Kriegsspielzeug (Sachverhalt)
Auf Anregung des Kinderschutzbundes war von der Bundesregierung Mitte der 1990er Jahre eine Langzeitstudie über den Einfluss von Kriegsspielzeug auf das Aggressionsverhalten von Kindern in Auftrag gegeben worden, die mit erheblichen Aufwand durchgeführt worden ist. Nach deren zu Beginn des 3. Jahrtausends veröffentlichten Ergebnissen führt das Spielen mit Kriegsspielzeug in der Regel zu verstärkten Aggressionen bei Kindern und Jugendlichen unter 14 Jahren. Die Ergebnisse der Studie werden im wissenschaftlichen Diskurs zwar durchaus in Frage gestellt. Dass sie allen einschlägigen wissenschaftlichen Standards genügt wird aber nicht bestritten. Es wird zudem in einschlägigen Fachaufsätzen auch darauf hingewiesen, dass sich die Ergebnisse der Studie durchaus mit den Forschungsergebnissen anderer Forscher decken.
Der Bundestag hat deshalb am 20. November letzten Jahres mit der Mehrheit seiner Mitglieder und der erforderlichen Beteiligung des Bundesrates folgendes Gesetz zum Schutz der Jugend durch Verbot des Verkaufs von Kriegsspielzeug (JuSchuVerVerKriegsSpielG) erlassen:
§ 1 Zweck des Gesetzes. Zweck des Gesetzes ist, Kinder von einer Verharmlosung und einer Verherrlichung von Gewalt durch Kriegsspielzeug fernzuhalten und dadurch ihr Aggressionsverhalten positiv zu beeinflussen.
§ 2 Begriffsbestimmung. (1) Kriegsspielzeuge im Sinne dieses Gesetzes sind
1. verkleinerte plastische Darstellungen von Soldaten und in Kriegen und Schlachten verwendetem Material,
2. Figuren aller Art, welche mit Gegenständen ausgerüstet sind, die deutlich als Waffen, insbesondere Schieß-, Hieb- und Stichwaffen, zu erkennen sind,
3. Nachbildungen von Waffen und solchen Ausrüstungsgegenständen, welche ihrer Art nach nur im Krieg Verwendung finden, fanden oder finden könnten,
sofern sie nach Art ihrer Aufmachung und der für sie gemachten Werbung zumindest auch dazu bestimmt sind, Kindern zum Spielen zu dienen.
(2) Kinder im Sinne dieses Gesetzes sind Kinder und Jugendliche bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres.
§ 3 Verkaufsverbot. Der Verkauf von Kriegsspielzeug im Einzelhandel ist in der Bundesrepublik Deutschland verboten.
§ 4 Übergangsvorschrift. Kriegsspielzeug, das zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des Gesetzes bereits hergestellt war, darf auf die Dauer von fünf Jahren weiter vertrieben werden.
§ 5 Inkrafttreten. Dieses Gesetz tritt fünf Jahre nach seiner Verkündung in Kraft.
Die Berliner Spielzeugwerke AG hat sich seit Jahren auf die Herstellung von Plastiksoldaten, Plastikrittern, Plastikcowboys und Plastikindianern spezialisiert sowie auf Spielzeugpanzer und andere Waffengattungen des 1. und 2. Weltkrieges. Sie befürchtet, dazu gezwungen zu sein, ihren Betrieb zumindest teilweise einzustellen, da sie ab In-Kraft-Treten des Gesetzes wegen des Verkaufsverbots keinerlei Abnehmer für ihre Ware mehr finden werde, weil ihre Figuren wegen ihrer billigen Aufmachung keinerlei Sammlerwert hätten und sich wegen der Enge des Marktes weder der Export ihrer Artikel ins Ausland noch eine Umstellung ihres Betriebs etwa auf die Herstellung von Plastikbauernhof- und Plastikzootieren o.ä. lohnen würden. Damit würden auch ihre gesamten Betriebsanlagen praktisch wertlos, da sie sie nicht mehr wirtschaftlich sinnvoll nutzen könnte. Die Berliner Spielzeugwerke AG hat daher gegen das Gesetz unmittelbar nach seiner Verkündung Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie sieht sich durch das Gesetz insbesondere in ihren Grundrechten aus Art. 12 und Art. 14 GG verletzt. Verfassungsbeschwerde könne sie schon jetzt - vor In-Kraft-Treten des Gesetzes - erheben, da sie bei Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes bereits alle notwendigen Entscheidungen zu treffen habe. Insofern entfalte das Gesetz Vorwirkungen, was der Gesetzgeber selbst erkannt habe: Das verzögerte In-Kraft-Treten des Gesetzes deute daraufhin, dass den betroffenen Herstellern genügend Zeit gelassen werden sollte, sich auf die neue Rechtslage einzustellen.
