Kriegsspielzeug (Kurzlösung)
Stattgabe, wenn Verfassungsbeschwerde zulässig und begründet
A. Zulässigkeit
I. Beteiligtenfähigkeit (Art. 94 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG: „jedermann")
(+), Berliner Spielzeugwerke AG ist juristische Person des Privatrechts Grundrechtsträgerin (Art.19 Abs. 3 GG)
II. Beschwerdegegenstand (Art. 94 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG: „Akt der öffentlichen Gewalt")
(+) JuSchuVerVerKriegsSpielG ist Bundesgesetz = Akt der Legislative
III. Beschwerdebefugnis (Art. 94 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG: „Behauptung, in einem seiner Grundrechte verletzt zu sein")
Frühere Rechtsprechung des BVerfG
Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG a.F., § 90 Abs. 1 BVerfGG: Grundrechte nur im 1. Abschnitt des Grundgesetzes gemeint.
Grundrechtsgleiche Rechte (z. B. Art. 20 Abs. 4, Art. 33, Art. 38 GG) wurden einbezogen.
Unionsgrundrechte aus der GRCh waren nicht rügbar.
Aktuelle Rechtsprechung des BVerfG
Einbeziehung der Unionsgrundrechte in den Kreis der rügbaren Rechte.
Begründung:
Wortlaut von Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG (jetzt Art. 94 Abs. 1 Nr. 4a GG) schließt Unionsgrundrechte nicht aus.
Notwendige Ergänzung des Grundrechtsschutzes durch das BVerfG gegenüber der fachgerichtlichen Anwendung der Unionsgrundrechte.
Prüfung im konkreten Fall
Verletzung von Grundrechten:
Grundrechte des Grundgesetzes
Unionsgrundrechte (GRCh)
1. Möglichkeit der Verletzung deutscher Grundrechte
a) Bindung des JuSchuVerVerKriegsSpielG an deutsche Grundrechte
Ausgeschlossen aufgrund vorrangiger Anwendung der Unionsgrundrechte nach Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRCh?
aa) Möglichkeit einer kumulativen Anwendbarkeit der deutschen Grundrechte und der Unionsgrundrechte auf denselben Akt öffentlicher Gewalt
Trennungsmodell:
BVerfG (2013): Anwendbarkeit der Unionsgrundrechte schließt deutsche Grundrechte aus.
Kumulationsmodell (seit 2019):
BVerfG: Akte deutscher öffentlicher Gewalt können sowohl an deutschen Grundrechten als auch an Unionsgrundrechten gemessen werden.
Gilt für die Umsetzung, Durchführung oder Anwendung von Unionsrecht.
Grundrechtskataloge des GG und der GRCh können nebeneinander auf denselben Akt öffentlicher Gewalt angewendet werden.
bb) Möglichkeit einer Unanwendbarkeit der deutschen Grundrechte bei vollständig vereinheitlichten Materien des Unionsrechts
Bei Verpflichtung eines Mitgliedstaats nach Art. 4 Abs. 3 EUV zum Erlass bestimmter Maßnahmen àKein Umsetzungsspielraum:
EuGH (Melloni-Entscheidung): Nationale Grundrechte oder Verfassungsrecht können der Umsetzungsverpflichtung nicht entgegengehalten werden.
Position des BVerfG:
Anerkennung des Grundsatzes:
In vollvereinheitlichten Materien des Unionsrechts sind deutsche Grundrechte nicht anwendbar.
Begründung:
Deutsche Grundrechte könnten das Ziel der Rechtsvereinheitlichung gefährden.
Gilt für Akte öffentlicher Gewalt, die zwingendes Unionsrecht ohne eigenen Gestaltungsspielraum umsetzen.
Nationale Grundrechte sind in diesen Fällen nicht anwendbar
cc) Möglichkeit, dass unionsrechtsverletzende deutsche Rechtsakte zugleich auch gegen deutsche Grundrechte verstoßen
Andererseits spricht unionsrechtlich nichts dagegen, dass nationale Maßnahmen, die unionsrechtswidrig sind, von nationalen Gerichten am Maßstab der nationalen Grundrechte geprüft und verworfen werden können.
