblich sein: Dies bedeutet u.a., dass der Grundsatz des Kündigungsrechts, dass rechtswidrige Kündigungen unwirksam sind, und der Grundsatz, dass die Unwirksamkeit gerichtlich nach Maßgabe des Kündigungsschutzgesetzes geltend zu machen ist, jeweils unangetastet bleibt und nicht etwa eine "Diskriminierungsklage" neben die Kündigungsschutzklage treten oder etwa die besonderen Beschwerderechte nach dem AGG irgendetwas an der kündigungsrechtlichen Dogmatik ändern sollen. Vielmehr sollen Verstöße gegen die Diskriminierungsverbote des AGG nach den kündigungsrechtlichen Maßgaben gewertet werden, also für den Bereich des KSchG im Zusammenhang mit der Frage erörtert werden, ob die Kündigung sozial ungerechtfertigt ist oder nicht. Dagegen sollen die Diskriminierungsverbote nicht als eigene Unwirksamkeitsnormen angewendet werden.[29]

Bei einem solchen Verständnis des § 2 Abs. 4 AGG steht das AGG einer Auslegung der allgemeinen und besonderen Kündigungsschutzvorschriften nicht entgegen, nach der Kündigungen allein aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität schützen soll, so dass auch § 2 Abs. 4 AGG nicht wegen "Unterschreitung" der verfassungsrechtlichen Schutzpflichten als verfassungswidrig anzusehen ist. Somit hat das BAG hier spezifisches Verfassungsrecht nicht schon dadurch verletzt, dass es im vorliegenden Fall auch § 2 Abs. 4 AGG herangezogen hat.

 

4. Verwirklichung der Schutzpflicht durch das Gericht

Hier jedoch hat das BAG die Kündigung nicht an den zivilrechtlichen Generalklauseln gemessen, sondern ging vom Prinzip der Kündigungsfreiheit außerhalb des Anwendungsbereiches des § 1 KSchG aus. Es hat Teufelsberg auf dieser Grundlage jeglichen Kündigungsschutz versagt und sein durch Art. 12 Abs. 1 GG geschütztes Interesse am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses überhaupt nicht berücksichtigt. Damit hat es dieses dem Interesse des Arbeitgebers an dessen Beendigung einseitig aufgeopfert.

Das BAG hätte vielmehr im Rahmen der zivilrechtlichen Generalklauseln sowohl die Interessen des Arbeitnehmers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses als auch das Interesse des Arbeitgebers an dessen Beendigung unter Berücksichtigung der jeweils betroffenen Grundrechtspositionen miteinander abwägen müssen, da Art. 12 Abs. 1 GG auch außerhalb des KSchG zwingend die Geltung eines Prinzips der grundrechtlich gebundenen Kündigungsfreiheit vorschreibt.[30] Dabei hätte es nach dem oben Gesagten auch die Wertungen des § 1 AGG berücksichtigen müssen.

Unter Anwendung dieses Prinzips hätte das BAG die Kündigung für unwirksam halten müssen. Das Interesse des Arbeitnehmers am Bestand seines Arbeitsplatzes überwiegt das Interesse des Arbeitgebers, keine Homosexuellen in seinem Betrieb zu beschäftigen. Hielte man in einem solchen Fall die Kündigung für wirksam, ermöglichte man dem Arbeitgeber, in den privaten Lebensbereich des Arbeitnehmers, insbesondere auch in den grundrechtlich besonders geschützten Intimbereich einzugreifen; der Arbeitgeber ist durch den Arbeitsvertrag jedoch nicht zum Sittenwächter über die in seinem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer berufen. Aspekte der Gestaltung des privaten Lebensbereiches stehen daher außerhalb der Einflusssphäre des Arbeitgebers – jedenfalls dann, wenn diese wie hier keinerlei betriebliche Störungen veranlasst haben oder vernünftigerweise befürchten lassen.[31]

Das BAG hat folglich die sich aus dem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG ergebende Schutzpflicht nicht hinreichend verwirklicht.

 

 

5. Ergebnis zu B

Das BAG ist somit seiner Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG nicht nachgekommen und hat damit Grundrechte Teufelsbergs verletzt, so dass die Verfassungsbeschwerde begründet ist.

 

C) Gesamtergebnis

Teufelsbergs Verfassungsbeschwerde ist mithin zulässig und begründet und hat Erfolg. Das BVerfG wird dementsprechend nach § 95 Abs. 1 BVerfGG feststellen, dass das BAG gegen Art. 12 Abs. 1 GG verstoßen hat und diese Entscheidung aufheben. Obwohl die Urteile des Arbeitsgerichtes und des Landesarbeitsgerichtes – auf denen die Entscheidung des BAG beruht – Grundrechte Teufelsbergs in derselben Weise verletzt haben, kann das BVerfG diese Urteile nicht aufheben, da Teufelsberg Verfassungsbeschwerde ausdrücklich nur gegen das Urteil des BAG erhoben hat.[32] Das BVerfG wird dementsprechend nach § 95 Abs. 2 BVerfGG die Sache an das BAG zurückverweisen, das dann seinerseits gehalten ist, das Urteil des Landesarbeitsgerichtes nach § 72 Abs. 5 ArbGG i.V.m. § 562 Abs. 1 ZPO aufzuheben und nach § 72 Abs. 5 ArbGG i.V.m. § 563 Abs. 3 ZPO in der Sache selbst zu entscheiden.