In ihrer Gegenäußerung nach § 94 i.V.m. § 77 BVerfGG betont die Bundesregierung jedoch, dass das JuSchuVerVerKriegsSpielG natürlich verfassungsgemäß sei. Selbst wenn dies nicht der Fall wäre, könnten die Berliner Spielzeugwerke AG hiergegen zudem - jedenfalls zur Zeit - nicht mittels der Verfassungsbeschwerde vorgehen. Es seien Zweifel geltend gemacht worden, ob dieses Gesetz mit Europäischen Unionsrecht vereinbar sei: So sei behauptet worden, das JuSchuVerVerKriegsSpielG verletzte die durch Art. 34 ff. AEUV garantierte Warenverkehrsfreiheit. Auch sei angenommnen worden, das JuSchuVerVerKriegsSpielG verstoße gegen den "Geist" der Richtlinie 2009/48/EG über die Sicherheit von Spielzeug, die allein die "technische Ungefährlichkeit" von Spielzeug als Grund für Verkaufs- und Herstellungsvorgaben für Spielzeuge im Europäischen Binnenmarkt anerkenne. Sie verwehre damit den Mitgliedstaaten, durch nationale Gesetze weitergehende Anforderungen für das Inverkehrbringen von "pädagogisch schädlichen" Spielzeugen auf ihren heimischen Märkten aufzustellen. Tatsächlich sähe Art. 12 der Richtlinie vor, dass die Mitgliedstaaten "auf ihrem Hoheitsgebiet das Bereitstellen von Spielzeugen auf dem Markt nicht behindern" dürfen, "wenn sie dieser Richtlinie entsprechen." Die Bundesregierung meint nun, dass diese in der Literatur verschiedentlich geäußerten Bedenken ernst zu nehmen seien, da tatsächlich die EU-Kommission erwäge, gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV wegen Erlasses des JuSchuVerVerKriegsSpielG aus beiden Gründen einzuleiten. Allerdings seien insoweit noch weitere Prüfungen im Gange. Bis der EuGH über einen entsprechenden Antrag der Kommission oder auf Grund einer Vorlage eines deutschen Gerichts nach Art. 267 AEUV über diese Fragen entschieden habe, sei der Weg zum BVerfG daher "gesperrt": Niemand könne eine Grundrechtsverletzung durch ein Gesetz geltend machen, bei dem ungeklärt sei, ob es überhaupt zu Lasten des Betroffenen anwendbar sei. Unabhängig davon ergebe sich aus dem Umstand, dass das JuSchuVerVerKriegsSpielG in den Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit und der Richtlinie 2009/48/EG falle, dass der deutsche Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes nicht an die deutschen Grundrechte, sondern (nur) an die Grundrechte der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GrCh) gebunden sei, die die deutschen Grundrechte in ihrem Anwendungsbereich (Art. 51 Abs. 1 EU-GrCh) vollständig verdränge, so dass auch deshalb eine Verfassungsbeschwerde aussichtslos bleiben müsse.
Hat die Verfassungsbeschwerde gegen das JuSchuVerVerKriegsSpielG - dessen Vereinbarkeit mit EU-Recht tatsächlich nicht frei von Zweifeln ist - dennoch Aussicht auf Erfolg?
Bearbeitervermerk: Zur Beantwortung der Fallfrage kann offen bleiben, ob und inwieweit das JuSchuVerVerKriegsSpielG wirklich mit Europäischem Unionsrecht (un-) vereinbar ist. Diese Frage muss auch nicht in einem Hilfsgutachten geklärt werden.
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