Unterschied zur „Melloni-Konstellation“:
„Melloni-Konstellation“: Fehlender Umsetzungsspielraum, da nationale Maßnahme unionsrechtlich geboten, daher keine Anwendung nationaler Grundrechte möglich.
Hier: Fehlender Umsetzungsspielraum, da nationale Maßnahme ist unionsrechtlich verboten, Anwendung nationaler Grundrechte stärkt das unionsrechtliche Verbot.
Praktische Wirksamkeit des Unionsrechts:
Ist eine nationale Maßnahme unionsrechtlich verboten, stärkt es die praktische Wirksamkeit dieses unionsrechtlichen Verbots, wenn die Maßnahme (nicht nur wegen Verstoßes gegen dieses unionsrechtliche Verbot, sondern) auch wegen eines Verstoßes gegen nationales Recht aufgehoben bzw. für nichtig oder unanwendbar erklärt werden kann.
BVerfG: Nationale Gesetze können trotz Zweifeln an einem unionsrechtlichen Verstoß weiterhin am Maßstab der deutschen Grundrechte überprüft werden.
dd) Ergebnis zu a
Der Erlass des JuSchuVerVerKriegsSpielG dient nicht der Umsetzung zwingenden Unionsrechts.
Das Gesetz könnte unionsrechtswidrig sein
Ein solcher möglicher Verstoß führt nicht zur Unanwendbarkeit der deutschen Grundrechte gegenüber dem Gesetz.
Selbst wenn das JuSchuVerVerKriegsSpielG als „Durchführung des Rechts der Union“ i. S. des Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRCh gewertet wird, führt dies nur zu einer zusätzlichen Bindung an die Unionsgrundrechte, aber nicht zur Verdrängung der deutschen Grundrechte.
Berliner Spielzeugwerke AG kann sich gegenüber dem JuSchuVerVerKriegsSpielG also (auch) auf die Grundrechte des Grundgesetzes berufen.
b) Möglichkeit einer Verletzung des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG
(-), kein Eingriff durch JuSchuVerVerKriegsSpielG keine Betroffenheit der Eigentümerstellung und des Nutzungsrechts an Betriebsanlagen; kein Schutz von Gewinnerwartungen und Chancen sowie des „Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb“ durch Eigentumsfreiheit
c) Möglichkeit einer Verletzung des Art. 12 Abs. 1 GG
(+), Schutzgut ist Freiheit des Betriebs einer Erwerbszwecken dienenden Tätigkeit, insbesondere eines Gewerbes, soweit Tätigkeitsausübung nach Wesen und Art in gleicher Weise von einer juristischen wie von einer natürlichen Person möglich (Art. 19 Abs. 3 GG); hier nicht von vornherein ausgeschlossen
d) Gegenwärtige, unmittelbare Selbstbetroffenheit der Berliner Spielzeugwerke AG durch das JuSchuVerVerKriegsSpielG
aa) Selbstbetroffenheit
Gesetzesadressaten sind Einzelhändler, nicht Spielzeughersteller, hier dennoch (+), da eigentliches Normenziel nach Zweck/Hauptwirkung geschützte Rechtssphäre des Bf.; wirtschaftliche Sinnlosigkeit der Herstellung durch Verkaufsverbot
bb) Gegenwärtige Betroffenheit
Angriff des Gesetzes vor In-Kraft-Treten; Verfassungsbeschwerde grds. erst nach In-Kraft-Treten, Ausnahme: Zwang zu Verhaltensänderung durch bereits verkündetes Gesetz, hier: (+), bereits jetzt Zwang zur Produktionsumstellung (trotz fünfjähriger Übergangsfrist)
cc) Unmittelbare Betroffenheit
Unmittelbarkeit (+), kein weiterer Vollzugsakt für Verbot erforderlich
- Betroffenheit (+)
e) Bedeutung der möglichen Unionsrechtswidrigkeit des JuSchuVerVerKriegsSpielG
Wenn unionsrechtswidrig, dann keine unmittelbare Selbstbetroffenheit durch nationalrechtliches Verkaufsverbot?