 

 

Zur Vertiefung:


[1] BVerfGE 4, 52, 56; BVerfGE 19, 377, 393; U. Stelkens, DVBl. 2004, 403, 404.

[2] BVerfGE 73, 339, 378 - Solange II.

[3] Vgl. BVerfGE 118, 79, 95 f.; BVerfG, 1 BvR 256, 263, 586/08 v. 2. 3. 2010, Abs. 180 ff.; BVerfGE 125, 260, 306 f.; BVerfG, NJW 2012, 45 Rn. 46.

[4] BVerfG, NJW 2011, 3428 Abs. 89.

[5] BVerfG, NJW 2011, 3428 Abs. 88.

[6] Vgl. BVerfG, NJW 2011, 3428 Abs. 97.

[7] hierzu allgemein Peters/Markus, JuS 2013, 887 ff.

[8] BVerfGE 84, 133, 146 f.; BVerfGE 85, 360, 372 f.; BVerfGE 92, 140, 150; BVerfG, NJW 2011, 1427.

[9] BVerfGE 81, 242, 254; BVerfGE 89, 214, 231 f.

[10] BVerfGE 81, 242, 255; BVerfGE 89, 214, 232 f.; BVerfG, NJW 2007, 286, 287; BVerfG, NJW 2011, 1339 f.

[11] BVerfGE 97, 169, 176 f.; vgl. auch BVerfGE 81, 242, 254 f.; BVerfGE 89, 214, 232 f.; BVerfG, NJW 2007, 286, 287.

[12] BVerfG, NJW 2007, 286, 287 f.

[13] BVerfGE 97, 169, 179; ferner BVerfG, NJW 2003, 2815; BVerfG, NJW 2011, 1427.

[14] vgl. hierzu v. Hoyningen-Huene/Linck, Kündigungsschutzgesetz, 15. Aufl. 2013, § 1 Rn. 176 ff., 293.

[15] Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 11. Aufl. 2015, Rn. 1196 ff.

[16] V. Hoyningen-Huene/Linck, Kündigungsschutzgesetz, 15. Aufl. 2013, § 1 Rn. 12 ff.; so auch BVerfGE 84, 133, 146; BVerfGE 92, 140, 150; BVerfG, NJW 2003, 2815.

[17] BVerfGE 97, 169, 177 f.

[18] In diese Richtung wohl BVerfGE 97, 169, 176 ff.; BAGE 97, 92, 97; Berkowsky, NJW 2009, 113 f.

[19] V. Hoyningen-Huene/Linck, Kündigungsschutzgesetz, 15. Aufl. 2013, Einleitung Rn. 57.

[20] BVerfGE 81, 242, 255 f.

[21] BVerfGE 89, 214, 232 ff.

[22] Ähnlich auch BVerfG, NJW 2011, 1339 f. (für Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen).

[23] Nämlich für Kündigungen, die wegen § 1 Abs. 2 und 3 KSchG unwirksam waren, und für Kündigungen aus „wichtigem Grund“, vgl. hierzu v. Hoyningen-Huene/Linck, Kündigungsschutzgesetz, 15. Aufl. 2013, § 13 Rn. 86 ff.

[24] Dagegen z. B. Otto, JZ 1998, 852, 854 f.; Preis, NZA 1997, 1256, 1264 f.

[25] BT-Drs. 15/1205, S. 9 f. und S. 13 f.

[26] Berkowsky, NJW 2009, 113 und 115; Hanau, ZRP 1996, 349.

[27] Vgl. hierzu BVerfGE 81, 242, 263; siehe zu dieser Art der Entscheidung nur Schlaich/Korioth, Das BVerfG, 11. Aufl. 2018, Rn. 394 ff. mit zahlreichen Beispielen (lesenswert).

[28] Hierzu und zum folgenden BAG, NZA 2009, 361, Abs. 40.

[29] Siehe auch Berkowsky, NJW 2009, 113, 115.

[30] Oetker, AuR 1997, 41, 51; siehe hierzu auch BVerfG, NJW 2007, 286 f.

[31] BAG, NJW 1995, 275, 277; Preis, NZA 1997, 1256, 1266; Oetker, AuR 1997, 41, 51 f.

[32] Vgl. BVerfGE 4, 52, 56; BVerfG, BVerfGE 101, 275, 284 ff. und 297; U. Stelkens, DVBl. 2004, 403, 404.


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© Klaus Grupp (Universität des Saarlandes) und Ulrich Stelkens (Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer)

Bearbeitung für Hauptstadtfälle: Jan-Peter Wiepert, Franziskus Baer

Stand der Bearbeitung: November 2018