Vorrang des EU-Rechts (Costa/ENEL) führt zu Unanwendbarkeit nicht Nichtigkeit der nationalen Norm (Simmenthal II)
Hier fraglich, ob JuSchuVerVerKriegsSpielG mit Art. 34 ff. AEUV und RL 2009/48/EG unvereinbar
Auch zweifelhaft, ob Unanwendbarkeit der Vorschriften hier von Bedeutung:
Bei Verstoß gegen Richtlinie:
EuGH: Anwendungsvorrang besteht nur, wenn die unionsrechtliche Bestimmung unmittelbare Wirkung hat.
Bei Verstoß „bloß“ gegen EU-Grundfreiheit – irrelevant: Hier inländisches Unternehmen, das sich ohne grenzüberschreitenden Bezug gegen inländische Regelung wehrt (Problem der Inländerdiskriminierung)
Aber selbst wenn Unanwendbarkeit des JuSchuVerVerKriegsSpielG, kann das nicht die Betroffenheit in Frage stellen: Es kann nicht an der Betroffenheit bei einem Gesetz fehlen, weil Gesetz verfassungswidrig und damit nichtig, sodass gar kein Grundrechtsverstoß möglich wäre. Verfassungswidrigkeit soll gerade mit Verfassungsbeschwerde geklärt werden. Gedanke ist zu übertragen auf Unionsrechtswidrigkeit.
Dass Gesetz evtl. auch unionsrechtswidrig ist, ist lediglich für Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde bedeutsam – sodass ggf. erst die Unionsrechtswidrigkeit (fachgerichtlich) zu klären wäre
f) Ergebnis zu 1
EU-rechtliche Implikationen schließen die Beschwerdebefugnis nicht aus
2. Möglichkeit der Verletzung von Unionsgrundrechten
Mögliche Verletzung von Unionsgrundrechten durch das JuSchuVerVerKriegsSpielG:
Berufsfreiheit (Art. 15 Abs. 1 GRCh), Unternehmerische Freiheit (Art. 16 GRCh)
Eigentumsfreiheit (Art. 17 Abs. 1 GRCh)
a) Abgrenzung der Schutzbereiche der Art. 15 Abs. 1, Art. 16 und Art. 17 GRCh
Abgrenzung im Einzelnen umstritten, aber wegen einheitlicher Schrankenregelung des Art. 52 Abs. 1 GRCh weniger bedeutsam (jedenfalls für das Verhältnis von Art. 15 und 16 GRCh)
Keine Verletzung von Art. 17 GRCh im vorliegenden Fall, da der Schutzbereich nicht betroffen ist (analog zu Art. 14 Abs. 1 GG)
b) Anwendbarkeit der Unionsgrundrechte (Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRCh)
„Durchführung des Rechts der Union":
Die Unionsgrundrechte gelten nur bei „Durchführung des Rechts der Union" durch die Mitgliedstaaten.
Engere Auslegung: Nur wenn Mitgliedstaaten Unionsrecht gesetzgeberisch umsetzen oder vollziehen müssen.
Weite Auslegung: Unionsgrundrechte gelten auch, wenn Mitgliedstaaten Unionsrecht anwenden, umsetzenoder bei der Anwendung nationalen Rechts beachten müssen.
Sprachfassungen des Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRCh: Verschiedene Sprachfassungen (Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch) unterstützen eine weite Auslegung des Begriffs „Durchführung".
EuGH: Weite Auslegung, nach der die Unionsgrundrechte auch bei nationaler Anwendung von Unionsrecht gelten.
Mitgliedstaatliche Beschränkungen der Grundfreiheiten (z.B. Warenverkehrsfreiheit, Niederlassungsfreiheit) gelten als „Durchführung des Rechts der Union".
Gesetzgebung zur Umsetzung von Richtlinien bzw. solche, die Richtlinien beachten muss, fällt ebenfalls unter „Durchführung".
Ergebnis für das JuSchuVerVerKriegsSpielG: Der Erlass des Gesetzes stellt einen Fall der „Durchführung des Rechts der Union" dar. Daher muss das Gesetz auch am Maßstab der Unionsgrundrechte gemessen werden.
c) Ergebnis zu 2
Auch im Hinblick auf Art. 15 Abs. 1 GRCh (Berufsfreiheit) und Art. 16 GRCh (unternehmerische Freiheit) ist eine Beschwerdebefugnis gegeben.
Beschwerdebefugnis ist gegeben mit Blick auf Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 15 Abs. 1, Art. 16 GRCh
(+), Vornahme von Prozesshandlungen durch Vorstand als Vertreter (§ 78 Abs. 1 AktG)
V. Erschöpfung des Rechtswegs (§ 90 Abs. 2 BVerfGG) und "Subsidiarität" der Verfassungsbeschwerde
1. Subsidiarität wegen Möglichkeiten verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes?
Frage, ob Bund berechtigt war, durch ein Parlamentsgesetz unmittelbar Grundrechte einzuschränken, lässt sich nicht als „öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art“ qualifizieren, zu denen die Verwaltungsgerichte nach § 40 Abs. 1 VwGO berufen sind.
Auch in Form einer Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO besteht hier also keine zumutbare Rechtsschutzmöglichkeit.
2. Subsidiarität wegen Notwendigkeit, eine Entscheidung des EuGH herbeizuführen?
Hier Besonderheit, weil JuSchuVerVerKriegsSpielG evtl. unionsrechtswidrig? Klärung durch EuGH nach Art. 267 AEUV
Da ggf. sowohl EuGH als auch BVerfG auf die Entscheidung zu Gültigkeit und Auslegung einer Norm aus anderer Rechtsordnung angewiesen, BVerfG spricht dem Beschwerdeführer eine Art Wahlrecht spricht dem Beschwerdeführer eine Art Wahlrecht zwischen der Erhebung einer Verfassungsbeschwerde und der Initiierung eines Vorlageverfahrens nach Art. 267 AEUV zu, um wechselseitige Verweisungen zu vermeiden; auch ein Fachgericht hat nach dem BVerfG grundsätzlich ein Wahlrecht, ob es zunächst dem EuGH nach Art. 267 AEUV oder dem BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG vorlegt.
VI. Frist (§ 93 Abs. 3 BVerfGG)
(+), Wahrung der Jahresfrist: Erhebung der Beschwerde vor In-Kraft-Treten
Verfassungsbeschwerde zulässig
B. Begründetheit
(+), wenn Berliner Spielzeugwerke AG durch Gesetz in Grundrechten verletzt; In Betracht kommt nur Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG und der Art. 15 Abs. 1, Art. 16 GRCh
I. Art. 12 Abs. 1 GG
Schutzgut bzgl. juristischer Personen: Freiheit des Betriebs einer Erwerbszwecken dienenden Tätigkeit, insbesondere eines Gewerbes, soweit Tätigkeitsausübung nach Wesen und Art in gleicher Weise von einer juristischen wie von einer natürlichen Person möglich. Schutzbereichseröffnung (+), auch Plastik-Spielzeugfigurenherstellung zu Erwerbszwecken umfasst
(+), zwar kein Unmittelbares Herstellungsverbot, aber durch JuSchuVerVerKriegsSpielG wirtschaftliche Unmöglichkeit der Herstellung für die Berliner Spielzeugwerke AG, zumindest billigende Inkaufnahme der Folge - mittelbarer Eingriff über faktische Auswirkungen
3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs
Frage, ob JuSchuVerVerKriegsSpielG mit Unionsrecht vereinbar, nicht Prüfungsgegenstand der Verfassungsbeschwerde
Wortlaut Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG: Vorbehalt nur für Berufsausübung, nicht aber Berufswahl
BVerfG (Apothekenurteil): Berufsfreiheit = einheitliches Grundrecht mit einfachem Gesetzesvorbehalt
Argument: Trennung Berufswahl – Berufsausübung nicht immer möglich; ineinandergreifende, sich berührende Phasen der beruflichen Betätigung (Berufswahl erster Akt der Berufsausübung, Berufsausübung immer Bestätigung der Berufswahl)
- JuSchuVerVerKriegsSpielG entspricht Schrankenvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG.
b) Formelle Verfassungsmäßigkeit
Ordnungsgemäßes Gesetzgebungsverfahren und Beachtung der Formvorschriften: (+), mangels entgegenstehender Sachverhaltsangaben
aa) Gesetzgebungskompetenztitel
Art. 73 Abs. 1 Nr. 12 GG (-), Waffenrecht erfasst nur „echte Waffen“
Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG (+), öffentliche Fürsorge umfasst Jugendfürsorge und Jugendschutz, hier Schutz von Kindern vor gewaltverharmlosendem und verherrlichendem Spielzeug
Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG (+), alle Regelungen, die sich mit der Erzeugung, Herstellung und Verteilung von Gütern des wirtschaftlichen Bedarfs befassen
bb) Besondere Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG
allg. Meinung: Geltung der strengen Kriterien des BVerfG aus „Altenpflegegesetzentscheidung“ auch für „Erforderlichkeitsklausel“ des Art. 72 Abs. 2 GG n.F.; Zwei-Schritt-Prüfung: 1. Zielvorgabenentsprechung der Regelung, 2. Erforderlichkeit eines Bundesgesetzes zur Zielvorgabenerreichung
(1) Entspricht das JuSchuVerVerKriegsSpielG den Zielvorgaben des Art. 72 Abs. 2 GG?
(a) Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet?
(+), wenn durch Regelung Verhinderung oder Umkehrung einer bereits eingetretenen oder konkret drohenden erheblichen Auseinanderentwicklung der Lebensverhältnisse in den Bundesländern; „Gleichwertigkeit“≠ „Einheitlichkeit“
Hier: (-), keine erhebliche Auseinanderentwicklung der Lebensverhältnisse in den Bundesländern ohne bundeseinheitliche Kriegsspielzeugverbotsregelung
(b) Wahrung der Rechtseinheit im gesamtstaatlichen Interesse?
(+), wenn erhebliche Rechtsunsicherheiten und unzumutbare Rechtsverkehrsbehinderungen bei unterschiedlicher Behandlung desselben Lebenssachverhalts in den Ländern
Hier: (+), Belastung des Kriegsspielzeugvertriebs mit erheblicher Rechtsunsicherheit bei unterschiedlichen Regelungen in den verschiedenen Ländern
(c) Wahrung der Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse?
(+), wenn es um die Erhaltung der Funktionseinheit des Wirtschaftsraums durch bundeseinheitliche Rechtssetzung geht
Hier: wohl (+), unterschiedliche Regelung über Kriegsspielzeugvertrieb tangiert Bundesgebiet als einheitlichen Wirtschaftsraum
- Regelung entspricht Zielvorgaben
(2) Ist das JuSchuVerVerKriegsSpielG zur „Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse" erforderlich?
BVerfG: Erforderlichkeit = Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs in das Gesetzgebungsrecht der Länder: (+), wenn Zielvorgabenerreichung durch entsprechende Länderregelung unmöglich; Prognosespielraum des Bundesgesetzgebers
Hier: (+),Wirtschafts- und Rechtseinheit wahrende Regelung nur auf Bundesebene
- Erforderlichkeit (+)
Art. 72 Abs. 2 GG (+)
Formelle Verfassungsmäßigkeit des JuSchuVerVerKriegsSpielG (+)
c) Materielle Verfassungsmäßigkeit
aa) Bestimmtheitsgebot
Begriffsbestimmung des § 2 Abs. 1 JuSchuVerVerKriegsSpielG zu unbestimmt?
(-), außerordentlich großer Anwendungsbereich (auch Cowboy-/Ritterfiguren erfasst) kein Bestimmtheits-, sondern Verhältnismäßigkeitsproblem
bb) Verhältnismäßigkeitsprinzip
(Legitimer) Zweck ist positive Beeinflussung des kindlichen Aggressionsverhaltens
(+), zwar Streit über die wirklichen Auswirkungen des Kriegsspielzeugs; allerdings Bejahung eines Zusammenhangs durch Langzeitstudie Anschließen an diese Meinung ist im Rahmen des gesetzgeberischen Beurteilungsspielraums
(+), keine gleiche Wirksamkeit von Appellen und (aufhebbaren) Selbstbeschränkungen des Handels im Vergleich zu Verkaufsverbot
(3) Angemessenheit (Drei-Stufen-Theorie)
Objektive Berufszulassungsregeln: Zulässig zur Abwehr nachweisbarer schwerer Gefahren für überragend wichtige Gemeinschaftsgüter
Subjektive Berufszulassungsregeln: Zulässig zum Schutz bedeutsamer Gemeinschaftsgüter
Berufsausübungsregelungen: Rechtfertigung durch vernünftige Gemeinwohlgründe
Eingriffsqualität des JuSchuVerVerKriegsSpielG?
Kriegsspielzeugherstellung nach Berufsbild und technischer Ausstattung wohl kein eigenständiger Beruf: Maschinen zur billigen Massenproduktion von Plastikfiguren mit leicht austauschbaren Formen - Abstellen auf Beruf des Herstellers billiger Plastikfiguren zu Spielzwecken (a.A. vertretbar)
- Nicht „ob“ des Berufs des Plastikfigurenherstellers, sondern nur „wie“ durch Verbot von Kriegsspielzeugen betroffen
- Berufsausübungsregel Rechtfertigung durch vernünftige Gemeinwohlgründe
Gesetzesziel ist Abwendung von kindlichen Entwicklungsschäden - gesunde Kindesentwicklung = überragend wichtiges Gemeinschaftsgut (vgl. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG); Berücksichtigung der Herstellerinteressen durch lange Übergangsfristen (fünfjährige Umstellungszeit, fünfjähriger Weitervertrieb nach Verbot, vgl. §§ 4, 5 JuSchuVerVerKriegsSpielG)
- Eingriff angemessen
JuSchuVerVerKriegsSpielG verhältnismäßig - insgesamt materiell verfassungsmäßig
Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gerechtfertigt
II. Unionsgrundrechte aus Art. 15 Abs. 1, Art. 16 GRCh
Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRCh: Die Unionsgrundrechte sind grundsätzlich anwendbar.
Schutzbereich dieser Grundrechte ist grundsätzlich eröffnet.
Fragen der Einschränkung, Wesensgehalt und Verhältnismäßigkeit (Art. 52 GRCh)
Prüfung nach Maßgabe der Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH und EGMR [wegen Art. 52 Abs. 3, 4 GRCh]), um Einheit der Rechtsprechung zu Unionsgrundrechten nicht zu gefährden.
Bei gleichzeitiger Anwendung von deutschen und Unionsgrundrechten wird die Prüfung vom BVerfG jedoch primär am Maßstab des Grundgesetzes vorgenommen.
Die Auslegung der Unionsgrundrechte erfolgt unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH und des EGMR, jedoch nicht unmittelbar nach der deutschen Grundrechtstheorie.
Es hier spricht Einiges dafür, dass das JuSchuVerVerKriegsSpielG auch einer Prüfung am Maßstab der Art. 15 Abs. 1 und Art. 16 GRCh standhält.
Das JuSchuVerVerKriegsSpielG verletzt damit die Berliner Spielzeugwerke AG weder in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG noch in ihrem Unionsgrundrechten aus Art. 15 Abs. 1, Art. 16 GRCh.
C. Gesamtergebnis
Verfassungsbeschwerde ist zulässig, aber unbegründet - keine Erfolgsaussichten.
Ob das JuSchuVerVerKriegsSpielG auch mit sonstigem Unionsrecht, insbesondere mit den Grundfreiheiten (zu denen auch v. a. die Warenverkehrsfreiheit der Art. 34 ff. AEUV gehört) und der Richtlinie 2009/48/EG über die Sicherheit von Spielzeug vereinbar ist vereinbar ist, ist damit aber noch nicht geklärt (und könnte im Verfassungsbeschwerdeverfahren nach Auffassung des BVerfG auch nicht geklärt werden).
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© Klaus Grupp (Universität des Saarlandes) und Ulrich Stelkens (Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer)
Bearbeitung für Hauptstadtfälle: Jan-Peter Wiepert, Christian Janssen
Stand der Bearbeitung: Januar 2025